133R129/17v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch durch die Richter Dr. Schober (Vorsitz) und Dr. Terlitza sowie den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Mag. Babeluk in der Rechtssache der gefährdeten Partei ***** gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei ***** wegen Unterlassung (EUR 350.000) sowie Richtigstellung und Antragszurückziehung (EUR 40.000), Sicherungsinteresse (EUR 390.000), über den Rekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26.9.2017, 62 Cg 49/17v-27, (Rekursinteresse EUR 20.969,96 sA) in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird geändert und lautet:
«1. Die gefährdete Partei ist schuldig, der Gegnerin der gefährdeten Partei EUR 24.987,87 (netto) samt 4 % Zinsen seit dem 14.8.2017 an Kosten für die Beteiligung am Verfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.
2. Das Mehrbegehren, die gefährdeten Partei möge der Gegnerin der gefährdeten Partei weitere Kosten in Höhe von EUR 11.312,41 (netto) samt 4 % Zinsen ersetzen, wird abgewiesen.»
Die gefährdete Partei ist schuldig, der Gegnerin der gefährdeten Partei die mit EUR 675,48 (darin EUR 112,58 USt.) bestimmten Kosten des Rekurses sowie die mit EUR 1.468,44 bestimmten Kosten des Antrags vom 14.4.2017 binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung
Text
1. Mit einstweiliger Verfügung vom 28.1.2014 (bestätigt durch das Rekursgericht mit Beschluss vom 25.6.2014) wurde der Gegnerin der gefährdeten Partei (kurz: Gegnerin) verboten, in Österreich
Grundlage dafür war die (als bescheinigt angenommene) Verletzung des europäischen Patents EP 2 292 219 B1 mit dem Titel „Transdermal therapeutic system for the administration of rivastigmine“ sowie des auf diesem Patent basierenden österreichischen Patents E 616 399 der gefährdeten Partei (kurz: Gefährdeten). Im Provisorialverfahren wurde von der Rechtsbeständigkeit des europäischen Patents ausgegangen.
Die Rechtfertigungsklage zur einstweiligen Verfügung langte beim Handelsgericht Wien am 27.2.2014 zu 34 Cg 14/14m (nunmehr 62 Cg 50/17s) ein.
2. Gegen das europäische Patent EP 2 292 219 B1 wurden beim Europäischen Patentamt Einsprüche erhoben, wobei letztlich in der Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 18.7.2017 das Patent EP 2 292 219 B1 zur Gänze widerrufen wurde. Daraufhin nahm die Klägerin (Gefährdete) mit Schriftsatz vom 28.7.2017 nicht nur die Rechtfertigungsklage unter Anspruchsverzicht zurück, sondern beantragte im Sicherungsverfahren (so wie auch die Gegnerin) die Aufhebung der einstweiligen Verfügung, was mit Beschluss vom 3.8.2017 erfolgte.
3. Mit Eingabe vom 14.8.2017 begehrte die Gefährdete einen Zuspruch von EUR 35.700,28 (netto) an verursachtem Vermögensnachteil gemäß § 394 EO. Es seien ihr im Provisorialverfahren folgende Verfahrenskosten entstanden:
Von diesem Betrag seien die bereits in den tarifmäßigen Kosten genannten Beträge (anteilsmäßig) abzuziehen, nämlich
4. Nachdem sich die Gefährdete zu diesem (Kosten-)Antrag nicht geäußert hat, sprach das Erstgericht der Gefährdeten EUR 14.730,32 (netto) samt 4 % Zinsen zu und wies das Mehrbegehren ab.
