34R79/16m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen Eintragung der Wortmarken VORSICHERUNG und VORSICHERN über die Rekurse der Antragstellerin gegen die Beschlüsse der Rechtsabteilung des Patentamts jeweils vom 2.5.2016, AM 2042/2015 2 und AM 2043/2015 2, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Rechtsmittelverfahren 34 R 79/16m und 34 R 80/16h werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; führendes Verfahren ist 34 R 79/16m.
Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt jeweils EUR 30.000,--.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Die Antragstellerin beantragte die Eintragung der Wortmarken
VORSICHERUNG
und
VORSICHERN ,
jeweils für die Dienstleistungen der Klassen 36 (Versicherungswesen, Krankenversicherung; Versicherungsberatung; Vermittlung von Versicherungen) und 44 (medizinische Dienstleistungen, Dienstleistungen von Kliniken).
Mit den angefochtenen Beschlüssen wies das Patentamt die Eintragung jeweils aus dem Grund des § 4 Abs 1 Z 3 MSchG mit der – kurz zusammengefassten – Begründung ab, die beteiligten Verkehrskreise würden in den Zeichen lediglich einen Hinweis auf den Unternehmensgegenstand der so bezeichnenden Dienstleistungen sehen, nämlich dass Dienstleistungen erbracht werden, die vor einer Gefahr im Vorhinein absichern oder sicher machen. Dieser Sinngehalt sei sowohl für den Verkehrskreis der Durchschnittsverbraucher als auch für die Fachkreise aus dem Bereich der Medizin nicht nur vage angedeutet, sondern komme im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen unmittelbar zum Ausdruck. Durch die Kombination der Worte „Vor“ und „Sicherung“ oder „Vor“ und „Sichern“ sei weder ein neuer Sinngehalt entstanden noch können die Zeichen einen Eindruck erzielen, der über das bloße Zusammenfügen hinaus gehe. Die Antragstellerin müsse sich das für sie ungünstigste Verständnis des Zeichens entgegenhalten lassen. Eine besondere Schlussfolgerung oder Gedankenoperation werde dadurch nicht hergestellt.
Dagegen richten sich die Rekurse der Antragstellerin erkennbar aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung jeweils mit dem Antrag, die Beschlüsse abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Die Rekurse sind nicht berechtigt.
1. Gemäß § 187 ZPO (gegen den heranzuziehen das Rekursgericht ungeachtet des Fehlens einer allgemeinen Verweisungsnorm im nach § 139 PatG iVm § 77c Abs 1 MSchG anzuwenden Außerstreitgesetz keine Bedenken hat; dogmatisch ist in Bezug auf § 12 Abs 2 AußStrG ein Größen- oder ein Analogieschluss zu ziehen; vgl RIS-Justiz RS0035344 [für das Insolvenzverfahren]) kann der Senat Verfahren verbinden, die zwischen den nämlichen Personen geführt werden, wenn dadurch zum Beispiel die Kosten und der Aufwand vermindert werden. Die verbundenen Verfahren können auch durch ein gemeinschaftliches Urteil entschieden werden (§ 404 Abs 2 ZPO). Die Anwendung dieser Bestimmungen ist nicht auf das Verfahren erster Instanz beschränkt (vgl Höllwerth in Fasching/Konecny 3 § 187 ZPO Rz 10; RIS-Justiz RS0037216).
Die Voraussetzung der Verbindung zur gemeinschaftlichen Entscheidung erachtet das Rekursgericht – neben der evidenten Parteiidentität – schon allein deswegen als gegeben, weil die Entscheidung im gegebenen Fall durch ein Rechtsmittel bekämpft werden könnte.
2. Nach § 4 Abs 1 Z 3 MSchG sind Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft haben.
2.1 Ob einer Waren-/Dienstleistungsbezeichnung Unterscheidungskraft zukommt, ist anhand des Gesamteindrucks des Zeichens zu beurteilen ( Koppensteiner, Markenrecht 4 82; RIS-Justiz RS0079038).
Unterscheidungskräftig ist ein Zeichen, wenn es unmittelbar als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen wahrgenommen werden kann, so dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Waren oder Dienstleistungen des Markeninhabers ohne Verwechslungsgefahr von denen mit anderer betrieblicher Herkunft unterscheiden können (C 108/97, Chiemsee; C 104/00 P, Companyline; EuG T 471/07, Tame it, Rz 15 mwN; C 398/08, Vorsprung durch Technik; RIS-Justiz RS0118396; zuletzt etwa 4 Ob 10/14w, Jimi Hendrix, oder 4 Ob 49/14f, My TAXI ).
2.2 Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft die Eintragung verhindert, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen (vgl OBm 1/13, Malzmeister mwN; ähnlich RIS-Justiz RS0122383). Dies bedeutet aber nicht, dass eine Marke im Zweifel zuzulassen ist (vgl C 104/01, Orange, Rn 58 und 59; C 64/02, Das Prinzip der Bequemlichkeit ).
