34R10/16i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Marke AT 279103 über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 24.8.2015, WM 122/2014 2, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die mit dem Rekurs vorgelegten Unterlagen werden zurückgewiesen.
2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung der Rechtsabteilung des Patentamts wird geändert und lautet in seinem Punkt 2:
«Der Widerspruch wird abgewiesen.
Die Parteien haben die Verfahrenskosten selbst zu tragen.»
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Text
Begründung
Die Antragstellerin beruft sich – soweit für das Rekursverfahren relevant – auf
a) ihre Wortmarke CTM 12324489 (Anmeldedatum 19.11.2013)
ITIKAT,
eingetragen für die Waren der Klasse 30 (Teigwaren, insbesondere Tortillas, Pizzas, Blätterteig; Fertiggerichte aus Teigwaren; getrocknete und frische Teigwaren) und auf
b) ihre Wortbildmarke CTM 2274215 (Anmeldedatum 26.6.2001)
eingetragen für die Waren der Klasse 29 (Fleisch, Fisch, Geflügel, Wild, Wurstwaren und Milchprodukte jeweils als Lebensmittel; Lebensmittelkonserven enthaltend vorgenannte Lebensmittel).
Sie widersprach der Wortbildmarke AT 279103 (Anmeldedatum 11.4.2014)
in Bezug auf die Waren der Klassen
29 Fleisch, Fisch, Geflügel und Wild; Fleischextrakte; [konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse;] Eier; Milch und Milchprodukte; [Speiseöle und -fette;] Wurstwaren;
30 Kaffee, Tee, Kakao und Kaffee-Ersatzmittel; Reis; Mehle und Getreidepräparate, Brot, feine Backwaren und Konditorwaren; Speiseeis; Zucker; Honig; Hefe, Backpulver; Salz, Senf; Essig, Soßen (Würzmittel); Gewürze.
Bestimmte Waren der Klasse 29 – oben in eckige Klammer gesetzt: [konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Speiseöle und -fette] – waren vom Widerspruch nicht umfasst.
Die angegriffene Marke sei wegen der Warenidentität und/oder -ähnlichkeit zur Verwechslung mit den Widerspruchsmarken geeignet.
Das Patentamt (wies den Widerspruch, soweit er auf eine bereits abgelaufene Marke gestützt war, unbekämpft zurück – Punkt 1 des Beschlusses – und) gab dem Widerspruch teilweise Folge und hob die Registrierung in Bezug auf die oben durch Fettdruck hervorgehobenen Waren der Klassen 29 und 30 auf; in Bezug auf die restlichen Waren der Klasse 30 (Speiseeis, Zucker; Honig; Salz, Senf; Essig – oben kursiv gesetzt) wies das Patentamt den Widerspruch ab.
Rechtlich ging das Patentamt von einer teilweisen Warenidentität und/oder normalen bis geringen -ähnlichkeit aus. Es bejahte die Verwechslungsgefahr wegen der mittleren begrifflichen sowie klanglichen Ähnlichkeit der Zeichen im Zusammenhang mit dem geringen Aufmerksamkeitsgrad der beteiligten Verkehrskreise beim Kauf dieser Waren. Für den deutschsprachigen Verkehrskreis sei eine Verwechslungsgefahr mangels Kenntnis der türkischen Sprache nicht gegeben, für den türkischsprachigen Teil der Konsumenten liege die Verwechslungsgefahr in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß vor. Es liege kein klar erinnerlicher und deutlicher Bedeutungsunterschied vor, der die Ähnlichkeit in Bild und Klang neutralisieren könnte.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, den Widerspruch des Antragstellers zur Gänze abzuweisen.
Der Antragsteller hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
1. Vorauszuschicken ist, dass die vom Antragsgegner im Rekursverfahren vorgelegten Urkunden nur soweit als zulässig verwertet werden können, als sie zur Stützung oder zur Widerlegung der in erster Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise dienen. Da der Bedeutungsinhalt der der türkischen Sprache entnommenen Begriffe in erster Instanz nicht strittig war, stellt die Vorlage dieser Urkunden eine unzulässige Neuerung dar.
