JudikaturOLG Wien

34R23/15z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
19. März 2015

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Schober und Dr. Terlitza in der Rechtssache der klagenden Partei A***** , vertreten durch Dr. Karl Claus Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, wider die beklagte Partei W***** , vertreten durch THUM WEINREICH SCHWARZ CHYBA REITER Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen (zuletzt) EUR 14.252,08 sA und Feststellung (EUR 3.000,--), über den Kostenrekurs der klagenden Partei (Interesse EUR 4.643,70) gegen die im Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 28.11.2014, 3 Cg 48/13x-44, enthaltene Kostenentscheidung in nicht öffentlicher Sitzung den

BESCHLUSS

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Kostenentscheidung wird geändert und lautet:

«4) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 12.364,21 (darin EUR 1.290,46 USt sowie EUR 4.621,46 Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.»

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 63,99 (darin enthalten EUR 10,66 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

BEGRÜNDUNG

Mit dem nur im Kostenpunkt angefochtenen Urteil hat das Erstgericht 1. die Beklagte schuldig erkannt, dem Kläger EUR 14.092,40 zuzüglich Zinsen zu zahlen, 2. festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger für sämtliche zukünftigen, derzeit noch nicht bekannten Schäden aus dem Vorfall vom 30.11.2009 haftet, 3. das Mehrbegehren von EUR 159,68 sA abgewiesen und 4. die Beklagte verpflichtet, dem Kläger binnen 14 Tagen „die mit EUR 11.368,09 (darin enthalten EUR 1.124,44 an Umsatzsteuer sowie EUR 4.621,46 an USt-freien Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen“.

Die Kostenentscheidung stützte es auf beide Alternativen des § 43 Abs 2 ZPO. Der Kläger habe das Klagebegehren mehrfach eingeschränkt, sodass das Verfahren grundsätzlich in vier Phasen zu unterteilen gewesen sei. Im ersten Verfahrensabschnitt sei der Kläger mit seinem Begehren von EUR 25.100,27 letztlich mit EUR 17.092,40, das seien 68,10 %, durchgedrungen. Im zweiten Abschnitt (nach der Klagseinschränkung betreffend die Heilungskosten) sei der Kläger mit 68,34 % durchgedrungen, im dritten Verfahrensabschnitt (Einschränkung des Schmerzengeldes auf EUR 13.000,--) mit 85,42 %. Im letzten Verfahrensabschnitt sei der Kläger schließlich mit 99,07 % durchgedrungen.

Insgesamt sei das teilweise Unterliegen des Klägers – mit Ausnahme von EUR 90,19 an Heilungskosten im ersten Verfahrensabschnitt sowie EUR 159,68 an Verdienstentgang in allen Verfahrensabschnitten – auf das nicht vollständige Durchdringen mit der Teilforderung Schmerzengeld zurückzuführen. Im Hinblick auf das ursprüngliche Schmerzengeldbegehren von EUR 18.000,-- und den zugesprochenen Betrag von EUR 10.450,-- liege noch keine Überklagung vor, sodass der Anwendung des § 43 Abs 2 ZPO nichts entgegenstehe. Ohne Berücksichtigung des Schmerzengeldes sei der Kläger nur mit einem geringfügigen Teil unterlegen, sodass grundsätzlich die beiden Alternativen des § 43 Abs 2 ZPO zur Anwendung gelangen würden. Allerdings wäre es dem Kläger ab dem Vorliegen des unfallchirurgischen Gutachtens möglich gewesen, seinen Schmerzengeldanspruch richtig einzuschätzen, sodass ihm für den dritten Verfahrensabschnitt (von ON 27 bis ON 36) das Privileg des § 43 Abs 2 ZPO nicht zugute komme.

Mangels der Anwendbarkeit dieser Norm für den dritten Verfahrensabschnitt stünden dem Kläger daher aufgrund seiner Obsiegensquote nach dem Grundsatz der Quotenkompensation nur 70 % seiner Vertretungskosten für diesen Verfahrensabschnitt zu. Hinsichtlich der Barauslagen habe der Kläger im ersten, zweiten und vierten Verfahrensabschnitt vollständig obsiegt, sodass die in diesen Verfahrensabschnitten angefallenen Barauslagen vollständig zu ersetzen seien. Nur die Sachverständigengebühren für das Ergänzungsgutachten ON 29 seien dem dritten Verfahrensabschnitt zuzuordnen, sodass 85 % dieser Kosten, insgesamt daher EUR 326,15, zuzusprechen gewesen seien.

