34R98/16f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen Eintragung des Patents mit dem Titel „Windturbine mit senkrechter Hauptachse“ über den Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss der Technischen Abteilung des Patentamts vom 11.7.2016, 2A A 113/2014 7, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Der Anmelder (in der Folge: Antragsteller) beantragte am 18.2.2014 die Eintragung des Patents „Windturbine mit senkrechter Hauptachse“. Die Patentansprüche haben nachstehenden Inhalt:
1. Windturbine mit senkrechter Achse (23) und Stelleinrichtung, sowie mindestens zwei umlaufenden Blättern (3 u. 4) dadurch gekennzeichnet, dass die Blätter die tragenden umlaufenden Achsen (21 u. 22) nicht parallel zur Hauptachse (23) angeordnet sind, sondern in einem Winkel (Alpha) kleiner als 45 ° zu dieser stehen.
2. Windturbine nach A1, dadurch gekennzeichnet, dass die Blätter (3 u. 4) bzw. deren Achsen (21 u. 22) Zahnriemenscheiben (7 u. 8) mit doppelter Zähnezahl gegenüber der Stelleinrichtung tragen, wobei umgelenkte Zahnriemenantriebe zum Einsatz kommen.
3. Windturbine nach A1, dadurch gekennzeichnet, dass die Blätter zu den Achsen (21 u. 22) symmetrisch sind und die Form sowohl eines Quadrates, eines Deltoides, einer Ellipse oder auch einer kreisförmigen Schraube haben können.
4. Konfigurator nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die gesamte Aufgabenstellung in Teilaufgaben untergliedert wird und die Lösungseinheiten zur Lösung dieser Teilaufgaben herangezogen werden.
Mit Vorbescheid vom 12.8.2014 wies die Technische Abteilung den Antragsteller darauf hin, dass EP 0008590 A1 (= D1) und US 4707617 A (= D2) zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit ermittelt worden seien. Davon ausgehend sei der Anmeldungsgegenstand dem Stand der Technik zu entnehmen.
In Reaktion auf diesen 1. Vorbescheid reichte der Antragsteller ein neues Schutzbegehren ein, wobei sich der Anspruch 1 von der ursprünglichen Fassung durch die zusätzlichen Merkmale unterscheidet „[...] dass dadurch eine verlängerte Strömungsphase entsteht, wobei dieser Winkel geringfügig kleiner als 45 ° beträgt.“.
Im 2. Vorbescheid vom 5.11.2014 machte die Technische Abteilung den Antragsteller darauf aufmerksam, dass diese Ansprüche nicht gewährbar seien, weil in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung keine Rede davon gewesen, dass der Winkel α von der senkrechten Hauptachse gerade etwas weniger als 45 Grad betrage und dieser neu formulierte Anspruch daher die ursprüngliche Offenbarung überschreite. Die Erklärungen des Anmelders in seiner Äußerung seien physikalisch nicht einleuchtend und darüber hinaus liege die konkrete Wahl des Winkels α im Ermessen des Fachmanns und begründe keine erfinderische Tätigkeit.
Darauf reagierte der Antragsteller mit am 22.12.2014 zur Post gegebener Äußerung, mit der er um einen Prüferwechsel ersuchte, weil der Prüfer den Erfindungsgedanken seiner Erfindung nicht verstanden habe oder nicht verstehen wolle und daher befangen sei. Er habe einen Fehler in Figur 12 von D1 nachgewiesen, auf den der Prüfer nicht eingegangen sei.
Die Technische Abteilung erließ in Reaktion darauf den 3. Vorbescheid vom 27.1.2015, in dem sie unter Zitierung des weiteren Stands der Technik das Fehlen der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands begründete. Den Vorwurf der Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung ließ sie fallen.
Darauf replizierte der Antragsteller mit weiterer, am 23.3.2015 zur Post gegebener Äußerung.
Die Technische Abteilung wiederholte daraufhin im 4. Vorbescheid vom 23.10.2015 noch einmal die ihrer Auffassung nach relevanten Argumente gegen die erfinderische Tätigkeit.
