133R1/17w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Wortbildmarke AT 270884 über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 19.7.2016, WM 110/2013-8, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird abgewiesen.
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Die Antragstellerin beruft sich auf folgende internationale Wort(bild)marken und folgende von diesen Marken erfassten Waren und Dienstleistungen:
a) CTM 4880209
in Bezug auf die Waren und Dienstleistungen der Klassen
jeweils in Bezug auf die für sie eingetragenen Waren und Dienstleistungen der Klassen
jeweils in Bezug auf die Dienstleistungen der Klasse
Sie widersprach der Wortbildmarke AT 270884
eingetragen für die Waren und Dienstleistungen der Klassen
Die angegriffene Marke sei wegen der Waren- und Dienstleistungsidentität und/oder -ähnlichkeit sowie wegen der Zeichenähnlichkeit zur Verwechslung mit den (bekannten) Widerspruchsmarken geeignet.
Das Patentamt wies den Widerspruch im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass zwar teilweise hohe Ähnlichkeiten der Waren und Dienstleistungen gegeben seien, jedoch wegen der prägenden Zeichenteile der angegriffenen Marke nur eine sehr schwache bildliche Ähnlichkeit. Die Aussprache der angegriffenen Marke mache einen Interpretationsaufwand notwendig. Daher könne generell davon ausgegangen werden, dass die beteiligten Verkehrskreise diesem Zeichen eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken müssen. Ohne diese Aufmerksamkeit wäre die Marke akustisch weder aussprechbar noch vergleichbar, sondern würde nur als Bild gesehen werden. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit führe dazu, dass die Unterschiede zwischen den Zeichen stärker wahrgenommen werden. Wegen der den Gesamtcharakter prägenden Eigentümlichkeit der angegriffenen Marke sei nicht von einer Verwechslungsgefahr auszugehen.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Antragstellerin aus den Rekursgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen, die angefochtene Marke hinsichtlich aller Waren und Dienstleistungen zu löschen, den Rekursgegnern die Verfahrenskosten aufzuerlegen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Die Antragsgegner beantragten dem Rekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Im Widerspruchsverfahren ist – mit gewissen, hier nicht interessierenden Ausnahmen – das AußStrG sinngemäß anzuwenden (vgl OLG Wien 34 R 70/16p uva).
Eine mündliche Verhandlung findet im Rekursverfahren nach § 52 Abs 1 erster Satz AußStrG nur statt, wenn das Rekursgericht eine solche für erforderlich erachtet. Selbst bei Vorliegen eines Antrags ist eine solche nicht zwingend vorzunehmen (RIS-Justiz RS0120357; zustimmend Klicka in Rechberger, AußStrG2 § 52 Rz 1).
Besondere Sachverhaltsfragen stellen sich hier nicht und auch die Rechtslage ist nicht von besonderer Komplexität. Die Beurteilung der Unterscheidungskraft ist in der Regel eine Rechtsfrage (vgl ÖBl 1994, 227, Ritter/Knight; stRsp RIS-Justiz RS0043640). Daher steht auch Art 6 EMRK dem Unterbleiben einer Verhandlung nicht entgegen (VfGH B 681/2012; 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS; Dokalik in Kucsko/Schumacher, marken.schutz2 § 37 Rz 19).
2. Gemäß § 29a iVm § 30 Abs 1 Z 2 MSchG ist auf Widerspruch des Inhabers einer früher angemeldeten noch zu Recht bestehenden Marke eine Marke zu löschen, wenn die Marken und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marken eingetragen sind, gleich oder ähnlich sind und wenn dadurch für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht würde.
2.1 Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betroffenen Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören – ausgehend vom Registerstand (RIS Justiz RS0066553 [T13]; ua) – insbesondere ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen (vgl C 39/97, Cannon/Canon [Rn 23]; Koppensteiner, Markenrecht 4 117 mwN bei FN 108).
2.2 Für den Begriff der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr gilt ein gemeinschaftsweit einheitlicher Maßstab, den der EuGH in mehreren Entscheidungen konkretisiert hat (zB C 191/11 P, Yorma’s, Rn 43; EuG T 599/10, Eurocool, Rn 97); dem folgt auch die ständige österreichische Rechtsprechung. Danach ist die Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (ÖBl 2001, 159, T One mwN; ÖBl 2003, 182, Kleiner Feigling ua; RIS Justiz RS0121500 [insb T4], RS0121482, RS0117324; 4 Ob 238/04k; 4 Ob 154/06k; 17 Ob 1/08h; 17 Ob 32/08t; 4 Ob 7/12a; 4 Ob 139/13i und 4 Ob 228/14d; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 51 ff mwN).
2.3 Eine umfassende Beurteilung bedeutet, dass auf die Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere die Ähnlichkeit der Marken, ihre Kennzeichnungskraft und die Ähnlichkeit der von ihnen erfassten Waren oder Dienstleistungen Bedacht zu nehmen ist (vgl RIS-Justiz RS0121482). So kann eine höhergradige Gleichartigkeit der erfassten Waren oder Dienstleistungen eine geringere Ähnlichkeit der Marken ausgleichen und umgekehrt (C 39/97, Cannon/Canon ). Folge dieser Wechselwirkung ist, dass bei Waren- oder Dienstleistungsidentität ein wesentlich deutlicherer Abstand der Zeichen selbst erforderlich ist, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen (RIS Justiz RS0116294; 4 Ob 36/04d, Firn; 17 Ob 36/08f, Kobra/cobra-couture.at; Koppensteiner, Markenrecht 4 111 mwN).
