JudikaturOLG Wien

15R185/15h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
27. November 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Pisan als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Nigl und die Richterin Mag. Lienbacher in der Rechtssache der klagenden Partei S***** J***** , *****, vertreten durch Dr. Hanspeter Egger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S***** ***** , vertreten durch Rudeck-Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen EUR 20.000,-- s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 21.000,--) über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 500,--) gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28.8.2015, 55 Cg 21/14h-24 gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das in seinen Punkten 1.) und 3.) als unangefochten sowie in der Kostenentscheidung unberührt bleibt, im Übrigen (Spruchpunkt 2.) dahin abgeändert, dass es insoweit wie folgt zu lauten hat:

„2.) Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der Klägerin für sämtliche künftig eintretenden Spät- und Dauerfolgen aus und im Zusammenhang mit der Nachbehandlung der am 18.5.2011 durchgeführten Operation der Klägerin im S***** haftet. Das darüber hinausgehende Feststellungsbegehren wird abgewiesen.“

Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei deren mit EUR 394,41 (darin enthalten EUR 54,57 USt und EUR 67,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt nicht EUR 5.000,--.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht in Spruchpunkt 2.) aus, dass festgestellt werde, dass die beklagte Partei der Klägerin für sämtliche Spät- und Dauerfolgen aus und im Zusammenhang mit der Behandlung im S***** im Jahr 2011 haftet.

Dazu traf das Erstgericht – zusammengefasst und soweit im Berufungsverfahren von Relevanz – nachstehende Feststellungen :

Unstrittig ist, dass die Klägerin vom 17.5. bis 23.5.2011 in der orthopädischen Abteilung des S***** in Behandlung stand und am 18.5.2011 operiert wurde. Die Operation am 18.5.2011 mit Kalkherdausräumung an der linken Schulter der Klägerin erfolgte lege artis.

Die Fixation über sechs Wochen wird nur bei ausgedehnten Rekonstruktionen der Rotatorenmanschette angewendet. Bei einfachen Kalkentfernungen wie bei der Klägerin durchgeführt, wird in der Regel maximal ein bis zwei Tage fixiert und dann wird zuerst eine geraume Zeit von 3-4 Wochen mit passiver Heilgymnastik begonnen und in dieser Zeit beginnt man nach drei Wochen schon mit aktiver Gymnastik bis zur Schulterhöhe und ab der 6. Woche wird die Schulter zur aktiven Gymnastik freigegeben. Ein derartig langer Fixationszeitraum wie in der Krankengeschichte bei der Klägerin beschrieben ist entsprechend zu dokumentieren und zu begründen. Eine Begründung dafür findet sich in der Krankengeschichte aber nicht. Dieser lange Fixationszeitraum, der bei der Klägerin stattgefunden hat, entspricht nicht dem internationalen Standard der Nachbehandlung. Daraus resultiert bei langer Fixation der Schulter deren Einschleifung durch Verkürzung der Schulterkapsel und dadurch auch Schwächung der Muskulatur und Verkürzung der Muskelansätze (Arthrofibrose). Dieser Vorgang wird bereits bei einer Ruhigstellung der Schulter über 48 Stunden hinaus in Gang gesetzt.

Die Klägerin erlitt durch die nicht dem medizinischen Standard entsprechende Nachbehandlung einen Tag starke, 7 Tage mittlere und 40 Tage leichte Schmerzen und erlitt über einen weiteren Zeitraum von 3 Jahren seither noch 72 Tage leichte Schmerzen. Spät- oder Dauerfolgen aufgrund dieser Behandlung sind nicht auszuschließen.

Rechtlich folgerte das Erstgericht – zusammengefasst und soweit im Berufungsverfahren von Relevanz – dass sich das Sicherungsbegehren (gemeint das Begehren auf Feststellung) als berechtigt erwiesen habe, wobei dieses entgegen der Ansicht der beklagten Partei auf Spät- und Dauerfolgen beschränkt zweifelsfrei zukunftsgerichtet sei und daher keine Überschneidungen mit dem Leistungsbegehren vorlägen.

