34R111/16t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen Gewährung des Schutzes der internationalen Wortmarke ADVOCA (IR 1271227) über den Rekurs des Antragstellers gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 22.8.2016, IR 434/2016 4, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Der Antragsteller ist Inhaber dieser internationalen Wortmarke IR 1271227 mit Priorität vom 24.8.2015 (DE 398 41 415)
ADVOCA ,
eingetragen für diese Dienstleistungen der Klasse:
45 Legal advice and representation.
Der Antragsteller brachte zum Zulassungsantrag vor, das Zeichen sei keine geringfügige Abwandlung des Worts „advocate“, sondern eine phantasievolle Wortneuschöpfung ohne konkrete Bedeutung und zugleich eine lexikalische Erfindung. Außerdem habe das Patentamt ähnliche Marken registriert und das Zeichen sei in Deutschland zum Schutz zugelassen worden.
Mit dem angefochtenen Beschluss verweigerte das Patentamt den Schutz in Österreich zur Gänze. Das Zeichen sei zwar nicht beschreibend iSv § 4 Abs 1 Z 4 MSchG, doch fehle es ihm an der nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG erforderlichen Unterscheidungskraft. Die beteiligten Verkehrskreise würden ADVOCA nur als geringfügige Abwandlung des englischen Worts „advocate“ oder des deutschen Begriffs „Advokat“ verstehen; beides bezeichne einen Anwalt und damit werde ohne weitläufige Gedankenoperationen der gedanklich-assoziative Bezug zur gekennzeichneten Dienstleistung hergestellt. Registrierungen anderer Marken seien nicht präjudiziell.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene und auf „ersatzlose Aufhebung“ gerichtete Rekurs ist nicht berechtigt.
1.1. Rechtsfolge der beim Internationalen Büro der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) in Genf vorgenommenen Registrierung einer internationalen Marke ist grundsätzlich, dass sie in jedem Vertragsstaat (auf den sich der Schutz erstreckt, vgl Art 3 bis Abs 1 MMA und Art 3 ter PMMA) so geschützt ist, wie wenn sie in jedem der betroffenen Vertragsländer unmittelbar hinterlegt (eingetragen) worden wäre (Art 4 Abs 1 S 1 MMA, Art 4 Abs 1 lit a S 1 PMMA; Koppensteiner, Markenrecht 4 243; 4 Ob 128/03g; Om 4/10).
1.2. Die Behörde eines Verbandslandes, der eine internationale Registrierung notifiziert wurde, kann diese wie eine nationale Anmeldung prüfen, sie ist bei der Prüfung allerdings gemäß Art 5 MMA/PMMA auf die in Art 6 quinquies Teil B Z 2 der PVÜ genannten Gründe beschränkt ( Ullrich in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 2 Rz 84 f).
1.3. Im Fall der Versagung des Schutzes einer internationalen Marke durch das österreichische Patentamt hat der Antragsteller dieselben Rechtsmittel, die er hätte, wäre ein Eintragungsantrag im Schutzverweigerungsland gestellt worden, er kann dagegen also auch mit Rekurs nach § 37 MSchG vorgehen (Koppensteiner, Markenrecht 4 243 mwH; Ullrich in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 2 Rz 101).
2. Nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG sind Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft haben.
2.1. Ob einer Waren-/Dienstleistungsbezeichnung Unterscheidungskraft zukommt, ist anhand des Gesamteindrucks des Zeichens zu beurteilen ( Koppensteiner, Markenrecht 4 82; RIS-Justiz RS0079038).
Unterscheidungskräftig ist eine Marke, wenn sie unmittelbar als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen wahrgenommen werden kann, so dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Waren oder Dienstleistungen des Markeninhabers ohne Verwechslungsgefahr von denen mit anderer betrieblicher Herkunft unterscheiden können (C 108/97, Chiemsee; C 104/00 P, Companyline; EuG T 471/07, Tame it [Rn 15] mwN; C 398/08, Vorsprung durch Technik; RIS-Justiz RS0118396; zuletzt etwa 4 Ob 10/14w, Jimi Hendrix; oder 4 Ob 49/14f, My TAXI ).
2.2. Fehlt die Unterscheidungskraft, so kann das Zeichen die Hauptfunktion der Marke als betrieblicher Herkunftshinweis nicht erfüllen (OBm 1/11, OXI-Effekt mwN; 4 Ob 38/06a, Shopping City mwN; RIS-Justiz RS0118396 [T7]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft die Eintragung verhindert, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (OBm 3/12, Lounge.at, unter Hinweis auf BGH I ZB 22/11, Starsat; OBm 1/13, Malzmeister mwN; ähnlich RIS-Justiz RS0122383). Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Marke im Zweifel zuzulassen ist (vgl EuGH C 104/01, Orange, Rn 58 und 59; C 64/02, Das Prinzip der Bequemlichkeit ).