Zwar habe die Beklagte keine Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis des Klägers erhoben, es sei jedoch amtswegig aufzugreifen, dass der Überweisungsantrag vom 12.11.2012 sowie der Antrag vom 17.1.2013 nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien. Insbesondere der Überweisungsantrag sei nur notwendig geworden, weil der Kläger zunächst ein unzuständiges Gericht angerufen habe.

Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich der Kostenrekurs des Klägers mit dem Abänderungsantrag, der Beklagten einen Prozesskostenersatz von EUR 16.011,79 aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt, dem Kostenrekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Kostenrekurs ist teilweise berechtigt.

1. Der Kläger meint, dass ihm sowohl die Kosten des Überweisungsantrags vom 12.11.2012 (ON 3) als auch jene des Antrags vom 17.1.2013 (ON 8) zustünden, weil die Schriftsätze zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen seien und die Beklagte keine Einwendungen erhoben habe.

1.1. Mit dem Budgetbegleitgesetz (BBG) 2009, BGBl I 2009/52, wurde durch die Bestimmung des § 54 Abs 1a ZPO die Dispositionsmaxime auch im Kostenersatzrecht ausdrücklich in das streitige Verfahren eingeführt, wie sich aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ergibt (ErlRV 113 BlgNR 24. GP, 31 f):

„Als Entlastung für die Gerichte dient die Anordnung, dass sie jene Positionen, zu denen der Gegner keine begründeten Einwendungen erhoben hat, und damit erkennen hat lassen, dass er einer entsprechenden Berücksichtigung im Rahmen der Kostenentscheidung nicht entgegentritt, der Kostenentscheidung zu Grunde zu legen haben. Dies erleichtert dem Richter die Prüfung des Kostenersatzanspruchs insofern, als sich die Streitpunkte, deren Anzahl meist nicht groß sein wird, klar herausstellen. Damit kann die Dispositionsmaxime auf den Kostenersatzanspruch erweitert werden. Nicht begründet bestrittene Positionen sind der Entscheidung ungeprüft zu Grunde zu legen. Wird also z. B. die gewählte Bemessungsgrundlage als unrichtig erachtet, die Auffassung vertreten, dass anstelle von TP 3 nur TP 1 zustehe, die verzeichnete Leistung als nicht erbracht angesehen [(...)] oder ein Schriftsatz als nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig befunden, so muss dies vom Gegner bemängelt werden; eine amtswegige Wahrnehmung ist nicht vorgesehen.“

1.2 . Die Bedeutung und die Reichweite der nach § 54 Abs 1a dritter Satz ZPO erhobenen Einwendungen und ihre Rechtsfolgen für die Kostenentscheidung – insbesondere wenn solche gar nicht oder nur teilweise erhoben wurden – haben bereits zweimal den VfGH beschäftigt.

1.3. Im Erkenntnis vom 3.12.2010, G 280/09 , sprach der Verfassungsgerichtshof zu § 54 Abs 1a ZPO idF BBG 2009 Folgendes aus (Hervorhebungen durch das Rekursgericht):

„2.2. Die von der Bundesregierung vertretene und in den Gesetzesmaterialien vorgenommene Interpretation des § 54 Abs 1a ZPO erweist sich vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes in der Tat als unsachlich. Wäre das Gericht an das Kostenverzeichnis allein deshalb gebunden, weil es durch den Verfahrensgegner unbeeinsprucht blieb, könnte dies dazu führen, dass das Gericht auch Kosten zuzusprechen hätte, deren Aufnahme in das Kostenverzeichnis auf Schreib- oder Rechenfehlern oder anderen offenbaren Unrichtigkeiten beruht. Der in den Gesetzesmaterialien angeführte Zweck des § 54 Abs 1a ZPO, nämlich Entlastung der Gerichte und Straffung des Verfahrens, vermag eine solche Regelung jedoch nicht zu rechtfertigen.

2.3. Nun lässt es der Wortlaut des § 54 Abs 1a ZPO aber zu, die Wendung ‚seiner Entscheidung zu Grunde zu legen’ dahingehend zu verstehen, dass das Kostenverzeichnis nur die Grundlage für die gerichtliche Entscheidung bildet, das Gericht aber die unter Punkt 2.2. dargestellten Fehler zu korrigieren hat. Da die gegenteilige Auslegung ein verfassungswidriges Ergebnis zur Folge hätte, ist eine verfassungskonforme Interpretation im dargelegten Sinn nicht nur zulässig, sondern geboten.“

1.4. Der Gesetzgeber novellierte diese Regelung in der Folge durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111, unter anderem dadurch, dass er das Wort „ungeprüft“ in § 54 Abs 1a dritter Satz ZPO einfügte. In den Materialien wird dies so begründet (ErlRV 981 BlgNR 24. GP, 82):