Gegen dieses Urteil richtet sich insofern, als dem Feststellungsbegehren über den Ersatz der künftigen Schäden aus und im Zusammenhang mit der Nachbehandlung im S***** im Jahr 2011 hinaus stattgegeben wird, die rechtzeitige Berufung der beklagten Partei aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass die Haftung der beklagten Partei nur für künftige Schäden aus und im Zusammenhang mit der Nachbehandlung im S***** im Jahr 2011 festgestellt und das darüber hinausgehende Feststellungsbegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt der Berufung der beklagten Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist berechtigt.

1.) Ist ein Feststellungsbegehren

unbestimmt, kann das darüber ergehende Urteil die Aufgabe der Klärung der Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien nicht erfüllen, wobei auch Feststellungsurteilen Rechtskraftwirkung zukommt (RIS-Justiz RS0037455). Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0037874 [T33; T39]).

Ein Feststellungsbegehren und der darauf gegründete Urteilsspruch müssen geeignet sein, über die Rechtsbeziehungen der Parteien ein für allemal Klarheit zu schaffen (RIS-Justiz RS0038908 [T5]). Das festzustellende und festgestellte Recht ist daher inhaltlich und umfänglich genau zu bezeichnen. Die Notwendigkeit der Bestimmtheit des Klagebegehrens ergibt sich hier zwar nicht wie beim Leistungsurteil aus der Erwägung, dass es zur Zwangsvollstreckung geeignet sein müsse, wohl aber aus dem Zweck und der Funktion der Feststellungsklage und ihrer Rechtskraftwirkung (RIS-Justiz RS0037437).

Dem Bestimmtheitsgebot ist dann Genüge getan, wenn daraus unter Berücksichtigung des Sprach- und Ortsgebrauchs und nach den Regeln des Verkehrs entnommen werden kann, was begehrt ist (RIS-Justiz RS0037874). Dies hat auch für den Zuspruch eines Feststellungsbegehrens zu gelten. Auch hier ist zur Abgrenzung der Rechtskraftwirkung eine hinreichende Präzisierung des haftungsbegründenden Verhaltens vorzunehmen.

Da im vorliegenden Fall die eigentliche Operation lege artis erfolgt ist und lediglich die Fehlerhaftigkeit der Nachbehandlung haftungsbegründend ist, ist die Haftung der beklagten Partei für allfällige künftige Folgen auf jene einzuschränken, die ihre Grundlage darin haben.

Oft gestalten sich Behandlungsverträge komplex. Sie umfassen dann nicht nur einen, sondern mehrere aufeinanderfolgende Behandlungsschritte und damit verbundene verschiedenartige medizinische Eingriffe, die teils zu diagnostischen, teils zu therapeutischen Zwecken durchgeführt werden. Die Behandlung eines Patienten zerfällt bisweilen auch in mehrere Abschnitte, die voneinander getrennt sein und – gegebenenfalls auch in größeren zeitlichen Abständen – von verschiedenen Ärzten oder Spitalsabteilungen durchgeführt werden können.

Richtig ist, dass Gegenstand des jeweiligen Behandlungsvertrages im Zweifel grundsätzlich ein bestimmter Krankheitsfall des Patienten und nicht ein isolierter Behandlungsabschnitt ist (RIS-Justiz RS0123378). Es wird dann die Behandlung des (im Normalfall regelwidrigen) gesundheitlichen Zustandes von deren Beginn bis zu ihrem Ende geschuldet. Erst mit der Beendigung der Behandlung (bzw der im Behandlungsvertrag festgelegten Pflichten des Behandlers) endet auch der Behandlungsvertrag. Es liegt also ein Zielschuldverhältnis (und kein Dauerschuldverhältnis) vor.

