34R146/15p – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht ***** wegen Feststellung des Nichteingriffs in das Patent AT E 435 764 über die Berufung der Antragsgegnerin gegen den Beschluss der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 29.5.2015, N 6/2013 6, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin binnen 14 Tagen die Kosten des Berufungsverfahrens von EUR 2.721,90 (darin EUR 453,65 USt) zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des Patents AT E 435 764 (EP 1 989 066 B1) mit dem Titel „SPANN- UND SPERRVORRICHTUNG, IM BESONDEREN FÜR SCHNEEKETTEN“ (kurz Streitpatent oder StP ); seine Ansprüche lauten entsprechend der von der Antragstellerin und der Nichtigkeitsabteilung über die Patentschrift hinaus vorgenommenen weiteren Untergliederung, die das Berufungsgericht zum besseren Verständnis übernimmt, folgendermaßen (berichtigte Fassung vom 19.2.2013; E 435 764 3):
1. [a] Spann- und Verriegelungsvorrichtung, insbesondere für Schneeketten, die umfasst:
[b] - ein Gehäuse (2), in dem eine Spule (10) untergebracht ist, um die ein Zugseil gewickelt ist,
[c] - elastische Mittel (12), die durch das Herausziehen des Seils (8) aus dem Gehäuse (2) vorspannbar sind,
[d] - ein Ringzahnrad (18), das mit der Spule (10) koaxial starr verbunden ist,
[e] - eine erste Rückhalteklinke (22, 52), die mit dem Ringzahnrad (18) lösbar in Eingriff ist und die, wenn sie in Eingriff ist, das Drehen der Spule (10) in einer ersten Richtung ermöglicht, jedoch deren Drehen in einer zur vorhergehenden Richtung entgegengesetzten, zweiten Richtung verhindert,
[f] - eine zweite Rückhalteklinke (34, 36), die mit dem Ringzahnrad (18) lösbar in Eingriff ist das Drehen der Spule (10)in der zweiten Richtung ermöglicht, jedoch deren Drehern in der ersten Richtung verhindert,
[g] - ein Zwischenelement (28), das durch den Anwender betätigbar ist und gleichzeitig auf die erste Rückhalteklinke (22, 52) und auf die zweite Rückhalteklinke (34, 36) wirkt, so dass dann, wenn die erste Rückhalteklinke (22, 52) mit dem Ringzahnrad (18) in Eingriff ist, die zweite Rückhalteklinke (34, 36) hiermit nicht in Eingriff ist, und umgekehrt,
dadurch gekennzeichnet, dass das Zwischenelement (28)
[h] mit elastischen Mitteln (40) versehen ist, die auf die zweite Rückhalteklinke (34, 36) wirken und
[i] aus einem drehbaren Körper bestehen *), der mit einem Schwenkarm (32) versehen ist, der im Gehäuse um einen Stift (30) schwenkbar ist,
[k] um den auch die zweite Rückhalteklinke (34, 36) und die elastischen Mittel (40) schwenkbar sind.
2. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
[l] die erste Rückhalteklinke aus einem Hebelarm (22) besteht, der mit Zähnen (52) versehen ist, die mit dem Ringzahnrad (18) in Eingriff sind,
[m] wobei der Kopf des Hebelarms in einem in dem Zwischenelement (28) vorgesehenen Sitz (26) untergebracht ist.
3. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass
[n] die zweite Rückhalteklinke (34, 36) in einem Sitz (38) untergebracht ist, der in dem drehbaren Körper vorgesehen[en] ist.