„Die unmissverständliche Intention des Gesetzgebers, dass das Gericht die verzeichneten Kosten ohne Einwendungen nicht zu prüfen, sondern diese so, wie sie verzeichnet sind, ‚seiner Entscheidung zu Grunde zu legen’ hat, findet auch im Gesetzeswortlaut ihre Deckung. Aufgrund der sich anders entwickelnden Rechtsprechung soll der Wille des Gesetzgebers nunmehr durch die Ergänzung des Gesetzestextes des § 54 Abs 1a durch die Einfügung der Wendung ‚ungeprüft’ klar zum Ausdruck gebracht werden. Wurde eine Position falsch verzeichnet und dies nicht vom Gegner in seinen Einwendungen gerügt, so ist die falsche Position ohne weitere Prüfung der Kostenentscheidung zugrunde zu legen. Dies betrifft nicht nur Fragen der richtigen Bemessungsgrundlage, sondern auch die Beurteilung, ob eine verzeichnete Leistung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich war. Nur so kann eine tatsächliche Entlastung der Gerichte erreicht werden. Unvertretene Parteien sollen hievon aber ausgenommen sein.“

1.5. Mit weiterem Erkenntnis vom 5.10.2011, G 84/11 ua, sprach der VfGH die Unsachlichkeit dieser Regelung aus und hob das Wort „ungeprüft“ im dritten Satz des § 54 Abs 1a ZPO idF BGBl I 111/2010 auf. Er begründete dies so (Hervorhebung durch das Rekursgericht):

„[...] Den antragstellenden Gerichten ist zuzustimmen, wenn sie in dieser Gesetzesänderung das vom Verfassungsgerichtshof im Vorerkenntnis [...] für verfassungswidrig befundene Ergebnis erblicken: Durch die Einfügung des Wortes ‚ungeprüft’ ist es dem Gericht nämlich verwehrt, jegliche Fehler eines nicht beeinspruchten Kostenverzeichnisses aufzugreifen. Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung entbehrt diese Konsequenz der sachlichen Rechtfertigung.

Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 neben der Einfügung des Wortes ‚ungeprüft’ zugleich den Anwendungsbereich der Regelung auf anwaltlich vertretene Parteien eingeschränkt hat, sodass bei unvertretenen Parteien die Pflicht des Gerichtes zur vollen Überprüfung des Kostenverzeichnisses gilt, ändert nichts an dem verfassungswidrigen Ergebnis, ist es doch auch in diesen Fällen nicht ausgeschlossen, dass das Kostenverzeichnis Schreib- oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten enthält. Es fehlt weiterhin an einer sachlichen Rechtfertigung für die Anwendung der Regelung auf anwaltlich vertretene Parteien. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, ist der Zweck der Entlastung der Gerichte nicht geeignet, für eine so weitgehende Regelung eine solche sachliche Rechtfertigung darzustellen.

Durch das Wort ‚ungeprüft’ drückt der Gesetzgeber nun unmissverständlich aus, dass das Gericht unbeeinsprucht gebliebene Kostenverzeichnisse nicht überprüfen darf, sondern die Kosten – so wie sie verzeichnet sind – der Kostenentscheidung zu Grunde zu legen hat. Dieses Verständnis des Wortes ‚ungeprüft’ bestätigen auch die Erläuterungen (RV 981 BlgNR 24. GP, 82) [...]. Vor diesem Hintergrund und auf Grund der unmissverständlichen Bedeutung des Wortes ‚ungeprüft’ ist die nunmehrige Regelung im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregelung einer verfassungskonformen Interpretation dahingehend, dass das Gericht Schreib- oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten zu korrigieren hat, nicht mehr zugänglich. [...]“

1.6. § 54 Abs 1a ZPO idgF lässt ausgehend von diesen beiden Erkenntnissen des VfGH, insbesondere nach der Aufhebung des Worts „ungeprüft“ offen, wie weit die Prüfungskompetenz des Gerichts für jene Positionen in einem Kostenverzeichnis reicht, gegen die der Gegner keine Einwendungen erhoben hat.

1.7. In der Lehre wird nach der Aufhebung des Worts „ungeprüft“ die Verpflichtung, Kostenverzeichnisse von Amts wegen, also außerhalb von Einwendungen der Gegenpartei, zu prüfen, unterschiedlich beurteilt.

1.7.1. Obermaier (Aufhebung von „ungeprüft“ durch den VfGH – was nun? ÖJZ 2011/116) argumentiert, dass die Frage, ob eine Leistung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, den Anspruchsgrund betreffe, der auch beim Unterbleiben von Einwendungen amtswegig zu prüfen sei.

