JudikaturOLG Wien

34R163/15p – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
14. April 2016

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** in der Patentrechtssache der Antragstellerin ***** gegen die Antragsgegnerin ***** wegen Einspruchs gegen die Erteilung des Patents AT 513 051 B1 mit dem Titel „Schließeinrichtung mit Verbindungsmittel, welche elektrische Kontakte und Gegenkontakte aufweisen“ über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss der Technischen Abteilung des Patentamts vom 3.7.2015, 3A 980/2012 10, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die „Rekursreplik“ der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung

Die Antragsgegnerin meldete am 6.9.2012 zu A 980/2012 das Patent „Schließeinrichtung mit Verbindungsmittel, welche elektrische Kontakte und Gegenkontakte aufweisen“ an.

Nachdem die Technische Abteilung des Patentamts zunächst zwei Vorbescheide (und zwar am 25.2.2013 und am 24.6.2013) erlassen hatte, verfügte sie am 11.9.2013 die Erteilung des Patents, das am 15.1.2014 zu AT 512 051 B1 veröffentlicht wurde (angegriffenes Patent = Streitpatent).

Die Ansprüche des Streitpatents lauten wie folgt:

1. Schließeinrichtung umfassend

- einen Schließzylinder mit wenigstens einem in einem Schließzylindergehäuse verdrehbaren Zylinderkern, einem Schließglied und wenigstens einem elektromechanisch arbeitenden Kupplungsmittel, das den Zylinderkern und das Schließglied drehfest miteinander verbindet oder voneinander trennt,

- wenigstens eine Handhabe,

- Verbindungsmittel zum mechanischen und elektrischen, lösbaren Verbinden der Handhabe mit dem Zylinderkern und

- elektronische Zutrittskontrollmittel mit einer Leseeinheit zum Auslesen von Zutrittsrechtsdaten aus einem Identmedium, einer Auswerteschaltung zur Feststellung der Zutrittsberechtigung in Abhängigkeit von den Zutrittsrechtsdaten und einer mit der Auswerteschaltung zusammenwirkenden Logikeinheit zur Ansteuerung der Kupplungsmittel, wobei zumindest ein Element ausgewählt aus Leseeinheit, Auswerteschaltung und Logikeinheit in der Handhabe und zumindest ein Element ausgewählt aus Leseeinheit, Auswerteschaltung und Logikeinheit im Schließzylinder angeordnet ist,

dadurch gekennzeichnet , dass die Verbindungsmittel wenigstens zwei in unterschiedlichem radialen Abstand von der Drehachse des Zylinderkerns (3) angeordnete elektrische Kontakte (21) und auf entsprechendem Durchmesser liegende ringförmige Gegenkontakte (22) aufweisen.

2. Schließeinrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , dass die elektrischen Kontakte (21) am Zylinderkern (3) und die Gegenkontakte (22) an der Handhabe (6) angeordnet sind.

3. Schließeinrichtung nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet , dass die elektrischen Kontakte (21) als federnde Kontaktstifte ausgebildet sind.

4. Schließeinrichtung nach Anspruch 1, 2 oder 3, dadurch gekennzeichnet , dass die ringförmigen Gegenkontakte (22) als Leiterbahnen auf einem Träger, insbesondere einer Trägerfolie ausgebildet sind.

5. Schließeinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet , dass die Verbindungsmittel eine Gewindeverbindung zwischen Zylinderkern (3) und Handhabe (6) umfassen.

6. Schließeinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet , dass wenigstens drei elektrische Kontakte (21) und zugeordnete Gegenkontakte (22) vorgesehen sind, wobei zwei Kontakte der Energieübertragung von einem in der Handhabe (6) angeordnetem elektrischen Energiespeicher (20) zu dem Kupplungsmittel (4) und wenigstens ein Kontakt der Signal- bzw. Datenübertragung dient.

7. Schließeinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet , dass die Leseeinheit (19) und die Auswerteschaltung (8) in der Handhabe (6) und die Logikeinheit (7) im Schließzylinder (1) angeordnet sind.

8. Schließeinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet , dass die Verbindungsmittel eine Gewindeverbindung zwischen Zylinderkern (3) und Handhabe (6) umfassen, wobei die Gewindeverbindung eine formschlüssige Verdrehsicherung in der Form von an dem Zylinderkern (3) oder der Handhabe (6) angeordneten axialen Ausnehmungen (12) aufweist, in die an dem anderen Teil ausgebildete Vorsprünge (13) im verschraubten Zustand der Gewindeverbindung axial eingreifen können.

9. Schließeinrichtung nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichne t, dass wenigstens drei Ausnehmungen (12) und Vorsprünge (13) in Umfangsrichtung verteilt angeordnet sind.