[ Anm.: Ausgehend von der englischen und französischen Version wäre der oben mit *) markierte Teil wie folgt zu lesen:
... dadurch gekennzeichnet, dass das Zwischenelement (28)
[h] mit elastischen Mitteln (40) versehen ist, die auf die zweite Rückhalteklinke (34, 36) wirken, und
[i] aus einem drehbaren Körper besteht, der mit einem Schwenkarm (32) versehen ist, ... ]
Die Antragstellerin begehrte die Feststellung nach § 163 Abs 1 PatG, dass ihr Patent Spannschloss „SR“ (kurz: Feststellungsgegenstand oder FG ) zur Gänze nicht unter dieses Patent der Antragsgegnerin falle. Diese „SR-Ratsche“ (FG) sei eine Spannvorrichtung für eine Gleitschutzkette, worin ein Spannseil R4 innerhalb des Gehäuses an eine vorgespannte Seilrolle angeschlossen sei. Ein Schieber S diene der Auswahl je einer von zwei Arbeitsstellungen, in der das Spannseil jeweils hineingezogen werde oder ausziehbar sei, während die Bewegung in die jeweils andere Richtung blockiert sei. Dies entspräche den jeweils verschiedenen Stellungen der Klinke K. Der Schieber S wirke auf die Klinke K, die mit jeweils einem der beiden Zahnvorsprünge K1, K2 wiederum auf den Zahnkranz R51 der Seilrolle R5 wirke. Die in der Ratsche befindliche federnde Halteeinrichtung (Kugel K5 und Feder KF) sorge dafür, dass die Klinke K beim Verstellen des Schiebers nicht in einer Zwischenstellung verharren könne, sondern durch die Federkraft in eine der beiden Arbeitsstellungen befördert werde.
Der Oberbegriff des StP (Merkmale [a] bis [g]) könne nur insofern auf diese SR-Ratsche gelesen werden, als die zwei Rückhalteklinken gemäß den Merkmalen [e] und [f] mit Anteilen desselben Bauteils, nämlich der Klinke K, identifiziert würden; diese Lesart widerspreche jedoch der Lehre des Patents EP 1 989 066 B1. Auch die Merkmale [h] bis [k] seien zumindest nach dem Wortsinn nicht erfüllt. Es sei aber nicht nur eine wortsinngemäße, sondern auch eine äquivalente Verwirklichung der Merkmale des Anspruchs 1 ausgeschlossen. Dementsprechend sei auch ein Eingriff in die Unteransprüche 2 und 3 auszuschließen. Insgesamt liege daher kein Eingriff in den FG vor.
Es werde der sog Formstein-Einwand erhoben, liege doch die durch den FG realisierte Lösung näher am Stand der Technik als am StP.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Antrags auf Nichtverletzung. Die Verwirklichung der Merkmale [a] bis [d] des Anspruchs 1 stehe außer Streit, darüber hinaus seien beim FG auch die Merkmale [e] bis [i] wörtlich und das Merkmal [k] zum Teil wörtlich und zum Teil mit äquivalenten Mitteln erfüllt: Nicht wörtlich erfüllt sei das Merkmal, wonach an dem Stift auch die elastischen Mittel schwenkbar sind. Beim FG sei demgegenüber eine in Längsrichtung beanspruchte Schraubenfeder vorgesehen, die nicht auf dem Lagerstift der Klinke K, sondern außerhalb davon gelagert sei. Der FG mache jedoch von der geschützten Lehre in äquivalenter Weise Gebrauch, sei doch die Ausführungsform des FG gleichwirkend, naheliegend und gleichwertig. Eine Verwirklichung der abhängigen Ansprüche 2 und 3 des StP liege nicht vor; sie habe dies aber auch nie behauptet. Der Formstein-Einwand könne sich nur auf äquivalente, dh auf nicht wortgleiche Verwirklichung beziehen; dieser Einwand könne daher den FG nicht freistellen.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte die Nichtigkeitsabteilung fest, dass der FG insbesondere nicht unter Anspruch 1, aber auch nicht unter die Ansprüche 2 und 3 des Patents AT E 435 764 falle. Das Argument der Antragstellerin, der FG lasse sich aus dem (vorgelegten) Stand der Technik entnehmen, treffe zu. Denn es sei davon ausgehend naheliegend gewesen, eine Schneeketten-Spannvorrichtung mit einer umschaltbaren Sperrvorrichtung auszustatten. Der FG sei folglich zum Prioritätszeitpunkt des StP durch den Stand der Technik naheliegend gewesen. Selbst wenn daher der FG im Äquivalenzbereich des Anspruchs 1 des StP läge, fiele er nicht unter seinen Schutzbereich.