2. Gemäß § 29a iVm § 30 Abs 1 Z 2 MSchG ist auf Widerspruch des Inhabers einer früher angemeldeten noch zu Recht bestehenden Marke eine Marke zu löschen, wenn die beiden Marken und die Waren oder Dienstleistungen, für die die Marken eingetragen sind, gleich oder ähnlich sind und wenn dadurch für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht würde.
2.1 Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betroffenen Waren oder Dienstleistungen sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören – ausgehend vom Registerstand (RIS Justiz RS0066553, T13; ua) – insbesondere ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen (vgl C 39/97, Cannon/Canon [Rn 23]; Koppensteiner, Markenrecht 4 117 mwN bei FN 108).
2.2 Für den Begriff der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr gilt ein gemeinschaftsweit einheitlicher Maßstab, den der EuGH in mehreren Entscheidungen konkretisiert hat (zB C 191/11 P, Yorma’s [Rn 43]; EuG T 599/10, Eurocool [Rn 97]); dem folgt auch die ständige österreichische Rechtsprechung. Danach ist die Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen (ÖBl 2001, 159, T One mwN; ÖBl 2003, 182, Kleiner Feigling ua; RIS Justiz RS0121500, insb T4, RS0121482, RS0117324; 4 Ob 238/04k; 4 Ob 154/06k; 17 Ob 1/08h; 17 Ob 32/08t; 4 Ob 7/12a; 4 Ob 139/13i und 4 Ob 228/14d; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 51 ff mwN).
2.3 Eine umfassende Beurteilung bedeutet, dass auf die Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere die Ähnlichkeit der Marken, ihre Kennzeichnungskraft und die Ähnlichkeit der von ihnen erfassten Waren oder Dienstleistungen Bedacht zu nehmen ist (vgl RIS-Justiz RS0121482). So kann eine höhergradige Gleichartigkeit der erfassten Waren oder Dienstleistungen eine geringere Ähnlichkeit der Marken ausgleichen und umgekehrt (C 39/97, Cannon/Canon ). Folge dieser Wechselwirkung ist, dass bei einer Waren- oder Dienstleistungsidentität ein wesentlich deutlicherer Abstand der Zeichen selbst erforderlich ist, um die Verwechslungsgefahr auszuschließen (RIS Justiz RS0116294; 4 Ob 36/04d, Firn; 17 Ob 36/08f, Kobra/cobra-couture.at; Koppensteiner, Markenrecht 4 111 mwN).
2.4 Bei einem aus Wort und Bild zusammengesetzten Zeichen ist in der Regel der Wortbestandteil für den Gesamteindruck maßgebend, weil der Geschäftsverkehr sich meist an diesem Wort – sofern es unterscheidungskräftig ist – zu orientieren pflegt und vor allem dieses Wort im Gedächtnis behalten wird (RIS-Justiz RS0066779; Koppensteiner, Markenrecht 4 116). Das Recht an einer Wortbildmarke wird daher regelmäßig auch durch solche Zeichen verletzt, die nur den unterscheidungskräftigen Wortbestandteil in einer zur Herbeiführung von Verwechslungen geeigneten Weise wiedergeben (ÖBl 1988, 154, Preishammer; ÖBl 1996, 279, Bacardi/Baccara; 4 Ob 119/02g; 4 Ob 10/03d, More ).
2.5 Verwechslungsgefahr ist in der Regel schon dann anzunehmen, wenn Übereinstimmung in einem der Kriterien Bild, Klang oder Bedeutung besteht (4 Ob 330/97a = ÖBl 1998, 246, Go; 4 Ob 55/04y = RIS Justiz RS0079190, T22; 17 Ob 36/08f, Kobra/Cobra ).
