8Ra70/16x – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Lindner als Vorsitzenden, den Richter des Oberlandesgerichts Dr. Herberger und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Derbolav-Arztmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan Schäfer und Erich Weisz in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Univ.-Doz. Dr. A***** K***** , *****, vertreten durch Mag. Stefan Jöchtl, Sekretär der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, 1010 Wien, Teinfaltstraße 7, wider die beklagte Partei Universität Wien , 1010 Wien, Universitätsring 1, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 3.385,20 s.A., im Verfahren über die Berufung der klagenden Partei (Berufungsinteresse: EUR 2.727,20 s.A.) gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 25.2.2016, 13 Cga 62/15d-10, in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Frage 1:
Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 45 AEUV, Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, und Art 20 f GRC, dahin auszulegen, dass es einer Regelung entgegensteht, nach der facheinschlägige Vordienstzeiten eines Mitglieds des Lehrpersonals der Universität Wien unabhängig davon, ob es sich um Zeiten der Beschäftigung bei der Universität Wien oder bei anderen in- oder ausländischen Universitäten oder vergleichbaren Einrichtungen handelt, nur bis zu einer Gesamtdauer von drei bzw vier Jahren anrechenbar sind?
Frage 2:
Widerspricht ein Entlohnungssystem, das keine volle Anrechnung der facheinschlägigen Vordienstzeiten vorsieht, gleichzeitig aber an die Dauer der Beschäftigung beim selben Arbeitgeber ein höheres Entgelt knüpft, der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art 45 Abs 2 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung Nr 492/2011/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union?
2. Das Berufungsverfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
3. Der Rekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
B e g r ü n d u n g :
I. Verfahrensgegenstand
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Der Rechtsstreit betrifft die Frage der Anrechnung von für die Höhe des Entgelts maßgeblichen Vordienstzeiten.
Nach dem zugrunde liegenden Kollektivvertrag sind facheinschlägige Vordienstzeiten unabhängig davon, ob sie bei der beklagten Partei oder einem anderen in- oder ausländischen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Arbeitgeber zurückgelegt wurden, nur im Höchstausmaß von insgesamt drei Jahren anzurechnen. Eine unmittelbare Diskriminierung ist nicht gegeben. Es stellt sich aber die Frage, ob das Erreichen höherer Gehaltsstufen bei längerer Dienstzeit beim beklagten Arbeitgeber einerseits im Vergleich zur stark beschränkten Anrechnung von Vordienstzeiten bei verschiedenen Arbeitgebern innerhalb der Eurpäischen Union andererseits eine mittelbare Diskriminierung nach Art 45 AEUV iVm Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU oder eine Beschränkung nach Art 45 AEUV darstellt. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, stellt sich zudem die Frage nach der Rechtfertigung.
II. Anwendungsbereich des Unionsrechts
Die Klägerin ist deutsche Staatsbürgerin und weist fünf Jahre facheinschlägige Vordienstzeiten an der Universität München und 8,5 Jahre facheinschlägige Vordienstzeiten an der Universität Wien auf. Ihr wurden insgesamt nur vier Jahre angerechnet. Würden ihr insgesamt 13,5 Jahre angerechnet, wäre sie höher einzustufen.
III. Berechtigung zur Vorlage
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht kann mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden. Aus Sicht des Oberlandesgerichts Wien liegt zur Vorlagefrage kein Acte clair vor, weshalb die Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union geboten ist (Art 267 AEUV).
IV. Unionsrechtliche Grundlagen
Art 45 AEUV lautet:
„(1) Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
(3) Sie gibt – vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen – den Arbeitnehmern das Recht, ...
c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staats geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;...“
Art 7 der Verordnung 492/2011/EU über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union lautet:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf die berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer....“
V. Innerstaatliche Rechtsvorschriften
Unstrittig ist, dass die Klägerin als senior lecturer ( § 26 Abs 3 Rahmenkollektivvertrag für ArbeitnehmerInnen an Universitäten ) in Gehaltsgruppe B1 einzureihen ist ( § 48 Rahmenkollektivvertrag für ArbeitnehmerInnen an Universitäten ). Dieser Rahmenkollektivvertrag gilt für alle dem Dachverband angehörenden Universitäten Österreichs als Arbeitgeberinnen gemäß § 6 Universitätsgesetz (derzeit 21 Universitäten).
Für diese Gehaltsgruppe normiert § 49 Abs 3 Rahmenkollektivvertrag für ArbeitnehmerInnen an Universitäten vom 15.2.2011 Folgendes:
Der monatliche Bruttobezug in der Gehaltsgruppe B 1 beträgt Euro 2.696,50.