Die Äquivalenzprüfung falle ebenfalls zu Gunsten der Antragstellerin aus: Die im FG beschriebene Gestaltungsform verlasse den durch die Ansprüche des StP vorgezeichneten Lösungsweg und bilde einen eigenständigen Gegenstand.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung abzuändern und den Feststellungsantrag abzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Bevor auf die Argumentation in der Berufung eingegangen wird, sind die Grundsätze der Patentauslegung in Erinnerung zu rufen:
1.1. Für Patente bestehen seit Inkrafttreten von § 22a PatG eigene Auslegungsregeln (RIS-Justiz RS0118278; RS0030757 [T10]): Der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung werden durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung ist jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 des EPÜ, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden. Nach dem Auslegungsprotokoll zu Art 69 EPÜ ist diese Vorschrift nicht in der Weise auszulegen, dass unter dem Schutzbereich des europäischen Patents jener Schutzbereich zu verstehen ist, der sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche ergibt, und dass die Beschreibung sowie die Zeichnungen nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen anzuwenden sind. Ebenso wenig ist Art 69 dahingehend auszulegen, dass die Patentansprüche nur als Richtlinie dienen und der Schutzbereich sich auch auf das erstreckt, was sich dem Fachmann nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt (4 Ob 178/03k mwN der Rsp des OPM).
1.2. Schon weil § 87a Abs 1 PatG und Art 83 EPÜ inhaltlich übereinstimmen, ist in der Frage, unter welchen Umständen ein in einer Patentschrift offenbartes Erzeugnis geeignet ist, als Stand der Technik im Prioritätszeitpunkt zu gelten, eine harmonisierungsfreundliche Auslegung des innerstaatlichen Patentrechts im Lichte des EPÜ geboten.
Abzustellen ist danach darauf, ob der Durchschnittsfachmann auf Grund der in der Anmeldung enthaltenen Informationen in die Lage versetzt wird, unter Inanspruchnahme des von ihm zu erwartenden Informations- und Wissensstands und des allgemeinen Fachwissens und mit Hilfe der vom Anmelder aufgezeigten Ausführungswege die Lehre zum technischen Handeln zuverlässig, wiederholbar und ohne Umwege in die Praxis umzusetzen, ohne dabei einen unzumutbaren Aufwand treiben und eine unangemessene Zahl anfänglicher Fehlschläge hinnehmen zu müssen (RIS-Justiz RS0119499 = 4 Ob 214/04f mwN).
Auch wenn einzelne Elemente des Inhalts der Erfindung bereits vorher bekannt waren, so bedeutet dies noch nicht von vornherein, dass die Erfindung selbst nicht mehr als neu im Sinn des PatG angesehen werden könnte. Eine Erfindung kann auch darin bestehen, dass bereits bekannte Einrichtungen durch eine besondere Art ihrer Verwendung oder durch die Verbindung mit noch unbekannten Einrichtungen dazu verwendet werden, ein technisches Problem zu lösen (RIS-Justiz RS0071157).
Ob eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist grundsätzlich eine Rechtsfrage (17 Ob 24/09t; 17 Ob 13/09z). Da sich die Erfindungshöhe am Stand der Technik, also am Fachwissen des „Durchschnittsfachmanns“ auf dem betreffenden Gebiet orientiert, ist die Beurteilung, ob sich das eingetragene Patent für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, in erster Linie von einer Tatfrage abhängig (RIS-Justiz RS0071399). Es bedarf entsprechender Feststellungen, was sich
für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt aus den Vorveröffentlichungen ergeben hätte (vgl 17 Ob 4/11d ua).
1.3. „Gegenstand der Erfindung“ iSd § 22 Abs 1 PatG ist der in den Patentansprüchen definierte Lösungsgedanke im Zusammenhang mit der durch ihn gelösten Aufgabe; er bestimmt das Wesen und den Umfang des dem Patentinhaber gewährten Schutzes (RIS-Justiz RS0071537). Es kommt nicht darauf an, was erfunden wurde, sondern allein darauf, wofür der Schutz in Anspruch genommen und gewährt wurde (RIS-Justiz RS0071338). Für die Feststellungen des Inhalts des Patentanspruchs ist maßgeblich, wie der durch die Beschreibung und die Zeichnungen erläuterte Wortlaut des erteilten Patents auszulegen ist. Ob die Erteilungsakten für einen engeren Umfang sprechen, ist nicht maßgebend (17 Ob 35/09k; 4 Ob 214/12t, Lochski ).
