15R179/16b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Pisan als Vorsitzende, den Richter und die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Weixelbraun und Dr. Faber in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH , *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Ehrnberger, Rechtsanwalt in Purkersdorf, gegen die beklagte Partei Branko J*****, *****, wegen EUR 17.254,- s.A., über den Kostenrekurs der klagenden Partei (Rekursinteresse: EUR 3.121,94) gegen die Kostenentscheidung im Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 11.10.2016, 29 Cg 15/16p-10, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass sein Punkt 3 lautet: „Die Kosten des nichtigen Verfahrens und des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 263,16 (darin enthalten EUR 43,86 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt die Zahlung von EUR 17.254,- Zug um Zug gegen Rückgabe eines näher bezeichneten PKW. Sie habe den PKW vom Beklagten um EUR 15.700,- mit der Zusage eines Kilometerstands von 103.000 km gekauft. Nachträglich habe sich herausgestellt, dass der tatsächliche Kilometerstand 300.000 km betragen habe. Sie begehre daher die Rückzahlung des Kaufpreises sowie den Ersatz der an die KFZ-Werkstätte geleisteten Standgebühr.
Als Adresse des Beklagten gab die Klägerin „P*****gasse 10-11, ***** Wien“ an. Nach der Hinterlegungsmittelung wurde die Klage zur Abholung ab 12.4.2016 hinterlegt, aber nicht behoben. Auf dem rückgesendeten Kuvert ist die Adresse des Beklagten durchgestrichen, daneben findet sich der handschriftliche Vermerk „3-9/3/10“. Eine Klagebeantwortung langte in der Folge nicht ein.
Mit Beschluss vom 17.5.2016 erließ das Erstgericht über Antrag der Klägerin ein Versäumungsurteil .
Dagegen erhob der Beklagte mit Schriftsatz vom 2.6.2016 Nichtigkeitsberufung mit der Begründung, er habe keine Hinterlegungsanzeige erhalten und die Klage sei ihm nicht zugestellt worden, sowie Widerspruch. Er gab seine Adresse mit „P*****gasse 10/11“ (anstatt „10-11“) an.
Am 5.9.2016 führte das Erstgericht eine mündliche Verhandlung zur Frage der Zustellung der Klage durch, in der der Beklagte Kosten für die Berufung und für die Teilnahme an der Verhandlung von EUR 3.121,94 verzeichnete.
Mit Beschluss vom 11.10.2016 gab das Erstgericht der Berufung nach § 469 Abs 3 ZPO selbst Folge, hob das Versäumungsurteil und das diesem vorangegangene Verfahren bis einschließlich der Klagezustellung als nichtig auf und traf die angefochtene Kostenentscheidung , mit der es die Klägerin zum Ersatz der „Kosten des Berufungsverfahrens“ von EUR 3.121,94 verpflichtete (Punkt 3 des Beschlusses).
Es legte seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:
„Im Rahmen des Zustellversuchs am 11.4.2016 an den Beklagten vermerkte der Zusteller Gregor F***** handschriftlich auf dem hybriden Rückschein den Zusatz '3-9/3/10'. Es kann nicht festgesetllt werden, ob Gregor F***** das Schriftstück in dem Postkasten zu der Adresse ***** Wien, P*****gasse 10, Tür 11 oder zu der Adresse ***** Wien, P*****gasse 3-9/Stiege 3/Tür 10 hinterlegte. Der Beklagte erhielt die Klage und die Aufforderung zur Klagebeantwortung nicht.“
Die Kostenentscheidung stützte das Erstgericht auf § 51 Abs 1 ZPO. Die Klägerin treffe ein Verschulden an der Aufhebung des Verfahrens als nichtig, weil sie die Adresse des Beklagten mit „P*****gasse 10-11“ anstatt „P*****gasse 10/11“ angegeben und dadurch das Missverständnis des Zustellers ausgelöst habe.
Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, Kostenaufhebung „im Berufungsverfahren“ auszusprechen.
Der Beklagte beantragt, dem Kostenrekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Richtet sich eine auf den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Berufung gegen ein Versäumungsurteil, so kann das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, der Berufung selbst stattgeben. Gegen die Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig (§ 469 Abs 3 ZPO).