Für den Rekurs im Provisorialverfahren stehe kein Kostenersatz zu, weil bereits dort zu Recht erkannt worden sei, dass die Gegnerin die Kosten des Rekurses endgültig selbst zu tragen habe. Nach der Rechtsprechung seien Kosten eines erfolglosen Rekurses gegen die einstweilige Verfügung nicht zu ersetzen, selbst wenn der Beklagte nachträglich im Hauptverfahren obsiege. Grundsätzlich würden die den Rechtsanwaltstarif übersteigenden Vertretungskosten im Provisorialverfahren zustehen, jedoch würden die in den vorgelegten Honorarabrechnungen enthaltenen Pauschalbeträge keine auch nur annähernd verlässliche Beurteilung der damit in Rechnung gestellten Leistungen erlauben. Es sei nicht ersichtlich, ob diese im Zusammenhang mit dem Sicherungsverfahren stehen würden und es ermögliche nicht, irgendeine der verzeichneten Leistungen als durch die ungerechtfertigte Weise erlassene einstweilige Verfügung verursacht zu beurteilen. Beispielsweise seien die für das erste Quartal 2014 verzeichneten Kosten während des zu diesem Zeitpunkt schon eingeleiteten Hauptverfahrens entstanden; sie könnten daher auch diesem zugeordnet werden.
5. Dagegen richtet sich nunmehr der Rekurs der Gefährdeten aus den Rekursgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Sie begehrt den Zuspruch der gesamten beantragten Kosten von EUR 35.700,28 samt 4 % Zinsen seit dem 14.8.2017 sowie den Zuspruch der Kosten für den Antrag vom 14.8.2017 von EUR 1.468,44.
Die Gegnerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist teilweise berechtigt.
6.1 Die Gegnerin trägt vor, die Rechtsprechung, auf die sich das Erstgericht berufe, sei zumindest für das Patenteingriffsverfahren nicht zutreffend. Der OGH habe zu 4 Ob 385, 386/85 bloß als obiter dictu m festgehalten, dass nur solche Kosten Gegenstand eines Ersatzanspruchs nach § 394 EO sein können, die […] nicht schon im Sicherungsverfahren selbst endgültig zu- oder aberkannt worden seien. Daher seien die Kosten eines erfolglosen Rekurses gegen die einstweilige Verfügung regelmäßig nicht zu ersetzen. Diese Rechtsprechung würde von einem wegen eines angeblichen Patenteingriffs Beklagten verlangen, sich im Provisorialverfahren widerspruchslos „abschlachten“ zu lassen, wenn er nicht schon zu dieser Zeit nachweisen könne, dass das Klagepatent bereits widerrufen worden sei. Ein Rekurs gegen eine einstweilige Verfügung sei unbedingt erforderlich, weil die Schäden einer unberechtigten einstweiligen Verfügung enorm sein könnten.
6.2 § 394 Abs 1 EO verpflichtet die Gefährdete, ihrem Gegner – unter bestimmten Voraussetzungen – für alle ihm durch die einstweilige Verfügung verursachten Vermögensnachteile Ersatz zu leisten. Zu derartigen Vermögensnachteilen gehören nach ständiger Rechtsprechung insbesondere auch die dem Antragsgegner entstandenen Verfahrenskosten, jedoch nur, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Provisorialverfahren notwendig waren (RIS-Justiz RS0005721 [T3]; 4 Ob 385/85 [4 Ob 386/85]; OLG Wien 3 R 169/96m).
Von der Rechtsprechung wurde weiters ausgesprochen, dass nur solche Kosten Gegenstand eines Ersatzanspruchs nach § 394 Abs 1 EO sein können, die dem Gegner der Gefährdeten nicht schon im Sicherungsverfahren selbst endgültig zu- oder aberkannt worden sind; die Kosten eines zurückgezogenen, zurückgewiesenen oder erfolglos gebliebenen Antrags, Rechtsmittels oder sonstigen Rechtsbehelfs seien daher nach § 394 Abs 1 EO regelmäßig nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0005805; vgl Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO 20 Rz 41 mwN).
Dies wurde von der Lehre bereits mehrfach kritisiert ( Graff , ecolex 1994, 764; Frauenberger , MR 2012, 201; König, EV 4 Rz 5/68d; zustimmend auch Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO 20 Rz 43b).