Dieser Betrag erhöht sich
a) nach dreijähriger Tätigkeit auf Euro 3.203,30. Die Dreijahresfrist verkürzt sich um Zeiträume, für die tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen nachgewiesen werden;
b) nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit. a) oder bei Vorliegen eines Doktorats, das Voraussetzung für die Begründung des Arbeitsverhältnisses war (postdoc-Stelle) auf Euro 3.590,70;
c) nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit. b) auf Euro 3.978,30;
d) nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit. c) auf Euro 4.186,90.
VI. Sachverhalt
Die Klägerin verfügt über ein Doktorat in Geschichte und war im Rahmen eines Lehrauftrags an der Unversität München 5 Jahre facheinschlägig beschäftigt. Ab dem Wintersemester 2000/2001 war sie bei der Beklagten am Institut für Geschichte als Lehrbeauftragte tätig. Nach Einreichung ihrer Habilitationsschrift wurde ihr mit Bescheid des Dekanats der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fakultät der Beklagten vom 12.3.2002 die Lehrbefugnis als Universitätsdozentin für mittelalterliche Geschichte erteilt. Anschließend unterrichtete die Klägerin auf Basis von befristeten Lehraufträgen jedes Semester zumindest 7 Semester-Wochenstunden.
Mit 1.10.2010 wurde die Klägerin als senior lecturer/postdoc für 20 Wochenstunden beschäftigt. Dieser zunächst befristete Vertrag wurde ab 1.3.2013 unbefristet verlängert. Eine Anrechnung von Vordienstzeiten wurde im Vertrag nicht vorgenommen. Aufgrund eines Rektorats-beschlusses vom 8.11.2011 wurde beschlossen, Vordienstzeiten bei senior lecturer/postdoc und senior scientist/postdoc im Ausmaß von 4 Jahren anzurechnen, wenn das Dienstverhältnis am 1.10.2011 oder später begonnen hat.
Der Klägerin wurden diesem Beschluss entsprechend bei der rückwirkenden Einstufung ab 1.10.2010 vier Jahre Vordienstzeiten angerechnet. Sie wurde in die Verwendungsgruppe B, Gehaltsgruppe B1 lit.b eingestuft. Eine Zusage über eine höhere Anrechnung hat sie nie erhalten.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Arbeits- und Sozialgericht Wien das Klagebegehren ab. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin an das Oberlandesgericht Wien.
VII. Vorbringen der Klägerin
Die Klägerin begehrt von der beklagten Partei die Zahlung von zuletzt EUR 2.727,20 samt Zinsen an Entgeltdifferenz für den Zeitraum 13.6.2014 bis 13.8.2015.
Sie bringt vor, sie sei bei der beklagten Partei als senior lecturer/postdoc beschäftigt, das Dienstverhältnis unterliege den Bestimmungen des Rahmenkollektivvertrags für ArbeitnehmerInnen an Universitäten [in der Folge kurz: Kollektivvertrag]. Die beklagte Partei habe die facheinschlägigen Vordienstzeiten der Klägerin (8,5 Jahre bei der beklagten Partei und fünf Jahre an der Universität München) bei der Einstufung nicht zur Gänze berücksichtigt, sondern nur vier Jahre. Die Klägerin sei bis 31.12.2014 in die Entgeltstufe gemäß § 49 Abs 3 lit b und ab 1.1.2015 in die Entgeltstufe gemäß § 49 Abs 3 lit c des Kollektivvertrags eingestuft worden, richtigerweise wäre sie jedoch von Anfang an in die Entgeltstufe gemäß § 49 Abs. 3 lit. d einzureihen gewesen. Die Differenzierung zwischen bei unterschiedlichen Arbeitgebern zurückgelegten Beschäftigungszeiten behindere die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union. Diese Bestimmungen seien geeignet, Wanderarbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, ihr Herkunftsland zu verlassen und von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen und stellten damit eine Beeinträchtigung der unionsrechtlich garantierten Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer da.
