JudikaturOLG Wien

3R59/17v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
17. Januar 2018

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Berger als Vorsitzende sowie den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Sloboda und die KR Mag. Rodrix in der Rechtssache der klagenden Partei S *****, vertreten durch Stolitzka Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, wider die beklagte Partei Dr. Stephan Riel als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der *****, wegen Feststellung von Insolvenzforderungen (Streitwert: EUR 64.784.879,43), aus Anlass der Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 265.132,81) gegen das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 25.7.2017, 15 Cg 35/16p-26, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Frage 1:

Ist Art 1 Abs 2 lit b der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) dahin auszulegen, dass eine Prüfungsklage nach österreichischem Recht im Sinn von Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012 die Insolvenz betrifft und daher vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen ist?

Frage 2a (nur im Fall der Bejahung von Frage 1):

Ist Art 29 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) analog auf in den Anwendungsbereich der EuInsVO fallende Annexverfahren anzuwenden ?

Frage 2b (nur im Fall der Verneinung von Frage 1 oder der Bejahung von Frage 2a):

Ist Art 29 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012) dahin auszulegen, dass eine Klage wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien vorliegt, wenn ein Gläubiger – die Klägerin –, der eine (im Wesentlichen) idente Forderung im österreichischen Hauptinsolvenzverfahren und im polnischen Sekundärinsolvenzverfahren angemeldet hat, die vom jeweiligen Insolvenzverwalter (zu einem überwiegenden Teil) bestritten wurde, zuerst in Polen gegen den dortigen Insolvenzverwalter im Sekundärinsolvenzverfahren und danach in Österreich gegen den Insolvenzverwalter im Hauptinsolvenzverfahren – den Beklagten – Klagen auf Feststellung des Bestehens von Insolvenzforderungen in bestimmter Höhe einbringt?

Frage 3a :

Ist Art 41 der Verordnung (EU) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) dahin auszulegen, dass es dem Erfordernis der Mitteilung von „Art, Entstehungszeitpunkt und Betrag der Forderung“ genügt, wenn der Gläubiger mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung – die Klägerin – sich in seiner Forderungsanmeldung im Hauptinsolvenzverfahren – wie hier -

a) damit begnügt, die Forderung unter Mitteilung eines konkreten Betrags, allerdings ohne Mitteilung eines Entstehungszeitpunkts zu umschreiben (zB als „Forderung des Subunternehmers ***** für die Durchführung von Straßenarbeiten“) ;

b) zwar in der Anmeldung selbst kein Entstehungszeitpunkt der Forderung mitgeteilt wird, aus den mit den Forderungsanmeldung vorgelegten Beilagen aber ein Entstehungszeitpunkt (zB aufgrund des auf der vorgelegten Rechnung angeführten Datums) ableitbar ist ?

Frage 3b :

Ist Art 41 der Verordnung (EU) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) dahin auszulegen, dass diese Bestimmung der Anwendung von für den anmeldenden Gläubiger mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung im Einzelfall günstigeren nationalen Bestimmungen – etwa im Hinblick auf das Erfordernis der Mitteilung eines Entstehungszeitpunkts – nicht entgegen steht?

2. Das Berufungsverfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

3. Der Rekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

B e g r ü n d u n g :

I. Sachverhalt

Die Klägerin ist für die staatliche polnische Straßenverwaltung zuständig. Sie beauftragte die ***** (in der Folge: Schuldnerin) mit der Abwicklung mehrerer Straßenbauprojekte in Polen, darunter das Projekt Olsztyn – Landstraße Nr. 16 (Bauabschnitt Biskupiec – Borki Wielke; in der Folge: Projekt Olsztyn) und das Projekt Katowice – Autobahn A1 (Streckenabschnitt Swierklany bis Gorzycki; in der Folge: Projekt Katowice). Diesen Auftragsvergaben lagen öffentliche Ausschreibungen zu Grunde. Die Verträge beinhalteten jeweils detaillierte Regelungen über im Fall der Verspätung zu leistenden vertraglichen Schadenersatz.

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 19.6.2013 in Österreich das Sanierungsverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter (Masseverwalter) bestellt. Am 4.7.2013 wurde die Bezeichnung des Verfahrens auf Konkursverfahren abgeändert, am 5.7.2013 wurde in der Insolvenzdatei bekannt gemacht, dass es sich um ein Hauptinsolvenzverfahren im Sinne der EU- Insolvenzverordnung handelt *****.

In Polen wurde zu ***** des Sad Rejonowy Poznán ein Sekundärinsolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Die Klägerin meldete im Sekundärinsolvenzverfahren am 16.5.2014 eine Forderung von PLN 332.701.360,94 und am 16.6.2015 eine weitere Forderung von PLN 18.972.335,17 an (Beilagen ./AAAAAAA und ./BBBBBBB). Der Insolvenzverwalter im polnischen Sekundärinsolvenzverfahren bestritt die angemeldeten Forderungen zum weit überwiegenden Teil. Gegen die bestrittenen Forderungen hat die Klägerin in Polen am 1.4.2015 eine Klage auf Feststellung einer Forderung von PLN 309.663.865.-- eingebracht (Beilage ./CCCCCCC). Die Schuldnerin hat nach dem Vorbringen der Klägerin am 1.4.2015 eine Klage gegen das Anerkenntnis einer Forderung von PLN 23.037.496,51 erhoben. Beide Klagen wurden nach dem Vorbringen der Klägerin verbunden und sind zu ***** des Bezirksgerichts für Poznán-Stare Miasto in Polen anhängig. Die Klagen betreffen nach dem Vorbringen der Klägerin „mit allenfalls praktisch nahezu vernachlässigbaren Ausnahmen“ dieselben Ansprüche, die auch Gegenstand der vorliegenden Klage sind.

