JudikaturOLG Wien

34R99/16b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
22. März 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden und den Richter Dr. Schober sowie den fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Puchberger in der Patentrechtssache der Antragstellerin ***** , vertreten durch Schwarz Partner Patentanwälte in Wien, gegen die Antragsgegnerin ***** , vertreten durch Barger, Piso Partner, Patentanwälte in Wien, wegen des Einspruchs gegen die Erteilung des Patents AT 502 544 B1 über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der technischen Abteilung des Patentamts vom 13.4.2016, 2A A 1653/2006 15, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--. Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung

1.1 Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des Patents AT 502 544 B1 mit dem Titel „Fenster mit Abdeckblende, Abdeckblende, Verwendung einer Abdeckblende und System für Fenster oder Türen“ (Streitpatent), das am 3.10.2006 angemeldet und – nach Entsprechung von drei Vorbescheiden des Patentamts – am 15.11.2013 letztlich mit folgenden Ansprüchen erteilt wurde:

1. Fenster oder Tür mit einem Blendrahmen und einem Flügelrahmen sowie einer Scheibe, insbesondere einer Isolierscheibe, dadurch gekennzeichnet , dass

der Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) aus Holz oder Kunststoff gefertigt ist,

dass mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) an dem Blendrahmen (2) fixiert ist, welche sich mindestens bis zum Rand der Scheibe (5; 5’’; 5d) erstreckt und diese insbesondere zumindest teilweise bedeckt und

dass die Scheibe (5; 5’’; 5d) flächenbündig zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) in den Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) geklebt ist, wobei zur Fixierung und Positionierung der Scheibe (5; 5’’; 5d) ein Klebeband (16), insbesondere Butylband, zwischen einem Teil der Scheibenoberfläche und dem Flügelrahmen (3; 3''; 3a, 3b, 3c, 3d) vorgesehen ist und

zwischen dem Rand der Scheibe (5; 5’’ 5d) und dem Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) wenigstens teilweise eine dauerelastische und dauerhaft klebende Masse, insbesondere eine Nasse [Anm des Rekursgerichts: Tippfehler im Antrag; gemeint „Masse“] auf Silikonbasis, insbesondere Silikon (19), angebracht ist.

2. Fenster oder Tür gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , dass der Blendrahmen (2) mindestens eine Ausnehmung (7) aufweist und die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’) unlösbar mit mindestens einem Schnapp- oder Rastelement (6) versehen ist, welches in die mindestens eine Ausnehmung (7) des Blendrahmens (2) eingreift.

3. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’, 4’’; 4c, 4d) zumindest in dem Bereich, mit welchem die Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) zumindest teilweise die Scheibe (5; 5’’; 5d) oder die Scheibe (5; 5’’; 5d) und den Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) bedeckt, einen herkömmlichen Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) zumindest teilweise ersetzt.

4. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) an der nach außen (12) weisenden Seite des Fensters (1; 1’) oder der Tür angebracht ist.

5. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass der Blendrahmen (2) aus Holz und/oder Kunststoff gefertigt ist.

6. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) aus Metall oder Kunststoff gefertigt ist.

7. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) einen Holzwerkstoff und/oder Kunststoff umfasst.

8. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) an den Blendrahmen (2) geschraubt, genagelt und/oder mit zusätzlichem Clipselement geklipst ist.

9. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) mit Isoliermaterial (29) belegt ist.

10. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) mindestens aus einem Profil (22) besteht.

11. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) mindestens eine Nut (11) zur Aufnahme eines Dichtungsprofils (23) besitzt.

12. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende(4; 4’; 4’’; 4c, 4d) mindestens einen Profilabschnitt (20) aufweist, der an dem Blendrahmen (2) anliegt.

13. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) mindestens einen Profilabschnitt (8) aufweist, der so ausgebildet ist, dass auf der von dem Blendrahmen (2) wegweisenden Seite eine Verblendung (35) aufnehmbar ist.

14. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der Ansprüche 2 bis 13 dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) einstückig mit mindestens einem Schnapp- oder Rastelement (6) verbunden ist.

15. Fenster oder Tür gemäß mindestens einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die mindestens eine Abdeckblende(4; 4’; 4’’; 4c, 4d) mindestens einen Profilabschnitt aufweist, der als Steg ausgebildet ist und dieser Steg am Blendrahmen (2) anliegt, sodass zwischen Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) und Blendrahmen (2) und/oder Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) ein Hohlraum (10; 10’’) gebildet wird.

16. Verwendung einer Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) in einem Fenster oder einer Tür mit einem Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) und einem Blendrahmen (2), gemäß einem der Ansprüche 1 bis 15 zur Nachbildung zumindest eines Teils des Flügel- und/oder Blendrahmens (2) dadurch gekennzeichnet , dass die Abdeckblende (4; 4’; 4’’; 4c, 4d) im montierten Zustand derart an dem Blendrahmen (2) fixiert ist, dass sie die Scheibe (5; 5’’; 5d) zumindest teilweise bedeckt und einen herkömmlichen Flügelrahmen funktionell und/oder ästhetisch nachbildet.

17. System für Fenster oder Türen gemäß einem der Ansprüche 1 bis 16 bestehend aus mindestens einem Blendrahmen (2) einer bestimmten Art, aus mindestens einem Flügelrahmen (3; 3’’; 3a, 3b, 3c, 3d) einer bestimmten Art aus Scheiben (5; 5’’; 5d) und aus einer Mehrzahl unterschiedlicher Abdeckblenden (4; 4’; 4’’; 4c, 4d), die im montierten Zustand derart an dem Blendrahmen (2) fixierbar sind, dass sie die Scheibe (5; 5’’; 5d) zumindest teilweise bedecken.

1.2 Die Patentschrift enthält folgende Skizze:

1.3 Die Erfindung bezieht sich laut Patentschrift

2. Gegen dieses Patent erhoben drei Antragstellerinnen jeweils einen Einspruch nach § 102 PatG, den nur die Rekurswerberin (in der Folge: Antragstellerin) auch im Rekursverfahren noch aufrecht hält.

Behauptet wurde im Verfahren vor dem Patentamt, die Patentansprüche seien nicht neu und beruhten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dabei stützte sich die Antragstellerin auf folgende (zehn) Vorveröffentlichungen:

D1 DE 103 38 861 A1

D2 DE 41 42 151 C2

D3 FR 2 644 506

D4 DE 200 23 664 U1

D5 EP 1 136 644 A2

D6 EP 1 510 644 A2

D7 DE 41 08 629 A1

D8 DE 101 46 048 A1

D9 EP 1 528 211 A2

D10 Tagungsband „Fenster-Türen-Treff 2005“, Murau vom 10.–11. März 2005: Urs Uehlinger – Kleben von Glas auf Holz

und ging von folgender Merkmalsuntergliederung des Anspruchs 1 aus:

A Fenster oder Tür mit einem Blendrahmen und einem Flügelrahmen sowie einer Scheibe, insbesondere einer Isolierscheibe, dadurch gekennzeichnet,

B dass der Flügelrahmen aus Holz und/oder Kunststoff gefertigt ist,

C dass mindestens eine Abdeckblende an dem Blendrahmen fixiert ist, welche sich mindestens bis zum Rand der Scheibe erstreckt und diese insbesondere zumindest teilweise bedeckt und

D dass die Scheibe flächenbündig zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens in den Flügelrahmen geklebt ist,

E wobei zur Fixierung und Positionierung der Scheibe ein Klebeband, insbesondere Butylband, zwischen einem Teil der Scheibenoberfläche und dem Flügelrahmen vorgesehen ist und

F zwischen dem Rand der Scheibe und dem Flügelrahmen wenigstens teilweise eine dauerelastische und dauerhaft klebende Masse, insbesondere Masse auf Silikonbasis, insbesondere Silikon, angebracht ist.

3. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Patentamt die Einsprüche ab und hielt das Patent in vollem Umfang mit der Begründung aufrecht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 aufgrund der dualen Verklebung der innenseitig oder außenseitig flächenbündig angeordneten Glasscheibe im Flügelrahmenfalz zu einer tragenden Verbindung samt Anordnung von mindestens einer Abdeckblende am Blendrahmen neu sei. Eine solche duale Verklebung der innenseitig oder außenseitig flächenbündig angeordneten Glasscheibe im Flügelrahmenfalz werde durch den Stand der Technik nicht nahe gelegt.

Die große Zahl an ähnlichen Entgegenhaltungen aus einem relativ kurzen Veröffentlichungszeitraum, die einzelne Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents aufweisen, zeige, dass in diesem Bereich der Technik die Innovationstätigkeit intensiv und die Entwicklung dynamisch sei. Dies sei als Indiz dafür zu werten, dass schon eine geringfügig erscheinende Weiterentwicklung als für den Fachmann nicht nahe liege. Wenn eine große Zahl von Fachleuten an der Verbesserung eines Produkts arbeiten, sei das Finden einer neuen Lösung unter Heranziehung bekannter Einzelmerkmale mit einem überraschenden Ergebnis (einfache Herstellung, Montage, gute Haltbarkeit etc) jedenfalls als erfinderische Tätigkeit zu betrachten.

Die ex post erfolgte mosaikartige Zusammenschau verschiedener Dokumente aus dem Stand der Technik liefere praktisch jede mögliche Merkmalskombination und genüge nicht als Begründung für das Naheliegen (für das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit).

Die auf Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 17 seien ebenfalls aufrecht zu erhalten, weil die Unteransprüche mit Weiterbildungen und Ausgestaltungen der Anordnung aus Anspruch 1 für sich den Anforderungen einer erfinderischen Tätigkeit nicht genügen müssen.

Eine Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung könne nicht festgestellt werden.

4. Dagegen richtet sich der nur von der Antragstellerin aufrecht erhaltene Rekurs – erkennbar aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung – mit dem Antrag, das angegriffene Patent zu widerrufen.

Die Antragsgegnerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

5.1 Die Antragstellerin konzentriert ihre Rekursargumente auf das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit des Streitpatents. Es habe sich im Verlauf des Verfahrens gezeigt, dass von zwei unterschiedlichen Auslegungsvarianten des Begriffs „Flügelrahmen“ Gebrauch gemacht werde. Im Beschluss habe das Patentamt den Flügelrahmen so ausgelegt, dass er einstückig sei und nur ein Material umfasse (Variante 1). Sie hingegen verstehe den Begriff „Flügelrahmen“ so, dass auch Anbauteile, die der Verbindung mit anderen Objekten wie zum Beispiel dem Blendrahmen oder der Scheibe dienten, ebenfalls vom Flügelrahmen mitumfasst seien (Variante 2). Diese Auslegungsvariante sei die richtige, was auch durch Figur 2 der D5 bestätigt werde.

Die Kombinationen der D1 mit D2, D5 und D11 zeige eine zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens flächenbündige Anordnung der in den Flügelrahmen geklebten Scheibe. Da der Fachmann der D2 entnehmen könne, dass der Adapterrahmen einen Teil des Flügelrahmens ersetze, nämlich den Teil, der mit der Scheibenanordnung verklebt sei, könne der Fachmann der D2 indirekt das Merkmal D des Streitpatents entnehmen, wonach die Scheibenanordnung flächenbündig zu einer Außenseite des Flügelrahmens in den Flügelrahmen geklebt sei. Somit seien alle Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents durch eine Kombination von D1 mit D2 nahegelegt.