VIII. Vorbringen der beklagten Partei
Die beklagte Partei stellte die rechnerische Richtigkeit des Klagebegehrens und die Anrechnung von nur vier Jahren statt 13,5 Jahren außer Streit. Sie meint, die europarechtlichen Vorgaben führten nicht dazu, dass Vordienstzeiten in beliebiger Höhe anzurechnen seien. Bei der beklagten Partei gebe es eine Deckelung der Vordienstzeitenanrechnung im Ausmaß von vier Jahren, wobei nicht danach differenziert werde, ob die Vordienstzeiten an in- oder ausländischen Universitäten erworben worden seien. Eine Ungleichbehandlung zwischen in – und ausländischen Vordienstzeiten bestehe daher nicht. Die Anrechnung tätigkeitsspezifischer Vorerfahrung sei nach § 49 Abs. 3 des Kollektivvertrags grundsätzlich auf die in lit a leg. cit. vorgesehene Dreijahresfrist beschränkt. Das im Kollektivvertrag geregelte Vorrückungssystem regle keine Anrechnung von Vordienstzeiten, sondern die durch Zeitablauf bedingte Vorrückung. Die Klägerin differenziere nicht zwischen der Anrechnung von Vordienstzeiten und der Zeitvorrückung im Gehaltsschema. Die Argumentation der Klägerin wider-spreche dem gesamten österreichischen Kollektivvertrags-system wie auch dem öffentlichen Dienstrecht, weil damit jede Form der Zeitvorrückung unzulässig würde. Der Europäischen Union komme keine Regelungskompetenz der Höhe des Entgelts und der unbegrenzten Anrechnung aller Vordienstzeiten zu, sie verbiete nur eine unterschiedliche Anrechnung in- oder ausländischer Vordienstzeiten.
Sollte die Klägerin nach mehrjähriger Tätigkeit für die beklagte Partei einige Zeit an einer in- oder ausländischen Universität tätig sein, würde ihr bei einer Rückkehr diese Zeit nicht angerechnet werden. Sie würde sich aber im Kollektivvertragssystem dort weiterentwickeln, wo sie vor der Unterbrechung gestanden sei.
Rechtliche Beurteilung
IX. Rechtliche Beurteilung
Nach dem Wortlaut des Kollektivertrags ist die Anrechnung von Vordienstzeiten von höchstens drei Jahren nur für die Stufe B1 a) angeordnet. Die beklagte Partei hat mit ihrem Rektoratsbeschluss allerdings die Anrechnung für die als senior lecturers/postdoc bereits in der Stufe B1 b) einzustufenden beschäftigten Arbeitnehmer vorgesehen und das sogar mit vier Jahren und damit eine zulässige Besserstellung vorgenommen.
1. Zur Frage 1
Ist das Unionsrecht, insbesondere Art 45 AEUV, Art 7 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, und Art 20 f GRC, dahin auszulegen, dass es einer Regelung entgegensteht, nach der facheinschlägige Vordienstzeiten eines Mitglieds des Lehrpersonals der Universität Wien unabhängig davon, ob es sich um Zeiten der Beschäftigung bei der Universität Wien oder bei anderen in- oder ausländischen Universitäten oder vergleichbaren Einrichtungen handelt, nur bis zu einer Gesamtdauer von drei bzw vier Jahren anrechenbar sind?
1.2 Diskriminierung
1.2.1 Art 45 Abs 2 AEUV verbietet jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Art 7 Abs 1 der Verordnung 492/2011/EU stellt eine besondere Ausprägung dieses Diskriminierungsverbots dar. Der Grundsatz der Gleichbehandlung nach diesen beiden inhaltsgleichen Rechtsgrundlagen verbietet nicht nur eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung (mittelbare Diskriminierung), die durch die Anwendung anderer Unterscheidungskriterien de facto zum gleichen Ergebnis führen (C-514/12, SALK, Rn 23 und 25).
1.2.2 Eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ist aus der Bestimmung des Kollektivvertrags nicht abzuleiten, weil In- und Ausländer und deren in- oder ausländische Vordienstzeiten (sogar bei der beklagten Partei selbst verbrachte Vordienstzeiten) gleich behandelt werden.
1.2.3 Eine mittelbare Diskriminierung setzt nach der Ansicht des österreichischen Obersten Gerichtshofs die Annahme voraus, dass inländische Arbeitnehmer signifikant länger beim selben (inländischen) Arbeitnehmer bleiben und daher weniger häufig als Wanderarbeitnehmer von der Anrechnungsbeschränkung des Kollektivvertrags betroffen sind (8 ObA 33/17m). Es ist nicht bekannt, wie stark die Fluktuation inländischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Universitäten ist. Allgemein aus den Medien bekannt ist, dass der Anteil des deutschen Lehrpersonals an österreichischen Universitäten beträchtlich ist.
1.3. Beschränkung
1.3.1 Dazu stellen sich folgende Zwischenfragen:
„Ist die in Rede stehende Beschränkung der Anrechnung von Vordienstzeiten geeignet, um einen ausländischen Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, den Arbeitsplatz nach Österreich zu verlegen?