Wird eine Marke vollständig in ein Zeichen aufgenommen, so ist regelmäßig – und zwar auch dann, wenn noch andere Bestandteile vorhanden sind – Ähnlichkeit und damit bei Waren- oder Dienstleistungsähnlichkeit auch Verwechslungsgefahr anzunehmen (4 Ob 138/03b, gotv; 17 Ob 1/08h, Feeling/Feel; 4 Ob 181/14t, Peter Max/Spannmax = OLG Wien 34 R 5/14a; RIS-Justiz RS0079033). Bei der Übernahme eines schwachen Zeichens besteht Verwechslungsgefahr, wenn das übernommene Zeichen innerhalb des übernehmenden Zeichens keine untergeordnete Rolle spielt und nicht gegenüber den Bestandteilen, die den Gesamteindruck des übernehmenden Zeichens prägen, gänzlich in den Hintergrund tritt (Om 15/01 = PBl 2002, 135, Jack Jones; 17 Ob 1/08h, Feeling/Feel; 17 Ob 32/08t, Jukebox; RIS-Justiz RS0079033, T20; RIS-Justiz RS0079033, insb T26).
Auch nach der Judikatur des EuGH (vgl C 120/04, Thomson life ) kann – übereinstimmend mit der vorgenannten, jüngeren Rechtsprechung – bei identischen Waren oder Dienstleistungen Verwechslungsgefahr für das Publikum bestehen, wenn das strittige Zeichen durch die Aneinanderreihung der Unternehmensbezeichnung eines Dritten und einer normal kennzeichnungskräftigen eingetragenen Marke gebildet wird und die ältere Marke im zusammengesetzten Zeichen eine selbständig kennzeichnende Stellung behält (vgl 7 Ob 32/08t, Jukebox; Om 12/10 PBl 2011, 67, PeakZero; jüngst 4 Ob 181/14t, Peter Max/Spannmax ).
2.6 Bereits aus älteren Entscheidungen des OGH ergibt sich, dass (unter bestimmten Voraussetzungen) ein abweichender Begriffsinhalt trotz Ähnlichkeit im Wortbild oder Wortklang die Verwechselbarkeit ausschließen kann (4 Ob 30/89 mwN; RIS-Justiz RS0079571, T17, T18; vgl zuletzt vgl 4 Ob 228/14d). Dies stimmt mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH überein, wonach Bedeutungsunterschiede die optische und klangliche Ähnlichkeit zweier Zeichen „neutralisieren“ können. Dies setzt voraus, dass zumindest eine der kollidierenden Marken aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, die die Verkehrskreise ohne weiteres erfassen können (C 361/04 P, Picaro/Picasso; C 206/04 P, Mühlens; C 16/06 P, Mobilix/Obelix; weitere Nachweise bei Ingerl/Rohnke, Markengesetz 3 § 14 Rz 928, und bei Onken in Beck’scher Online-Kommentar Markenrecht [Stand 1.12.2014] § 8 Rz 22; vgl auch BGH I ZR 102/07, GRUR 2010, 235, AIDA/AIDU, mwN zur deutschen Rsp).
2.7 Die Frage der Verwechslungsgefahr ist zudem eine Rechtsfrage und daher grundsätzlich auch keinem Beweisverfahren zugänglich (ÖBl 1994, 227, Ritter/Knight; stRsp RIS-Justiz RS0043640).
3.1 Die Antragsgegnerin moniert im Wesentlichen, dass wegen des Schriftbilds, des Klangs und der begrifflichen Bedeutung eine deutliche Differenzierung der Marken gegeben sei.
3.2 Das Rekursgericht teilt zwar zum Großteil die inhaltlichen Ausführungen des Patentamts, jedoch nicht im Ergebnis die Beurteilung der Verwechslungsgefahr.
In Bezug auf fremdsprachige Marken ist beim Vergleich der Begrifflichkeit der Zeichen maßgeblich, ob die angesprochenen Verkehrskreise die Bedeutung der Wörter verstehen. Aus der Rechtsprechung des EuG lässt sich ableiten, dass ein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise über ausreichende Kenntnisse der betreffenden Sprache verfügen muss, um die Bedeutung eines fremdsprachige Worts zu erfassen (EuG T 434/07, Solvo/Volvo [Rz 43]; T 286/02, Kiap Mou [Rz 41]; T 6/01 bestätigt durch EuGH C 3/03 Matratzen; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 189).