Dies gelte auch für die Kombination von D1 mit D5, wobei es für diese Kombination irrelevant sei, welche Auslegungsvariante für den Begriff „Flügelrahmen“ gewählt werde.

5.2 Im Rekurs hielt die Antragstellerin erstmals die Veröffentlichung DE 20 2004 006 260 U1 (D11) entgegen. Ihr lasse sich eindeutig entnehmen, dass die Scheibe (20) flächenbündig zur Außenseite des Flügelrahmens (14) verlaufe. Ausgehend von D11, bei der die Merkmale A bis D des Anspruchs 1 des Streitpatents verwirklicht seien, in Kombination mit D1 (zeige die Merkmale E bis F) gelange der Fachmann somit in naheliegender Weise zum Gegenstand des Streitpatents.

6. Diese Ausführungen, die überwiegend bereits im Verfahren vor dem Patentamt vorgetragen wurden, überzeugen nicht. Die Beurteilung des Patentamts ist in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit des Streitpatents nicht zu beanstanden.

Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Einer Neuentwicklung fehlt aber nicht schon dann die erfinderische Tätigkeit, wenn der Fachmann aufgrund des Stands der Technik zu ihr gelangen hätte können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte ( could-would-approach; vgl Kinkeldey/Karamanli in Benkard, EPÜ 2 Art 56 Rz 72; Kroher in Stauder/Luginbühl, EPÜ 6 Art 56 Rz 54 ff; 17 Ob 24/09t; Op 3/12).

Der Beurteilungsmaßstab dafür, was der Stand der Technik lehrt und wie Vorveröffentlichungen zu verstehen sind, ist der Durchschnittsfachmann. Es handelt sich hierbei um eine Kunstfigur und damit letztlich nur um ein Werkzeug des Gerichts, das dazu dient, einen unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen ( Haedicke, Patentrecht 2 68). Der Fachmann besitzt durchschnittliche Fachkenntnisse, kennt aber den gesamten Stand der Technik seines Fachgebiets.

Die Prüfung kann insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen (vgl Op 1/02, PBl 2003, 29 mwN; Op 6/08; Op 4/11). Dafür ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann nahe gelegen wäre.

7.1 Vorauszuschicken ist, dass die Antragstellerin ihre Prüfung nicht strikt nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz durchführt und sich ihre Ausführungen in der Erklärung beschränken, welche Merkmale des Streitpatents in den jeweiligen Vorhaltungen bereits offenbart sein sollen.

7.2 Gegenstand des Patents (vgl auch 1.3) ist ein Fenster oder eine Tür mit einem Blendrahmen und mindestens einer Abdeckblende und einem Flügelrahmen, wobei die Isolierscheibe flächenbündig zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens in den Flügelrahmen geklebt ist. Die Zeichnungen zu diesem Patent zeigen ausschließlich die Anordnung, dass die Isolierglasscheibe direkt in die kantenseitigen Nuten des Flügelrahmens eingeklebt ist.

Die Anmeldung zeigt keinen Hinweis darauf, dass anstelle des direkten Einklebens oder der direkten Anordnung im Flügelrahmen auch gemeint sein könnte, dass seitlich auf dem Flügelrahmen ein Adapterflügel zur Aufnahme der Isolierglasscheibe angebracht sein könnte. Somit kann der Antragstellerin nicht gefolgt werden, dass der Begriff „Flügelrahmen“ mehrere Auslegungsvarianten hat. Der Begriff bezeichnet nur diesen Rahmen und nicht etwaige Anbauteile.

Ungeachtet dessen ist für den Durchschnittsfachmann im Zusammenhang mit der Anmeldung klar, was der Flügelrahmen ist (vgl [0002]) und wie die Anordnung der Scheibe im Flügelrahmen und die Befestigung und die Abdichtung zu erfolgen haben, um zu den Vorteilen der Erfindung zu kommen und sie zu nutzen.

