34R150/15a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Thier und den Richter Dr. Terlitza in der Rechtssache der klagenden Partei H***** , gegen die beklagten Parteien 1. ***** , und 2. ***** , wegen EUR 18.698,47 sA, [...], hier wegen Ablehnung der Richterin *****, über den Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 22.9.2015, 1 Nc 16/15f 3, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag zurückgewiesen wird.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 933,30 (darin EUR 155,55 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist zulässig.
Text
Begründung
Die Klägerin ist Anlegerin und begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Rückzahlung des Kaufpreises für *****-Zertifikate in Höhe von (zuletzt: ON 44, PS 1) EUR 18.698,47 sA Zug um Zug gegen die Übertragung dieser Wertpapiere. Die Zweitbeklagte habe früher unter ***** firmiert und sei eine juristische Person mit registermäßigem Sitz auf *****. [...]
Die Erstbeklagte beantragte die Klagsabweisung und wandte die Verjährung der Klagsforderung ein. [...]
In erster Instanz ist die im Kopf der Entscheidung genannte Richterin zur Verfahrensführung zuständig.
In der Tagsatzung vom 28.5.2014 vereinbarte die Klägerin mit der Erstbeklagten einfaches Ruhen (ON 16, PS 2). Mit Schriftsatz vom 21.11.2014 beantragte die Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens (ON 29). Ohne Fassung eines formellen Fortsetzungsbeschlusses setzte das Erstgericht am 24.11.2014 das Verfahren durch Anberaumung einer Tagsatzung für den 27.2.2015 fort (ON 30).
Mit Schriftsatz vom 21.4.2015 (ON 50) lehnte die Erstbeklagte die Richterin als befangen ab. Die Erstbeklagte wirft ihr vor, sich offenbar zur Aufgabe gemacht zu haben, als „Anlegerrichterin“, damit als eine jener Richterinnen und Richter des Erstgerichts, die vornehmlich (über längere Zeit sogar ausschließlich) für Anlegerverfahren zuständig sind, immer zugunsten der Anleger und zu Lasten der Erstbeklagten zu entscheiden. Ihre Voreingenommenheit und Parteilichkeit sei seit ihrer Bestellung erkennbar gewesen. Dies habe sich im Laufe der Zeit zusehends gesteigert und sich in zahlreichen Vorkommnissen geäußert.
Auf Grund dieser Ereignisse habe die Erstbeklagte die Richterin bereits im Verfahren 56 Cg 197/12g sowie in den Verfahren 56 Cg 112/12g und 56 Cg 111/12k abgelehnt. Selbst wenn nicht jede einzelne Verhaltensweise oder Aussage der Richterin gesondert betrachtet eine Ablehnung rechtfertigen würde, so könne sich die Befangenheit aus der Summe weniger augenfälliger Verhalten ergeben.
Die Richterin legte den Akt dem Vorsitzenden des Befangenheitssenats des Erstgerichts mit einer Äußerung nach § 22 Abs 2 JN vor, in der sie zu den einzelnen Vorwürfen Stellung nimmt und abschließend erklärt, dass aus ihrer Sicht keine Befangenheit vorliege und sie sich durchaus in der Lage sehe, das Verfahren vorurteilsfrei und unparteiisch zu führen (ON 1 im Nc Akt).
Die Klägerin erhob den Einwand der Verspätung des Ablehnungsantrags und beantragte dessen Zurückweisung, in eventu dessen Abweisung wegen des Nichtvorliegens einer Befangenheit (ON 2 im Nc Akt).
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Ablehnungsantrag ab. Nach herrschender Ansicht müssten alle Ablehnungsgründe sofort nach ihrem Bekanntwerden geltend gemacht werden. Jede Einlassung in die Verhandlung oder Antragstellung nach dem Bekanntwerden des Befangenheitsgrunds bewirke den Ausschluss der Geltendmachung. Werde ein Befangenheitsgrund etwa in der mündlichen Verhandlung bekannt, so habe die Partei in dieser sofort den Ablehnungsantrag zu stellen.