2. Die Antragsgegnerin beanstandet, dass die Nichtigkeitsabteilung die Voraussetzungen für die Anwendung des Formstein-Einwands als verwirklicht angesehen habe und argumentiert, dieser greife dann nicht, wenn die Merkmale des erteilten Patentanspruchs beim FG identisch (iSv wortsinngemäß) verwirklicht seien. Die Nichtigkeitsabteilung habe es unterlassen, vor der Prüfung des Formstein-Einwands entsprechende Feststellungen zu treffen, weil eine Prüfung des Formstein-Einwands nur möglich sei, wenn sich ergebe, dass mindestens eines dieser Merkmale nicht wortsinngemäß verwirklicht sei. Andernfalls würde der Grundsatz verletzt, dass der Rechtsbestand des StP im Verletzungsprozess (oder im Feststellungsverfahren) nicht zu prüfen sei.
2.1. Der behauptete sekundäre Feststellungsmangel liegt nicht vor, weil die Nichtigkeitsabteilung sowohl zu den Ansprüchen des StP als auch zur Beschreibung des FG ausreichende Konstatierungen getroffen hat (Beschluss, S 9 f).
2.2. Der Grundsatz, dass der Rechtsbestand des StP im Verletzungsprozess (oder im Feststellungsverfahren) nicht zu prüfen sei, wird zwar in der deutschen RSp vertreten, wenn auch dort nur im Verletzungsprozess, er ist mit dem österreichischen Patentrecht aber nicht in Einklang zu bringen. Denn § 163 Abs 5 PatG verpflichtet das Patentamt bei der Beurteilung des Schutzbereichs des Patents, das Gegenstand des Feststellungsverfahrens ist, dazu, nicht nur den Inhalt der Erteilungsakten, sondern auch den von den Parteien nachgewiesenen Stand der Technik zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass (auch) im Verfahren über einen Feststellungsantrag nach § 163 Abs 1 PatG der Schutzbereich eines Patents durch den Stand der Technik im Anmeldezeitpunkt (präziser im Prioritätszeitpunkt; vgl Op 2/13) begrenzt wird, weil ein Patentanspruch regelmäßig nicht umfassen kann, was vor dem Anmeldetag bereits zum Stand der Technik gehörte (Op 3/02, PBl 2004, 74 mwN; Op 2/13; obiter auch 4 Ob 9/06m; Weiser, PatG/GMG 2 431; Burgstaller, Patentrecht 246).
2.3. Dieser Vorrang des freien Stands der Technik, der in Anlehnung an das Urteil X ZR 28/85 des BGH häufig als „Formstein-Einwand“ bezeichnet wird, bedeutet, dass bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Einwand des Antragstellers zulässig ist, die angegriffene Ausführungsform sei mit Rücksicht auf den Stand der Technik keine patentfähige Erfindung (NA des ÖPA N 13/89, PBl 1991, 148). Diesen Ansatz rechtfertigt die Überlegung, dass der Allgemeinheit durch den Patentschutz nicht die Möglichkeit zu einer nicht-erfinderischen Weiterentwicklung des vorbekannten Stands der Technik im Rahmen durchschnittlichen fachlichen Könnens genommen werden darf ( Scharen in Benkard, PatG/GMG 11 § 14 PatG Rz 126).
2.4. In der deutschen Lehre wird diese Formstein-Judikatur des BGH so verstanden, dass das als patentverletzend angegriffene Patent die Merkmale des Klagspatents nicht identisch, das heißt wortsinngemäß, verwirklichen darf. Bei einer identischen Verwirklichung sämtlicher Merkmale des Klagepatents würde die Verneinung einer Patentverletzung nämlich implizit die Patenterteilung in Frage stellen. Dies dürfe das Gericht nach deutschem Recht im Verletzungsstreit allerdings nicht, da das Gericht an die Patenterteilung als solche gebunden sei und die Rechtskraft des Patents als gegeben zu akzeptieren habe. Zur Abwehr eines identisch umgesetzten Klagepatents (iSv wortsinngemäßer Ausführung) sei es erforderlich, die mangelnde Rechtsbeständigkeit des Patents in einem separaten Nichtigkeitsverfahren geltend zu machen ( Scharen in Benkard, PatG/GMG 11 § 14 PatG Rz 126 und 132; Haedicke, Patentrecht 3 134 f; Loth in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskomm 4 § 14 PatG Rz 26 f; Keukenschrijver in Busse, PatG 7 § 14 Rz 79; Rinken/Kühnen in Schulte, PatG 9 § 14 Rz 73; Mes, PatG/GMG 4 § 14 PatG Rz 50 ff). Diese Lehre deckt sich mit der Rsp des BGH, wonach dieser Einwand nur bei einer Patentverletzung mit äquivalenten Mitteln von Bedeutung sei, nicht aber bei wortsinngemäßer Verletzung (zuletzt etwa BGH X ZR 74/14, Luftkappensystem; differenzierend jedoch etwa Haedicke, Patentrecht 3 134; Timmann in Haedicke/Timmann, Patentrecht 3 § 6 Rz 184 f). Gerade auf dieses Verständnis stellt auch der Berufungsvortrag ab.