Ist die fragliche Regelung in ihren Auswirkungen ausreichend gewiss, um einen inländischen Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, den Arbeitsplatz von Österreich ins Ausland zu verlegen, wenn er beabsichtigt, später wieder nach Österreich zurückzukehren und in Österreich an einer Universität zu arbeiten?“
1.3.2 Neben dem Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält Art 45 AEUV – so wie jede Grund- bzw Verkehrsfreiheit – auch ein allgemeines Beschränkungsverbot. Danach sind nationale Regelungen verboten, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigen. Verboten ist jede Maßnahme, die geeignet ist, den Zugang zum Arbeitsmarkt in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Auf das Element der Spürbarkeit kommt es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr an. So wurde in der Entscheidung C-514/12, SALK, Rn 34 ausgeführt: „Die Artikel des Vertrags über den freien Warenverkehr, die Freizügigkeit sowie den freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr stellen grundlegende Bestimmungen für die Union dar, und jede Beeinträchtigung dieser Freiheit, mag sie auch unbedeutend sein, ist verboten.“ In der Entscheidung C-315/13, De Clercq, Rn 61, bekräftigte der Gerichtshof diesen Rechtssatz wie folgt: „Nach dem AEUV ist jedenfalls auch eine geringfügige oder wenig bedeutende Beschränkung einer Grundfreiheit grundsätzlich untersagt.“
1.3.3 Nach Ansicht des Berufungsgerichts besteht die Möglichkeit, dass ein Wanderarbeitnehmer deshalb von einem Arbeitsplatzwechsel nach Österreich absieht, weil seine bisherige facheinschlägige ausländische Dienstzeit nicht zur Gänze bei der Einstufung für die Entlohnung angerechnet wird. Anders als in dem vom Obersten Gerichtshof an den Europäischen Gerichtshof herangetragenen Fall 8 ObA 33/17m, in welchem es um die Anrechnung der Vordienstzeiten zum Erwerb der sechsten Urlaubswoche nach 25 Jahren beim selben Arbeitgeber ging, ist ein Arbeitsplatzwechsel nach Österreich im universitären Bereich nach mehr als drei bzw vier Jahren wesentlich wahrscheinlicher. Denn eine Beschränkung der Anrechnung der facheinschlägigen Vordienstzeiten wirkt sich sofort auf das Entgelt aus, während die Aussicht in ferner Zukunft nach 25 Jahren eine weitere Urlaubswoche zu erhalten, sehr ungewiss ist.
1.3.4 Vom Beschränkungsverbot sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch Heimkehrer erfasst. Dies betrifft nationale Bestimmungen, die einen Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, daran hindern oder davon abhalten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen (C-514/12, SALK, Rn 30). Das Beschränkungsverbot gilt demnach auch für einen späteren potenziellen Heimkehrer, der sich aktuell dafür entscheidet, seinen Arbeitsplatz in Österreich aufzugeben und ins EU-Ausland zu wechseln, aber nicht ausschließt, später einmal wieder nach Österreich zurückzukehren. Wenn er später seine Arbeit beim ursprünglichen österreichischen Arbeitgeber fortsetzt, würde er unter die Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten fallen.
Nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs (8 ObA 33/17m) ist eine solche Auswirkung für einen potenziellen Heimkehrer allerdings nicht nur nicht aktuell, sondern auch ungewiss. Bei einem Arbeitsplatzwechsel ins Ausland kann in den seltensten Fällen vorhergesehen werden, ob eine Rückkehr in den Ausgangsstaat auch tatsächlich erfolgt. Noch fraglicher bleibt, ob es dem Arbeitnehmer gelingt, bei seinem früheren Arbeitgeber wieder einen Arbeitsplatz zu erlangen. In diesem Zusammenhang wirkt die in Rede stehende Regel daher ebenfalls zu indirekt, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die als Arbeitnehmer Österreich verlassen und später wieder zurückkehren wollen, beeinträchtigen zu können. Im dortigen Fall ging es um die Anrechnung von Vordienstzeiten bei ausländischen Arbeitgebern zur Erlangung der sechsten Urlaubswoche nach 25 Jahren.
Im vorliegenden Fall ist eine Rückkehr eines Arbeitnehmers vom EU-Ausland oder von einer anderen inländischen Universität an irgendeine inländische Universität oder zur beklagten Partei wesentlich wahrscheinlicher, weil anzunehmen ist, dass gerade an Universitäten ein reger Austausch des Lehrpersonals erfolgt.