Frauenberger (MR 212, 201) differenziert für den Fall, dass der Gegner das Provisorialverfahren rechtskräftig verliert: Seiner Ansicht seien Prozesshandlungen, die ausschließlich auf verfahrensrechtliche Aspekte des Sicherungsverfahrens beschränkt seien (Anträge zur Sicherheitsleistung; Bestreitung der Gefährdung etc), durch den Abschluss des Sicherungsverfahrens erledigt. Prozesshandlungen, die sich zumindest auch gegen den gesicherten Anspruch richteten, seien für den weiteren Prozessverlauf weder verloren noch unnütz. Eben diesen Anspruch müsse der Kläger – unabhängig vom Ausgang des Eilverfahrens – unter Beweis stellen. Der Kostenersatz für solche Verfahrenshandlungen richte sich daher ausschließlich nach dem Erfolg im Hauptverfahren. Ein Kostenersatz komme nur insoweit in Betracht, als die kostenverursachenden Maßnahmen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nötig gewesen seien (§ 41 ff ZPO). Dazu sei eine ex-ante -Betrachtung anzustellen, in der zu fragen sei, ob die gesetzte Maßnahme zum Zeitpunkt ihrer Vornahme durch die Verfahrensvorschriften geboten und dem Verfahrensziel des Handelnden förderlich sei. Jedenfalls ersatzfähig seien die Kosten einer vom Gericht aufgetragenen Äußerung, die Kosten einer aufgetragenen oder bloß nicht zurückgewiesenen Replik sowie die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, und zwar unabhängig davon, ob diese Verfahrenshandlungen sofort zu einem Erfolg führen oder nicht. So käme man wohl auch nicht auf den Gedanken, dass die Kosten eines Rechtsmittels im (verlorenen) wieder aufgenommenen Verfahren nicht ersatzfähig wären, weil letztlich erst die Wiederaufnahmeklage zum Erfolg geführt habe. Hier habe es bei einer strengen ex-ante -Betrachtung der Zweckmäßigkeit zu bleiben.
6.3 Aus Sicht des Rekursgerichts liegt in der konkreten Rechtssache kein Regelfall vor, der unter die oben angeführte Judikatur (vgl RIS-Justiz RS0005805) zu subsumieren ist. Zudem teilt das Rekursgericht die Beurteilung/die Argumente der Lehre und schließt sich dieser/diesen unter den von Frauenberger zitierten Prämissen an. Wenn – wie hier – letztlich der Rechtsgrund und somit die Grundlage für die einstweilige Verfügung, nämlich das Verfügungspatent wegfällt, kann die Rechtskraft der Entscheidung im Provisorialverfahren nicht einen nachträglichen Zuspruch von Kosten nach § 394 EO hindern; dies aber nur, sofern diese Kosten – ex ante – grundsätzlich zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren.
Dafür, dass dies beim gegenständlichen Rekurs ganz grundsätzlich nicht der Fall sein soll, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Vorfrage der Gültigkeit oder Wirksamkeit eines Patents kann im Provisorialverfahren nur mit den dort zur Verfügung stehenden Mitteln geprüft werden und in dessen Grenzen vorgenommen werden (Beweismaß der Glaubhaftmachung des § 274 ZPO; RIS-Justiz RS0071408; RS0103412).
Die Gegnerin hätte die fehlende Patentierbarkeit des Verfügungspatents zu behaupten und zu bescheinigen gehabt (vgl Weiser, PatG 3 597 mwN), was ihr aber mit den ihr (damals) zur Verfügung stehenden (paraten) Bescheinigungsmittel nicht gelungen ist. Aus der für die Frage der Kostenersatzpflicht maßgeblichen ex-ante -Sicht kann dem Rekurs gegen die einstweilige Verfügung weder die Legitimität noch die Zweckentsprechung der Rechtsverteidigung abgesprochen werden.
Somit sind der Gegnerin im Rahmen des § 394 EO (auch) die Kosten des Rekurses gegen die Einstweilige Verfügung zu ersetzen.
6.3 Offenbar aus einem Versehen heraus hat das Erstgericht die verzeichneten Kosten des Antrags vom 14.8.2017 im bekämpften Beschluss nicht berücksichtigt; diese, deren Bestimmung im Rahmen der Kostenentscheidung über diesen Rekurs nachgeholt wird, stehen der Gegnerin jedenfalls zu.
