JudikaturOLG Wien

133R10/17v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
01. März 2017

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen Eintragung der Wortmarke FICKEN über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 8.11.2016, AM 51794/2016 4, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Urkundenvorlage vom 15.2.2017 wird zurückgewiesen.

2. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung

1. Die Antragstellerin beantragte die Eintragung der Wortmarke

FICKEN

für die Waren der Klassen:

25 Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen;

32 Biere; Mineralwässer und kohlensäurehältige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte, Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken;

33 alkoholische Getränke (ausgenommen Biere).

Sie brachte dazu im Wesentlichen vor, dass Zielpublikum ihrer Produkte in erster Linie junge – jedoch volljährige – Personen oder generell aufgeschlossene und feierfreudige Menschen seien, die Feste und Partys besuchen und dort auch alkoholische Getränke konsumieren. Das Wort „Ficken“ habe nicht zwingend eine sexuelle Bedeutung, die zudem geschlechtsneutral sei, sondern werde als Ausdruck von „schinden“ oder auch als gefühlsbetonte Äußerung nach verstärkten körperlichen Strapazen oder verbaler Abwehr eingesetzt. Bei jüngeren Gesellschaftsschichten habe das Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang gefunden, werde zwar als provokant verstanden, jedoch nicht als sittenwidrig. Die Eintragung sei nicht schon deshalb ausgeschlossen, wenn nur eine kleine Minderheit äußerst sittenstrenger Bürger am Zeichen Anstoß nehme. Gerade im Hinblick auf alkoholische (Party )Getränke sei davon auszugehen, dass per se empfindliche Personen kaum in Berührung mit den angebotenen Waren kommen. „Ficken“ werde auch regelmäßig im künstlerischen und kulturellen Bereich gebraucht, zum Beispiel in zahlreichen Buch-, Film- und Theatertiteln. In Deutschland sei das Wortzeichen als Marke eingetragen worden. Nach Ansicht des deutschen Bundespatentgerichts (vgl 26 W (pat) 116/10) verstoße es nicht gegen die guten Sitten.

2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Patentamt die Eintragung aus dem Grund des § 4 Abs 1 Z 7 MSchG mit der – kurz zusammengefassten – Begründung ab, dass dem Begriff „Ficken“ primär eine sexuelle Bedeutung beizumessen sei. Andere Bedeutungen seien unwichtig, weil sie die primäre Bedeutung nicht in den Hintergrund drängten oder vergessen ließen. Da die beantragten Waren von jedermann – ungeachtet des Alters und der Lebenseinstellung – konsumiert werden, sei der beteiligte Verkehrskreis die Gesamtbevölkerung. Es sei auch in die Beurteilung einzubeziehen, dass Kinder und Jugendliche das Zeichen sehen (und ihren Bedeutungsgehalt erkennen) und dass das allgemeine Publikum diesen Umstand als anstößig ansehen könnte. Der behaupteten Liberalisierung von Sprachgewohnheiten sei entgegenzuhalten, dass eine sich nur in Ansätzen abzeichnende, aber noch nicht eingetretene Banalisierung in der Sichtweise anstößiger Ausdrücke bei der Auslegung des Begriffs „gute Sitten“ nicht schon vorweggenommen werden dürfe. Der Begriff „Ficken“ sei nach wie vor ein Tabuwort in der deutschen Sprache. Auch aus den von der Antragstellerin angeführten Beispielen aus der Literatur, dem Film oder dem Theater ergebe sich keine Gewöhnung an den Begriff dahingehend, dass er keinerlei Reaktion mehr beim Publikum auslösen würde; sondern vielmehr, dass der Begriff nach wie vor eingesetzt werde, um zu provozieren und um dadurch die Aufmerksamkeit des Publikums zu erwecken. Dass der Begriff geschlechtsneutral sei und keines der beiden Geschlechter auf diskriminierende Art und Weise herabsetze, verhindere allein nicht, dass ein Teil der maßgeblichen Verkehrskreise daran Anstoß nehme. So könne ein Wort, das sich in einer derben Ausdrucksweise eindeutig auf die Sexualität beziehe und als vulgär eingestuft werde, von Verbrauchern als anstößig, obszön und abstoßend und somit als gegen die guten Sitten verstoßend wahrgenommen werden. Die genannte Entscheidung des deutschen Bundepatentgerichts habe keinen präjudiziellen Charakter.

3. Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Wortmarke im beantragten Umfang einzutragen. Inhaltlich wiederholt die Antragstellerin im Rekurs im Wesentlichen die einleitend angeführten Argumente.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

4.1 Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden (RIS-Justiz RS0008733). § 37 Abs 3 MSchG idF BGBl I 2013/126 verweist auf § 139 PatG und damit auf dessen Einleitungssatz, der – mit gewissen, hier nicht interessierenden Ausnahmen – die sinngemäße Anwendung des AußStrG anordnet.

Somit gilt auch in diesem Verfahren der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels ( Klicka in Rechberger, AußStrG 2 § 48 Rz 3). Die Eingabe vom 15.2.2017 (Urkundenvorlage) war daher als unzulässig zurückzuweisen.

4.2 Zuzugestehen ist, dass die Begriffe „öffentliche Ordnung“ und „gute Sitten“ einen (vermeintlich) relativ weiten Interpretationsspielraum geben, den bisher nur wenige Entscheidungen eingrenzen.

Das Rekursgericht hält im konkreten Fall die Argumentation und im Ergebnis die Entscheidung des Patentamts mit den bisherigen Grundsätzen der Rechtsprechung für vereinbar. Da inhaltlich keine anderslautenden gewichtigen Argumente anzuführen sind, wird grundsätzlich darauf verwiesen (§ 35 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG und § 60 Abs 2 AußStrG).

Gerade die Art der so bezeichneten Waren begründet/betont die Sittenwidrigkeit. Es ist insbesondere die Frage zu stellen, ob sich die Verkehrskreise daran stoßen würden, wenn das Zeichen zu Werbezwecken Verwendung fände und es durch die Eintragung den Anschein einer amtlichen Bestätigung erhielte (vgl Ingerl/Rohnke, Markengesetz 3 § 8 Rz 278), was zu bejahen ist. Aus Sicht des Rekursgerichts kann der Grund/das Motiv, sich die (reine) Anstößigkeit eines Begriffs zu Nutze zu machen (sei es zur Provokation oder zur Steigerung der Aufmerksamkeit), nicht die Anstößigkeit an sich beseitigen.

Die Frage der geschlechtsneutralen Verwendung ist unter diesen Voraussetzungen nicht relevant. Ebenso wenig die Eintragung des beantragten Zeichens in Deutschland. Eine präjudizielle Bindung an frühere Entscheidungen ist zu verneinen (4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS; RIS-Justiz RS0125405; C 37/03 P, BioID, Rz 47; C 39/08 und C-43/08, Schwabenpost und Volks.Handy, Rz 39; vgl auch Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 75 ff mwN; Koppensteiner, Markenrecht 4 70). Die Antragstellerin unterlag zum selben Thema auch in den Verfahren T 52/13 und T 54/13 vor dem EuG (vgl Albrecht in Kur/v. Bomhard/Albrecht, Markenrecht § 8 Rz 639.1).

5. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0111880), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.

In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.

[Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs am 3.5.2017 zurück, 4 Ob 62/17x.].

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