Zahlreiche der erhobenen Vorwürfe beruhten auf Entscheidungen und Handlungen der abgelehnten Richterin aus dem Jahr 2014. Die Hauptvorwürfe erhebe die Erstbeklagte aus Verhalten der Richterin im Verfahren 56 Cg 112/12g , wobei sich die letzten Vorwürfe, aus denen sich eine Befangenheit der abgelehnten Richterin ergebe, auf die mündliche Verhandlung vom 20.3.2015 bezögen. Mit Schriftsatz vom 1.4.2015 habe die Erstbeklagte auch in diesem Verfahren (ebenso wie im Verfahren 56 Cg 111/12k) die Richterin abgelehnt. Am 10.4.2015 habe die Richterin in den Verfahren 56 Cg 112/12g und 56 Cg 111/12k trotz des Ablehnungsantrags eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung unter Hinweis auf § 25 JN durchgeführt. Die Erstbeklagte habe dies im Verfahren 56 Cg 112/12g ausdrücklich gerügt. Am Ende beider Verhandlungen hätten die Streitteile einen unbedingten Vergleich geschlossen. Die Erstbeklagte habe den Ablehnungsantrag im Verfahren 56 Cg 112/12g nicht sofort gestellt, sondern ihn erst am 1.4.2015 eingebracht. Da der letzte Verfahrensverstoß im Verfahren 56 Cg 112/12g in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 20.3.2015 behauptet werde, in dieser Verhandlung jedoch kein Ablehnungsantrag gestellt worden sei, sei prinzipiell auch bei der jetzt von der Erstbeklagten begehrten Zusammenschau sämtlicher Ablehnungsgründe die Geltendmachung verspätet.
Aber auch unter Außerachtlassung von § 21 Abs 2 JN ergebe sich keine Befangenheit. Betrachte man alle als Ablehnungsgrund geltend gemachten Umstände, so lasse sich ebenso wie bei deren isolierter Betrachtung der Anschein einer Befangenheit nicht erkennen. Größtenteils werfe die Ablehnungswerberin der Richterin Parteilichkeit oder unrichtige Entscheidungen vor. Diesbezüglich hätten jedoch keine Mängel festgestellt werden können, die die Objektivität der Richterin vermissen ließen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Erstbeklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, ihn im Sinn einer Stattgebung des Ablehnungsantrags abzuändern.
Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. In der im Verfahren 56 Cg 112/12g am 20.3.2015 durchgeführten Tagsatzung stellte die Erstbeklagte keinen Ablehnungsantrag. Diesen brachte sie erst mit Schriftsatz vom 1.4.2015 ein. Jener und der hier interessierende, noch später, nämlich am 21.4.2015 eingebrachte Ablehnungsantrag enthalten die selben Vorwürfe. Insbesondere betrifft das jüngste, der Richterin in beiden Ablehnungsanträgen vorgeworfene Verhalten ihre Prozessleitung in der Tagsatzung vom 20.3.2015 im Verfahren 56 Cg 112/12g . Ausgehend davon erweist sich die primäre Begründung des Erstgerichts als richtig, der Ablehnungsantrag vom 21.4.2015 sei verspätet .
2.1. Nach § 21 Abs 2 JN kann eine Partei eine Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihr, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Diese Bestimmung entspricht wörtlich § 43 dZPO (6 Ob 600/92 = MietSlg 44.712; mit eingehender Begründung und Zitaten der deutschen Rechtsprechung und Lehre OLG Wien 1 R 144/15a).
2.2. Das Ablehnungsrecht muss nach § 21 Abs 2 JN bei sonstiger Verschweigung oder Annahme des Verzichts sofort nach dem Bekanntwerden des Ablehnungsgrunds geltend gemacht werden (RS0046040 [T3]; RS0045982 [T4]; RS0046042). Wird ein Befangenheitsgrund etwa in der mündlichen Verhandlung bekannt, so hat die Partei sofort in dieser den Ablehnungsantrag zu stellen (RS0046040 [T4]; RS0045982 [T6]; 3 Ob 133/04m; Klauser/Kodek JN ZPO 17 § 21 JN E 6 = OLG Wien 14 R 276/02i; Ballon in Fasching/Konecny 3 § 21 JN Rz 2, OLG Wien 2 R 190/12v; 4 R 160/15a uva).
