34R162/15s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen des Widerspruchs gegen die Marke ***** über den Rekurs der Antragsgegner gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 6.8.2015, WM 168/2012 8, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und lautet:
«Den Antragsgegnern wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur schriftlichen Äußerung betreffend den Widerspruch WM 168/2012 gegen die Registrierung der Marke ***** bewilligt.»
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000,--.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung
1. Die Antragstellerin widersprach der Wortmarke (angegriffene Marke) *****, deren Eintragung die Antragsgegner beantragt hatten und die für die Waren- und Dienstleistungsklassen ***** eingetragen ist.
Die Antragstellerin berief sich dabei auf ihre Wortmarke *****.
Die angegriffene Marke sei zur Verwechslung mit der Widerspruchsmarke sowie deren Waren und Dienstleistungen geeignet.
2. Mit Note vom 22.3.2013 wurde den Antragsgegnern der Widerspruch zur Äußerung binnen zwei Monaten übermittelt, wobei auf die Rechtsfolge gemäß § 29b Abs 1 MSchG hingewiesen wurde.
3. Nachdem das Patentamt dem Widerspruch mangels Äußerung der Antragsgegner Folge gegeben und die Registrierung der angegriffenen Marke mit Beschluss vom 19.6.2013 aufgehoben hatte, beantragten die Antragsgegner am 16.7.2013, eingelangt beim Patentamt am 29.7.2013 , die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist.
Sie brachten im Wesentlichen vor, dass ihr Rechtsanwalt die Äußerung am 16.4.2013 erstellt habe. Seine zuverlässig und mit hoher Sorgfalt arbeitende Mitarbeiterin M***** sei ersucht worden, den Schriftsatz per Fax dem Patentamt zu übermitteln. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund habe sie eine falsche Faxnummer (Endklappe) eingegeben. Der negative Sendebericht sei in Folge einer Störung durch einen Telefonanruf nicht kontrolliert und der Akt letztlich als erledigt abgelegt worden, obwohl die Sekretärinnen angewiesen seien, Sendebestätigungen genau zu kontrollieren, und die Einhaltung dieser Weisung regelmäßig überprüft werde.
Die Antragstellerin sprach sich gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus.
4. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 6.8. 2015 (!) wies das Patentamt den Wiedereinsetzungsantrag ohne Durchführung eines Bescheinigungsverfahrens ab. Es ging von den Behauptungen der Antragsgegner als bescheinigtem Sachverhalt aus. Rechtlich folgerte das Patentamt, dass das irrtümliche Eingeben einer falschen Faxnummer; das Unterlassen der Überprüfung der Sendebestätigung; der Verzicht darauf, den Schriftsatz auch auf dem Postweg zu versenden; und auch die hier nicht erfolgte Kontrolle durch den Rechtsanwalt entschuldbare Fehlleistungen seien, dass jedoch durch nichts belegt sei, dass es eine Störung oder einen sonstigen rechtfertigenden Umstand gegeben habe, als die Sekretärin den Akt endgültig aus der Evidenz der einzuhaltenden Frist genommen habe. Gerade die Markierung eines Falles als „erledigt“ (zumindest im Hinblick auf die aktuell einzuhaltende Frist), sei eine mit äußerster Sorgfalt durchzuführende Tätigkeit, welche keinesfalls nebenbei erfolgen dürfe. Jedenfalls seien durch geeignete Vorkehrungen Störungen hintanzuhalten, beispielsweise durch das Umschalten der eigenen Telefonklappe auf einen anderen Mitarbeiter. Das Verhalten der Kanzleikraft habe damit nicht mehr die Qualität eines bloß minderen Grad des Versehens.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Antragsgegner wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Wiedereinsetzung zu bewilligen.
Die Antragstellerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen (gemeint: dem Rekurs nicht Folge zu geben).
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
6. Die Antragsgegner monieren, dass das einmalige Unterlassen einer korrekten Kontrolle der Sendebestätigung des Telefaxes eine Fehlleistung sei, die den Grad des minderen Versehens nicht übersteige, zumal der Rechtsanwalt regelmäßig Kontrollen durchführe. Es liege keine Kaskade von Irrtümern und fehlerhaften Handlungen vor. Es komme nicht darauf an, ob die Kanzleimitarbeiterin bei der Kontrolle der Versendung durch ein 30 minütiges oder durch ein kürzeres Telefonat unterbrochen worden sei. Entscheidend sei vielmehr, dass die Kanzleimitarbeiterin bisher stets mit höchster Sorgfalt und zuverlässig gearbeitet habe. Im vorliegenden Fall sei sie durch einen Telefonanruf in ihrer Routine beim Abfertigen und bei der Kontrolle der Sendebestätigung gestört worden, und sie habe daraufhin – zum ersten Mal – den negativen Sendebericht übersehen. Es liege auch kein Organisationsverschulden vor.
7.1 Gemäß § 35 Abs 5 MSchG sind hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die §§ 129 bis 132 sowie §§ 133 Abs 1 und 2 und die §§ 134 und 135 PatG sinngemäß anzuwenden. Nach § 37 Abs 3 MSchG gelten für das Rekursverfahren die Bestimmungen des AußStrG sinngemäß.
7.2 Die §§ 146 bis 153 ZPO über die Wiedereinsetzung sind auch im Außerstreitverfahren (sinngemäß) anzuwenden ( Rechberger in Rechberger 2 § 21 AußStrG Rz 1). Gemäß § 146 Abs 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung gehindert wurde, wobei ein minderer Grad des Versehens (also leichte Fahrlässigkeit) die Wiedereinsetzung nicht hindert.
Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Fehler auch einem sorgfältigen Menschen gelegentlich unterläuft. Als grob fahrlässig ist ein Verhalten zu bewerten, das auf auffallende Sorglosigkeit des Wiedereinsetzungswerbers zurückzuführen ist, der Fehler also einem ordentlichen Menschen in dieser Form regelmäßig nicht passiert. Ob das Verhalten erheblich von dem eines maßgerechten Durchschnittsmenschen abweicht, ist im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse zu entscheiden ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 2 § 146 ZPO Rz 55 mwN). An den Grad der erforderlichen Aufmerksamkeit ist zwar ein strenger Maßstab anzulegen, der aber die an die Partei oder an ihren Vertreter zu stellenden Anforderungen nicht überspannen darf (RIS-Justiz RS0036696).
Das Verschulden des Vertreters bei der Versäumung einer Prozesshandlung ist der Partei zuzurechnen (RIS-Justiz RS0111777). An rechtskundige Personen, insbesondere an berufsmäßige Parteienvertreter, ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0036784).
Ob das Verschulden einer Kanzleikraft dem Rechtsanwalt und in weiterer Folge der Partei zuzurechnen ist, wird zwar nicht einheitlich beantwortet, jedoch werden nach herrschender Ansicht und nach der Judikatur des OGH Fehler von Kanzleiangestellten grundsätzlich zugerechnet (vgl RIS-Justiz RS0036813; Fasching, Lehrbuch 2 (1990) Rz 580; aA Gitschthaler in Rechberger 4 § 146 ZPO Rz 19; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 2 § 146 ZPO Rz 52).
7.3 Obwohl das Patentamt mangels Bescheinigungsverfahrens offenbar vom Vorbringen der Antragsgegner als bescheinigt ausgeht, kann unter den dargestellten Prämissen die Beurteilung letztlich nicht geteilt werden.
Das Argument in Bezug auf das behauptete Telefonat, das den Routinevorgang der Kanzleimitarbeiterin gestört haben soll, orientiert sich nicht am bescheinigt angenommenen Sachverhalt. Vorgebracht wurde, dass die Kanzleimitarbeiterin beim Ablesen der Telefaxnummer aus dem Briefkopf des Patentamts zwei Zeilen verwechselt habe und ihr dieser Irrtum nicht aufgefallen sei, weil sie vor der Entgegennahme der Faxbestätigung (auf der ein negativer Sendebericht vermerkt gewesen sei) durch einen Telefonanruf unterbrochen worden sei; obwohl die sonst stets zuverlässige Sekretärin angewiesen sei, den erfolgreichen Versand in der Sendebestätigung zu kontrollieren, sei der Schriftsatz mit der (negativen) Sendebestätigung im Akt eingeheftet worden.
Im konkreten Fall liegen nicht zwei oder mehrere Fehler der Kanzleimitarbeiterin vor, sondern die nicht erfolgreiche Übermittlung des Schriftsatzes durch Telefax ist als einheitliche Fehlleistung zu sehen, die sich aus dem Irrtum bei der eingetippten Nummer und der unterlassenen/vergessenen Kontrolle des Sendeberichts zusammensetzt. Dieser Fehler wurde erst schlagend, als die Kanzleimitarbeiterin – gestört durch einen Telefonanruf – die Sendebestätigung nicht kontrollierte. Ob dieses Versehen durch ein langes Telefonat oder durch mehrere kurze Telefonate verursacht wurde, ist dabei egal. Relevant ist, ob es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährtheit der Kanzleimitarbeiterin nicht zu erwarten war, und dass dem Rechtsanwalt nicht die Verletzung von Organisations- und Kontrollpflichten vorzuwerfen ist (vgl 9 ObA 79/04i, 7 Ob 18/13t; RIS-Justiz RS0036813).
Eine weitere Konsequenz des Versehens war, dass die Kanzleimitarbeiterin routinemäßig den Akt als erledigt aus dem Fristenbuch abstrich (in der Meinung, sie hätte die Äußerung ordnungsgemäß abgefertigt).
Ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt handelt es sich nicht um eine Kaskade von Irrtümern und/oder fehlerhaften Handlungen, die den Maßstab eines minderen Grad des Versehens überschreiten, sondern die einmalige Fehlleistung, nämlich die Nichtkontrolle der Sendebestätigung, bewirkte, dass ein stets unvermeidlicher Tippfehler beim Wählen der Faxnummer nicht aufgefallen ist.
7.4 Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass hier zwar mehrere Faktoren unglücklich zusammengetroffen sind, jedoch nur ein einmaliges Versehen einer sonst zuverlässigen Kanzleiangestellten vorliegt. Für eine auffallende Sorglosigkeit oder eine Fahrlässigkeit in der Organisation und Überwachung gibt es nach Ansicht des Rekursgerichts keine Anhaltspunkte.
8. Da im Widerspruchsverfahren die Parteien die Kosten selbst zu tragen haben, gilt dies auch für das Wiedereinsetzungsverfahren (vgl. § 29b Abs 7 MSchG).
9. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit eines weiteren Rechtszuges beruht auf § 21 AußStrG iVm § 153 ZPO. Diese Bestimmung gilt auch für die von der zweiten Instanz ausgesprochene Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ( Gitschthaler in Rechberger 4 § 153 ZPO Rz 1).