2.5. Diese Differenzierung ist im Feststellungsverfahren nach § 163 Abs 1 PatG jedoch nicht erforderlich, weil im Rahmen dieses Verfahrens auch die Frage der (Teil )Nichtigkeit des Streitgegenstands – und damit im Ergebnis wenigstens mittelbar auch die Rechtmäßigkeit der Erteilung des Streitgegenstands – releviert werden kann. In diesem Verfahren ist der Stand der Technik ohne jede Differenzierung zwischen Wortsinngleichheit und Äquivalenz zu berücksichtigen und daher die formal aufrechte Patenterteilung für sich allein nicht maßgeblich (vgl etwa Weiser , PatG/GMG² 431; für die insofern abweichende deutsche Rechtslage zB Haedicke , Patentrecht 3 135; Keukenschrijver in Busse , PatG 7 § 14 Rz 79; Mes, PatG/GMG 4 § 14 PatG Rz 110).
2.6 . Denn § 163 Abs 5 PatG stellt nicht anders als §§ 1 Abs 1 und 3 Abs 1 PatG auf „[...] alles [ab] , was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag der Anmeldung durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benützung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist.“ Anders gewendet kann die Erhebung des Formstein-Einwands in diesem, vor dem Patentamt als Erteilungsbehörde selbst (und damit [zumindest in erster Instanz] nicht vor den ordentlichen Gerichten) geführten Feststellungsverfahren inter partes dazu führen, dass das StP als de facto nichtig anzusehen ist, hat es doch eine gänzlich andere Stoßrichtung als das vor den ordentlichen Gerichten geführte Verletzungsverfahren. Dass die Registrierung des StP (vorerst) als zwingend wirksam anzuerkennen wäre, lässt sich damit gerade nicht sagen (vgl aber § 112 Abs 1 PatG). Daraus folgt, dass die Patenterteilung anders als nach der in Deutschland vertretenen hA per se für Feststellungsanträge keine unumstößliche Bindungswirkung entfaltet (weiterführend zur Diskussion in Deutschland vgl etwa Timmann in Haedicke/Timmann , Patentrecht 3 § 6 Rz 189; Keukenschrijver in Busse , PatG 7 § 14 Rz 79 und 84; Rinken/Kühnen in Schulte, PatG 9 § 14 Rz 73 ff), ohne dass es zu einer „Vermengung“ unterschiedlicher Verfahren kommt (so aber die Berufung, Punkt I.2.): Das Feststellungsverfahren nach § 163 Abs 1 PatG wird vor dem Patentamt geführt, das gleichzeitig auch Registerbehörde ist.
2.7. Im Übrigen wäre für die Antragsgegnerin selbst dann nichts zu gewinnen, wenn man die Anwendung des Formstein-Einwands auf äquivalente Ausführungsformen begrenzte, da sie selbst zugesteht, dass sich die im Feststellungsverfahren zu beurteilende Ausführungsform in zumindest einem Merkmal (und zwar Merkmal [k]) vom patentierten Gegenstand unterscheidet (Berufung Punkt II.a. [richtig wohl: Punkt II.b.]) und somit keine wortsinngemäße Verwirklichung vorliegt (zu den Wirkungen selbst nach der deutschen Lehre s statt aller Keukenschrijver in Busse, PatG 7 § 14 Rz 82).
2.8. Die Anwendung des Formstein-Einwands und die Beurteilung seiner Reichweite durch die Nichtigkeitsabteilung ist damit insgesamt nicht zu beanstanden (§ 141 Abs 2 PatG iVm § 500a ZPO).