Dies ändert aber nichts daran, dass bei der Feststellung der Haftung für ein schadenbegründendes Verhalten oder Ereignis konkret auf dieses abzustellen ist, um sicherzustellen, dass sich die Rechtskraftwirkung auf die Folgen des schadenkausalen Verhaltens bezieht und der Schädiger nicht durch eine unzureichende Präzisierung für künftig eintretende Umstände zu haften hat, die ihre Ursache gar nicht in seinem haftungsbegründenden Verhalten haben. Steht also wie hier fest, dass lediglich die Nachbehandlung fehlerhaft erfolgt ist und sich die Haftung der beklagten Partei auf nachteilige Folgen daraus beschränkt, so ist dies im Sinne der dargelegten Rechtslage im Ausspruch über die Feststellung der Haftung zu präzisieren.

2.) Bleibt die Möglichkeit offen, dass ein schuldhaftes rechtswidriges Verhalten für einen künftigen Schadenseintritt ursächlich sein könnte, ist ein Feststellungsinteresse anzuerkennen (RIS-Justiz RS0038865). Nach der Rechtsprechung ist die Einbringung einer schadenersatzrechtlichen Feststellungsklage, die nicht nur dem Ausschluss der Gefahr der Anspruchsverjährung, sondern auch der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten und der Klarstellung der Haftungsfrage dem Grunde und dem Umfang nach dient, zulässig, wenn künftige Ersatzansprüche, insbesondere gesundheitliche Spät- oder Dauerfolgen, nicht ausgeschlossen werden können (RIS-Justiz RS0038920; RS0038971; RS0039018).

Im Allgemeinen ist das Feststellungsbegehren gegenüber einem möglichen Leistungsbegehren subsidiär, weshalb die Möglichkeit eines Leistungsbegehrens das Feststellungsinteresse insoweit ausschließt (RIS-Justiz RS0038817; RS038849; RS0039021). Soweit der Schaden schon eingetreten und der Ersatzanspruch bezifferbar ist, scheidet ein Feststellungsbegehren aus. Das von § 228 ZPO geforderte Feststellungsinteresse muss spätestens im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorliegen (10 Ob 14/03m mwN).

Das Feststellungsinteresse ist also insoweit zu verneinen, als der Kläger seinen Anspruch mit Leistungsklage geltend machen kann. Dass bereits eingetretene Schäden mit Leistungsklage geltend zu machen sind, hindert die Feststellungsklage aber so weit nicht, als durch den Leistungsanspruch der Feststellungsanspruch - auch wegen künftig eintretender Nachteile - nicht erschöpft ist (9 Ob 411/97z; RIS-Justiz RS0039021).

Im hier vorliegenden Berufungsverfahren ist die grundsätzliche Berechtigung des Feststellungsbegehrens nicht strittig. Berufungsgegenständlich ist lediglich, ob diesbezüglich im Urteilsspruch eine Einschränkung auf künftige Schäden vorzunehmen gewesen wäre. Dies ist zu bejahen (vgl auch OLG Wien 14 R 29/06x ua).

Dass die Haftung für sämtliche Schäden weiter reicht, als jene für zukünftige, unterliegt keinem Zweifel. Auch die Berufungsgegnerin gesteht in ihrer Rechtsmittelgegenschrift zu, dass eine Einschränkung auf künftige Schäden vorzunehmen ist. Entgegen ihren Ausführungen und jenen des Erstgerichts ist das eingeklagte und zugesprochene Feststellungsbegehren aber keineswegs insoweit „zweifelsfrei zukunftsgerichtet“ als es sich nur auf solche Ansprüche bezogen darstellt, deren Geltendmachung mit Leistungsklage derzeit noch nicht möglich sind. Vielmehr wären davon auch jene allfälligen Ersatzansprüche umfasst, die bereits eingetreten und bezifferbar wären, aber nicht eingeklagt wurden. Für derartige Ansprüche steht aber unabhängig von ihrer Deckung mit den erhobenen Leistungsansprüchen eine Feststellungsklage nach § 228 ZPO wegen deren Subsidiarität nicht zur Verfügung.

Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit kann die beklagte Partei daher im Sinne der dargestellten Rechtslage die Richtigstellung des Urteilsspruches im Berufungsverfahren begehren (vgl auch OLG Wien 15 R 60/00d).

3.) Ist ein Begehren unbestimmt, so kann das Gericht es durch Präzisierung um Spezifizierungsmerkmale anreichern. Dies ist aber dann mit § 405 ZPO nicht vereinbar, wenn damit Spezifizierungsmerkmale in das Begehren gelangen, die auch aus dem zugrundeliegenden Sachvorbringen nicht einwandfrei zu entnehmen waren. Ist hingegen aus dem Sachvorbringen die bestimmte Leistung oder Feststellung einwandfrei ableitbar und die Unbestimmtheit des Begehrens ein bloßer Formulierungsfehler, dann darf das Gericht den Urteilsspruch mit den zur Bestimmtheit erforderlichen Angaben ergänzen. Das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klagserzählung vom Kläger gemeint ist ( Fucik in Fasching/Konecny 2 III § 405 ZPO Rz 7 mwN).

Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin auch das von ihr erhobene Feststellungsbegehren auf die behauptete Fehlerhaftigkeit der gesamten bei ihr durchgeführten Behandlung gestützt. Nach den Feststellungen waren aber lediglich die von der beklagten Partei bzw den damit betrauten Ärzten zur Nachbehandlung gesetzten Maßnahmen fehlerhaft. Darüber hinaus ist keine Beschränkung des Begehrens auf die zukünftigen Folgen der behaupteten Fehlerhaftigkeit der Behandlung der Klägerin im S***** erfolgt, was gleichfalls nicht als bloßer Formulierungsfehler angesehen werden kann.

Eine bloße Anpassung des Urteilsspruch an den sachlichen Inhalt des Klagebegehrens (vgl RIS-Justiz RS0041254) im Rahmen einer Maßgabebestätigung kommt damit nicht in Betracht. Vielmehr ist entgegen den Ausführungen in der Berufungsbeantwortung eine inhaltliche Abänderung des Ersturteils durch das Berufungsgericht auch in Bezug auf die Einschränkung der Feststellung der Haftung auf künftige Schäden vorzunehmen.

Auch bei Feststellungsklagen ist der Zuspruch eines minus zulässig. Eine Überschreitung des § 405 ZPO liegt dabei dann nicht vor, wenn entweder ein quantitativ geringerer Umfang des Rechtes, dessen Feststellung begehrt wird, urteilsmäßig festgestellt wird oder aber an Stelle des begehrten Rechtes ein qualitativ geringeres Recht festgestellt wird, das aber begrifflich in dem Recht oder Rechtsverhältnis, dessen Feststellung begehrt wird, zur Gänze seine Deckung findet (RIS-Justiz RS0037485).

Es war daher der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne der Berufungsanträge unter hinreichender Präzisierung des haftungsbegründenden Verhaltens (vgl RIS-Justiz RS0038915) und damit des Haftungsrechtsverhältnisses (vgl zum Begriff des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 228 ZPO RIS-Justiz RS0039053) abzuändern.

Da die Klägerin in Bezug auf das Feststellungsbegehren nur mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teil der von ihr erhobenen Ansprüche unterlegen ist, konnte es betreffend die Verfahrenskosten erster Instanz bei der Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO bleiben, sodass keine Abänderung der inhaltlich nicht bekämpften Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil erforderlich war.

Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

Der gemäß § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO getroffene Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes gründet sich auf die unbedenkliche Bewertung des erhobenen Feststellungsbegehrens durch die Klägerin mit EUR 1.000,-- sowie die Bewertung des Berufungsinteresses durch die beklagte Partei mit der Hälfte dieses Betrages in Verbindung damit, dass nicht die grundsätzliche Berechtigung, sondern nur der Umfang des berechtigten Feststellungsbegehrens berufungsgegenständlich war.

Gemäß § 502 Abs 2 ZPO ist die Revision mangels eines EUR 5.000,-- übersteigenden Entscheidungsgegenstandes jedenfalls unzulässig.

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