JudikaturOLG Wien

34R6/15z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
23. März 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Schober und den Kommerzialrat Brichard in der Rechtssache der klagenden Partei M***** , vertreten durch Dr. Bernd Roßkothen, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei L***** , vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, wegen Unterlassung (EUR 15.000,--), Beseitigung (EUR 2.000,--), Rechnungslegung (EUR 2.000,--), Unterlassung (EUR 10.000,--) und Urteilsveröffentlichung (EUR 4.000,--) über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 2.12.2014, 11 Cg 99/14t 10, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die Kosten des Rekursverfahrens von EUR 816,30 (darin EUR 136,05 USt) zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 5.000,--, aber nicht EUR 30.000,--.

Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung

1.1 Der Kläger brachte – kurz zusammengefasst (§ 500a ZPO) und soweit für das Rekursverfahren wesentlich – vor, er vertreibe Wurstwaren in Form von Brezen, die als Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Nr. 001010201 0002, 28.9.2008) registriert und – auch in den USA – geschützt seien.

(Abbildung 1)

Die Beklagte stehe mit dem Kläger im Wettbewerb und vertreibe die nachfolgend abgebildeten kopierten und verwechselbaren Wurstwaren in ganz Österreich. Dadurch greife sie in den Musterschutz des Klägers ein.

(Abbildung 2, aus der Klage)

Darauf stützte der Kläger unter anderem sein (mit EUR 15.000,-- bewertetes) Begehren, der Beklagten gemeinschaftsweit zu verbieten, Wurstwaren in Brezenform in Verkehr zu bringen, soweit sie damit in das Gemeinschaftsgeschmacksmuster des Klägers eingreift, wie beispielsweise durch das Inverkehrbringen einer im Begehren (oben Abbildung 2) abgebildeten „Salami-Brezel“.

1.2 Damit inhaltsgleich begehrte der Kläger die Erlassung einer einstweilige Verfügung.

2. Die Beklagte bestritt das Sicherungsbegehren und wandte ein, die registrierte Wurstware sei nicht neu. Die Beklagte vertreibe Wurstwaren, die die B***** GmbH, Furth im Wald, Deutschland, seit 1998 herstelle und für die Patente mit der Priorität aus 1997 bestünden (EP 0893063 B1 und DE 19800109 C2).

Die Brezen seien auch nicht gleich und der Kläger vertreibe die Wurstwaren auch nicht, sodass die Streitteile nicht im Wettbewerb zueinander stünden.

3. Dem erwiderte der Kläger, er habe nicht gewusst, dass bereits Wurstbrezen auf dem Markt seien, als er mit dem Vertrieb begonnen habe. Er habe mit der M***** GmbH (später „S***** GmbH“) eine Produktionsvereinbarung geschlossen (9.12.2008). Kunden seien Wiederverkäufer im Bio-Sektor.

Das von der Beklagten ins Treffen geführte Patent bewirke keinen Musterschutz, sondern schütze eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Herstellung von darmlosen Würsten, mit denen unter anderem Brezelwürste geformt werden könnten.

4. Das Erstgericht erließ – unbekämpft – eine einstweilige Verfügung über einen anderen Unterlassungsanspruch und wies den Sicherungsantrag ab, der auf das Verbot gerichtet war, Wurst in Brezenform zu vertreiben.

Auf den Seiten 2 bis 4 gab es den unstrittigen und den als bescheinigt angesehenen Sachverhalt wieder (auf den verwiesen wird) und leitete daraus rechtlich ab, dass dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster des Klägers die Eigenart und die Neuheit fehle.

5. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers, der unrichtige Sachverhaltsfeststellung und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Er beantragt, die Entscheidung zu ändern und dem Sicherungsbegehren stattzugeben.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

6. Ausgehend von den unbekämpft zugrundegelegten Bildern der Wurstwaren (mit Berücksichtigung des oben wiedergegebenen Fotos aus Beilage ./B) ist die Entscheidung des Erstgerichts nicht zu beanstanden.

Aus systematischen Gründen genügt die Befassung mit der Rechtsrüge der Klägerin. Richtig gibt sie die Rechtslage nach der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (CELEX 32002R0006, GGV) zur Frage der Neuheit und der Eigenart wieder.

6.1 Gegenstand des Schutzrechts ist nicht ein Erzeugnis, sondern seine Erscheinungsform, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt (Art 3 lit a GGV), das heißt die sich am Erzeugnis zeigende Gestaltung.

Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat (Art 4 Abs 1 GGV). Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, vom Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes, vorbekanntes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft (Art 6 Abs 1 GGV).

Wiewohl die Gerichte von der Rechtsbeständigkeit eines eingetragenen Schutzrechts auszugehen haben, steht der Beklagten im Provisorialverfahren der Einwand offen, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster sollte wegen eines ihr zustehenden älteren nationalen Musterrechts für nichtig erklärt werden (Art 85 Abs 1 GGV).