3.1. Die Antragsgegnerin beanstandet weiters, die Begründung der Nichtigkeitsabteilung zum Formstein-Einwand halte darüber hinaus auch keiner inhaltlichen Überprüfung stand, weil sich die herangezogene Beilage ./F (US 2005/0263747 A1) auf eine andere Art von Spanneinrichtung beziehe, welche die Fachperson als von den gattungsgemäßen Spanneinrichtungen weit abliegend mit Sicherheit nicht mit der Beilage ./E (EP 1 301 361 B1) in Verbindung gebracht hätte.
Auch dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.
3.2. Wie bereits die Nichtigkeitsabteilung zutreffend detailliert ausführt (Beschluss, S 11), betrifft der FG ebenso wie der Gegenstand der Beilage ./E eine Spannvorrichtung für Schneeketten, die ein Gehäuse aufweist, in dem ein Spannstrang auf eine Wickeltrommel aufgewickelt werden kann, die mit einem Klinkenrad drehfest verbunden ist. Die Spannvorrichtung gemäß Beilage ./E weist ein zweites Klinkenrad mit einer ihm zugeordneten federbelasteten Sperrklinke auf, wobei die beiden Klinkenräder miteinander drehfest verbunden sind. Die Sperrrichtungen der Klinkenräder sind gegenläufig, und die federbelasteten Sperrklinken des ersten und des zweiten Klinkenkrades können mittels eines gemeinsamen Betätigungsgliedes wechselseitig mit den dazugehörenden Klinkenrädern in Eingriff gebracht werden. Das Betätigungsglied ist als Schieber ausgeführt. Der FG unterscheidet sich vom Gegenstand der Beilage ./E demgegenüber dadurch, dass anstelle von zwei Klinkenrädern ein einziges Klinkenrad mit einer einstückigen Klinke vorgesehen ist.
3.3. Ausgehend von diesen Unterschieden diskutierte die Nichtigkeitsabteilung die Frage, ob der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt die Veranlassung hatte, die zwei Klinkenräder mit den federbelasteten Sperrklinken so auszuführen, dass die gleiche Funktionalität mit einem einzigen Klinkenrad und einer einstückigen Klinke realisiert werden kann. Sie zog dazu die Beilage ./F heran, die eine Spannvorrichtung für Ketten betrifft und nach Ansicht der Nichtigkeitsabteilung somit auch auf dem gleichen Fachgebiet wie der FG liegt.
Die Nichtigkeitsabteilung benannte das Fachgebiet nicht explizit, aus ihren Feststellungen geht jedoch hervor, dass sie offensichtlich allgemein das Fachgebiet der Spannvorrichtungen gemeint hat.
Der Beurteilungsmaßstab dafür, was der Stand der Technik lehrt und wie Vorveröffentlichungen zu verstehen sind, ist der Durchschnittsfachmann, eine Kunstfigur und damit ein Werkzeug des Gerichts, mit dem ein unbestimmter Rechtsbegriff ausgefüllt wird (RIS-Justiz RS0123155; RS0118279; OLG Wien 34 R 16/15w, Bodenbearbeitungsgerät, uva). Die Angabe der Zweckbestimmung (hier: Spannvorrichtung für Schneeketten) ist daher nur insofern als Einschränkung anzusehen, als der so bezeichnete Gegenstand für diesen Zweck geeignet sein muss. Obwohl die Spannvorrichtung gemäß Beilage ./F für einen anderen Zweck als die Verwendung an Schneeketten vorgesehen ist, ist kein Grund ersichtlich, der die Verwendung einer Spannvorrichtung mit den Merkmalen dieser bekannten Spannvorrichtung für Schneeketten ausschließen würde. Der Vergleich des FG mit der Beilage ./F war daher zulässig und ergibt auch nach Auffassung des Berufungsgerichts, dass die für die Funktion wesentlichen Elemente des Ratschenmechanismus identisch ausgeführt sind.
3.4. Somit ist auch der Schluss der Nichtigkeitsabteilung nicht zu beanstanden, dass es für den Fachmann nahelag, eine Schneekettenspannvorrichtung gemäß Beilage ./E mit einer umschaltbaren Sperrvorrichtung gemäß Beilage ./F auszustatten und dadurch zum FG zu gelangen, wobei der Vorteil darin liegt, dieselbe Funktion wie bei der Vorrichtung gemäß Beilage ./E mit nur einem Klinkenrad und nur einer – einteilig ausgebildeten und zweiseitig wirkenden – Sperrklinke zu erzielen.