2.4 Bei einem aus Wort und Bild zusammengesetzten Zeichen ist in der Regel der Wortbestandteil für den Gesamteindruck maßgebend, weil der Geschäftsverkehr sich meist an diesem Wort – sofern es unterscheidungskräftig ist – zu orientieren pflegt und vor allem dieses Wort im Gedächtnis behalten wird (RIS-Justiz RS0066779; Koppensteiner, Markenrecht 4 116). Das Recht an einer Wortbildmarke wird daher regelmäßig auch durch solche Zeichen verletzt, die nur den unterscheidungskräftigen Wortbestandteil in einer zur Herbeiführung von Verwechslungen geeigneten Weise wiedergeben (ÖBl 1988, 154, Preishammer; ÖBl 1996, 279, Bacardi/Baccara; 4 Ob 119/02g; 4 Ob 10/03d, More ).
2.5 Verwechslungsgefahr ist in der Regel schon dann anzunehmen, wenn Übereinstimmung in einem der Kriterien Bild, Klang oder Bedeutung besteht (4 Ob 330/97a = ÖBl 1998, 246, Go; 4 Ob 55/04y = RIS Justiz RS0079190 [T22]; 17 Ob 36/08f, Kobra/Cobra ).
2.6 Bereits aus älteren Entscheidungen des OGH und des OPM ergibt sich, dass (unter bestimmten Voraussetzungen) ein abweichender Begriffsinhalt trotz Ähnlichkeit im Wortbild oder Wortklang die Verwechselbarkeit ausschließen kann (4 Ob 30/89 mwN; RIS-Justiz RS0079571 [T17, T18]; Om 6/11, Evolution; revölution, revoelution, revoilution; vgl zuletzt vgl 4 Ob 228/14d). Dies stimmt mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH überein, wonach Bedeutungsunterschiede die optische und klangliche Ähnlichkeit zweier Zeichen „neutralisieren“ können. Dies setzt voraus, dass zumindest eine der kollidierenden Marken aus Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, welche die Verkehrskreise ohne weiteres erfassen können (C 361/04 P, Picaro/Picasso; C 206/04 P, Zirh; C 16/06 P, Mobilix/Obelix; weitere Nachweise bei Ingerl/Rohnke, Markengesetz 3 § 14 Rz 928; und bei Onken in Beck’scher Online-Kommentar Markenrecht [Stand 1.12.2014] § 8 Rz 22; vgl auch BGH I ZR 102/07, GRUR 2010, 235, AIDA/AIDU, mwN zur deutschen Rsp).
2.7 Die Frage der Verwechslungsgefahr ist zudem eine Rechtsfrage und daher grundsätzlich auch keinem Beweisverfahren zugänglich (ÖBl 1994, 227, Ritter/Knight; stRsp RIS-Justiz RS0043640).
3. Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht im vorliegenden Fall keine Verwechslungsgefahr.
3.1 Vorauszuschicken ist, dass die als unrichtige Tatsachenfeststellung beanstandeten Beurteilungen in Bezug auf die Waren- und Dienstleistungsähnlichkeit sowie in Bezug auf die Ähnlichkeit der Markenbilder, der Markenklänge und zum Markenvergleich insgesamt nicht unter diesem Rekursgrund fallen, sondern unter jenem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu prüfen sind.
Die kritisierte Beurteilung des Eindrucks der beteiligten Verkehrskreise ist nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen; sie ist (nur dann) eine Tatfrage, wenn dies nicht der Fall ist (RIS-Justiz RS0039926 [insb T26, T28]; jüngst 4 Ob 63/15s, Kornspitz [Nichtigkeitsverfahren]). Eine Beweisaufnahme ist daher nur geboten, wenn im konkreten Fall Zweifel bestehen, dass die strittige Frage allein aufgrund der Lebenserfahrung der zur Entscheidung berufenen Organe nicht beantwortet werden kann (17 Ob 27/11m, Red Bull/Run Cool mwN). Dies wird von der Antragstellerin aber nicht behauptet.