10. Schließeinrichtung nach Anspruch 8 oder 9, dadurch gekennzeichne t, dass die Vorsprünge (13) und/oder die Ausnehmungen (12) axial in Eingriffsrichtung federbeaufschlagt sind.

11. Schließeinrichtung nach Anspruch 8, 9 oder 10, dadurch gekennzeichnet , dass die Vorsprünge (13) an der Handhabe (6) und die Ausnehmungen (12) am Zylinderkern (3) ausgebildet sind.

12. Schließeinrichtung nach einem der Ansprüche 8 bis 11, dadurch gekennzeichnet , dass die Gewindeverbindung ein an einer Stirnseite der Handhabe (6), insbesondere an einer den Deckel eines topförmigen Knaufs bildenden Platte (14), ausgebildetes Innengewinde (11) und ein am Zylinderkern (3) ausgebildetes Außengewinde (10) umfasst.

13. Schließeinrichtung nach Anspruch 12, dadurch gekennzeichnet , dass die Vorsprünge (13) an einem hinter der Stirnseite der Handhabe (6), insbesondere hinter der den Deckel des Knaufs bildenden Platte (14), angeordneten Bauteil ausgebildet sind, wobei die Vorsprünge (13) in Ausnehmungen (12) des Innengewindes (11) formschlüssig eingreifen und radial in die lichte Weite des Innengewindes (11) hineinragen.

14. Schließeinrichtung nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet , dass der die Vorsprünge (13) tragende Bauteil radial außerhalb des Gewindes angeordnete Sicherungsstifte (16) aufweist, die in Ausnehmungen (17) an der Stirnseite der Handhabe (6), insbesondere in einer den Deckel eines topförmigen Knaufs bildenden Platte (14), eingreifen.

15. Schließeinrichtung nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet , dass die Sicherungsstifte (16) von außen mittels eines Werkzeuges (18) zurückdrückbar angeordnet sind.

Die Antragstellerin (Einsprecherin) erhob dagegen gemäß § 102 PatG rechtzeitig mit der Behauptung Einspruch, die Ansprüche 1 bis 15 des Streitpatents seien nicht patentierbar, weil es ihnen an der Neuheit und/oder an der erfinderischen Tätigkeit fehle.

Die Antragsgegnerin erwiderte, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei sowohl neu als auch erfinderisch; dies gelte auch für die Unteransprüche. In der Einspruchsverhandlung vom 22.6.2015 stellte die Antragsgegnerin einen Hilfsantrag.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Patentamt den Einspruch ab und hielt das Streitpatent in vollem Umfang aufrecht. Weder seien die von der Einsprecherin benannten und vorgelegten Dokumente D1 bis D13 jeweils für sich, noch seien sie alle in der Zusammenschau geeignet, die Neuheit und/oder die erfinderische Tätigkeit des Patentanspruchs 1 in Frage zu stellen. Aber auch die zurückgewiesenen Druckschriften D14 bis D18 seien dazu nicht in der Lage.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Einsprecherin aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angegriffene Patent in vollem Umfang zu widerrufen, hilfsweise den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache an die (richtig:) Technische Abteilung zurückzuverweisen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss des Patentamts zu bestätigen, hilfsweise das Patent mit der als Hilfsantrag vorgelegten Anspruchsfassung aufrecht zu erhalten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis nicht berechtigt.

1.1. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens sieht die Einsprecherin darin, dass die Technische Abteilung die Dokumente D14 bis D18 in der Tagsatzung vom 22.6.2015 zu Unrecht „nicht zugelassen“ habe.

1.2. Das Rekursgericht hat die Rechtssache an die erste Instanz zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen, wenn das erstinstanzliche Verfahren an wesentlichen Mängeln leidet, die abstrakt geeignet waren, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache verhindern (RIS-Justiz RS0043049); zu diesen primären Verfahrensmängeln zählen insbesondere Stoffsammlungsmängel wie zum Beispiel die unberechtigte Nichtzulassung oder Nichtaufnahme von Beweisen. Derartige Mängel sind nur dann wahrzunehmen, wenn sie wesentlich, also zumindest abstrakt geeignet wären, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (zu § 496 Abs 1 Z 2 ZPO Pimmer in Fasching/Konecny 2 § 496 ZPO Rz 30 mwN; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1765). Eines Nachweises, dass der Mangel in concreto eine unrichtige Entscheidung zur Folge hatte, bedarf es daher nicht (RIS-Justiz RS0043049 [T1]).

1.3. In der Tagsatzung vom 22.6.2015 (das Protokoll ist nicht einjournalisiert, nicht unterschrieben [s aber § 103 Abs 5 PatG] und es trägt auch keine Seitenzahlen) gab die Technische Abteilung bekannt, „[...] dass die Vorbringen der A vom 5. Juni und 17. Juni [...] nicht berücksichtigt würden, da diese nicht innerhalb der Einspruchsfrist und somit verspätet eingebracht worden seien.“

Im angefochtenen Beschluss begründet das Patentamt diese Entscheidung damit, dass ein Nachreichen von „neuen Einspruchsgründen“ nach dem Ende der Einspruchsfrist unzulässig sei (Beschluss, S 8).