Dazu äußerte sich der Antragsteller mit Schreiben vom 16.3.2016.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 11.7.2016 wies die Technische Abteilung die Anmeldung aufgrund des § 100 Abs 1 PatG zurück. Im 3. Vorbescheid habe sie dem Antragsteller angeboten, die Anmeldung in eine Gebrauchsmusteranmeldung umzuwandeln, was der Anmelder jedoch abgelehnt habe. Da sich der Anmeldungsgegenstand nicht relevant vom Stand der Technik unterscheide und eine erfinderische Tätigkeit bei einer geringfügigen geometrischen Abweichung nicht gegeben sei, sei die Anmeldung zurückzuweisen gewesen.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Antragstellers mit dem impliziten Antrag, den Beschluss aufzuheben und das Patent einzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Bevor auf die Argumentation im Rekurs eingegangen wird, sind die Grundsätze der Patentauslegung in Erinnerung zu rufen:
1.1. Nach § 3 Abs 1 PatG gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.
1.2. Den Stand der Technik bildet dabei alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist.
1.3. Eine Erfindung beruht nach § 1 Abs 1 PatG und nach dem sinngleichen Art 56 EPÜ ( Wiltschek, PatR 3 § 1 PatG Anm 4) auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Einer Neuentwicklung fehlt aber nicht schon dann die erfinderische Tätigkeit, wenn der Fachmann aufgrund des Stands der Technik zu ihr gelangen hätte können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte – could-would-approach ( Kinkeldey/Karamanli in Benkard, EPÜ 2 Art 56 Rz 72; Kroher in Stauder/Luginbühl, EPÜ 6 Art 56 Rz 54 ff; 17 Ob 24/09t; Op 3/12; zuletzt 4 Ob 17/15a, Gleitlager ).
1.4. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was der Stand der Technik lehrt und wie Vorveröffentlichungen zu verstehen sind, ist der Durchschnittsfachmann. Es handelt sich hierbei um eine Kunstfigur und damit letztlich nur um ein Werkzeug des Gerichts, das dazu dient, einen unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen ( Haedicke, Patentrecht 2 68). Der Fachmann besitzt durchschnittliche Fachkenntnisse, kennt aber den gesamten Stand der Technik seines Fachgebiets.
1.5. Die Prüfung kann insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen (vgl Op 1/02 PBl 2003, 29 mwN; Op 6/08; Op 4/11; 4 Ob 17/15a, Gleitlager ). Dazu ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann naheliegend gewesen wäre.
1.6. Für Patente bestehen seit Inkrafttreten von § 22a PatG eigene Auslegungsregeln (RIS-Justiz RS0118278; RS0030757 [T10]): Der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung werden durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 EPÜ, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden.
Auch wenn einzelne Elemente des Inhalts der Erfindung bereits vorher bekannt waren, so bedeutet dies noch nicht von vornherein, dass die Erfindung selbst nicht mehr als neu im Sinn des PatG angesehen werden könnte. Eine Erfindung kann auch darin bestehen, dass bereits bekannte Einrichtungen durch eine besondere Art ihrer Verwendung oder durch die Verbindung mit noch unbekannten Einrichtungen dazu verwendet werden, ein technisches Problem zu lösen (RIS-Justiz RS0071157).
Ob eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist grundsätzlich eine Rechtsfrage (17 Ob 24/09t; 17 Ob 13/09z). Da sich die Erfindungshöhe am Stand der Technik orientiert, also am Fachwissen, über das der „Durchschnittsfachmann“ auf dem betreffenden Gebiet verfügt, ist die Beurteilung, ob sich das Patent für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, in erster Linie von einer Tatfrage abhängig (RIS-Justiz RS0071399).
2. Der Antragsteller erneuert im Rekurs seine Behauptung, die Neuheit des Anmeldungsgegenstands ergebe sich aus einem Kegelwinkel mit 80 Grad, zumal dieser keiner der Vorveröffentlichungen zu entnehmen sei. Die Erfindung liege nicht in der geometrischen Veränderung, sondern im Ziel einer höheren Wirkleistung. Der Prüfer sei voreingenommen gewesen und habe nicht verstanden, warum ein Überschreiten des Grenzwinkels von α 45 Grad kontraproduktiv sei.
3. Da sich das Rekursvorbringen in weiten Teilen mit dem Vorbringen des Antragstellers im Verfahren erster Instanz deckt und weil das Rekursgericht die sich mit all diesen Argumenten ausführlich auseinandersetzenden Ausführungen der Technischen Abteilung für zutreffend erachtet, ist vorweg zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu verweisen (§ 139 Abs 2 PatG iVm § 60 Abs 2 AußStrG).