Diese Bestimmung wurde mit dem BudgetbegleitG 2011 (BGBl I 111/2010) eingeführt. Ihr Zweck besteht darin, dem Erstgericht, das nach § 469 Abs 1 letzter Satz ZPO die Erhebungen über behauptete Zustellmängel durchführen muss, nach dem Vorbild des § 522 ZPO und § 50 AußStrG die Möglichkeit zu geben, selbst über die Berufung zu entscheiden. Damit solle eine rasche Entscheidung über die Berufung und eine schnellere Fortsetzung des Verfahrens erreicht werden (EB Blg NR 981, 24. GP, zu § 469 Abs 3 ZPO).
Zur Frage der Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung in einer stattgebenden Berufungsentscheidung des Erstgerichts wird weder in § 469 ZPO noch in den Materialien Stellung genommen. Nach Ansicht des Rekursgerichts erstreckt sich der Rechtsmittelausschluss jedoch nicht auf die in die Berufungsentscheidung aufgenommene Kostenentscheidung.
So ist verfahrensrechtlich auch eine im Urteil enthaltene Kostenentscheidung nicht Urteilsinhalt ( Obermaier , Kostenhandbuch² Rz 77). Die verfahrensrechtliche Selbständigkeit der Kostenentscheidung zeigt sich auch darin, dass die Unanfechtbarkeit der Entscheidung einer prozessualen Frage nicht zwingend die in die Entscheidung aufgenommene Kostenentscheidung erfasst.
So ist zwar gegen den Beschluss, wodurch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt wird, nach § 153 ZPO ein Rechtsmittel nicht zulässig. Rekurse gegen die in die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag aufgenommene Kostenentscheidung sind jedoch trotz § 153 ZPO zulässig, und zwar unabhängig davon, ob die Wiedereinsetzung bewilligt wurde oder nicht ( Deixler-Hübner in Fasching-Konecny , ZPO³, § 153 Rz 6; EFSlg 105.772; OLG Wien, 15 R 113/03b: Rekurs des Wiedereinsetzungsgegners gegen die im Beschluss über die Bewilligung der Wiedereinsetzung enthaltene Kostenentscheidung).
Entsprechend wird auch über Kostenrekurse, die sich gegen Kostenentscheidungen in unanfechtbaren Beschlüssen richten, inhaltlich entschieden; so etwa über einen Rekurs gegen die Kostenentscheidung in einem nach § 397a Abs 3 ZPO unanfechtbaren Beschluss, mit dem aufgrund eines rechtzeitigen Widerspruchs das Versäumungsurteil aufgehoben wurde (OLG Innsbruck, 1 R 81/02z) und über einen Rekurs gegen die Kostenentscheidung in einem Urkundenvorlageauftrag nach § 82 Abs 1 ZPO (OLG Wien, 16 R 134/16t), obwohl gegen den einem Antrag nach § 82 Abs 1 ZPO stattgebenden Beschluss ein Rechtsmittel nicht zulässig ist (4 Ob 44/05g).
Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses, mit dem das Erstgericht der Berufung nach § 469 Abs 3 ZPO selbst stattgibt, erfasst daher nicht die darin aufgenommene Kostenentscheidung.
2. Die Klägerin bringt vor, der Beklagte habe seine Adresse im Kaufvertrag selbst mit „P*****gasse 10-11“ angegeben; diese Angabe habe sie übernommen.
Es mache zudem keinen Unterschied, ob die Adresse mit „10-11“ oder mit „10/11“ angegeben werde. Gerade ein Zusteller müsse erkennen, dass das Haus 10 und die Türnummer 11 gemeint seien, zumal es ein Haus „P*****gasse 10-11“ gar nicht gebe. Hätte der Zusteller Zweifel an der Adressangabe gehabt, hätte er das Zustellstück mit einem entsprechenden Vermerk zurücksenden müssen; eine Hinterlegung im Haus P*****gasse 3-9 sei nicht nachvollziehbar. Das Verschulden an der mangelhaften Zustellung treffe daher den Zusteller und den Beklagten selbst. Die Kosten seien daher nach § 51 Abs 2 ZPO gegenseitig aufzuheben.
Da im vorliegenden Fall nicht nur die Entscheidung, sondern auch das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben wurde, ist die Kostenentscheidung nach § 51 ZPO zu treffen ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny , ZPO³, § 51 Rz 1; vgl RIS-Justiz RS0035870).
Nach § 51 Abs 1 ZPO kann einer Partei der Ersatz der Kosten des aufgehobenen Verfahrens sowie eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens auferlegt werden, wenn das Verfahren aufgehoben oder dessen Nichtigkeit ausgesprochen wird, wenn es zugleich einer Partei zum Verschulden zugerechnet werden kann, dass das Verfahren trotz des vorhandenen Aufhebungs- oder Nichtigkeitsgrunds eingeleitet oder fortgeführt wurde, oder wenn der Grund der Aufhebung im Verschulden der Partei selbst gelegen ist. Außer diesen Fällen sind die Kosten gegenseitig aufzuheben (§ 51 Abs 2 ZPO).
