JudikaturOLG Wien

133R107/17h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
11. Dezember 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Schober und den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Mag. Babeluk in der Rechtssache der klagenden Partei ***** , vertreten durch Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei ***** , vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (EUR 43.000), Beseitigung (EUR 1.000), Urteilsveröffentlichung (EUR 1.000) und Rechnungslegung (EUR 1.000), Sicherungsinteresse EUR 43.200, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 15.9.2017, 62 Cg 19/17g 11, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt insgesamt EUR 30.000.

Der Revisionsrekurs gegen diese Entscheidung ist nicht zulässig.

Begründung

Text

Die Klägerin erzeugt und vertreibt Babytragevorrichtungen. Sie hält die Verwertungsrechte der Gebrauchsmuster ***** mit dem Titel „***** Kleinkindertrage ” und *****mit dem Titel „***** Kleinkindertrage ”.

Die Beklagte stellt [...] unterschiedliche Textil-Waren her und bewirbt seit Anfang März 2017 unter der Bildmarke ***** eine Babytragehilfe [...].

Die Parteien stehen in einem Wettbewerbsverhältnis.

Die Klägerin behauptet einen Eingriff in ihre Gebrauchsmuster durch die Babytragehilfe der Beklagten und eine unlautere Ausbeutung durch die glatte Übernahme/Nachahmung ihres Produkts. Zur Sicherung ihrer Ansprüche beantragte sie auch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.

Die Beklagte beantragte letztlich (der Einwand der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit wurde mit Schriftsatz vom 30.5.2017, ON 10, fallen gelassen), den Sicherungsantrag abzuweisen. Ihre Babytragehilfe erfülle nicht die Merkmale nach Anspruch 1 des Gebrauchsmusters *****. [Ihr Produkt] falle auch nicht in den Schutzbereich von *****.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag wegen der Unbestimmtheit der Begehren zur Gänze ab. Durch die Formulierung „Die beklagte Partei ist schuldig, es bei sonstiger Exekution zu unterlassen, Produkte in Verkehr zu bringen oder in Verkehr bringen zu lassen, die in Anspruch 1 des Gebrauchsmusters ***** [...] eingreifen” werde nicht in bestimmter Weise definiert, welche Handlungen die Beklagte zukünftig zu unterlassen habe. Ein gewährbarer Anspruch müsste – hiezu sei auch auf die ständige Praxis des Handelsgerichts Wien zu verweisen – die Merkmale von Anspruch 1 wiedergeben. Darüber hinaus seien die im Begehren konkret aufgezählten Merkmale bloß demonstrativ erwähnt und schränkten somit das unbestimmte Begehren nicht ein. Zudem würden auch die unter Punkt 2. des Unterlassungsbegehrens aufgezählten Ansprüche alternativ geltend gemacht („und/oder”). Diese seien jedoch nur im Zusammenhang mit den Merkmalen von Anspruch 1 unter Schutz gestellt und seien keine eigenständigen Ansprüche.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die einstweilige Verfügung zu erlassen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, dem Rekurs keine Folge zu geben, in eventu die einstweilige Verfügung meritorisch abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Die Klägerin beanstandet die (formelle) Beurteilung, ihre Unterlassungsbegehren seien zu unbestimmt. Dies treffe nicht zu, weil die Art des (bereits erfolgten) Eingriffs in den beiden Unterpunkten des ersten Unterlassungsbegehrens ausführlich und in Übereinstimmung mit dem Text der Ansprüche 1 (erster Unterpunkt) und 2, 3 und 4 (zweiter Unterpunkt) der Gebrauchsmuster beschrieben sei. Damit sei jeweils eindeutig klargestellt und feststellbar, was die Beklagte zu unterlassen habe.