2.3. Die Kenntnis des Ablehnungswerbers oder seines Prozessbevollmächtigten vom behaupteten Ablehnungsgrund muss sich auf jene Tatsachen beziehen, die nach Ansicht der Partei die Besorgnis einer Befangenheit begründen (RS0045992). Ergibt sich diese Besorgnis mosaikartig erst aus einer Mehrzahl von Verfahrensverstößen, so kommt es auf den letzten Verfahrensverstoß an, der nach Ansicht der Partei gleichsam „das Bild vollständig macht“, da auf Grund dieses Verfahrensverstoßes der Partei der Befangenheitsgrund ab sofort bekannt ist (OLG Wien 1 R 144/15a unter Verweis auf OLG Linz 11 Ra 59/14x).
3. Dieser letzte – vermeintliche – Verfahrensverstoß betrifft hier das Verhalten der Richterin in der Tagsatzung vom 20.3.2015 im Verfahren 56 Cg 112/12g . Es hätte also die Erstbeklagte in dieser Tagsatzung die Richterin selbst beim Zutreffen der beanstandeten Äußerung sofort ablehnen müssen. Durch die Nichtablehnung trat Verschweigung ein.
Zu klären ist daher, ob sich diese Verschweigung auch auf das (hier zu betrachtende) Verfahren 56 Cg 61/13h und damit auf den Ablehnungsantrag vom 21.4.2015 auswirkt, was das Erstgericht in seiner Begründung zunächst angenommen hat, bevor es sich inhaltlich mit den Ablehnungsgründen befasste.
4. Das Rekursgericht hat sich bereits zu 1 R 144/15a (an dem die selbe Klage- und die selbe Erstbeklagtenvertreterin beteiligt waren) sehr eingehend mit dieser Frage befasst und unter Hinweis auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung zur dem § 21 Abs 2 JN wörtlich entsprechenden Bestimmung des § 43 dZPO betont, dass die in Deutschland herrschende Auffassung auf die österreichische Rechtslage übertragbar sei. Zweck des § 21 Abs 2 JN sei die Ausschaltung von Ablehnungsanträgen, die offenbar in Verschleppungsabsicht gestellt oder die doloserweise erst vorgebracht würden, wenn sich aus dem Gang des Rechtsstreites ihre taktische Zweckmäßigkeit ergebe. Die Bestimmung solle somit einer willkürlichen Verzögerung entgegenwirken und verhindern, dass bereits geleistete prozessuale Arbeit nutzlos werde (6 Ob 600/92 = MietSlg 44.712; RS0045977).
Dieser Normzweck verlange, die Wirkung eines Verzichts oder einer Verschweigung jedenfalls dann auch auf ein anderes Verfahren der selben Prozesspartei zu erstrecken, wenn zwischen beiden Verfahren ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang bestehe. Es wäre seltsam, einer Partei zu gestatten, einen bestimmten Ablehnungsgrund in einem Verfahren nicht geltend zu machen, und den betreffenden Richter in einem anderen Rechtsstreit später unter Berufung auf exakt den selben Ablehnungsgrund als befangen abzulehnen (OLG Wien 1 R 144/15a = RW0000843).
5. Das Rekursgericht hat weiters zu 4 R 160/15a (und 4 R 179/15w und 4 R 181/15i) klargestellt, dass zwar die Vielzahl kleinerer Verstöße (materiell, das heißt inhaltlich) insgesamt zur Befangenheit führen könne; dies habe aber nichts mit der (formalen, das heißt zeitlichen) Frage zu tun, dass jener letzte Aspekt, der nach der Auffassung des Ablehnungswerbers in der Gesamtschau mit dem Vorangegangenen die Befangenheit bewirke, grundsätzlich sogleich in jener Tagsatzung geltend zu machen sei, in der er sich ereignet habe. Die behauptete Befangenheit eines Richters aufgrund seines Verhaltens gegenüber einer Partei in einem bestimmten Verfahren sei grundsätzlich im Rahmen jenes Verfahrens zu beurteilen, in dem er das beanstandete Verhalten gesetzt habe. Könne ein in einer dortigen Tagsatzung als befangenheitsauslösend behaupteter Umstand die Ablehnung mangels sofortiger Geltendmachung nicht mehr rechtfertigen, müsse dies aufgrund eines Größenschlusses umso mehr für ein vom selben Richter geführtes anderes Verfahren der selben Partei gelten.
