JudikaturOLG Wien

34R70/15m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
03. Dezember 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht [...] über den Rekurs von ***** gegen den Beschluss der Rechtsabteilung des Patentamts vom 20.11.2014, HA 1/2006 57, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird – soweit sie über die Zurückweisung des Einspruchs der a***** GmbH hinausgeht – aufgehoben.

Der Rechtsabteilung des Patentamts wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Eingaben der Rekurswerberin vom 24.8.2015 (samt Beilagen) und von 13.9.2015 werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Die Europäische Kommission nahm mit Verordnung (EG) Nr. 1263/96 vom 1.7.1996 „ Steirisches Kürbiskernöl “ in die Liste der geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen auf; dies geschah durch Ergänzung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 1107/96 (Celex 31996R1107). Der Antrag stammte von der „G*****“. Damalige Rechtsgrundlage war die Verordnung (EWG) Nr. 2081/1992 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Celex 31992R2081).

Nach Art 4 dieser Verordnung mussten die Lebensmittel, um eine geschützte geografische Angabe („ g.g.A. “) führen zu können, einer Spezifikation entsprechen, die nach Art 4 Abs 2 – soweit hier relevant – folgende Angaben enthalten musste:

a) den Namen des Agrarerzeugnisses oder des Lebensmittels einschließlich der geografischen Angabe;

b) die Beschreibung des Agrarerzeugnisses oder des Lebensmittels anhand der gegebenenfalls verarbeiteten Grunderzeugnisse, der wichtigsten physikalischen, chemischen, mikrobiologischen und/oder organoleptischen Eigenschaften des Erzeugnisses oder des Lebensmittels;

c) die Abgrenzung des geografischen Gebiets [...];

d) Angaben, aus denen sich ergibt, dass das Lebensmittel aus dem relevanten geografischen Gebiet stammt;

e) die Beschreibung des Verfahrens zur Gewinnung des Lebensmittels und gegebenenfalls die redlichen und ständigen örtlichen Verfahren;

f) Angaben, aus denen sich der Zusammenhang mit den geografischen Verhältnissen oder dem geografischen Ursprung [...] ergibt;

g) Angaben zu der Kontrolleinrichtung oder den Kontrolleinrichtungen nach Artikel 10;

h) besondere Angaben zur Etikettierung, die sich auf den Zusatz „g.g.A.“ oder die entsprechenden traditionellen einzelstaatlichen Zusätze beziehen;

i) gegebenenfalls zu erfüllende Anforderungen, die aufgrund gemeinschaftlicher und/oder einzelstaatlicher Rechtsvorschriften bestehen.

Nach Art 10 der Verordnung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Kontrolleinrichtungen geschaffen sind, die gewährleisten sollen, dass die Lebensmittel, die mit einer geschützten Bezeichnung versehen sind, die Anforderungen der Spezifikation erfüllen. Die Kontrolleinrichtung kann eine oder mehrere dafür benannte Kontrollbehörden und/oder zu diesem Zweck vom Mitgliedstaat zugelassene private Kontrollstellen umfassen. Die benannten Kontrollbehörden und/oder die privaten Kontrollstellen müssen ausreichende Gewähr für Objektivität und Unparteilichkeit gegenüber jedem zu kontrollierenden Erzeuger oder Verarbeiter bieten und jederzeit über die Sachverständigen und die Mittel verfügen, die zur Durchführung der Kontrollen notwendig sind. Zieht die Kontrolleinrichtung für einen Teil der Kontrollen eine dritte Stelle hinzu, so muss diese die gleiche Gewähr bieten. In diesem Fall bleiben die benannten Kontrollbehörden und/oder die zugelassenen privaten Kontrollstellen jedoch gegenüber dem Mitgliedstaat für die Gesamtheit der Kontrollen verantwortlich.

Nach Art 9 der Verordnung kann ein Mitgliedstaat „insbesondere zur Berücksichtigung des Stands von Wissenschaft und Technik oder im Hinblick auf eine neue Abgrenzung des geografischen Gebiets“ eine Änderung der Spezifikation beantragen.