Dazu kommt, dass im Fall des kurzfristigen Wechsels des Arbeitsplatzes und der späteren Rückkehr sowohl nach dem Kollektivvertrag als auch nach dem Rektoratsbeschluss aus dem Jahr 2011 kein Rechtsanspruch auf die Anrechnung der bisher (auch bei der beklagten Partei) erworbenen facheinschlägigen Vordienstzeiten von mehr als drei bzw vier Jahren besteht. Die Ansicht der beklagten Partei, die Einstufung des Entgelts werde dort fortgesetzt, wo sie im Zeitpunkt der Unterbrechung gestanden wäre, ist durch den Kollektivvertrag und den Rektoratsbeschluss nicht gedeckt.
2. Zur Frage 2
Widerspricht ein Entlohnungssystem, das keine volle Anrechnung der facheinschlägigen Vordienstzeiten vorsieht, gleichzeitig aber an die Dauer der Beschäftigung beim selben Arbeitgeber ein höheres Entgelt knüpft, der Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art 45 Abs 2 AEUV und Art 7 Abs 1 der Verordnung Nr 492/2011/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union?
2.1. Auf den ersten Blick scheint eine von der beim selben Arbeitgeber verrichteten facheinschlägigen Dienstzeit abhängige höhere Entlohnung mittelbar diskriminierend, wenn gleichzeitig Arbeitnehmern, die bei anderen Arbeitgebern erworbenen facheinschlägigen Vordienstzeiten durch eine Beschränkung gekürzt werden. In bestimmten Konstellationen (vor allem bei langen Vordienstzeiten) können Arbeitnehmer, die vorher bei anderen (in- oder ausländischen) Arbeitgebern einschlägige Erfahrungen gemacht haben, diesen Vorsprung nicht mehr wettmachen. Dadurch werden potentiell in- und ausländische Wanderarbeitnehmer benachteiligt.
2.2 Zur Rechtfertigung stellt sich folgende Zwischenfrage:
„Ist die volle Anrechnung der facheinschlägigen Vordienstzeiten nur beim selben Arbeitgeber geeignet und angemessen, um das beschäftigungspolitische Schutzziel der Belohnung der Betriebstreue der Arbeitnehmer zu einem bestimmten einzelnen Arbeitgeber zu verwirklichen?“
2.3 Selbst bei Bejahung einer mittelbaren Ungleichbehandlung und/oder einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit wäre die zu beurteilende nationale Maßnahme (hier Beschränkung der Anrechnung der Vordienstzeiten bei „anderen“ Arbeitgebern) zulässig, wenn sie objektiv gerechtfertigt ist. Dafür ist vorausgesetzt, dass die Maßnahme ein legitimes Ziel bzw ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses verfolgt, sowie dass die Maßnahme zur Verwirklichung dieses Schutzziels geeignet ist und in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel steht(C-514/12, SALK, Rn 26 und 36). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht den Mitgliedstaaten sowie den Sozialpartnern auf nationaler Ebene bei der Festlegung sozial- und beschäftigungspolitischer Schutzziele sowie der für ihre Erreichung geeigneten Maßnahmen ein weiter Ermessensspielraum zu (C-297/10, Hennigs, Rn 65; C-141/11, Hörnfeldt, Rn 32; 8 ObA 33/17t).
In dieser Hinsicht vertritt das Berufungsgericht die Auffassung, dass die volle Anrechnung der Vordienstzeiten für die Bemessung des Entgelts nur hinsichtlich jener Dienstzeiten, die bei ein und demselben Arbeitgeber erbracht wurden, eine Belohnung für die Betriebstreue und damit eine Treueprämie darstellen kann, mit der ausschließlich die Arbeitnehmer belohnt werden sollen, die ihre langjährige Laufbahn beim selben Arbeitgeber absolvieren. Dazu hat der Europäische Gerichtshof bereits anerkannt, dass das beschäftigungspolitische Ziel der Bindung an den Arbeitgeber ein legitimes Schutzziel bzw ein zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses darstellen kann (C-224/01, Köbler, Rn 83; C-178/04, Marhold, Rn 34). Mit Rücksicht auf den weiten beschäftigungspolitischen Gestaltungsspielraum könnte die in Rede stehende Anrechnungsregelung angemessen sein.
Auf die höhere Entlohnung wegen der gesammelten einschlägigen Berufserfahrung lässt sich die Unterscheidung zwischen beim selben und bei anderen in- oder ausländischen Arbeitgebern nach Ansicht des Oberlandesgerichts Wien nicht stützen, weil die Berufserfahrung (besonders bei Universitäten) etwa gleichwertig sein dürfte.
X. Der Rekurs gegen diesen Beschluss ist jedenfalls unzulässig (16 Ok 9/96).