Dabei muss grundsätzlich sowohl mit einer sprachregelgemäßen als auch mit einer der Schreibweise entsprechenden deutschen Aussprache gerechnet werden, ungeachtet des Umstands, dass die Kenntnis fremder Sprachen (insbesondere des Englischen) laufend zunimmt ( Ströbele/Hacker, Markengesetz 11 § 9 Rz 278; Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 191 f). Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass eine begriffliche Ähnlichkeit nur bei geläufigen Ausdrücken gängiger Fremdsprachen in Betracht kommen kann, weil eine Verwechslung der Wortzeichen erst nach dem Übersetzungsvorgang möglich ist.
3.3 Die maßgeblichen Verkehrskreise definierte der EuGH als „den Handel und/oder den normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ (C 421/04, Matratzen Concord ua). Der Formulierung „und/oder“ muss entnommen werden, dass auch das Verständnis der (am Handel) beteiligten Fachkreise allein von ausschlaggebender Bedeutung sein kann (vgl dazu in Bezug auf beschreibende Angaben zuletzt 4 Ob 77/15z, Amarillo; Ströbele/Hacker, Markengesetz 11 § 8 Rz 485). Auch bei einer gespaltenen Verkehrsauffassung muss die Verwechslungsgefahr bei einer nicht unerheblichen Gruppe der Verkehrskreise bestehen ( Schumacher in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 2 § 10 Rz 90 f).
Im konkreten Fall ging das Patentamt davon aus, dass Adressat der betroffenen Waren der inländische Durchschnittskonsument einschließlich des türkisch sprechenden Bevölkerungsanteils ist.
3.4 Grundsätzlich trifft zu, dass nur jemand, der der türkischen Sprache kundig ist, den Sinn der Wortbestandteile beider Zeichen versteht. Nach Ansicht des Rekursgerichts kommt aber der Frage keine Relevanz zu, ob dieser Bevölkerungsteil ein „nicht unerheblicher“ Teil der maßgeblichen Verkehrskreise ist. Zwar liegt die Bedeutung der Worte „itikat“ (übersetzt in die deutsche Sprache: Glaube, Überzeugung, Meinung) und „öz itimat“ (übersetzt in die deutsche Sprache: echtes/reines Vertrauen) nach wie vor semantisch nahe beieinander, jedoch besteht der Unterschied zu OLG Wien 34 R 101/14v, itimat/itikat, vor allem darin, dass diese semantische (Begriffs-)Ähnlichkeit durch die gegebene klangliche und vor allem bildliche Unterschiedlichkeit in der Gesamtbetrachtung vernachlässigbar in den Hintergrund tritt.
Eine klangliche Ähnlichkeit ist schon aufgrund der geschlossen Schreibweise der beiden Wörter „öz“ und „itimat“ zu verneinen. Eine bildliche Ähnlichkeit wurde schon vom Patentamt zu Recht nicht angenommen.
Ausgehend von dieser Gesamtbetrachtung ist auch bei einer geringen Aufmerksamkeit, die beim Kauf derartiger Waren beim Durchschnittsverbraucher besteht, anzunehmen, dass im Fall der begrifflichen Übersetzungsgegebenheit der (türkischsprachige) Konsument den Bedeutungsunterschied erkennt und im Sinne eines Herkunftshinweises die Zeichen entsprechend zuordnen kann.
In Bezug auf den deutschsprachigen Verkehrskreis besteht ohnedies keine Verwechslungsgefahr.
4. Da die Entscheidung keine bisher von der Rechtsprechung unbeantworteten Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufweist und über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsam ist, ist der Revisionsrekurs nicht zulässig.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000,-- übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.
[Der Oberste Gerichtshof wies den außerordentlichen Revisionsrekurs am 24.5.2016 zurück, 4 Ob 116/16m.]