2. Das Rekursgericht tritt dieser Einschätzung im Ergebnis bei:

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Fassung des Unterlassungsbegehrens die Fragen, ob es hinreichend bestimmt ist und wie weit es gehen darf, auseinander zu halten (vgl zuletzt 4 Ob 93/10w; Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG 2 § 14 Rz 132). Die Bestimmtheit des Begehrens ist eine prozessuale Klagsvoraussetzung und ist daher auch von Amts wegen zu prüfen (vgl nur Fasching in Fasching/Konecny 2 § 226 Rz 42 mwN; hingegen handelt es sich nach neuerer Auffassung nicht um eine „Prozessvoraussetzung” im eigentlichen Sinn [vgl Fasching in Fasching/Konecny 2 § 226 Rz 43]).

Gerade bei Unterlassungsbegehren darf der Begriff der Bestimmtheit aber nicht zu eng ausgelegt werden, weil es praktisch unmöglich ist, alle nur denkbaren Eingriffshandlungen zu beschreiben. Der Kern der Verletzungshandlung muss jedoch erfasst sein ( Wiltschek/Horak, UWG 8 § 14 E 371 f). Schon die Prozessökonomie spricht dafür, Begehren so zu fassen und zuzulassen, dass das entsprechende gerichtliche Unterlassungsgebot auch ähnlich naheliegende Rechtsverletzungen umfasst, sodass nicht neuerlich geklagt werden muss.

Ein anderer Weg, dem Verpflichteten die Umgehung von Unterlassungsgeboten nicht all zu leicht zu machen, liegt in der Möglichkeit einer allgemeineren Beschreibung der Verletzungshandlung oder der Verbindung eines konkreten Einzelverbots mit einem verallgemeinernden Verbot, das die tatsächlich verübte Handlung bei ihrer Beschreibung allgemein erfasst und ihr so einen breiten Rahmen gibt, ohne dabei über den Kern der Verletzungshandlung – also dessen, womit der Beklagte rechtswidrig gehandelt hat – hinauszugehen (vgl zuletzt 4 Ob 59/17f; 1 Ob 100/17p; RIS-Justiz RS0037607).

Das Klagebegehren hat Gegenstand, Art, Umfang und Zeit der Unterlassung eindeutig und bestimmt anzugeben ( Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG 2 § 14 Rz 132 mwN). Die Unterlassungspflicht muss so deutlich gekennzeichnet sein, dass ihre Verletzung gemäß § 355 EO exekutiv getroffen werden kann (RIS-Justiz RS0000878 ua). Es ist aber nicht erforderlich, im Begehren sämtliche Tatbestandselemente anzuführen.

Im Ergebnis muss das Unterlassungsgebot das verbotene Verhalten so deutlich umschreiben, dass es dem Beklagten als Richtschnur für sein künftiges Verhalten dienen kann (vgl RIS-Justiz RS0119807). Wie weit das Unterlassungsgebot zu reichen hat, ist nach den Umständen des Einzelfalls inhaltlich zu entscheiden.

2.2 Zuletzt waren folgende Begehren Gegenstand (auch) des Sicherungsantrags:

«1. Die beklagte Partei ist schuldig, es bei sonstiger Exekution zu unterlassen, Produkte in Verkehr zu bringen oder in Verkehr bringen zu lassen, die

in Anspruch 1 des Gebrauchsmusters ***** sowie in Anspruch 1 des Gebrauchsmusters ***** eingreifen, insbesondere durch variabel entweder am Rückenpaneel oder am Hüftgurt befestigbare Schultergurte und/oder durch die identische Rückenpaneelbefestigung und/oder die Hüftgurtbefestigung, jeweils gleichgültig ob in identischer Ausführung oder in Ausführungen, bei denen trotz qualitativer Variation einzelner Erfindungsmerkmale der modifizierte Gegenstand den erfindungswesentlichen Effekt erreicht,