Die Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 wurde abgelöst durch die Verordnung (EG) Nr. 510/2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Celex 32006R0510). Diese wiederum wurde abgelöst durch die – aktuell geltende – Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 („VO 1151/2012“) über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (Celex 32012R1151).

Die für eine geschützte geografische Angabe erforderlichen Produktspezifikationen sind in Art 7 dieser Verordnung genannt. Nach Art 53 der Verordnung kann eine Vereinigung, die ein berechtigtes Interesse hat, die Änderung der Produktspezifikation beantragen, wofür das Verfahren nach Artt 49 ff VO 1151/2012 anzuwenden ist.

Nach Art 49 Abs 3 VO 1151/2012 eröffnet der Mitgliedstaat bei der Prüfung die Möglichkeit eines nationalen Einspruchsverfahrens, das eine angemessene Veröffentlichung des Antrags gewährleistet und eine ausreichende Frist setzt, in der jede natürliche oder juristische Person mit einem berechtigten Interesse Einspruch gegen den Antrag einlegen kann.

Die zuständige Behörde ist in Österreich das Patentamt. Die gemeinschaftsrechtlichen Normen finden dazu in §§ 68 ff MSchG ihren Niederschlag.

2. Am 24.6.2009 langte beim Patentamt der Antrag auf Spezifikationsänderung ein.

Nach etlichen Modifikationen veröffentlichte das Patentamt den Antrag am 21.6.2013 im Internet, wodurch die viermonatige Einspruchsfrist in Gang gesetzt wurde.

3.1 Neben zwei anderen Parteien erhob die Rekurswerberin einen solchen Einspruch. Unter anderem zur Darlegung des berechtigten Interesses setzte das Patentamt der Rekurswerberin eine Frist von zwei Wochen.

3.2 Dazu trug die Rekurswerberin unter anderem vor, sie besitze die Gemeinschaftsmarke *****, deren Warenverzeichnis auf die geschützte geografische Angabe verweise. Eine Änderung dieser geschützten geografischen Angabe berühre daher ihre Eigentumsrechte. Sie betreibe im Gebiet, das von der Spezifikation bezeichnet werde, die „Ölmühle *****“ und stelle steirisches Kürbiskernöl nach der Spezifikation her. Diese Ölmühle sei im Schutzgebiet am längsten durchgehend tätig und habe das steirische Kürbiskernöl schon vor der Registrierung als geschützte geografische Angabe in jahrhundertealter Tradition erzeugt.

4. Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies das Patentamt den Einspruch der Rekurswerberin mit der Begründung zurück, ihr fehle das berechtigte Interesse daran, sich am Verfahren zu beteiligen.

Die Zurückweisung des Einspruchs der a***** GmbH blieb unbekämpft. Den Einspruch der „F*****“ behandelte das Patentamt meritorisch.

Im Übrigen sprach das Patentamt aus, dass der Änderungsantrag der Antragstellerin den Anforderungen der VO 1151/2012 und den zu ihrer Anwendung erlassenen nationalen und gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen entspreche.

Zur Zurückweisung des Einspruchs der Rekurswerberin erwog das Patentamt, dass keines der zwei Argumente zur Begründung des berechtigten Interesses zutreffe.

Zum einen berühre die beantragte Änderung der Spezifikation den Bestand der Marke der Rekurswerberin nicht.

Zum anderen treffe das Argument der Rekurswerberin nicht zu, wonach die Beschränkung der Betriebe auf die Zugehörigkeit zu einer (Zahlwort) Kontrollstelle pro Jahr ihre wirtschaftliche Handlungsfreiheit beschränke, weil nach der Streichung einer Kontrollstelle durch das Patentamt am 17.11.2014 einfach nur mehr eine (Zahlwort) Kontrollstelle zur Verfügung stehe. Dadurch sei die darauf bezogene Berechtigung ihres Interesses hinfällig.