1.4. Im Widerspruch zu diesem verfahrensleitenden Beschluss hat sich die Technische Abteilung mit den Druckschriften D14 bis D18 – und damit implizit auch mit dem Vorbringen der Einsprecherin in den Schriftsätzen vom 5.6.2015 und 17.6.2015 (ON 9 f) – ausführlich inhaltlich befasst (Beschluss, S 22 bis 25), die Nichtzulassung (im Sinne einer Zurückweisung wegen möglicher Verspätung) damit wenigstens de facto aufgehoben und so auch diese Entgegenhaltungen und das dazu erstattete Vorbringen zum Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gemacht.

Gerade dieses – widersprüchliche – Vorgehen erfordert daher ein inhaltliches Eingehen auf die Mängelrüge.

1.5. Die Rechtsprechung der (ehemaligen) Beschwerdeabteilungen des Patentamts hat § 102 Abs 1 und Abs 2 PatG weit überwiegend dahingehend ausgelegt, dass der Einspruch wegen des Eilcharakters des Einspruchsverfahrens innerhalb der viermonatigen Frist dem „Grundsatz der rechtzeitigen Substantiierung“ gerecht werden müsse. Der einsprechende Antragsteller müsse daher bereits im Einspruch sämtliche zu berücksichtigenden Fakten vorbringen, also einen oder mehrere Einspruchsgründe konkret geltend machen und dazu bestimmte Tatsachen anführen. Druckschriften müssten ebenfalls bestimmt, also im Allgemeinen durch ihre nummernmäßige Zitierung genannt werden ( Burgstaller, PatR 188; Weiser, PatG 2 321 ff mwN und 318 [„sonst praktisch unbekanntes Erfordernis“] ).

1.5.1. Diese Rechtsprechung lässt sich, wie im Folgenden gezeigt wird, mit Blick auf den Wortlaut des § 102 Abs 2 PatG nicht aufrechterhalten, wird doch darin nur angeordnet, dass der Einspruch bestimmt zu sein hat und sich nur auf die in den Z 1 bis Z 4 taxativ genannten Gründe stützen kann. Dass der Einsprecher nicht auch noch später im Verfahren sein Vorbringen erweitern oder weitere Druckschriften vorlegen darf, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

1.5.2. Der Grundsatz der Substantiierung bedeutet im insofern vergleichbaren Zivilverfahrensrecht nur die Verpflichtung, einen Antrag ausreichend zu begründen. Nach der zu § 226 ZPO entwickelten, die Schlüssigkeit einer Klage betreffenden Substantiierungstheorie muss der Kläger seinen Anspruch nicht individualisieren, das heißt rechtlich qualifizieren; es genügt vielmehr, dass er seinen aus (irgend) einem Rechtsgrund ableitbaren Anspruch durch das Vorbringen von Tatsachen umschreibt (RIS-Justiz RS0037447; RS0039813 [Einwendungen]). Ein (Klage-)Begehren ist in diesem Kontext dann rechtlich schlüssig, wenn es materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0037516; RS0031014; RS0037550). Es genügt zur Substantiierung, wenn die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp angeführt sind (RIS-Justiz RS0036973; zuletzt 7 Ob 49/15d [Schadenersatzklage]).

1.5.3. Eine Ausnahme vom grundsätzlichen Recht, bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz Vorbringen zu erstatten, kennt die ZPO grundsätzlich nicht. § 179 ZPO allerdings regelt den Umgang mit einem Vorbringen, das den Prozess verzögert und in grob schuldhafter Weise verspätet erstattet wird; dass diese Umstände gegeben gewesen seien, hat das Patentamt nicht angenommen.

Die Ausnahme vom Recht, bis zum Schluss vorzubringen, heißt Eventualmaxime ; sie verpflichtet die Parteien, ihr gesamtes Vorbringen innerhalb eines bestimmten Verfahrensabschnitts zu erstatten; danach ist jedes weitere Vorbringen ausgeschlossen ( Schragel in Fasching/Konecny 2 § 179 ZPO Rz 4). Zu betonen ist, dass die Eventualmaxime in der Regel nur für die Erhebung neuer Behauptungen gilt, es aber zulässig ist, zur Ausführung der rechtzeitig erhobenen Behauptungen neue Tatsachen und Beweise anzuführen (zB RIS-Justiz RS0044679 [zu § 552 ZPO aF]).