6. Das Rekursgericht schließt sich diesen Ausführungen ausdrücklich an. Die Erstbeklagte macht der Richterin zum Vorwurf, sie würde zu ihrem Nachteil parteiisch agieren. Sowohl das Verfahren 56 Cg 61/13h als auch das Verfahren 56 Cg 112/12g betrifft Anlegerklagen gegen (auch) die Erstbeklagte im Zusammenhang mit dem Erwerb von MEL-Wertpapieren. Beide Verfahren hängen in tatsächlicher Hinsicht zusammen.
Zusätzlich darf nicht übersehen werden, dass die Erstbeklagte der Richterin gar nicht anlastet, sie hätte auch im Verfahren 56 Cg 61/13h eine gleiche oder auch nur ähnliche Äußerung gegenüber dem Erstbeklagtenvertreter getätigt wie in der Tagsatzung vom 20.3.2015 im Verfahren 56 Cg 112/12g . Durch die Verschweigung in dieser Tagsatzung verlor die Erstbeklagte daher (auch) ihr Recht, die ihr am 20.3.2015 bekannten, von ihr als ablehnungstauglich erachteten Gründe später im Verfahren 56 Cg 61/13h geltend zu machen.
Die allein auf inhaltliche Aspekte konzentrierte Argumentation im Rekurs (Seite 4) gegen die Verspätung verfängt nicht, weil die Erstbeklagte sich mit dem Aspekt der Rechtzeitigkeit in Wahrheit gar nicht auseinander setzt, wie die Klägerin zutreffend aufzeigt (Rekursbeantwortung, Seite 4). Der Verlust trat jedoch aufgrund des Zusammenhangs beider Verfahren ex lege bereits durch die Nichtgeltendmachung (Verschweigung) des Ablehnungsrechts in der Tagsatzung vom 20.3.2015 ein.
7. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist daher der Ablehnungsantrag vom 21.4.2015 verspätet; er ist daher zurückzuweisen, was im Rahmen einer Maßgabenbestätigung klarzustellen war. Auf seine inhaltliche Berechtigung ist damit nicht weiter einzugehen.
8. Das Ablehnungsverfahren ist ein Zwischenstreit, über dessen Kosten nach den Regeln des Ausgangsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang zu entscheiden ist (RS0126588). Die Erstbeklagte hat dem Kläger die Kosten seiner Rekursbeantwortung (TP 3B) nach §§ 41 iVm 50 ZPO zu ersetzen (3 Ob 18/14i; 9 Ob 47/14y).
9. § 24 Abs 2 JN ist als Sonderregel nicht anzuwenden, wenn das Rekursgericht eine meritorische Behandlung des gegen die erstgerichtliche Sachentscheidung gerichteten Rekurses ablehnt ( Mayr in Rechberger, ZPO 4 § 24 JN Rz 5 mwN; RS0044509; RS0045974; RS0122963 [T3]). In diesen Fällen sind die Voraussetzungen des § 528 ZPO zu beachten (RS0044509; RS0046065; Ballon in Fasching/Konecny 3 § 24 JN Rz 8 mwN), sodass der Wert des Entscheidungsgegenstands und die Erheblichkeit der Rechtsfrage zu prüfen sind (5 Ob 68/06w; 7 Ob 164/08f).
Im Fall der Entscheidung über einen Ablehnungsantrag ist Entscheidungsgegenstand der in der Klage geltend gemachte Anspruch (RS0044508; Klauser/Kodek JN ZPO 17 § 24 JN E 1).
Da keine Rechtsprechung des OGH zur Frage vorliegt, ob die Verschweigung eines Ablehnungsgrunds nur eine inner- oder auch eine außerprozessuale Wirkung hat, und die Frage über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat, ist der Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO zulässig.
[Der Oberste Gerichtshof wies den Revisionsrekurs am 30.3.2016 als unzulässig zurück, 4 Ob 44/16y.]