6.2 Bei der Prüfung, ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt, kommt es nicht auf eine vollständige Übereinstimmung der Merkmale zwischen dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster und vorbekannten Geschmacksmustern an. Nicht die Merkmale im Einzelnen, sondern nur der jeweilige Gesamteindruck der Geschmacksmuster sind auf Unterschiede zu prüfen. Der Gesamteindruck kann durch prägende Merkmale bestimmt sein. Zur Ermittlung des Gesamteindrucks sind daher die einzelnen Merkmale des Geschmacksmusters nach ihrem Beitrag zum Gesamteindruck zu bewerten und zu gewichten. Der Gesamteindruck des Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist mit vorbekannten Geschmacksmustern zu vergleichen. Die Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmusters ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn keines der vorbekannten Geschmacksmuster alle prägenden Merkmale des Gemeinschaftsgeschmacksmusters aufweist oder wenn ein vorbekanntes Geschmacksmuster prägende Merkmale umfasst, die das Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht besitzt. Dabei ist nicht erforderlich, dass das vorbekannte Geschmacksmuster eingetragen ist (Art 6 Abs 1 lit a GGV).

Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt (Art 10 Abs 1 GGV). Die Frage der Schutzfähigkeit und die Verletzungsfrage sind somit nach denselben Prüfungskriterien zu beurteilen. Bei der Beurteilung, ob ein anderes Geschmacksmuster in den Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters fällt, ist der jeweilige Gesamteindruck zu ermitteln und zu vergleichen. Ein hohes Maß an Eigenart gibt Raum für einen großen Schutzumfang. Umgekehrt führt geringe Eigenart auch nur zu einem kleinen Schutzumfang. Ist der informierte Benutzer des geschützten Gemeinschaftsgeschmacksmusters bereit, trotz geringer Unterschiede zwischen Formenschatz und Gemeinschaftsgeschmackmuster die Eigenart zu bejahen, muss er gleichermaßen im Verletzungsstreit bei derartigen Unterschieden zwischen dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster und der angegriffenen Ausführungsform die Verletzung verneinen (4 Ob 177/05s mwN; 4 Ob 246/06i; 4 Ob 43/07p).

6.3 Der „informierte Benutzer“ ist nicht notwendigerweise der Endverbraucher. Zum Kreis der informierten Benutzer gehören beispielsweise Hersteller und Fachhändler des betreffenden Wirtschaftszweigs (Maier/Schlötelburg, Leitfaden Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 14). Er unterscheidet sich vom Endbenutzer durch gehobene Kenntnisse über Geschmacksmuster auf seinem Gebiet, es ist ihm ein gewisses Maß an Kenntnissen oder Designbewusstsein zuzutrauen (4 Ob 43/07p).

6.4 Bei der Beurteilung der Eigenart wird auch der Grad der Gestaltungsfreiheit bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt (Art 6 Abs 2, Art 10 Abs 2 GGV). Das bedeutet, dass der Schutzumfang umso kleiner ist, je mehr Muster bereits existiert haben, die einen ähnlichen Gesamteindruck hervorrufen. Je geringer die Gestaltungsfreiheit (hier: des Klägers) war, umso weniger Abweichungen zwischen den einander gegenüberzustellenden Erscheinungsformen genügen, um die Gleichheit des Gesamteindrucks zu verneinen (4 Ob 43/07p – Febreze; RIS-Justiz RS0122071).

7.1 Im vorliegenden Fall trifft das diesen Gedanken transportierende Argument des Erstgerichts zu, wonach die „Brezelform“ (auch) im Lebensmittelbereich weit verbreitet ist und in mannigfaltigen Formen und Größen verwendet wird. Zutreffend ist auch die Überlegung, dass das Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht eine Erscheinungsform schützt, die vom Inhaltsstoff des Erzeugnisses unabhängig ist (vgl auch Ruhl, GGV 2 Art 6 Rn 112). Die weite Verbreitung der Brezelform bei anderen Lebensmitteln und außerhalb des Lebensmittelbereichs ist somit auch im Vergleich der hier relevanten Produkte desselben Inhalts „Wurst“ dadurch zu berücksichtigen, dass der Schutzumfang wegen des geringen Grads der Gestaltungsfreiheit verkleinert wird.

7.2 Ausgehend von diesen Überlegungen unterscheidet sich das Gemeinschaftsgeschmacksmuster des Klägers ausreichend von den Produkten, deren Vertrieb durch die Beklagte der Kläger behauptet. Allein die verschiedenartige Verschlingung der Brezelform rechtfertigt es, – anders als der Kläger im Rekurs vorträgt – von einem „anderen Gesamteindruck“ im Sinne des Art 10 Abs 1 GGV zu sprechen.

Die Entscheidung des Erstgerichts bedarf daher keiner Korrektur. Ob das Gemeinschaftsgeschmacksmuster des Klägers überhaupt eine Eigenart aufweist, braucht nicht gesondert untersucht zu werden.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 EO iVm §§ 41 Abs 1 und § 50 ZPO.

9. Das Rekursgericht hat keine Bedenken, den Wert des Entscheidungsgegenstands an der Bewertung durch den Kläger zu orientieren. Ob die hier thematisierten Erzeugnisse einen gleichen oder einen verschiedenen Gesamteindruck hinterlassen, war im Einzelfall zu beantworten, wobei die von der Judikatur entwickelten Grundsätze nicht verlassen wurden; der Revisionsrekurs ist daher unzulässig.

[Diese im Provisorialverfahren ergangene Entscheidung blieb unbekämpft.]

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