Diese – sehr weitreichende und unter dem Maßstab des Art 6 Abs 1 EMRK zu prüfende – Konsequenz wollte die bisherige Rechtsprechung zum patentrechtlichen Einspruchsverfahren offenbar aus § 102 Abs 2 PatG herleiten. Was daher diese Judikatur tatsächlich gemeint, aber missverständlich als „Substantiierungspflicht“ benannt hat, ist diese dem Zivilverfahrensrecht nicht unbekannte Eventualmaxime, die daher als Prüfungsmaßstab heranzuziehen ist.

1.5.4. Dem gleichfalls wegen der erforderlichen Gefährdungslage auf besondere Raschheit der Entscheidungsfindung fokussierten Provisorialverfahren ist eine solche Eventualmaxime überhaupt fremd (RIS-Justiz RS0115372 [T2]; 4 Ob 180/05g). Nur unschlüssige (oder unbestimmte) Anträge sind abzuweisen, ohne dass der gefährdeten Partei ein weiteres Vorbringen zu ermöglichen wäre (3 Ob 262/05h). Es widerspricht nämlich dem Wesen des auf eine rasche Entscheidung gerichteten Provisorialverfahrens, der gefährdeten Partei in einem zweiten Rechtsgang die Möglichkeit der Verbesserung eines unbestimmten Begehrens zu geben (8 Ob 88/06h; RIS-Justiz RS0005433). Allerdings bleibt es dem über den Sicherungsantrag entscheidenden Gericht unbenommen, nach Einlangen der Äußerung des Gegners der gefährdeten Partei allfällige weitere Schriftsätze und mit diesen vorgelegte Bescheinigungsmittel unabhängig davon, ob sie aufgetragen wurden, seiner Entscheidung zugrunde zu legen (RIS-Justiz RS0115372).

1.5.5. Im Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt nach der ständigen Rechtsprechung die Eventualmaxime ( Klauser/Kodek, JN-ZPO 17 § 149 ZPO E 3; Gitschthaler in Rechberger, ZPO 4 § 149 Rz 2 mwN; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3 § 149 ZPO Rz 2).

1.5.6. Nach § 35 Abs 3 („bei sonstigem Ausschluss“) und § 36 Abs 2 EO herrscht im Oppositions- und im Impugnationsverfahren mit einer hier nicht weiter relevanten Ausnahme die Eventualmaxime. Danach muss der Verpflichtete alle Einwendungen, die ihm zur Zeit der Klagserhebung bekannt sind, bei sonstiger Präklusion bereits in der Klage vorbringen. Das Gleiche gilt, wenn sein Oppositionsbegehren bei einer Verwaltungsbehörde zu stellen ist. Die Eventualmaxime verstößt nach der Rsp nur deswegen nicht gegen das Gebot des fair trial nach Art 6 EMRK (3 Ob 269/04m), weil dem gesamten Vorgang bereits ein Erkenntnisverfahren vorausgegangen ist ( Jakusch in Angst/Oberhammer, EO 3 § 35 Rz 85 ff und § 36 Rz 48 f; Oberhammer, ÖJZ 1994, 266) und sie dem Gebot der Waffengleichheit folgend auch für den Prozessgegner gilt ( Angst/Jakusch/Mohr, EO 15 § 35 E 361).

1.5.7. Auch der Vermieter , der einen Mietvertrag aufkündigt, hat nach § 33 Abs 1 zweiter Satz MRG (arg „andere Kündigungsgründe kann er in diesem Verfahren nicht mehr geltend machen“ ) die Kündigungsgründe bereits in der Aufkündigung kurz anzuführen; weitere Gründe können später nicht mehr zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden ( Iby in Fasching/Konecny 2 § 562 ZPO Rz 24 mwN; RIS-Justiz RS0106599; RS0069069; 8 Ob 148/03b; 3 Ob 69/08f; 2 Ob 165/11w), jedoch können im Verfahren zum genannten Kündigungsgrund noch weitere Vorfälle nachgetragen werden (RIS-Justiz RS0106599 [T3]).

1.5.8. Auch wenn das EPÜ nicht unmittelbar anwendbar ist, so ist die Argumentation der Einsprecherin, dass in Analogie zum Einspruchsverfahren vor dem EPA die verspätete Vorlage von Beweismitteln möglich sein sollte, was sich aus Art 114 leg cit ergibt, unter dem Aspekt der Rechtsvergleichung nicht von der Hand zu weisen (vgl die ErläutRV zur RV 2004, abgedruckt bei Wiltschek, Patentrecht 3 163). Diese mit „Ermittlung von Amts wegen“ überschriebene Bestimmung lautet:

«(1) In Verfahren vor dem Europäischen Patentamt ermittelt das Europäische Patentamt den Sachverhalt von Amts wegen; es ist dabei weder auf das Vorbringen noch auf die Anträge der Beteiligten beschränkt.

(2) Das Europäische Patentamt braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.»