und/oder

in die Ansprüche 2, 3 und 4 des Gebrauchsmusters ***** eingreifen, insbesondere durch ein Tunnelzugsystem, das im unteren Bereich des Rückenpaneels, horizontal, mit Abstand zum fest strukturierten Hüftgurt angeordnet ist, wobei dieses Tunnelzugsystem es ermöglicht, dass das Rückenpaneel gleichzeitig in seiner Höhe und Breite an das Wachstum des Babys angepasst werden kann (Anspruch 2 und 3 des Gebrauchsmusters *****) und/oder ein Tunnelzugsystem, das seitlich am geschwungen ausgeformten Rückenpaneel angeordnet ist und mit dem bei Festziehen eine verbesserte Seitenstabilität des Babys erzielt werden kann (Anspruch 4 des Gebrauchsmusters *****), jeweils gleichgültig ob in identischer Ausführung oder in Ausführungen, bei denen trotz qualitativer Variation einzelner Erfindungsmerkmale der modifizierte Gegenstand den erfindungswesentlichen Effekt erreicht,

und/oder in sinngleicher Weise in Gebrauchsmuster der klagenden Partei eingreifen.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, es bei sonstiger Exekution zu unterlassen, Produkte zu bewerben, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder in Verkehr bringen zu lassen, die den von der Klägerin hergestellten Tragehilfen in wesentlichen Punkten, nämlich

der Mitwachs-Lösung in Form eines Tunnelzugsystems, das im unteren Bereich des Rückenpaneels, horizontal, mit Abstand zum fest strukturierten Hüftgurt angeordnet ist, wobei dieses Tunnelzugsystem es ermöglicht, dass das Rückenpaneel gleichzeitig in seiner Höhe und Breite an das Wachstum des Babys angepasst werden kann

und/oder

einem Tunnelzugsystem, das seitlich am geschwungen ausgeformten Rückenpaneel angeordnet ist und mit dem bei Festziehen eine verbesserte Seitenstabilität des Babys erzielt werden kann

und/oder

der variablen Befestigungsmöglichkeit der Schulterträger an Rückenpaneel oder alternativ am Hüftgurt der Tragehilfe

zur Gänze oder in produktspezifischen Teilen, sei es auch trotz qualitativer Variation einzelner Merkmale, entsprechen.»

2.3 Aus Sicht des Rekursgerichts ist die Bezugnahme auf den jeweiligen Anspruch des betroffenen Gebrauchsmusters im Zusammenhalt mit dem Herausheben („... insbesondere ...”) bestimmter Merkmale jedenfalls ausreichend bestimmt für die formulierten Unterlassungsgebote. Es kann im Ergebnis für die Bestimmtheit eines Unterlassungsgebots keinen Unterschied machen, ob man den Schutzbereich durch die wörtliche Wiedergabe des Anspruchs des jeweiligen Gebrauchsmusters (und damit dessen Merkmale) darstellt oder nur durch einen Verweis auf den betroffenen Anspruch, wobei der (allgemeine) Verweis durch das Hervorheben wesentlicher Merkmale spezifiziert wurde. In beiden Fällen ist das verbotene Verhalten so deutlich umschrieben, dass es dem Beklagten als Richtschnur für sein zukünftiges Verhalten dienen kann.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der Formulierung des 1. Unterlassungsbegehrens das Wort „sowie” wohl als ein nicht ausschließendes „oder” zu verstehen ist; diese Formulierung könnte allenfalls klarer gefasst werden, wie auch der Name des Eingriffsgegenstands beispielhaft in den Text des Unterlassungsbegehrens aufgenommen werden könnte.

Ob die Unterlassungsbegehren letztlich zu weit gehen, kann erst nach der inhaltlichen Prüfung beurteilt werden. Sowohl die materiellrechtliche Weite der Begehren als auch die Frage, ob überhaupt ein Eingriff in den Schutzumfang der Gebrauchsmuster der Klägerin bejaht werden kann, werden im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 ZPO.

Der Revisionsrekurs war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht vorliegen.

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