2.3 Ob die Unterscheidungskraft vorliegt, ist nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Branchenüblichkeit anhand der konkret beanspruchten Waren und Dienstleistungen zu prüfen, für die das Zeichen angemeldet wurde ( Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 57; 4 Ob 10/14w, Jimi Hendrix mwN).
Abzustellen ist auf die Wahrnehmung der beteiligten Verkehrskreise, also auf einen möglichen Fachkreis und/oder den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher dieser Waren und Dienstleistungen ( Asperger in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 4 Rz 67 mwN der Rsp; C 104/01, Orange, Rz 46 und 63; RIS-Justiz RS0079038, T1; RIS Justiz RS0114366, T5; vgl zuletzt 4 Ob 77/15z, Amarillo ).
2.4 Nach der Rechtsprechung des EuGH gelten Zeichen als beschreibend, wenn sie für die beteiligten Verkehrskreise eine unmittelbare und ohne weiteres Nachdenken erkennbare Aussage über die Art, Natur, Beschaffenheit oder Ähnliches der angemeldeten Waren oder Dienstleistungen enthalten, das heißt einen konkreten und direkten Bezug zwischen dem fraglichen Zeichen und den von der Anmeldung erfassten Waren und Dienstleistungen herstellen (vgl Koppensteiner, Markenrecht 4 71 mwN; RIS-Justiz RS0109431; C 326/01, Universaltelefonbuch mwN; C 494/08p, Pranahaus; vgl zuletzt 4 Ob 11/14t, EXPRESSGLASS = RIS-Justiz RS0122383). Trifft das zu, kann auch Wortneubildungen die Unterscheidungskraft fehlen (4 Ob 38/06a, Shopping City; 4 Ob 28/06f, Firekiller; Ingerl/Rohnke, Markengesetz 3 § 8 Rz 120 mwN; RIS-Justiz RS0117763, RS0066456, RS0066644).
2.5 Enthält das Zeichen dem gegenüber nur Andeutungen, ohne die damit bezeichnete Ware oder Dienstleistung konkret oder umfassend zu beschreiben, wäre es nicht bloß beschreibend und daher registrierbar (RIS-Justiz RS0109431 [T3], RS0090799, RS0066456; 4 Ob 116/03t, immofinanz; 17 Ob 27/07f, ländleimmo; OBm 1/12, Die grüne Linie ). Bloße Andeutungen stehen einer Eintragung daher in der Regel nicht entgegen, so lange sie nur in phantasiehafter Weise auf bestimmte Eigenschaften hinweisen, ohne sie in sprach- oder verkehrsüblicher Form unmittelbar zu bezeichnen.
2.6 Unterscheidungskraft haben bei Wortmarken grundsätzlich nur frei erfundene, keiner Sprache angehörende Phantasiewörter (im engeren Sinn) oder Zeichen, die zwar dem allgemeinen Sprachgebrauch angehören, jedoch mit der Dienstleistung, für die sie bestimmt sind, in keinem Zusammenhang stehen (Phantasiewörter im weiteren Sinn). Entscheidend ist, ob die Worte im Verkehr als Phantasiebezeichnungen aufgefasst werden (RIS-Justiz RS0066644).
3. Auf dieser Grundlage ist den angemeldeten Zeichen die Unterscheidungskraft abzusprechen. Das Rekursgericht hält die Begründungen der angefochtenen Entscheidungen im Wesentlichen für zutreffend, sodass vorweg auf diese verwiesen werden kann (§ 139 Einleitungssatz PatG iVm § 37 Abs 3 MSchG und § 60 Abs 2 AußStrG).
3.1 Die Unterscheidungskraft von Wortverbindungen hängt davon ab, dass sie nicht als normale Ausdrucksweise aufgefasst werden können, um im üblichen Sprachgebrauch die Dienstleistungen zu bezeichnen oder deren wesentliche Merkmale wiederzugeben. Der Verbindung von für sich allein im üblichen Sprachgebrauch verwendeten Ausdrücken fehlt die Unterscheidungskraft, wenn die der Struktur nach dadurch geschaffene – wenn auch ungewöhnliche – Zusammensetzung dieser Worte ein bekannter Ausdruck der verwendeten Sprache ist, um die Dienstleistung oder das Unternehmen zu bezeichnen (4 Ob 230/01d, Internetfactory; 4 Ob 186/03m, djshop ). Es sind sämtliche Bestandteile und diese wiederum als Ganzes zu betrachten (C 64/02, Das Prinzip der Bequemlichkeit, Rz 27 f; Koppensteiner , Markenrecht 4 77 f mwN).