Die Beschwerdekammern des EPA legen diese Bestimmung dahin aus, dass sie einen Ermessensspielraum einräumt und dass eine starre Regelung, die sämtliche neuen Beweismittel im Beschwerdeverfahren ausschließen würde, ungerecht und unfair wäre (s die Nw bei EPA , Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA 7 919; Schulte in Schulte, PatG 9 Einleitung Rz 217).

Regel 76 Abs 2 lit c EPÜ-AusfO fordert für „Form und Inhalt des Einspruchs“ ua folgenden verpflichtenden Inhalt:

«[...] eine Erklärung darüber, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt und auf welche Einspruchsgründe der Einspruch gestützt wird, sowie die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel;»

Auch hier sehen die Beschwerdekammern des EPA einen Ermessensspielraum, betonen aber als Grundsatz, dass der Einsprechende alle Einwände während der Einspruchsfrist vorbringt und ausführlich sowie vollständig darlegt. Andererseits brauchen aber nur solche Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt werden, die nach dem gleichzeitig mit der Ladung zur Verhandlung bestimmten Zeitpunkt eingebracht werden, bis zu dem Schriftsätze zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingereicht werden können (Regel 116 Abs 2 EPÜ-AusfO), es sei denn der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt hätte sich geändert (s die Nw mit aller Kasuistik bei EPA , Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA 7 923 ff; Schauwecker in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskomm 4 Art 114 EPÜ Rz 17 f und 26; Schulte in Schulte, PatG 9 Einleitung Rz 222 ff).

1.6. Auch der im Einspruchsverfahren grundsätzlich, allerdings nach Ansicht des Rekursgerichts nur subsidiär zu den Verfahrensvorschriften des PatG anzuwendende § 39 AVG (s Weiser, PatG 2 319 f; Burgstaller, PatR 188; allg Hengstschläger/Leeb, AVG 2 § 39 Rz 1) sieht den Grundsatz der Amtswegigkeit vor ( Offizialmaxime ); er beherrscht das Ermittlungsverfahren grundlegend (allg Hengstschläger/Leeb, AVG 2 § 39 Rz 7). Eine wesentliche Einschränkung erfährt dieser Grundsatz im Einspruchsverfahren allerdings durch den Antragsgrundsatz, seinen kontradiktorischen Charakter sowie die Einschränkung des Verfahrensgegenstands auf die vom Einsprecher geltend gemachten Gründe und die von ihm angegriffenen Patentansprüche ( Dispositionsmaxime ; nur insoweit Weiser, PatG 2 321; s aber die Nw der Rsp bei Hengstschläger/Leeb, AVG 2 § 39 Rz 13 f). Die Pflicht zur Unparteilichkeit gebietet Zurückhaltung bei der Amtsermittlung, um nicht eine Partei zu benachteiligen, sodass die äußerste Grenze die vom Einsprecher genannten Gründe sind (verallgemeinerungsfähig zu Art 114 EPÜ Schauwecker in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskomm 4 Art 114 EPÜ Rz 13 bis 18 mwH). Davon unabhängig ist jedoch die Frage zu beurteilen, ob eine im Einspruch behauptete Tatsache überhaupt eines Beweises bedarf. Das ist nämlich nicht der Fall, wenn diese Tatsache allgemeinkundig (notorisch) ist (OBp 1/09 [Maßstab ist im Patentrecht nicht jedermann, sondern eine „Person mit einem gewissen technischen Grundverständnis“ ]).

Die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte Raschheit des Verfahrens (vgl Wiltschek, Patentrecht 3 163) hat das Patentamt vielmehr durch das Setzen von Fristen unter Androhung von Präklusionsfolgen im Rahmen der ihm ohnehin obliegenden Verfahrensleitung zu gewährleisten (§ 39 Abs 2 AVG): Im Regelfall, nämlich dem bloß schriftlichen Verfahren, wird dem Einsprecher die Gegenschrift des Patentinhabers zur Äußerung zuzustellen (§ 103 Abs 1 PatG) oder im Ausnahmefall des mündlichen Verfahrens eine Verhandlung anzuberaumen sein (§ 103 Abs 2 PatG). In beiden Fällen hat das Patentamt die Möglichkeit und zugleich auch die Pflicht, zur Effektuierung des Eilcharakters des Einspruchsverfahrens den Parteien Fristen für die Erstattung von Vorbringen und Beweisanboten zu setzen und daran Präklusionsfolgen zu knüpfen, trifft doch die Parteien gerade im Einspruchsverfahren eine entsprechende Mitwirkungs- und dabei insbesondere die Substantiierungspflicht nach dem oben dargelegten Begriffsverständnis ( Hengstschläger/Leeb, AVG 2 § 39 Rz 10 mwN). Deswegen liegt es auch im Ermessen des Patentamts, erst nach dem Einspruch erstattetes Vorbringen des Einsprechers anhand der Kriterien der (vorwerfbaren) Verspätung und/oder der Verfahrensverschleppung als verspätet zurückzuweisen, wobei diese Entscheidung allein von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt (s die Bsp bei Schulte in Schulte, PatG 9 Einleitung Rz 225) und wobei die Bemessung der Fristen dem fair-trial- Gebot genügen muss.