6.4 Die Gegnerin moniert zu den nach Einzelleistungen verzeichneten Kosten, es sei ausdrücklich vorgebracht und unter Beweis gestellt worden, dass die in den Honorarnoten unter „[...]-Patent“ aufscheinenden Beträge für das Provisorialverfahren – und nur für dieses – in Rechnung gestellt und gezahlt worden seien. Hätte das Erstgericht irgendwelche Zweifel an der Richtigkeit der Honorarnoten gehabt, dann hätte sie den Rechtsvertreter als Auskunftsperson vernehmen müssen. Es sei im Beweisanbot klar gestellt worden, dass Rechtsanwalt [...] bereit wäre, jederzeit nach Anruf in seiner Kanzlei vor Gericht zu erscheinen. Die Angemessenheit sei zudem von der Gefährdeten nicht bestritten worden. In diesem Punkt sei das Verfahren auch mangelhaft geblieben, weil die Auskunftsperson nicht vernommen worden sei.
Zu beanstanden sei, dass das Erstgericht zwar Zinsen zugesprochen, jedoch keinen Beginn des Zinsenlaufs angeführt habe; begehrt würden Zinsen seit dem 14.8.2017.
6.4 In Bezug auf den Zinsenlauf ist der Gegnerin zuzustimmen: Die Festlegung des (unstrittigen) Datums hat das Erstgericht offenbar übersehen.
Die weiteren Argumente im Rekurs können hingegen nicht geteilt werden: Die Gegnerin verkennt, dass das Erstgericht keinen Zweifel an der Richtigkeit der Honorarnoten gehabt hat, sondern nur klar gestellt hat, dass die Beurteilung, ob diese verzeichneten Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gedient haben, deshalb nicht möglich ist, weil die Pauschalbeträge einzelnen Leistungen nicht zuordenbar sind. Aufgrund der vorgelegten Bescheinigungsmitteln ist keine Beurteilung möglich, welche Leistungen tatsächlich schon in den „tarifmäßigen Kosten“ beinhaltet sind und welche nicht. Die Behauptung, dass entsprechende tarifmäßige Rechtsanwaltskosten von den Einzelleistungen abzuziehen sind, hätten nur nach entsprechender Aufschlüsselung der davon betroffenen Leistungen nachvollzogen werden können. Zudem stimmen die geltend gemachten Barauslagen mit den handschriftlich ergänzten Zahlen auf den Honorarnoten nicht überein. Es wäre Sache der Gegnerin gewesen, die behaupteten Vermögensnachteile nicht nur nachvollziehbar zu behaupten, sondern auch entsprechend zu bescheinigen. Da es um die materiell-rechtliche Grundlage des Anspruchs geht, kann ein allenfalls bestehender Mangel weder verbessert noch im Wege einer Auskunftsperson mündlich beseitigt werden. Aus diesem Grund ist das Verfahren auch nicht mangelhaft.
Die Gegnerin vermag auch im Rekurs nicht zu erklären, wie sich die Einzelleistungen (nach dem Zeitaufwand) zusammensetzen und es bleibt offen, warum Teile der bereits geltend gemachte „tarifmäßigen Kosten“ von den Einzelleistungen wieder abzuziehen sein sollten.
7. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 402 Abs 4 EO iVm §§ 43 Abs 1, 50 ZPO, wobei die Gegnerin mit 46 % des Rekursinteresses durchgedrungen ist.
Da die Gegnerin auch Rechtsanwaltskosten geltend macht, die auf außergerichtliche Tätigkeiten ihres Rechtsvertreters rund um das Provisorialverfahren beruhen, liegt keine Entscheidung (ausschließlich) „über den Kostenpunkt“ iS des § 528 Abs 1 Z 3 ZPO vor (vgl RIS-Justiz RS0008305; 8 Ob 1/06i ua).
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil der Ersatz von Vermögensnachteilen nach § 394 EO keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung betraf.