Die Forderungsanmeldung der Klägerin vom 16.8.2013 im Hauptinsolvenzverfahren (Beilage ./A) lautet auszugsweise:

Die einschreitende Gläubigerin hat als Auftraggeberin folgende Bauverträge mit der Schuldnerin als Auftragnehmerin abgeschlossen:

- Vertrag Nr. GDDKiA/O-PO/R-2/92/2009 (Projekt Posen)

- Vertrag Nr GDDKiA/O/OL-R2-Rl-2811-15/09 (Projekt Olsztyn)

- Vertrag Nr GDDKiA/DRI/2010/R/l/FS/CE (Projekt Katowice) […]

4. Anzuwendendes Recht, Währung:

Die Vertragsbeziehungen zwischen der Gläubigerin und den Auftragnehmern, also auch der Schuldnerin, unterliegt dem polnischen Recht.

Die hier angemeldeten Forderungen bestehen daher ursprünglich in polnischen Zloty (PLN) und wurden für diese Anmeldung gemäß § 14 IO mit dem Umrechnungskurs (Devisen/Brief) am Tag der Insolvenzeröffnung (19.06.2013), sohin mit einem Faktor 4,2155 in Euro umgerechnet […]

6. Projekt Olsztyn […]

6.1.4 Schadenersatzanspruch wegen Unterbleiben vertraglicher Verpflichtungen

Aufgrund des Bauvertrages war die Schuldnerin unter anderem verpflichtet, den Verkehr während der Arbeiten zu organisieren bzw. aufrechtzuerhalten. Durch die Vertragsauflösung war die Gläubigerin gezwungen, diverse Arbeiten durch andere Unternehmer durchführen zu lassen. Darunter fallen insbesondere das Anbringen von Fahrbahnmarkierungen, die Absicherung der Baustellen sowie die Aufsicht über die Baustellen.

Diese mussten teilweise auch wieder neu ausgeschrieben werden. Dadurch ist der einschreitenden Gläubigerin ein Schaden in Höhe von zumindest PLN 468.512,53 entstanden. Basierend auf dem oben genannten Wechselkurs ergibt dies EUR 111.140.44, der hiermit zur Anmeldung gebracht wird.

Bescheinigungsmittel : Konvolut aus neu abgeschlossenen Verträgen OL28-OL33 […]

7. Projekt Katowice […]

7.1.5 Erstattungsanspruch

Trotz mehrfacher Aufforderung wurden seitens der Schuldnerin Verbesserungsarbeiten nicht durchgeführt. Trotz Anordnung hat die Schuldnerin auch entgegen dem Vertrag keinen Nachbesserungsplan vorgelegt, weshalb selbiges von dritter Seite auf Kosten der einschreitenden Gläubigerin erfolgen musste. Gemäß Punkt 7.6 der FIDIC 1999 hat die Schuldnerin der einschreitenden Gläubigerin die so entstandenen Kosten in Höhe von PLN 436.440,47 zu ersetzen.

Basierend auf dem oben genannten Wechselkurs ergibt dies einen Betrag von EUR 103.532,31, der hiermit zur Anmeldung gebracht wird.

Aus dem „Konvolut aus neu abgeschlossenen Verträgen OL28-OL33“ ( offenbar Beilage ./O ) ergibt sich, dass die Klägerin Verkehrsschilder um PLN 1.230.-- täglich und Betonabschränkungen um PLN 258,30 täglich angemietet hat. Weiters zeigt sich, dass sie um PLN 63.960.-- eine „vermessungstechnische Bestandaufnahme“ und um PLN 130.093,42 die „Ausführung und die Erneuerung der Kennzeichnung auf den Landesstraßen“ – „Aufgabe Nr. 3 – Revier Olsztya“ beauftragt hat. Über die weiteren „Aufgaben“ liegt nur ein Anbot, aber kein Vertrag vor. Außerdem hat die Klägerin einen Vertrag über die „Teilsanierung der Bitumenbeläge“ geschlossen, nach dem eine „maximal geschätzte Vergütung“ von PLN 1.464.622,50 zu zahlen war. Für die Bewachung der Baustelle hatte die Klägerin „vorläufig“ PLN 39.360.-- zu zahlen.

Die Forderungsanmeldung vom 22.6.2016 im Hauptinsolvenzverfahren lautet auszugsweise wie folgt (Beilage ./E):

5. Die Forderungen im Einzelnen

5.1. Projekt Olsztyn

Insgesamt wird eine Forderung in der Höhe von EUR 960.909,68 (PLN 4.050.714,74) geltend gemacht […]

5.1.2. *****

Die Forderung des genannten Subunternehmers für die Durchführung von Straßenarbeiten wurde zum Teil bereits angemeldet und zwar am 18.12.2013 in der Höhe von PLN 36.326,19 und am 30.01.2014 in der Höhe von PLN 12,590.45. Es wird der Restbetrag von EUR 50.460,06 (PLN 212.714,38) geltend gemacht.