5. Dagegen richtet sich der Rekurs, in dem unrichtige rechtliche Beurteilung sowie Verfahrensmängel geltend gemacht werden. Die Rekurswerberin beantragt primär, den Beschluss aufzuheben und dem Patentamt eine inhaltliche Entscheidung über ihren Einspruch aufzutragen. In eventu beantragt sie, den Beschluss so zu ändern, dass den von ihr beantragten Änderungen entsprochen werde; in eventu, den Antrag auf Änderung der Spezifikation abzuweisen.

Die Antragstellerinnen beantragten in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurück-, in eventu abzuweisen und „dem Beschluss des Patentamts stattzugeben“. [...]

Rechtliche Beurteilung

Der primäre Rekursantrag ist berechtigt.

6. Das Patentamt hat über den Einspruch der Rekurswerberin nicht inhaltlich entschieden, sondern den Einspruch zurückgewiesen. Diese Formalentscheidung limitiert auch den Gegenstand des Rekursverfahrens; das heißt, dass das Rekursgericht zur Frage, ob der Einspruch in merito berechtigt wäre, nicht Stellung nimmt. Zu prüfen ist nur, ob die Rekurswerberin das „berechtigte Interesse“ dargetan hat, sich am Verfahren zu beteiligen. Wenn dies bejaht wird, hat die Rekurswerberin einen Anspruch darauf, dass ihr Einspruch inhaltlich und in seiner Gesamtheit geprüft wird; dieser Einspruch enthält ein umfangreiches Vorbringen, das in der vorliegenden Entscheidung nicht wiedergegeben werden musste.

Das – im Text des MSchG nicht enthaltene, jedoch aus Art 49 Abs 3 VO 1151/2012 ableit- und verallgemeinerbare – „berechtigte Interesse“, das für die Erhebung eines Einspruchs erforderlich ist, ist nicht so zu verstehen, als dass damit auch die inhaltliche Berechtigung des Einspruchs gemeint wäre. Vielmehr ist damit eine Schwelle gemeint, die überschritten werden muss, um sich überhaupt am Verfahren zu beteiligen. Diese Wendung umfasst überdies – wie auch das Patentamt mit Hinweis auf einen Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2081/1992 richtig anmerkt – nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein wirtschaftliches Interesse. Der Auslegung dient dabei der Parteibegriff in § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG, wonach eine Beteiligung am Verfahren möglich ist, wenn die Entscheidung die rechtlich geschützte Stellung unmittelbar beeinflussen würde, wobei nicht zwischen einer positiven oder negativen Beeinflussung unterschieden wird.

Die Rekurswerberin trägt unter anderem vor, dass sie – offenbar auf der Tatsachenebene nicht strittig – im Schutzgebiet eine Ölmühle betreibt, in der seit langer Zeit Kürbiskernöl produziert wird und die schon betrieben wurde, bevor die g.g.A. existierte. Dazu geht auch das Rekursgericht davon aus, dass eine Produzentin jenes Produkts, auf das sich die g.g.A. bezieht, bei einer Änderung der Spezifikation in ihrer Rechtsposition unmittelbar betroffen wäre, sodass sie ein berechtigtes Interesse an der Beteiligung am Verfahren hat.

Der Einspruch der Rekurswerberin durfte daher nicht ohne inhaltlich Befassung zurückgewiesen werden. Obwohl in der Begründung des Patentamts auch meritorische Überlegungen anklingen, war die Entscheidung daher aufzuheben und dem Patentamt aufzutragen, nach § 68a Abs 3 letzter Satz MSchG über den Einspruch der Rekurswerberin meritorisch abzusprechen.

Da der primäre Rekursantrag berechtigt ist, ist auf die eventualiter erhobenen Anträge daher nicht einzugehen.

7. Die dem Rekurs nachgeschobenen Eingaben der Rekurswerberin waren zurückzuweisen, weil auch für den Rekurs der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt ( Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 47 Rz 3).

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