1.7. Das Rekursgericht sieht daher keine ausreichende gesetzliche Grundlage, um für Fälle wie den vorliegenden, in dem die Einsprecherin die ursprünglich geltend gemachten Gründe „Fehlen der Neuheit“ und „Fehlen der erfinderischen Tätigkeit“ nicht verlässt, die bisherige Rsp der Beschwerdeabteilungen fortzuschreiben. § 102 PatG enthält keine echte Präklusionsvorschrift im Sinn einer Eventualmaxime, die einer Berücksichtigung eines späteren, das heißt nicht schon im Einspruch erstatteten Vorbringens zwingend entgegenstünde.

Weder der Wortlaut von § 102 Abs 1 und Abs 2 PatG noch der Grundsatz eines fairen Verfahrens rechtfertigen es, für den Einspruch gegen die Erteilung eines Patents die Geltung einer derart weitreichenden Eventualmaxime zu postulieren, ohne dass sie sonst im PatG und/oder im AVG eine tragfähige Grundlage findet (zu den auch für den Bereich des öffentlichen Rechts geltenden Auslegungsgrundsätzen s nur P. Bydlinski in KBB, ABGB 4 § 6 Rz 3; Egger in Schwimann, ABGB-TK 3 § 6 Rz 1 ff).

1.8. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Technische Abteilung daher diese Entgegenhaltungen zu Unrecht zurückgewiesen, sie aber – obschon nur im Ergebnis – dennoch mit Recht berücksichtigt und damit zum Gegenstand der umfassenden rechtlichen Prüfung durch das Rekursgericht gemacht. Im Ergebnis ist daher der von der Einsprecherin an sich berechtigt aufgezeigte Mangel abstrakt nicht geeignet, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen, sodass es ihm an der erforderlichen Relevanz fehlt.

2. Zur Rechtsrüge : Nach § 3 Abs 1 PatG gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört.

2.1. Den Stand der Technik bildet dabei alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist.

2.2. Eine Erfindung gilt nach § 1 Abs 1 PatG und nach dem sinngleichen Art 56 EPÜ ( Wiltschek, Patentrecht 3 § 1 PatG Anm 4) als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Einer Neuentwicklung fehlt aber nicht schon dann die erfinderische Tätigkeit, wenn der Fachmann aufgrund des Stands der Technik zu ihr gelangen hätte können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte – could-would-approach ( Kinkeldey/Karamanli in Benkard, EPÜ 2 Art 56 Rz 72; Kroher in Stauder/Luginbühl, EPÜ 6 Art 56 Rz 54 ff; 17 Ob 24/09t; zuletzt Op 3/12; zuletzt 4 Ob 17/15a, Gleitlager ).

2.3. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was der Stand der Technik lehrt und wie Vorveröffentlichungen zu verstehen sind, ist der Durchschnittsfachmann. Es handelt sich hierbei um eine Kunstfigur und damit letztlich nur um ein Werkzeug des Gerichts, das dazu dient, einen unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen ( Haedicke, Patentrecht 2 68). Der Fachmann besitzt durchschnittliche Fachkenntnisse, kennt aber den gesamten Stand der Technik seines Fachgebiets.

2.4. Die Prüfung kann insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen (vgl Op 1/02 PBl 2003, 29 mwN; Op 6/08; Op 4/11; 4 Ob 17/15a, Gleitlager ). Dazu ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann naheliegend gewesen wäre.

3. Für Patente bestehen seit Inkrafttreten von § 22a PatG eigene Auslegungsregeln (RIS-Justiz RS0118278; RS0030757 [T10]): Der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung werden durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 EPÜ, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden.

Auch wenn einzelne Elemente des Inhalts der Erfindung bereits vorher bekannt waren, so bedeutet dies noch nicht von vornherein, dass die Erfindung selbst nicht mehr als neu im Sinn des PatG angesehen werden könnte. Eine Erfindung kann auch darin bestehen, dass bereits bekannte Einrichtungen durch eine besondere Art ihrer Verwendung oder durch die Verbindung mit noch unbekannten Einrichtungen dazu verwendet werden, ein technisches Problem zu lösen (RIS-Justiz RS0071157).

Ob eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist grundsätzlich eine Rechtsfrage (17 Ob 24/09t; 17 Ob 13/09z). Da sich die Erfindungshöhe am Stand der Technik orientiert, also am Fachwissen, über das der „Durchschnittsfachmann“ auf dem betreffenden Gebiet verfügt, ist die Beurteilung, ob sich das Patent für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, in erster Linie von einer Tatfrage abhängig (RIS-Justiz RS0071399).