Beweis: Konvolut aus Urkunden betreffend die Erstattung der Werklohnforderung der Subunternehmer (Beilage ./F)

Das „Konvolut aus Urkunden betreffend der Erstattung der Werklohnforderung der Subunternehmer“ ( nunmehr die allerdings nur in polnischer Sprache vorgelegte Beilage ./DDDDD ) beinhaltet vier Rechnungen des Subunternehmers ***** und zwar Nr. 4/5/2013 über PLN 64.075,25, Nr. 1/6/2013 über PLN 92.758,79, Nr. 7/6/2013 über PLN 87.933,62 und Nr. 8/6/2013 über PLN 16.863,36. Addiert ergibt sich die Summe von PLN 261.631,02, was nach Abzug der in der Forderungsanmeldung genannten, bereits angemeldeten Beträge rechnerisch den nunmehr angemeldeten „Restbetrag“ ergibt. Die in der Forderungsanmeldung abgezogenen Beträge finden im Konvolut unter Anführung konkreter Daten Erwähnung ( Rückseite der zweiten Seite der Beilage ./DDDDD ).

II. Anträge und Vorbringen der Parteien

Die Klägerin begehrte mit der am 31.10.2016 eingebrachten Klage die Feststellung einer Insolvenzforderung von EUR 64.784.879,43 und wiederholte dabei – soweit nunmehr von Relevanz – im Wesentlichen ihr Vorbringen aus den Forderungsanmeldungen. Sie beantragte ausdrücklich die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung in den in Polen anhängigen Verfahren über die Prüfung der Forderungen. Die Klagen würden „mit allenfalls praktisch nahezu vernachlässigbaren Ausnahmen“ dieselben Ansprüche betreffen, die auch Gegenstand der vorliegenden Klage seien. Es sei daher eine Aussetzung bzw Unterbrechung des Verfahrens gemäß Art 30 EuGVVO geboten, weil zwischen den Ansprüchen eine ganz enge Verbindung bestehe. Letztlich vertrat die Klägerin den im Berufungsverfahren ausdrücklich aufrecht erhaltenen Standpunkt, dass eine Aussetzung des anhängigen Verfahrens gemäß Art 29 EuGVVO zwingend angeordnet sei.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und brachte – soweit nunmehr von Relevanz – zusammengefasst vor, dass die Forderungsanmeldungen der Klägerin teilweise völlig unzureichend begründet seien. Sei die Forderung in der Anmeldung nicht ausreichend substantiiert und konkretisiert worden, führe dies zur Zurückweisung der Feststellungsklage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs. Mangelnde Substantiierung und Konkretisierung der geltend gemachten Forderung in der Anmeldung könne nicht durch ergänzendes Vorbringen im Prozess behoben werden. Der Beklagte sprach sich gegen den Unterbrechungsantrag der Klägerin mit dem Argument aus, dass die EuGVVO auf den vorliegenden Rechtsstreit gar nicht anzuwenden sei, sodass auch eine Unterbrechung nach Art 30 EuGVVO nicht in Betracht komme. Eine Anerkennung des Ergebnisses des polnischen Verfahrens scheide schon mangels Parteienidentität aus, weil jeweils unterschiedliche Insolvenzverwalter beklagt seien. Eine Konzentration aller Verfahren vor einem der Insolvenzgericht würde der Grundstruktur der EuInsVO widersprechen, die ausdrücklich parallele Forderungsanmeldungen in Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren gestatte und damit auch parallele Prüfungsprozesse in Kauf nehme.

III. Bisheriges Verfahren

Das Erstgericht wies mit Teilurteil das Klagebegehren im Umfang von EUR 265.132,81 ab. Über den Unterbrechungsantrag der Klägerin sprach es nicht ab.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens unter anderem darin erblickt, dass das Erstgericht entgegen Art 29 EuGVVO die dort zwingend angeordnete Unterbrechung des Verfahrens verweigert habe.

Der Beklagte verweist in seiner Berufungsbeantwortung neuerlich darauf, dass die EuGVVO – und damit auch deren Art 29 – auf das vorliegende Verfahren gar nicht anwendbar sei. Überdies erhält er den Einwand aufrecht, dass die Forderungsanmeldung nicht hinreichend bestimmt sei.

Rechtliche Beurteilung

IV. Rechtsgrundlagen

Die als relevant in Betracht kommenden Bestimmungen des Unionsrechts und des österreichischen Rechts lauten wie folgt:

1. Unionsrecht:

A. Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012):

Art 1:

(1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt […]

(2) Sie ist nicht anzuwenden auf […]

b) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren […]

Art 29:

(1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht unbeschadet des Artikels 31 Absatz 2 das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.

(2) In den in Absatz 1 genannten Fällen teilt das angerufene Gericht auf Antrag eines anderen angerufenen Gerichts diesem unverzüglich mit, wann es gemäß Artikel 32 angerufen wurde.

(3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.