3.2 Die monierte Beurteilung der Unähnlichkeit der Dienstleistungen der Klasse 35 der angegriffenen Marke zu den Waren und Dienstleistungen der Widerspruchsmarken (insbesondere in den Klassen 9, 16, 25 und 43) ist – was noch erläutert wird – für die Gesamtbeurteilung nicht entscheidend. Dennoch wird die Einschätzung des Patentamts gebilligt. Die Klasse 35 umfasst im Wesentlichen Dienstleistungen, die von Personen oder Organisationen erbracht werden, deren Haupttätigkeit
a) die Hilfe beim Betrieb oder der Leitung eines Handelsunternehmens, oder
b) die Hilfe bei der Durchführung von Geschäften oder Handelsverrichtungen eines Industrie- oder Handelsunternehmens ist,
sowie Dienstleistungen von Werbeunternehmen, die sich in Bezug auf alle Arten von Waren oder Dienstleistungen hauptsächlich mit Mitteilungen an die Öffentlichkeit und mit Erklärungen und Anzeigen durch alle Mittel der Verbreitung befassen. Diese Klasse enthält insbesondere das Zusammenstellen verschiedener Waren (ausgenommen deren Transport) für Dritte, um den Verbrauchern die Ansicht und den Erwerb dieser Waren zu erleichtern. Diese Dienstleistungen können von Einzelhandelsgeschäften, Großhandelsverkaufsstellen, durch Verkaufsautomaten, Versandkataloge oder mit Hilfe elektronischer Medien, zB über Websites oder Teleshopping-Sendungen, erbracht werden. Sie umfasst auch Dienstleistungen von Werbeagenturen sowie Dienstleistungen, wie die Verteilung von Prospekten (direkt oder durch die Post) oder das Verteilen von Warenmustern (Warenproben).
Ausgehend davon kann nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem objektiven Verkehrsverständnis (vgl Om 3/09, Arccos/Archos ; OLG Wien 34 R 9/15s, Gaga/Lady Gaga; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 107) weder eine Ähnlichkeit im Verwendungszweck noch eine funktionelle oder subjektive Komplementarität zu den Waren und Dienstleistungen der Marke der Antragstellerin gesehen werden. Es handelt sich um keine in einem engen Zusammenhang stehenden Waren und/oder Dienstleistungen, die den Verbraucher annehmen lassen, diese stammen von einem Unternehmen oder von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen.
3.3 Wenn die Antragstellerin in der Rechtsrüge die Würdigung der Bekanntheit ihrer Marken als unangemessen beanstandet und auf das „TNS-Infratest Umfrageergebnis zur Bekanntheit AIDA“ verweist, bekämpft sie erkennbar die darauf abzielenden Tatsachenfeststellungen.
Ungeachtet des Umstands, dass dieser Rekursgrund nicht gesetzmäßig ausgeführt wurde (vgl allgemein RIS-Justiz RS0041835), ist die Begründung des Patentamts ausreichend nachvollziehbar. Die vorgelegte Umfrage steht weder örtlich noch zeitlich in einem unmittelbar verwertbaren Konnex, der Rückschlüsse auf die österreichischen Verkehrskreise zuließe.
Selbst unter der Annahme einer erhöhten Kennzeichnungskraft der Marken der Antragstellerin als offenkundige Tatsache (nur in diesem Fall im Rahmen der Rechtsrüge geltend zu machen) besteht aus nachstehenden Gründen trotzdem keine Verwechslungsgefahr.
3.4 In der anzustellenden Gesamtbetrachtung ist der Abstand zwischen den Marken so weit, dass das angegriffene Zeichen nicht jenen der Antragstellerin oder ihrem Unternehmen zugeordnet werden würde. Aus Sicht des Rekursgerichts besteht nicht nur begrifflich ein Unterschied, sondern vor allem bildlich. Auch wenn die offene und stilisierte Schreibweise des Buchstaben „A“ in der angegriffenen Marke mitunter auch von anderen Markeninhabern verwendet wird, steigert die konkrete Buchstabenkombination und -gestaltung die Aufmerksamkeit, weil aufgrund der konkreten Schriftgestaltung keine oberflächlich-rasche Les- und Erfassbarkeit gegeben ist. Erst bei etwas konzentrierter Wahrnehmung und einer entsprechenden Entschlüsselung wird die Buchstabenfolge lesbar, die für sich genommen wiederum keine Bedeutung/keinen Wortsinn hat. Dies erzeugt eine interpretationsbedürftige Eigentümlichkeit, die sich klar genug von den angreifenden Marken abhebt. In diesem Zusammenhang spielen daher klangliche Unterschiede eine untergeordnete Rolle und andere Gemeinsamkeiten werden neutralisiert; so auch in Bezug auf Waren- und Dienstleistungsidentitäten und/oder -ähnlichkeiten.
Dem gegenüber hat „AIDA“ als Wort/Wortbestandteil in den angreifenden Marken für sich genommen nicht nur wegen der konkreten Zuordnung als Vorname sondern auch in Kombination mit der bekannten Verdi-Oper eine eigentümliche Stellung. „AIDA“ ist – egal ob die Marken der Antragstellerin eine erhöhte Kennzeichnungskraft haben - phonetisch, bildlich und begrifflich leicht zu erfassen und erfordert keinen weiteren Nachdenkprozess.
„AVIDA“ bleibt für sich genommen ein Fantasiebegriff, der sich neben seinem Erscheinungsbild und seiner klanglichen Wahrnehmung nicht zuletzt begrifflich doch deutlich von den Marken der Antragstellerin abgrenzt, wodurch die angeführten Ähnlichkeiten neutralisiert werden.
Im Ergebnis bedarf daher die Entscheidung des Patentamts keiner Korrektur.
4. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist, ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.
5. Ein Kostenersatz findet nach § 139 Z 7 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG nicht statt.