3.5. Es ist der Nichtigkeitsabteilung daher zuzustimmen, dass der FG mit Rücksicht auf den Stand der Technik keine Erfindung ist und sich der Schutzbereich des StP daher nicht auf den FG erstrecken kann.
4.1. Darüber hinaus war die Nichtigkeitsabteilung der Ansicht, dass der FG das StP weder wortsinngemäß noch äquivalent verwirklicht.
4.2. Die Antragsgegnerin tritt dieser Ansicht im Wesentlichen mit den folgenden Argumenten entgegen:
4.2.1. Die Merkmale [a] bis [i] des Gegenstands des Patentanspruchs 1 seien beim FG wörtlich verwirklicht, wobei die Merkmale [e], [f] und [g] in Anspruch 1 des StP funktionell definiert seien. Weiters sei ein erstes Teilmerkmal von Merkmal [k] wörtlich erfüllt, das zweite Teilmerkmal von Merkmal [k], dass an dem Stift auch die elastischen Mittel schwenkbar sind, sei zwar nicht wörtlich, aber in äquivalenter Weise verwirklicht.
4.2.2. Bei funktionellen Merkmalen komme es allein darauf an, dass eine bestimmte Funktion – mit welchen strukturellen Mitteln auch immer – erfüllt werde. Nicht wesentlich sei, welche Anzahl von Komponenten vorgesehen werde, um die funktionellen Merkmale zu implementieren. Die Verneinung einer äquivalenten Verwirklichung des StP durch die Nichtigkeitsabteilung mit der Begründung, dass das Zwischenelement gemäß StP ein von den Klinken unterschiedlicher Bauteil sein müsse sei rechtsfehlerhaft. Zwar sei im einzigen Ausführungsbeispiel des StP das Zwischenelement tatsächlich als ein von den Klinken unterschiedlicher Bauteil ausgeführt, die Patentschrift enthalte aber keinen einzigen einschränkenden Hinweis dahingehend, dass gesonderte Komponenten für die Merkmale [e], [f] und [g] verwendet werden sollten. Die gegenteilige Beurteilung durch die Nichtigkeitsabteilung, dass sich in der gesamten Patentschrift kein Hinweis dafür finde, dass das Zwischenelement auch einstückig mit den Klinken gebildet sein könne, weiche vom Prinzip ab, dass dem Anspruchsgegenstand die breiteste technisch sinnvolle Bedeutung beizumessen ist. Die von der Nichtigkeitsabteilung angenommene Einschränkung von Anspruch 1 auf eine mehrteilige Ausführung könne auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Ansprüche 2 und 3 andernfalls nicht ausführbar wären. Die abhängigen Ansprüche bezögen sich nur auf das bevorzugte Ausführungsbeispiel der Figuren, auf welches das StP jedoch nicht beschränkt sei.
4.3. Mit dieser Argumentation zur Auslegung des Streitgegenstands vermag die Antragsgegnerin nicht zu reüssieren.
4.3.1. Der Schutzbereich eines europäischen Patents wird gemäß Art 69 EPÜ durch die Patentansprüche bestimmt. § 22a PatG verweist für die Auslegung nationaler Patente auf diese Vorschrift (vgl oben Punkt 1.).
4.3.2. Diese Grundsätze lassen für die von der Antragsgegnerin gewünschte Auslegung keinen Raum, wonach unter den Schutzbereich des StP auch falle, was sich weder aus dem Wortlaut der Patentansprüche noch aus dem Inhalt von Beschreibung und Zeichnungen ergebe. Insbesondere ist auch das Argument der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar, die Patentschrift enthalte keinen einzigen einschränkenden Hinweis, dass gesonderte Komponenten für die Merkmale [e] bis [g] verwendet werden sollen, obwohl der Wortlaut der Patentansprüche und der Inhalt von Beschreibung und Zeichnungen ganz eindeutig nur auf gesonderte Komponenten für die Merkmale [e], [f] und [g] abstellen. Die Nichtigkeitsabteilung hat das StP auch nicht auf das Ausführungsbeispiel reduziert, sondern seinen Schutzbereich im Einklang mit den Grundsätzen der Patentauslegung unter Bedachtnahme auf die Beschreibung und die Zeichnungen ausgelegt.