Erwägungsgrund 21:

Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren […] vorgesehen werden […]

B. Verordnung (EG) Nr 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (Europäische Insolvenzverordnung – EuInsVO):

Art 3 Internationale Zuständigkeit:

(1) Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist […]

Artikel 32 Ausübung von Gläubigerrechten:

(1) Jeder Gläubiger kann seine Forderung im Hauptinsolvenzverfahren und in jedem Sekundärinsolvenzverfahren anmelden.

Art 39ff:

Artikel 39 Recht auf Anmeldung von Forderungen

Jeder Gläubiger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung hat, einschließlich der Steuerbehörden und der Sozialversicherungsträger der Mitgliedstaaten, kann seine Forderungen in dem Insolvenzverfahren schriftlich anmelden […]

Artikel 41 Inhalt einer Forderungsanmeldung

Der Gläubiger übersendet eine Kopie der gegebenenfalls vorhandenen Belege, teilt die Art, den Entstehungszeitpunkt und den Betrag der Forderung mit und gibt an, ob er für die Forderung ein Vorrecht, eine dingliche Sicherheit oder einen Eigentumsvorbehalt beansprucht und welche Vermögenswerte Gegenstand seiner Sicherheit sind.

Erwägungsgründe:

(6) Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grundsatz genügen, enthalten […]

(12) Diese Verordnung gestattet die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in dem Mitgliedstaat, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Dieses Verfahren hat universale Geltung mit dem Ziel, das gesamte Vermögen des Schuldners zu erfassen. Zum Schutz der unterschiedlichen Interessen gestattet diese Verordnung die Eröffnung von Sekundärinsolvenzverfahren parallel zum Hauptinsolvenzverfahren. Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann in dem Mitgliedstaat eröffnet werden, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat. Seine Wirkungen sind auf das in dem betreffenden Mitgliedstaat belegene Vermögen des Schuldners beschränkt. Zwingende Vorschriften für die Koordinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren tragen dem Gebot der Einheitlichkeit des Verfahrens in der Gemeinschaft Rechnung […]

(19) Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann neben dem Schutz der inländischen Interessen auch anderen Zwecken dienen. Dies kann der Fall sein, wenn das Vermögen des Schuldners zu verschachtelt ist, um als ganzes verwaltet zu werden, oder weil die Unterschiede in den betroffenen Rechtssystemen so groß sind, dass sich Schwierigkeiten ergeben können, wenn das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung seine Wirkung in den anderen Staaten, in denen Vermögensgegenstände belegen sind, entfaltet […]

(20) Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren können jedoch nur dann zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragen, wenn die parallel anhängigen Verfahren koordiniert werden. Wesentliche Voraussetzung ist hierzu eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Verwalter, die insbesondere einen hinreichenden Informationsaustausch beinhalten muss. Um die dominierende Rolle des Hauptinsolvenzverfahrens sicherzustellen, sollten dem Verwalter dieses Verfahrens mehrere Einwirkungsmöglichkeiten auf gleichzeitig anhängige Sekundärinsolvenzverfahren gegeben werden […]

(21) Jeder Gläubiger, der seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in der Gemeinschaft hat, sollte das Recht haben, seine Forderungen in jedem in der Gemeinschaft anhängigen Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners anzumelden […]

2. Österreichisches Recht:

A. Insolvenzordnung (in der hier anzuwendenden Fassung vor dem IRÄG 2017; in der Folge nur: IO)

Fünfter Abschnitt.

Feststellung der Ansprüche.

Geltendmachung der Forderungen.

§ 102 Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen, auch wenn darüber ein Rechtsstreit anhängig ist, nach den folgenden Vorschriften im Insolvenzverfahren geltend zu machen.

Inhalt der Anmeldung.

§ 103 (1) In der Anmeldung sind der Betrag der Forderung und die Tatsachen, auf die sie sich gründet, sowie die in Anspruch genommene Rangordnung anzugeben und die Beweismittel zu bezeichnen, die zum Nachweise der behaupteten Forderung beigebracht werden können […]

Einbringung und Behandlung der Anmeldungen.

§ 104 (1) Die Forderungen sind beim Insolvenzgericht schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden […]

Prüfungsverhandlung.

§ 105 (1) Zur Prüfungstagsatzung haben der Insolvenzverwalter und der Schuldner zu erscheinen […]

(2) Die angemeldeten Forderungen sind nach ihrer Rangordnung, bei gleicher Rangordnung nach der Reihenfolge der Anmeldung zu prüfen.

(3) Der Insolvenzverwalter hat bei jeder angemeldeten Forderung eine bestimmte Erklärung über ihre Richtigkeit und Rangordnung abzugeben; Vorbehalte des Insolvenzverwalters bei Abgabe dieser Erklärung sind unzulässig […]

Anmeldungsverzeichnis.

§ 108 (1) Das Ergebnis der Prüfungsverhandlung ist in das Anmeldungsverzeichnis einzutragen […]

Feststellung der Forderungen.

§ 109 (1) Eine Forderung gilt im Insolvenzverfahren als festgestellt, wenn sie vom Insolvenzverwalter anerkannt und von keinem hierzu berechtigten Insolvenzgläubiger bestritten worden ist […]

Bestrittene Forderungen.