2.3. Die Unterscheidungskraft ist anhand der konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen, für die das Zeichen angemeldet wurde, nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Branchenüblichkeit zu prüfen (Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 57; 4 Ob 10/14w, Jimi Hendrix mwN). Abzustellen ist auf die Wahrnehmung der beteiligten Verkehrskreise, also auf den Handel und/oder den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher dieser Waren und Dienstleistungen (Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 67 mwN der Rsp; Ingerl/Rohnke, MarkenG 3 § 8 Rz 73; C 104/01, Orange, Rn 46 und 63; RIS-Justiz RS0079038 [T1]; RIS Justiz RS0114366 [T5]).
2.4. Die Gründe nach § 4 Abs 1 Z 3 bis 5 MSchG (Art 3 Abs 1 lit b bis d MarkenRL) sind zwar nach der Rsp des EuGH gesondert zu prüfen (C 304/06, Eurohypo ). Unterscheidungskraft fehlt einer Wortmarke aber dann, wenn die maßgebenden Verkehrskreise sie als Information über die Art der mit ihr gekennzeichneten Dienstleistungen verstehen, nicht aber als Hinweis auf die Herkunft dieser Dienstleistungen (C 304/06 P, Eurohypo, Rn 69); eine beschreibende Marke iSv § 4 Abs 1 Z 4 MSchG und Art 3 Abs 1 lit c MarkenRL ist daher auch nicht unterscheidungskräftig iSv § 4 Abs 1 Z 3 MSchG und Art 3 Abs 1 lit b MarkenRL (C 363/99, Postkantoor, Rn 86). Insofern überschneiden sich daher die Anwendungsbereiche von § 4 Abs 1 Z 3 und Z 4 MSchG (OM 10/09, Lümmeltütenparty; 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS; 4 Ob 49/14f, My TAXI ).
2.5. Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten Zeichen dann als beschreibend, wenn sie für die beteiligten Verkehrskreise eine unmittelbare und ohne Weiteres erkennbare Aussage über die Art, Natur, Beschaffenheit oder Ähnliches der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen enthalten, das heißt das Publikum muss sofort und ohne weiteres Nachdenken einen konkreten und direkten Bezug zwischen dem fraglichen Zeichen und den von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen herstellen können (C 326/01, Universaltelefonbuch, Rn 33 mwN; C 494/08 P, Pranahaus; vgl auch 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS = RIS-Justiz RS0122383 [T1]; RS0117763, RS0066456, RS0066644).
2.6. Enthält das Zeichen dem gegenüber nur Andeutungen, ohne die damit bezeichnete Ware oder Dienstleistung konkret oder umfassend zu beschreiben, ist es nicht bloß beschreibend und daher auch ohne Verkehrsgeltung registrierbar (RIS-Justiz RS0109431 [T3]; RS0090799, RS0066456; 4 Ob 116/03t, immofinanz; 17 Ob 27/07f, ländleimmo; OBm 1/12, Die grüne Linie ) .
Bloße Andeutungen stehen einer Eintragung daher in der Regel nicht entgegen, solange sie nur in phantasiehafter Weise auf bestimmte Eigenschaften hinweisen, ohne sie in sprach- oder verkehrsüblicher Form unmittelbar zu bezeichnen. Stellt also ein Zeichen nur einen Zusammenhang mit einem allgemeinen Begriff her, ohne etwas Bestimmtes über die Herstellung oder Beschaffenheit der Ware oder Dienstleistung auszusagen, liegt keine beschreibende Angabe vor (17 Ob 33/08i, happykauf mwN; OBm 3/12, Lounge.at ).
Ist die angemeldete Marke mit anderen Worten nicht geeignet, beim Durchschnittsverbraucher mehrheitlich eindeutige Vorstellungen über die Art, Natur oder Beschaffenheit der Waren oder Dienstleistungen hervorzurufen, ohne dass noch weitere Überlegungen über die mit einer bestimmten Bezeichnung erzielte Aussage erforderlich wären, besitzt sie Unterscheidungskraft (vgl OBm 3/11, Atelier Prive; OBm 2/13, Primera ua; 4 Ob 66/02p, Cornetto ).
2.7. Unterscheidungskraft haben bei Wortmarken grundsätzlich nur frei erfundene, keiner Sprache angehörende Phantasiewörter (im engeren Sinn) oder Zeichen, die zwar dem allgemeinen Sprachgebrauch angehören, jedoch mit der Ware, für die sie bestimmt sind, in keinem Zusammenhang stehen (Phantasiewörter im weiteren Sinn). Entscheidend ist, ob die Worte im Verkehr als Phantasiebezeichnungen aufgefasst werden (RIS-Justiz RS0066644).
2.8. Ob Begriffe, die einer Fremdsprache entnommen sind, unterscheidungskräftig sind, hängt davon ab, ob ihre Kenntnis im Inland im Prioritätszeitpunkt so weit verbreitet war, dass der inländische Verkehr einen die Kennzeichnungsfunktion ausschließenden Sinngehalt erkennen konnte (4 Ob 7/05s = wbl 2005, 387, car care; 4 Ob 28/06f, Firekiller; 17 Ob 21/07y, Anti-Aging-Küche; 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS ). Das kann selbst dann zutreffen, wenn die Bezeichnung in der Fremdsprache selbst nicht gebräuchlich ist (4 Ob 277/04w, Powerfood; 4 Ob 28/06f, Firekiller; 4 Ob 38/06a, Shopping City ). Englisch ist als wichtigste Handelssprache in Österreich die geläufigste Fremdsprache ( Koppensteiner, Markenrecht 4 84 mwN; RIS-Justiz RS0066456; 4 Ob 36/14v, selective/line ).