4.3.3. Der Antragsgegnerin kann auch darin nicht gefolgt werden, dass die Komponenten gemäß Merkmalen [e], [f] und [g] (nur) funktionell definiert wären. Vielmehr enthalten die unter diesen Merkmalen beschriebenen Komponenten zum Teil konkrete Merkmale und zum Teil funktionelle Merkmale, sie sind jedoch als konkrete (physische) Bestandteile genannt. Es kommt daher nicht nur darauf an, dass die diesen Merkmalen [e], [f] und [g] zukommenden Funktionen erfüllt sind, sondern es müssen auch die entsprechenden konkreten technischen Merkmale erfüllt sein, was aber nicht der Fall ist.
4.3.4. Die im Rahmen der Äquivalenzdiskussion von der Nichtigkeitsabteilung getroffene Feststellung, dass der FG keinen zum Zwischenelement (28) äquivalenten Bauteil aufweise, der mit elastischen Mitteln versehen ist, die auf die zweite Rückhalteklinke (K2) wirken, ist nicht korrekturbedürftig. Das elastische Mittel KF ist nämlich am Gehäuse angebracht und nicht am Klinkenbauteil K (als Zwischenelement); und es wirkt auf den Vorsprung K3, der kein Teil der zweiten Klinke K2 ist, sondern von dieser räumlich abgesetzt ist. Das Merkmal [h] ist daher nicht verwirklicht.
Der Hebel K4 ist in diesem Zusammenhang nicht dem Merkmal [h], sondern dem Merkmal [i] zuzuordnen. Hinsichtlich der äquivalenten Verwirklichung des Merkmals [k] übersieht die Antragsgegnerin, dass sich die Implementierung der Feder KF nicht darin erschöpft, dass anstelle einer Torsions- eine Spiralfeder verwendet wird, sondern die Wirkungsrichtungen dieser beiden Federn sind völlig verschieden. Zudem erfüllt die Feder KF die elastische Funktion für beide Vorsprünge K1, K2, was zur Lösung des StP im Gegensatz steht.
4.3.5. Die von der Antragsgegnerin vorgelegte „vereinfachte“ Skizze einer Gegenüberstellung der Funktion des StP und des FG (Berufung ON 7, S 5) entspricht daher diesen technischen Erwägungen nicht. Dem maßgeblichen Sachverhalt entspricht hingegen die von der Berufungsgegnerin vorgelegte Skizze (Berufungsbeantwortung ON 8, S 7); auch ihren darauf Bezug nehmenden Ausführungen kann auf Grund obiger Erwägungen im Wesentlichen gefolgt werden.
5. Insgesamt ergeben sich daher beim FG und beim StP unterschiedliche Wirkprinzipien; das Wirkprinzip des FG liegt daher der Lehre des StP nicht nahe und ist ihm auch nicht gleichwertig. Daher ist die Beurteilung der Nichtigkeitsabteilung nicht korrektbedürftig, dass der FG den durch die Ansprüche des StP vorgezeichneten Lösungsweg verlässt und nicht nur eine wortsinngemäße, sondern auch eine äquivalente Verwirklichung der Merkmale des Anspruchs 1 ausgeschlossen ist.
6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 122 Abs 1 und § 141 PatG iVm § 41 Abs 1 und § 50 ZPO.
7. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands beruht auf §§ 122 Abs 1, 141 Abs 2 PatG iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO. Der Entscheidungsgegenstand ist rein vermögensrechtlicher Natur, besteht aber nicht in einem Geldbetrag. Wegen der Bedeutung des Patentschutzes im Wirtschaftsleben übersteigt er EUR 30.000,--.
8. Die ordentliche Revision war gemäß § 141 Abs 2 PatG iVm § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage zu lösen war, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt: Sowohl die Frage, ob sich eine Erfindung in naheliegender Weise aus dem relevanten Stand der Technik ergibt, als auch jene nach der äquivalenten Verwirklichung eines Patents sind stets solche des Einzelfalls (allg RIS-Justiz RS0102181). Trotz des Fehlens ausdrücklicher Rechtsprechung des OGH zu einer konkreten Fallgestaltung liegt zudem dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz – wie hier § 163 Abs 5 PatG für den Schutzbereich eines Patents – selbst eine klare Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656).