§ 110. (1) Gläubiger, deren Forderungen in Ansehung der Richtigkeit oder Rangordnung streitig geblieben sind, können deren Feststellung, sofern der streitige Rechtsweg zulässig ist, mit Klage geltend machen, die gegen alle Bestreitenden zu richten ist (§ 14 ZPO). Das Klagebegehren kann nur auf den Grund, der in der Anmeldung und bei der Prüfungstagsatzung angegeben worden ist, gestützt und nicht auf einen höheren als den dort angegebenen Betrag gerichtet werden […]

Wirkung der Entscheidung.

§ 112 (1) Rechtskräftige Entscheidungen über die Richtigkeit und Rangordnung der bestrittenen Ansprüche sind gegenüber allen Insolvenzgläubigern wirksam […]“

V. Begründung der Vorlagefragen

A. Zu Frage 1

Das vorlegende Gericht hat aus folgenden Erwägungen Zweifel, ob eine Prüfungsklage nach § 110 IO der EuGVVO 2012 oder der EuInsVO unterfällt:

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (in der Folge: EuGH) ist Art 3 Abs 1 EuInsVO dahin auszulegen, dass er dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für Klagen, die unmittelbar aus diesem Verfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch eine internationale Zuständigkeit zuweist (EuGH 11.6.2015, Rs C-649/13 [Nortel Networks SA ua gegen Rogeau] Rn 31 ua.). Der Ausschluss des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO 2012 und der Anwendungsbereich der EuInsVO sind so auszulegen, dass jede Überschneidung zwischen den in diesen Texten enthaltenen Rechtsvorschriften vermieden wird. Dementsprechend fällt eine Klage, die vom Anwendungsbereich des Art 3 Abs 1 EuInsVO erfasst wird, nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 (EuGH 4.12.2014, Rs C-295/13 [H gegen H. K.] Rn 31 mwN).

2. Der EuGH hat schon wiederholt ausgesprochen, dass der Anwendungsbereich der EuInsVO nicht weit ausgelegt werden darf (zuletzt erneut: EuGH 20.12.2017, Rs C-649/16 [Valach ua gegen Waldviertler Sparkasse ua] Rn 25). Nur Klagen, die sich unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren herleiten und in engem Zusammenhang damit stehen (Annexverfahren), sind vom Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 ausgeschlossen. Demnach fallen nur diese Klagen in den Anwendungsbereich der EuInsVO (EuGH 4. 9. 2014, Rs C-157/13 [Nickel Goeldner Spedition GmbH gegen „Kintra“ UAB] Rn 23 mwN ua.). Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH ist das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, nicht der prozessuale Kontext, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der zugrunde liegende Anspruch oder die zugrunde liegende Verpflichtung den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts entspricht oder aber den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren (EuGH 11. 6. 2015, Rs C-649/13 [Nortel Networks SA ua gegen Rogeau] Rn 28; EuGH 20.12.2017, Rs C-649/16 [Valach ua gegen Waldviertler Sparkasse ua] Rn 29 ua.).

3. Der EuGH hatte sich bislang noch nicht mit der Einordnung einer Prüfungsklage iSd § 110 IO zu befassen. Im deutschsprachigen Schrifttum wird die Frage, ob eine solche Klage ein Annexverfahren darstellt, kontrovers diskutiert (vgl. dazu nur Kodek in Fasching/Konecny ² Art 1 EuGVVO Rz 149 mwN und Konecny in Mayr , Europäisches Zivilverfahrensrecht (2017) Rz 17.98). Die Anwendung der EuInsVO bejahende Stellungnahmen verweisen insbesondere darauf, dass die lex fori concursus den Gegenstand des Prüfungsprozesses determiniert und dieser Prozess über die Berechtigung zur Teilnahme am Verteilungserlös abspricht ( Schneider , Insolvenznahe Verfahren, in Nunner-Kratgasser/Garber/Jaufer (Hrsg.), Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt, 104f; MüKoInsO/ Thole , Art 3 EuInsVO 2000 RdNr. 125). Sie betonen auch, dass solchen Klagen ein „spezifischer Insolvenzverfahrensweg“ zu Grunde liege ( Paulus , EuInsVO 5 (2017), Art 6 Rn 11).

Die Anwendung der EuGVVO nahe legende Literaturstimmen merken an, dass die Insolvenz für Klagen, die Ansprüche betreffen, die bereits vor Insolvenzeröffnung begründet wurden, nicht kausal sein könne ( Czernich in Czernich/Kodek/Mayr , Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht 4 , Art 1 EuGVVO Rz 53). Andere vermeinen, dass darauf abzustellen sei, wie stark das Prüfungsverfahren in das eigentliche Insolvenzverfahren integriert sei und in welchem Ausmaß spezifisch insolvenzrechtliche Fragen (etwa der Rangordnung) zu klären seien ( Kodek aaO Rz 150).

Der deutsche Bundesgerichtshof hat die Frage der Einordnung einer Prüfungsklage in der Entscheidung II ZR 157/09 ausdrücklich offen gelassen. Der österreichische Oberste Gerichtshof (in der Folge nur: OGH) hat in seiner Entscheidung 8 Ob 78/09t keinen Zweifel daran geäußert, dass eine Klage, in der es um die Beseitigung einer im Insolvenzverfahren im Wege eines Anerkenntnisses des Insolvenzverwalters erfolgten Forderungsfeststellung geht, als insolvenznah iSd Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO zu qualifizieren ist.