4. Entscheidend ist daher, ob sich aus den von der Einsprecherin ins Treffen geführten Vorveröffentlichungen für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt die technische Lehre des Streitpatents in naheliegender Weise ergibt.

5.1. Aus dem bisherigen Verfahren ist ersichtlich, dass zwischen den Parteien unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wie die Bestandteile der aus dem Stand der Technik bekannten Lösungen den Bauteilen der vorliegenden Erfindung zuzuordnen sind. Das Rekursgericht stellt die Terminologie daher unter Bedachtnahme auch auf die Zeichnungen folgendermaßen klar:

Schließglied (in der Patentschrift nicht dargestellt): Riegel oder dergleichen, der die eigentliche Verriegelung bewirkt;

Zylinderkern : ist in einem Schließzylindergehäuse (dauerhaft) verdrehbar angeordnet;

Schließzylinder : nimmt den Zylinderkern auf;

Kupplungsmittel : arbeitet elektromechanisch und verbindet oder trennt Schließglied und Zylinderkern;

Handhabe : Drehknauf oder dergleichen, ist am Zylinderkern befestigt und dient dazu, den Zylinderkern zu verdrehen;

Verbindungsmittel : Verschraubung oder dergleichen, dient zur Verbindung von Kupplungsmittel und Handhabe. Die Verbindung ist mechanisch und elektrisch und sie ist lösbar (offensichtlich nicht für den gewöhnlichen Gebrauch, sondern beispielsweise für Wartungszwecke);

Elektrische Kontakte, Gegenkontakte : sind Teile der Verbindungsmittel, die Gegenkontakte sind ringförmig, um die elektrische Verbindung unabhängig von der relativen Lage der Handhabe in Bezug auf den Zylinderkern sicherzustellen;

Elektronische Zutrittskontrollmittel : sind teilweise in der Handhabe und teilweise im Schließzylinder angeordnet und dienen dazu, das Kupplungsmittel zu steuern, das heißt das Schließglied mit dem Zylinderkern zu verbinden oder von diesem zu trennen.

5.2. Die Einsprecherin rügt im Rekurs die unzutreffende Würdigung der Druckschrift D6, wobei die Ansicht der Einsprecherin zu den Merkmalen a), c) und e) mit jener der Technischen Abteilung übereinstimmt.

Zu Merkmal b): Es trifft zu, den lock cylinder, den shaft oder lock tappet 3 von D6 mit dem Schließzylinder, dem Zylinderkern oder mit dem Schließglied des Patents zu identifizieren. Die Technische Abteilung gelangt mit Recht zur Auffassung, dass bei der Lösung von Druckschrift D6 das Schließglied fest mit dem Zylinderkern verbunden ist und somit kein Kupplungsmittel im Sinn der Erfindung vorliegt. Daher zeigt Druckschrift D6 das Merkmal b) nicht.

Zu Merkmal d): Im angefochtenen Beschluss (S 18, vorletzte Zeile) gelangt die Technische Abteilung zur Einschätzung, die elektrische Verbindung erfolge zwischen einem feststehenden Teil, in diesem Fall dem Knauf, und einem drehbaren Teil, nämlich der Zylinderwelle. Diese Ansicht teilt das Rekursgericht nicht, weil der Knauf (= Handhabe) dazu vorgesehen ist, die Zylinderwelle (= Zylinderkern) zu verdrehen. Je nach Stellung des locking pin 5 ist der Knauf somit entweder frei oder aber gemeinsam mit der Zylinderwelle drehbar. Es sind in Druckschrift D6 durchaus Verbindungsmittel zum mechanischen und elektrischen lösbaren Verbinden der Handhabe mit dem Zylinderkern offenbart (Absatz [0012]). Das Merkmal d) ist somit aus D6 ersichtlich.

Die Schleifringe 9 und Kontakte 10 der Druckschrift D6 entsprechen funktionell durchaus den Kontakten und Gegenkontakten des Patents. Die Zutrittskontrollmittel sind teilweise im Knauf, teilweise in der Zylinderwelle angeordnet, sodass auch das Merkmal f) erfüllt ist.