Dazu wird in der Beschreibung ausgeführt: Die Verklebung dient einer ersten Fixierung der Scheibe am Rahmen (wenn die Scheibe und der Flügelrahmen zusammengebracht werden) sowie einer dauerhaften Befestigung ([0046]). Mit der Verklebung kommt es zu einer statischen Umkehr und diese Form trägt zur Statik des Fensters oder der Tür bei. Bei einem flächenbündigen Einkleben gehen die Scheibenfläche und die Fläche der Außenseite/Innenseite des Flügelrahmens praktisch ineinander über (vgl [0048] und [0049]).

7.3 Im Vergleich dazu werden in der Entgegenhaltung D1 eine zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens flächenbündige Anordnung einer in den Flügelrahmen geklebten Scheibe und eine am Blendrahmen fixierte Deckblende nicht gezeigt.

Aus den Entgegenhaltungen D2 bis D10 ist zwar bekannt, dass zum Zweck des Witterungsschutzes am Blendrahmen fixierte Abdeckblenden eingesetzt werden. Jedoch ist keiner der Veröffentlichungen D1 bis D10 eine zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens flächenbündige Anordnung der in den Flügelrahmen geklebte Scheibe zu entnehmen. Durchwegs werden in den Vorhalten D2 bis D7 und D9 die Scheiben von separaten Trägerelementen gehalten, die am Flügelrahmen befestigt werden.

D8 zeigt eine Stufenverglasung, bei der keine flächenbündige Anordnung zu einer Außenseite oder Innenseite des Flügelrahmens vorgesehen ist.

D10 zeigt ebenfalls eine Stufenverglasung oder doppelte Scheiben, die am Flügelrahmen aufliegen, wobei aber auch hier das Merkmal fehlt, dass die Scheiben in den Flügelrahmen geklebt sind, und zwar seitlich mit einem Klebeband und stirnseitig mit einer dauerelastischen Masse.

Im Ergebnis ist die Merkmalskombination aus Anspruch 1 des Streitpatents weder vorveröffentlicht noch durch einzelne der Druckschriften oder durch eine Zusammenschau der Druckschriften nahegelegt.

7.4 Nach § 139 Z 3 PatG dürfen neue Tatsachen oder Beweismittel nur zur Stützung oder zur Widerlegung der in der ersten Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise vorgebracht werden; § 49 AußStrG ist nicht anzuwenden.

Unter diesem Gesichtspunkt erfüllt die erst mit dem Rekurs vorgelegte Offenbarung D11 diese Anforderung für die Zulässigkeit nicht. Nach dem Rekursvortrag soll die D11 in Kombination mit D1 dem Fachmann den Gegenstand des Streitpatents nahelegen. Damit zielt die Antragstellerin auf einen durch eine Kombination mit einem neuen Vorhalt neu gebildeten Vorhalt ab, der gegen das (eingeschränkte) Neuerungsverbot verstößt und daher unzulässig ist (vgl Weiser, PatG GMG 3 § 139, 517 mwN), denn mit ihm werden nicht nur bereits vorgebrachte Tatsachen oder Beweise gestützt. Deshalb ist diese Vorhaltung unbeachtlich.

Informativ kann angeführt werden, dass auch D11 nicht die gesamte Merkmalskombination des Streitpatents zeigt. Weder die Befestigung mittels Klebestreifens noch die weitere Befestigung und Abdichtung mittels Klebemassen sind beschrieben. Der Flügelrahmen gemäß D11 weist nämlich eine Nut (36) auf, die dem Aufnehmen einer auf die Glasscheibe (20) wirkenden Rastklammer dient (vgl [0013] der Druckschrift). Darüber hinaus ist eine die Glasscheibe (20) überdeckende Glasleiste (16) vorgesehen (vgl [0009] in D11).

8. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0111880), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig. In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Patentschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.

Ein Kostenersatz findet nach § 139 Z 7 PatG nicht statt.

Rückverweise