Insgesamt kann damit nicht vom Vorliegen eines acte clair ausgegangen werden.

4. Die Klarstellung der Abgrenzung des Anwendungsbereichs der EuGVVO 2012 zur EuInsVO im Zusammenhang mit der vorliegenden Prüfungsklage ist im derzeitigen Verfahrensstadium deshalb von unmittelbarer Relevanz, weil im Fall der Bejahung der Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 im nächsten Schritt zu prüfen ist, ob in casu eine in Art 29 EuGVVO zwingend normierte Aussetzung des Verfahrens geboten ist. Im Fall der Verneinung der Anwendbarkeit der EuGVVO 2012 ist hingegen zu prüfen, ob Art 29 EuGVVO dennoch analog Anwendung zu finden hat.

B. Zu Fragen 2a und 2b :

1. Art 29 EuGVVO 2012 verlangt unter anderem, dass Klagen „wegen desselben Anspruchs" anhängig gemacht werden. Der EuGH (Rs C-144/86 [Gubisch/Palumbo] Slg 1987, 4861 = EuGHE 1987, 4861 ua.) legt diesen Begriff nicht nach dem jeweiligen nationalen Prozessrecht, sondern verordnungsautonom nach dem Zweck der Bestimmung aus und hat dabei die französische Fassung der Bestimmung - und nicht den deutschen Wortlaut - zugrunde gelegt; nach der französischen Fassung ( „demandes ayant le même objet et la même cause“ ) ist aber eine Identität des Klagsanspruchs immer schon dann gegeben, wenn Gegenstand und Grundlage der Klagen ident sind. Der EuGH postuliert daher einen weiten Verfahrensgegenstandsbegriff. Die Grundlage des Anspruchs umfasst den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird (EuGH Rs C-144/86 [Gubisch/Palumbo]).

2. Weiters verlangt Art 29 EuGVVO 2012, dass ein Verfahren „zwischen denselben Parteien“ anhängig ist. Dieser Begriff ist autonom anhand der dargestellten Zielsetzung des Übereinkommens zu interpretieren, einander widersprechende Gerichtsentscheidungen in verschiedenen Mitgliedstaaten zu verhindern (vgl EuGH C- 406/92 [Tatry] Rn 30ff). Die Stellung der Parteien in den jeweiligen Verfahren ist dabei ohne Bedeutung (EuGH C-406/92 [Tatry] Rn 31). „Dieselbe Partei“ kann nach der Rechtsprechung des EuGH ausnahmsweise auch ein selbst nicht unmittelbar am Verfahren Beteiligter sein, auf den sich die Rechtskraft eines Urteils zwingend erstrecken würde (EuGH Rs C-351/96 [Drouot/CMI] Rn 19f).

3. Im vorliegenden Fall sind nach dem Vorbringen der Klägerin „mit allenfalls praktisch nahezu vernachlässigbaren Ausnahmen“ dieselben Ansprüche Gegenstand der Prüfungsprozesse in Polen und Österreich, wobei das in Polen geführte Verfahren nach dem Vorbringen der Klägerin früher rechtshängig wurde als jenes in Österreich. Allerdings stehen auf Beklagtenseite unterschiedliche Insolvenzverwalter, sodass es für das vorlegende Gericht zweifelhaft ist, ob tatsächlich die in Art 29 EuGVVO 2012 normierten Voraussetzungen vorliegen. Zu bedenken ist auch, dass der Insolvenzverwalter im Prüfungsprozess je nach Mitgliedsstaat in unterschiedlicher Funktion – nämlich entweder als Vertreter der Masse bzw des Schuldners oder selbst als Partei – auftritt (vgl. Geroldinger , Verfahrenskoordination im europäischen Insolvenzrecht, 336).

4. Außerdem stellt sich die Frage, ob es mit den Grundwertungen der EuInsVO überhaupt vereinbar ist, eine Bindungswirkung der Entscheidung über den Teilnahmeanspruch im Sekundärinsolvenzverfahren für das Hauptinsolvenzverfahren anzunehmen. Die Literaturmeinungen zu dieser Frage zeigen zahlreiche Problemstellungen auf, vermögen aber keine gänzlich überzeugenden Antworten zu geben:

Kodek weist darauf hin, dass der Prüfungsprozess regelmäßig nur auf den innerstaatlichen Kontext, nicht auf das Spannungsfeld zwischen mehreren Insolvenzverfahren zugeschnitten ist. Überdies erstreckt sich der Geltungsanspruch eines Prüfungsprozesses nach dieser Lehrmeinung zumindest in der Regel nicht auf das Ausland, weil damit von vornherein nur eine Klärung des Bestehens einer Insolvenzforderung für ein bestimmtes (inländisches) Verfahren angestrebt wird. Die Annahme einer Bindungswirkung würde die Gläubiger im Übrigen dazu zwingen, sich an jedem Insolvenzverfahren zu beteiligen, was die Schutzfunktion des Sekundärverfahrens unterlaufen würde. Außerdem ist für den vorliegenden Fall zu bedenken, dass die Annahme des Durchschlagens einer Forderungsfeststellung im Sekundärverfahren auf das Hauptverfahren dem Grundsatz, wonach sich die Wirkungen des Sekundärinsolvenzverfahrens auf das im betreffenden Staat gelegene Vermögen beschränken, zuwiderlaufen würde. Im Ergebnis führt diese Ansicht dazu, dass die Forderungen in jedem Insolvenzverfahren grundsätzlich eigenständig zu prüfen sind und der Feststellung einer Forderung in einem ausländischen Prüfungsprozess nur eine Indizwirkung zukommt ( Kodek , ZIK 2005, 6 und ZInsO 2011, 889).