Trifft daher keine der Parteien ein Verschulden an der Nichtigkeit, sind die Kosten gegeneinander aufzuheben (RIS-Justiz RS0035966 [T1]; 6 Ob 133/08i; 6 Ob 186/08h; Obermaier aaO Rz 173).
Ein Verschulden einer Partei ist – im Sinn einer typisierten Betrachtung – immer dann anzunehmen, wenn ihr culpa levissima anzulasten ist ( Obermaier aaO Rz 177). Wurde die Aufhebung des Verfahrens infolge mangelhafter Zustellung der Klage erforderlich, dann ist bei Prüfung des Verschuldens des Klägers zu prüfen, ob die mangelhafte Zustellung dadurch verursacht wurde, dass er sich nicht rechtzeitig über die richtige Anschrift der Beklagten vergewissert hat; ein Verschulden des Klägers ist idR ausgeschlossen, wenn in der Klage die dem Kläger zuletzt bekannt gegebene Anschrift angegeben wurde ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny , ZPO³ § 51 Rz 7 ZPO). Bei Zustellfehlern liegt kein Verschulden der Partei vor ( Obermaier aaO Rz 178; EFSlg 117.951).
Die Klägerin hat das Vorbringen, der Beklagte habe selbst seine Adresse mit „P*****gasse 10-11“ angegeben, erstmals im Rekurs erstattet. Auch im Rekursverfahren gilt aber das Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0042091 Obermaier aaO Rz 81), sodass dieses Vorbringen nicht zu berücksichtigen ist.
Die Klägerin rügt jedoch auch, das Verschulden an einer Fehlzustellung an der Adresse P*****gasse 3-9/3/10 trage nicht sie, sondern das Zustellorgan.
Die Angabe „P*****gasse 10-11“ bezeichnet grundsätzlich ein mit Hausnummer 10-11 bezeichnetes Gebäude. Hingegen erscheint eine Deutung als Haus Nummer 3-9 ausgeschlossen. Der Umstand, dass ein Gebäude mit der Adresse P*****gasse 10-11 nicht existiert – was die Klägerin zugesteht – hätte das Zustellorgan daher zu einem Postfehlbericht, nicht aber zu einem Zustellversuch an der Adresse P*****gasse 3-9 veranlassen müssen. Trotz des Umstands, dass die Klägerin in ihrer Klage eine nicht existente Adresse angegeben hat, trifft sie daher an einer unwirksamen Zustellung an der Adresse P*****gasse 3-9 und damit an der Nichtigkeit des Verfahrens kein Verschulden.
Nach dem festgestellten Sachverhalt hinterließ der Zusteller die Hinterlegungsanzeige entweder im Haus Nummer 3-9, woran die Klägerin kein Verschulden trifft, oder aber an der richtigen Abgabestelle des Beklagten in der P*****gasse 10 Tür 11. Auch in diesem Fall liegt kein Verschulden der Klägerin vor.
Ein Verschulden des Beklagten scheidet aus, da in erster Instanz zu einer unrichtigen Adressangabe des Beklagten gegenüber der Klägerin kein Vorbringen erstattet wurde.
Da sohin keine der Parteien ein Verschulden an der Nichtigkeit trifft, war dem Rekurs Folge zu geben und die Kostenaufhebung nach § 51 Abs 2 ZPO auszusprechen (siehe auch 15 R 46/16v). Die angefochtene Kostenentscheidung sprach erkennbar sowohl über die Kosten des nichtigen erstinstanzlichen Verfahrens als auch über die Kosten des Berufungsverfahrens ab. Gegen die Gesamtkostenentscheidung richtet sich auch der Kostenrekurs.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 11 RATG. Bemessungsgrundlage des Kostenersatzanspruchs der Klägerin ist nach § 11 RATG der aberkannte Kostenbetrag von EUR 3.121,94, nicht aber der Streitwert in der Hauptsache. Die Klägerin hat daher Anspruch auf Ersatz ihrer Rekurskosten in Höhe von EUR 263,16 (EUR 144,80 Verdienst nach TP 3A RATG, zuzüglich 50 % Einheitssatz, EUR 2,10 ERV-Zuschlag und 20 % USt).
Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.