4.1. Hervorzuheben ist zunächst, dass die (auch) im Rekurs mehrfach erwähnte „Einreichung aus den 70er Jahren“ nicht aktenkundig und damit auch nicht Gegenstand der Entscheidung ist. Dazu hat die Technische Abteilung aber bereits im 2. Vorbescheid darauf hingewiesen, dass diese nicht mehr vorliegt. Wesentlich ist dabei, dass es zu keiner Eintragung kam, was auch der Rekurs nicht in Zweifel zieht. Diese (Vor )Anmeldung wurde nie veröffentlicht, bildet daher keinen Stand der Technik und steht daher auch mit der vorliegenden Patentanmeldung in keinem Bezug. Dass der Rekurswerber nicht wusste, dass Patentanmeldungen (im Gegensatz zu den 1970 er Jahren) bereits vor der Patenterteilung veröffentlicht werden und er nicht darauf hingewiesen wurde, ist ihm selbst anzulasten, denn die entsprechende Änderung des § 101 PatG erfolgte durch die Patentgesetznovelle 2004 (siehe etwa Wiltschek, PatR 3 § 101 PatG Anm 5 [Wiedergabe der ErlRV]; Weiser, PatG-GMG 3 428).
4.2. Für eine unsachliche Voreingenommenheit der Technischen Abteilung bestehen keine Anhaltspunkte, sondern sie hat vielmehr objektiv und auf Basis technisch ohne Weiteres nachvollziehbarer Vorhalte begründet, warum eine Eintragung des Anmeldungsgegenstands nicht in Betracht kommt.
4.3. Der Antragsteller argumentiert insbesondere mit angeblichen Vorteilen seiner Erfindung gegenüber dem Stand der Technik, übersieht dabei aber, dass diese Vorteile aus den Merkmalen der Ansprüche – und auch aus der knappen Beschreibung – nicht ableitbar sind.
Die ins Treffen geführten Unterschiede zwischen der Anmeldung und dem Stand der Technik sind Argumente zur Neuheit des Anmeldungsgegenstands, die im Zurückweisungsbeschluss zutreffend nicht bestritten wurde; sie sind aber keine überzeugenden Argumente für eine ausreichende erfinderische Tätigkeit.
Nach den von der Technischen Abteilung ins Treffen geführten Vorveröffentlichungen ergibt sich für den Fachmann die technische Lehre des Anmeldungsgegenstands in naheliegender Weise:
Anspruch 1 unterscheidet sich von der Entgegenhaltung D3 nur durch einen geringfügigen Winkelunterschied von 10 Grad und ist damit nicht erfinderisch. Es ist zu erwarten, dass der Durchschnittsfachmann diesen Winkel aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils tatsächlich vorgeschlagen hätte (17 Ob 24/09t = ÖBl 2010/28, Nebivolol mwN; RIS-Justiz RS0130386).
Anspruch 2 liegt innerhalb des Fachwissens eines Durchschnittsfachmanns im Bereich der Konstruktion von Windrädern, weil das darin genannte Übersetzungsverhältnis bei schräg stehenden Achsen auf unterschiedliche Arten zu realisieren ist und schon den Entgegenhaltungen D1 bis D3 verschiedenste Varianten zu entnehmen sind.
4.4. Die Anregung, im Rekursverfahren zur Prüfung von Neuheit und Erfindungshöhe „externe Experten“ beizuziehen, ist bereits wegen der vertieften Prüfung durch die Technische Abteilung an sich unbeachtlich, zumal der Antragsteller die implizite Entscheidung über seinen in der Äußerung vom 22.12.2014 gestellten Ablehnungsantrag im Verfahren vor der Technischen Abteilung akzeptiert hat (s aber auch oben Punkt 4.2.). Der Rekurswerber übersieht aber auch, dass auch dem Senat des Rekursgerichts nach § 146 Abs 1 PatG eine Person mit besonderer Fachkunde angehört.
5. Unter diesen Umständen bedarf der aus dem Grund des § 100 Abs 1 PatG erfolgte Zurückweisungsbeschluss der Technischen Abteilung keiner Korrektur.
6. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf, weil die Frage der erfinderischen Tätigkeit stets einzelfallbezogen zu beurteilen ist, ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der wie hier rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Patentschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.