Anderes könnte aber gelten, wenn in der Entscheidung im Prüfungsprozess bindend und nicht nur als Vorfrage über den Grund und die Höhe der Forderung abgesprochen wird (in diesem Sinn auch Pogacar in Konecny , Insolvenzgesetze Art 32 EuInsVO Rz 54; Mankowski/Müller/Schmidt , EuInsVO 2015 Art 45 Rn 18).

Geroldinger (aaO 328ff) betont, dass die objektiven Grenzen der Rechtskraft nur nach der jeweiligen lex fori concursus individuell beurteilt werden können. Er erachtet den Ansatz von Kodek , grundsätzlich nur von einer Indizwirkung auszugehen, als nicht befriedigend und schlägt - allerdings ohne erkennbare europarechtliche Grundlage – vor, die Feststellung in einem ausländischen Insolvenzverfahren einer Titulierung gleichzustellen, die für den Insolvenzverwalter grundsätzlich beachtlich ist, je nach Maßgabe der nationalen Bestimmungen aber allenfalls vom Insolvenzverwalter (etwa mit umgekehrter Beweislast) bestritten werden kann.

Herchen (in Pannen , EuInsVO, Art 32 Rn 37) plädiert hingegen für eine Anwendbarkeit des Art 25 EuInsVO auf Entscheidungen in einem gerichtlichen Feststellungsrechtsstreit, der aufgrund des durch den Insolvenzverwalter erklärten Widerspruchs gegen die Forderung geführt wird. Fragen des Rangs der angemeldeten Forderung oder ihrer Qualität als Insolvenzforderung seien von einer Bindungswirkung jedoch grundsätzlich nicht umfasst, sondern bei jeder Anmeldung jedenfalls gesondert zu prüfen.

5. Da die Anwendbarkeit der Art 29, 30 EuGVVO 2012 jedenfalls das Vorliegen eines unter Art 1 EuGVVO fallenden Verfahrens voraussetzt (vgl. Mayr in Fasching/Konecny ² Art 27 EuGVVO Rz 6) und die Bestimmungen der EuInsVO vergleichbare Regelungen zur Rechtshängigkeit nicht kennen, könnte eine analoge Anwendung der Art 29, 30 EuGVVO 2012 auf grundsätzlich der EuInsVO unterfallende Annexverfahren erwogen werden (in diesem Sinn etwa Mankowski/Müller/Schmidt , EuInsVO 2015 Art 45 Rn 22; ähnlich Geroldinger aaO 338f). Dies erscheint jedoch wegen des ausdrücklichen Fehlens einer Rechtshängigkeitssperre in der EuInsVO und der vom EuGH vorgenommenen strikten Trennung zwischen den Anwendungsgebieten der EuInsVO einerseits und der EuGVVO andererseits (vgl. Rs C-649/16 [Valach ua gegen Waldviertler Sparkasse ua] Rn 24: „jede Regelungslücke und Überschneidung […]“ vermeiden) nicht sachgerecht (idS auch Thole , ZIP 2012, 605 und MüKoInsO/ Thole , Art 3 EuInsVO 2000 Rdnr. 114). Auch in diesem Punkt bestehen damit Zweifel des vorlegenden Gerichts an der Auslegung der europarechtlichen Normen.

6. Die Klägerin als Berufungswerberin kann die Verweigerung einer – wie im Fall des Art 29 EuGVVO 2012 ( Mayr in Fasching/Konecny ² Art 27 EuGVVO Rz 21) – zwingend angeordneten Unterbrechung durch das Erstgericht als Verfahrensmangel relevieren (RIS-Justiz RS0036983). Nach Ansicht des Berufungsgerichts wäre – vorbehaltlich der Auslegung durch den EuGH – ausgehend von der oben dargestellten, nunmehr herrschenden Ansicht die vorliegende Klage als „insolvenznah“ zu qualifizieren und damit die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 29 EuGVVO 2012 zu verneinen. Auch eine analoge Anwendbarkeit der Rechtshängigkeitsbestimmungen würde nach den soeben gemachten Ausführungen ausscheiden. Da diese Rechtsansicht zur nicht revisiblen Verneinung des gerügten Verfahrensmangels führen würde, ist das Berufungsgericht als in dieser Frage letzte Instanz gemäß Art 267 AEUV zur Vorlage verpflichtet.

C. Zu Fragen 3a und 3b :

1. Mit Art 41 EuInsVO wird der Inhalt der Forderungsanmeldung für Gläubiger aus anderen Mitgliedsstaaten gemeinschaftsweit festgelegt. Die geforderten Angaben („Art, Entstehungszeitpunkt und Betrag der Forderung“) sollen dazu dienen, die Forderung eindeutig zu bestimmen. Art 41 EuInsVO soll den Gemeinschaftsgläubigern die Ausübung ihrer Rechte erleichtern. Es handelt sich um eine sowohl für Haupt- als auch für Partikularinsolvenzverfahren geltende Sachnorm, die die lex fori concursus überlagert ( Mankowski/Müller/Schmidt , EuInsVO 2015, Art 55 Rn 1ff; Pogacar in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze Art 41 EuInsVO Rz 1ff).