3.2 Die Schutzfähigkeit der Wörter oder der Wortverbindungen VORSICHERUNG und VORSICHERN hängt davon ab, ob die beteiligten Verkehrskreise ihren Inhalt zwanglos und ohne komplizierte Schlussfolgerungen erschließen können und als Hinweis auf die beanspruchten Dienstleistungen verstehen (RIS-Justiz RS0109431). Die Zurückweisung einer Marke als beschreibend ist bereits dann gerechtfertigt, wenn aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise eine ausreichend klare und spezifische Beziehung zwischen den Wortzeichen und den beanspruchten Dienstleistungen vorliegt (vgl C 383/99 P, Baby-dry; T 106/00, Streamserve; T 355/00, TELE AID; T 173/03, Nurseyroom ).
Die beteiligten Verkehrskreise sind hier alle Interessenten oder Abnehmer/Auftraggeber der beantragten Dienstleistungen, also nicht nur der Durchschnittsverbraucher sondern auch die jeweiligen Leistungserbringer der Dienstleistungen, sohin auch die Fachkreise aus dem Bereich der Medizin (vgl RIS-Justiz RS0079038).
3.3 Die von den angefochtenen Entscheidungen erfassten Dienstleistungen sind im Hinblick darauf zu würdigen, dass sie den Bereich des Versicherungswesens, vorwiegend die Krankenversicherung und deren Leistungen betreffen.
Festzuhalten ist zunächst, dass die angemeldeten Zeichen grundsätzlich aus einer nicht gewöhnlichen, grammatikalisch nicht richtigen Verbindung von Wortbestandteilen bestehen, die insgesamt einen Pleonasmus als Stilmittel ergeben.
Zutreffend verweist die Antragstellerin darauf, dass die Wortstämme „Versicherung“ und „sichern“ in Zusammenschau mit den beantragten Dienstleistungen ein Absichern gegen zukünftige Ereignisse bedeutet und auch so verstanden werden. In Kombination mit dem Präposition „vor“ in den jeweiligen Wortmarken wird zwar eine stilistisch auffällige Übersetzung dessen kreiert, was dem Wort „Versicherung“ inne wohnt; jedoch ohne weitere Information und ohne dass für die beteiligten Verkehrskreise die ursprüngliche Bedeutung/das ursprüngliche Verständnis verloren ginge oder auch nur undeutlich würde.
Der Hinweis der Antragstellerin, dass ein Pleonasmus vorliegt, trifft zu, jedoch kann dieser (alleine) die Schutzfähigkeit der Zeichen nicht begründen. Der Gesichtspunkt des Pleonasmus ist auch rechtlich unerheblich. Es ist auch nicht relevant, ob es für die beanspruchten Begriffe Synonyme oder andere, möglicherweise noch geläufigere Bezeichnungen gibt (C 265/00, Biomild , Rdn 42; zum Erfordernis der „Ersatzbezeichnung“ auch C 409/12, Kornspitz ). Die Zeichen erreichen nicht dadurch eine Schutzfähigkeit, dass die beschreibende Information sogar noch wiederholt wird. Es wäre nicht begründbar, warum „süßer Zucker“ für Zucker oder „gelbe Banane“ für Bananen schutzfähig sein sollte, nur weil Zucker stets süß und Bananen meist gelb sind.
Aus Sicht des Rekursgerichts ist daher der Ansicht der Antragstellerin entgegenzutreten, dass diese (Wörter )Kombinationen eine gewisse Originalität aufweisen, die geeignet ist, eine Gedankenoperation oder Schlussfolgerung auszulösen, um als Herkunftshinweis bestehen zu können. Rein durch den erzeugten (stilistischen) Pleonasmus in Zusammenhang mit den damit bezeichneten Dienstleistungen entsteht keine nennenswerte Doppeldeutigkeit, weil letztlich kein neuer Sinngehalt erzeugt wird. Es kann davon ausgegangen werden, dass dadurch nur auf die Dienstleistungen eines beliebigen Anbieters hingewiesen wird (vgl dazu 4 Ob 36/14v, selective/line ). Aufgrund der beschreibenden Begriffsverständnisse besteht kein relevanter Interpretationsaufwand für die beanspruchten Dienstleistungen, sodass die angemeldeten Zeichen keine solche Prägnanz haben, die sie leicht merkfähig machen würden (vgl C 398/08 P, Vorsprung durch Technik ; OBm 15/12, Gute Laune ). Dabei ist zu vernachlässigen, dass nach dem Sinngehalt eine lexikalische Erfindung eines Gesamtzeichens im Sinne einer ungewöhnlichen Wortverbindung (in Bezug auf „vorsichern“) gegeben ist (vgl C 383/99, Baby-dry ).
Im Ergebnis war beiden Rekursen nicht Folge zu geben.
4. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0111880), ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.