5.3. Daher sind die Unterschiede zu Druckschrift D6 zu analysieren und zu definieren. Bei der Lösung von Druckschrift D6 ist das schaltbare Kupplungsmittel zwischen Handhabe und Zylinderkern angeordnet; deswegen kann die Handhabe nicht einfach am Zylinderkern befestigt, also beispielsweise aufgeschraubt werden. Die elektrischen Kontakte werden bei jeder Betätigung gegeneinander bewegt, im Gegensatz zum Patent, bei dem eine solche Bewegung nur bei der Montage der Handhabe erfolgt. Vor allem ist aber ein Sicherheitsaspekt bedeutsam, weil bei der patentgemäßen Lösung auch dann, wenn die Handhabe unbefugt abgenommen wird und wenn der Zylinderkern verdreht wird, die Schließeinrichtung keine Öffnung ermöglicht. Bei der Lösung von Druckschrift D6 würde hingegen eine Demontage des Knaufs eine unmittelbare Möglichkeit zur Öffnung der Schließeinrichtung geben. Eine einfache Demontage ist also nicht zulässig.

Die objektive Aufgabe der Erfindung – ausgehend von Druckschrift D6 – ist also darin zu sehen, eine einfache und sichere Befestigung der Handhabe zu ermöglichen.

5.4. Die Druckschrift D3 kann dazu wenig Anregung geben, weil die Handhabe (Drehknopf 19) über den Kupplungskörper 18 fest mit der Schließnase 17 zusammenwirkt. Diese feste Verbindung ist bei der patentgemäßen Lösung gerade nicht gegeben. Die Handhabe ist bei D3 offensichtlich auf der sicheren Seite (also etwa innen), da die Schließeinrichtung von der gegenüberliegenden Seite mit einem Schlüssel zu öffnen ist. Eine Hilfestellung zur Lösung der Aufgabe kann also aus D3 nicht gewonnen werden.

5.5. Das Rekursgericht hat bei der Behandlung der Mängelrüge bereits festgehalten, dass und aus welchen Gründen auch die Entgegenhaltung D14 meritorisch zu prüfen ist (vgl oben Punkt 1.).

Entgegen der Argumentation der Technischen Abteilung entspricht die Zylinderwelle 23 durchaus dem Zylinderkern. Die Technische Abteilung meint allerdings, die Knaufwelle der Druckschrift D14 sei nicht mit dem Zylinderkern des Patentanspruchs gleichzusetzen.

Das Rekursgericht vollzieht diese Beurteilung nicht nach, denn funktionell handelt es sich um einen im Schließzylinder drehbar angeordneten Bauteil, der in Abhängigkeit vom Zustand einer Kupplung das Schließglied mitnimmt oder nicht und der durch den Knauf (die Handhabe) verdrehbar ist. Somit sind sämtliche Merkmale des Oberbegriffs von Patentanspruch 1 erfüllt.

Die Merkmale des kennzeichnenden Teils von Patentanspruch 1 sind jedoch in der Druckschrift D14 nicht offenbart, und es wird dem Fachmann kein Hinweis gegeben, der in die Richtung der erfindungsgemäßen Lösung geht.

5.6. Auch die übrigen genannten Druckschriften des Stands der Technik führen den Fachmann nicht zu der Merkmalskombination des Patentanspruchs 1: Es ist für den von der Technischen Abteilung definierten Fachmann auf dem Fachgebiet der elektrischen Schließtechnik (Beschluss S 19, dritter Absatz, und S 25, dritter Absatz) unter Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes insbesondere nicht naheliegend, konstruktive Einzelheiten von Glühbirnen auf das damit nicht verwandte technische Gebiet der Schließmechanismen zu übertragen.

5.7. Zusammengefasst beruht daher der Patentanspruch 1 ebenso auf erfinderischer Tätigkeit wie daraus resultierend die abhängigen Patentansprüche 2 bis 15. Die Neuheit des Streitpatents war im Rekursverfahren nicht mehr strittig und auf sie daher auch nicht einzugehen (RIS-Justiz RS0043338; RS0041570). Die Technische Abteilung hat den Einspruch daher (wenngleich mit einer vom Rekursgericht teilweise nicht geteilten Begründung) mit Recht abgewiesen.

6. Die dem Rekurs nachgeschobene Eingabe der Einsprecherin war zurückzuweisen, weil auch für den Rekurs der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt ( Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 47 Rz 3; Klicka in Rechberger, AußStrG 2 § 47 Rz 3; RIS-Justiz RS0007007 [insb T2, T2, T22: nach Ablauf der Rekursfrist keine Ergänzung des Rekurses]).

7. Zwar ist die Frage, ob für den Einspruch nach § 102 PatG die Eventualmaxime gilt oder nicht, eine solche des Verfahrensrechts von grundsätzlicher und damit über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung, doch ist die Antragsgegnerin durch ihre Verneinung wegen der bestätigenden Entscheidung des Rekursgerichts nicht beschwert, was aber Voraussetzung für die Zulässigkeit des Revisionsrekurses wäre.

Da die Entscheidung im Übrigen keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufwarf und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist (RIS-Justiz RS0119499), ist der Revisionsrekurs daher nicht zulässig. In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Patentschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.

8. Ein Kostenersatz findet nach § 139 Z 7 PatG nicht statt.

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