2. In der Literatur strittig ist, was unter „Art der Forderung“ zu verstehen ist. Dies könnte die bloße Angabe des der Forderung zugrunde liegenden Rechtsgrunds (zB vertraglich oder deliktisch) ( Mankowski/Müller/Schmidt aaO Rn 20), aber auch die Angabe des gesamten rechtserzeugenden Sachverhalts bedeuten ( Pogacar aaO Rz 7). Die im nach der EuInsVO 2015 vorgesehenen Standardformular enthaltenen Kategorien ( zB. „Vertragspflicht des Schuldners“, „Haftung des Schuldners aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung“ usw ) sprechen dafür, dass eine grobe Einordnung der Forderung ausreichend ist (vgl. dazu Riewe in Vallender , EuInsVO Rn 19).

3. Nach der in Österreich herrschenden Rechtsprechung zu den Bestimmungen der §§ 103ff IO ist an die Beurteilung, ob eine Forderungsanmeldung in der Insolvenz die gesetzlichen Inhaltserfordernisse erfüllt, ein strenger Maßstab anzulegen. Die Forderungsanmeldung muss alle anspruchsbegründenden Tatsachen enthalten, auf die später die Feststellungsklage gestützt wird (vgl. OGH 8 Ob 173/02b). Sie muss so bestimmt sein, dass sie dem Masseverwalter, dem Schuldner und den Insolvenzgläubigern die Möglichkeit gibt, sich über den Bestand der angemeldeten Forderung zu informieren, um sie in die Lage zu versetzen, sich bei der Prüfungstagsatzung zur angemeldeten Forderung richtig zu erklären (OGH RIS-Justiz RS0065449). Hat nämlich eine angemeldete Forderung zwar das Prüfungsverfahren durchlaufen, kann jedoch aus der Forderungsanmeldung entgegen § 110 IO Grund und Höhe der in der Klage behaupteten Ansprüche nicht abgeleitet werden, so mangelt es an einer erst den Rechtsweg eröffnenden Voraussetzung, was zur Nichtigerklärung des dennoch durchgeführten Verfahrens und zur Zurückweisung der Klage führen würde (OGH 8 Ob 153/98b; vgl. OGH RIS-Justiz RS0039281 und RS0111042). Eine ausdrückliche Anordnung, dass in der Forderungsanmeldung der Entstehungszeitpunkt der Forderung anzuführen wäre, ist dem österreichischen Recht fremd.

4. Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob die hier zu beurteilenden Forderungsanmeldungen – insbesondere wegen der fehlenden Angabe eines Entstehungszeitpunkts der Forderung, aber auch wegen der teils global gehaltenen Ausführungen zum Grund der Forderung – den Anforderungen des Art 41 EuInsVO entsprechen. Fraglich erscheint auch, ob es ausreicht, wenn sich ein Entstehungszeitpunkts der Forderung zwar nicht dem Text der Forderungsanmeldung selbst entnehmen, aber aus den damit vorgelegten Beilagen erschließen lässt (zB Ausstellungsdatum der vorgelegten Rechnungen).

5. Sollte der EuGH das Vorliegen einer ausreichenden Forderungsanmeldung alleine wegen des Fehlens der Angabe eines Entstehungszeitpunkts verneinen, so stellt sich für das vorlegende Gericht weiters die Frage, ob eine aus Sicht des anmeldenden Gläubigers günstigere nationale Vorschrift zur Anwendung kommen kann, Art 41 EuInsVO also nur einen Höchststandard normiert (so Riedemann in Pannen , EuInsVO Art 41 Rn 14). Sollte dies der Fall sein, könnte die vorliegende Forderungsanmeldung trotz Fehlens der Angabe eines Entstehungszeitpunkts ausreichend sein, weil das nationale österreichische Recht eine solche explizite Vorgabe nicht kennt.

6. Anzumerken bleibt, dass das vorlegende Gericht davon ausgeht, dass sich die Folgen einer iSd Art 41 EuInsVO unvollständigen Anmeldung mangels Regelung in der EuInsVO nach der lex fori concursus richten (so ausdrücklich zur Neuregelung des Art 55 EuInsVO 2015 Mankowski/Müller/Schmidt aaO Rn 30).

7. Die Klarstellung der Inhaltserfordernisse einer Forderungsanmeldung nach Art 41 EuInsVO ist im derzeitigen Verfahrensstadium deshalb von unmittelbarer Relevanz, weil im nach der Entscheidung des EuGH fortzusetzenden Berufungsverfahren jedenfalls zu prüfen sein wird, ob die Forderungsanmeldung der Klägerin als ausreichend anzusehen ist.

Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Verfahren über das Rechtsmittel der Klägerin gemäß § 90a Abs 1 GOG auszusetzen.

Der Rekurs gegen diesen Beschluss ist jedenfalls unzulässig (RIS-Justiz RS0106043).

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