3. Auf dieser Grundlage fehlt dem Zeichen die erforderliche Unterscheidungskraft. Das Rekursgericht hält die Begründung des Patentamts für zutreffend, sodass auf sie verwiesen werden kann (§ 39 PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG und § 60 Abs 2 AußStrG).
3.1. Auch wenn es grundsätzlich im Sinn des Rekursvortrags zutrifft, dass bei Begriffen, die toten Sprachen - wie hier Latein - entnommen sind, grundsätzlich von der Schutzfähigkeit ausgegangen werden kann, so trifft dies in concreto nicht zu, weil der an das lateinische Wort „advocatus“ angelehnte deutsche Begriff „Advokat“ (ebenfalls) einen Rechtsanwalt bezeichnet, wie bereits das Patentamt zutreffend betont hat (weiterführend etwa Ingerl/Rohnke, MarkenG 3 § 8 Rz 85 und 90 mwH).
3.2. Die Verwendung von Abkürzungen ist im Bereich von Unternehmenskennzeichen nicht ungewöhnlich (weiterführend Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 193 f); sie hat dementsprechend keinen weiteren Auffälligkeits- oder besonderen Erinnerungswert (OLG Wien, 34 R 160/15x, E.COM ). Hier ist auch auf den beanspruchten Schutzumfang Bedacht zu nehmen, der es ohne Weiteres nahelegt, das Zeichen ADVOCA nicht als Phantasiebezeichnung, sondern sofort und ohne nennenswerte Gedankenoperationen als Hinweis auf die unter der Marke zu erbringenden Dienstleistungen zu verstehen.
Es liegt im Kontext von Rechtsberatung und -vertretung geradezu auf der Hand, die Marke entweder bildlich auf „advoca[te]“ zu ergänzen oder rein klanglich auf „Advo[k]a[t]“ zu vervollständigen und damit ohne relevanten Umschweife auf den Schutzumfang rückzuschließen (allgemein Ströbele in Ströbele/Hacker, MarkgenG 11 § 8 Rz 174 [Druck- oder Hörfehler]).
3.3. Aus Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise ist die beantragte Marke damit nicht geeignet, die Ursprungsidentität der darunter vertriebenen Dienstleistungen zu garantieren, sodass das Zeichen nicht nur im Sinn des Zugeständnisses im Rekurs (Punkt 1.c) „eine sehr geringe“, sondern keine Unterscheidungskraft nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG hat.
3.4. Da das im Rekurs am Rand diskutierte Eintragungshindernis des § 4 Abs 1 Z 4 MSchG einen Unterfall von § 4 Abs 1 Z 3 MSchG bildet (OM 10/09, Lümmeltütenparty; 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS; 4 Ob 49/14f, My TAXI ) und sich zudem die Rechtsabteilung im angefochtenen Beschluss nicht auf diesen Abweisungsgrund gestützt hat, erübrigt sich an sich ein weiteres Eingehen auf die dazu vorgetragenen Argumente des Antragstellers. Das Rekursgericht ist allerdings der Auffassung, dass die angesprochenen Verkehrskreise ohne Weiteres, das heißt ohne längeren Denkprozess und ohne Unklarheiten, die Marke auch als beschreibenden Hinweis auf den beanspruchten Schutzumfang verstehen könnten (EuGH C 80/09 P, Patentconsult, Rz 42 ff; 4 Ob 49/14f, My Taxi : beschreibend für die Hilfestellung beim Auffinden eines freien Taxis; OLG Wien 34 R 31/14z, ECONOMY DIESEL; 34 R 22/15b, BOOK AND COOK; 34 R 140/15f, HEAT NOT BURN TECHNOLOGY uva [RIS-Justiz RW0000784]).
3.5. Auf das weitere Argument des Rechtsmittelwerbers, dass unter anderem in Deutschland die nationale Schutzzulassung für die internationale Marke erfolgt sei, ist nicht näher einzugehen, weil – wie die Rechtsabteilung bereits zutreffend betont hat – eine präjudizielle Bindung zu verneinen ist (RIS-Justiz RS0125405 [Patent]; C 37/03 P, BioID, Rn 47; C 39/08 und C 43/08, Schwabenpost und Volks.Handy, Rn 39; Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 75 ff mwN; Koppensteiner, Markenrecht 4 70).
Dass die Eintragungsfähigkeit einer Internationalen Marke unterschiedlich beurteilt werden kann, ist im Madrider System grundgelegt; die Gewährung oder die Verweigerung von Schutz in anderen Staaten kann daher im nationalen Verfahren nur nach Maßgabe der Überzeugungskraft der jeweiligen Gründe berücksichtigt werden (4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS) .
4. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0111880), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.