1.7.2. Nach Thiele (Einwendungen gegen die Kostennote: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, Zak 2012/8) sollten im Wesentlichen die Schlüssigkeit der Kostennote, ihre Übereinstimmung mit dem Akteninhalt und mit dem Gesetz als Prüfmaßstab herangezogen werden. Das Gericht dürfe daher die verzeichneten Kosten auch dann nicht gänzlich ungeprüft zusprechen, wenn der Gegner keine Einwendungen erhoben habe. Eine Kostenverzeichnung, die auf einem nach dem RATG unrichtigen Streitwerts beruhe, sei jedoch nicht von Amts wegen zu korrigieren. Sinnstörende Auslassungen, die am wahren Willen des Antragstellers keinen Zweifel ließen, könnten hingegen richtiggestellt werden.

1.7.3. Rassi („Ungeprüft“ verfassungswidrig! ecolex 2012, 313) vertritt den Standpunkt, dass der Entlastungsgedanke nach dem VfGH das Prüfverbot nicht rechtfertige, wenn die Prüfung der Kostennote ohne großen Aufwand (also „ohne besonderes Verfahren“) vorgenommen werden könne. Anders als bei § 419 Abs 1 ZPO sei nicht darauf abzustellen, ob eine mangelhafte Erklärung vorliege. Zahlreiche Fehler bei der Kostenverzeichnung seien wegen leicht zu überprüfender Tatsachen klar erkenn- und damit ohne Beweisverfahren klärbar und schon daher offenkundig; die Überprüfungsmöglichkeit des Gerichts sei „nicht nennenswert eingeschränkt“.

1.7.4. Fucik (in Rechberger, ZPO 4 § 54 Rz 9) zeigt den nicht klar fassbaren Begriffsinhalt des „offenbar Unrichtigen“ und daraus resultierende subtile Abgrenzungsfragen auf und kritisiert die durch die Judikatur bewirkte Kasuistik, die die Bildung allgemeiner Kriterien kaum zulasse. Er schlägt jedoch – vermittelnd – zur Abgrenzung vor, darauf abzustellen, ob sich die Honorierbarkeit allein aus einem Vergleich der Kostennote mit dem Gesetz „offenkundig“ ergibt oder nur durch Erhebungen anhand des gesamten Akteninhalts.

1.7.5. M. Bydlinski (in Fasching/Konecny 3 § 54 ZPO Rz 25 f [ähnlich bereits ZVR-Jb 2010, 199 f]) interpretiert die Auslegung des VfGH dahin, dass die Unterlassung von Einwendungen das Aufgreifen von offenbaren Unrichtigkeiten (neben den weniger problematischen Schreib- und Rechenfehlern) nicht hindere. Das Gericht sei im Gegenteil angesichts der grundsätzlich bestehenden amtswegigen Prüfpflicht sogar dazu verhalten, unrichtig verzeichnete Kosten nicht zuzusprechen. Der Autor erachtet es nach einer Auseinandersetzung mit der Auffassung Fuciks (oben Punkt 1.2.3.) als zielführender, eine offenbare Unrichtigkeit zu verneinen, wenn die Prüfung eine „nähere“ Beschäftigung mit dem Akteninhalt erfordern würde. M. Bydlinski erstreckt die amtswegige Prüfpflicht tendenziell auf die Frage der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit einer Leistung.

1.8. Die (zivilgerichtliche) Rechtsprechung ist – soweit überblickbar – nicht homogen.

1.8.1. Das OLG Wien (RIS-Justiz RW0000471; 7 Rs 8/11 , 25.2.2011) vertrat vor der Novellierung des § 54 Abs 1a ZPO durch das BBG 2011, also vor der Version „ungeprüft“, jedoch bereits unter Bedachtnahme auf die durch den VfGH vorgegebene Verpflichtung zur verfassungskonformen Interpretation die Ansicht, dass soweit keine offenbaren Unrichtigkeiten oder Schreib- oder Rechenfehler vorlägen, dem Kostenersatzberechtigten weiterhin die von ihm verzeichneten Prozesskosten zuzusprechen seien, gegen die keine oder keine ausreichend konkretisierten Einwendungen erhoben worden sind. Eine weitergehende Prüfung sei nicht vorzunehmen. Auch begründet bestrittene Positionen seien nur im Hinblick darauf sowie auf den Inhalt der Bestreitung zu prüfen, nicht jedoch von Amts wegen in jede Richtung.

In 16 R 73/11i , 6.5.2011, dehnt das OLG Wien die Grenzen des einwendungslosen Korrigierens sehr weit aus: „Überhöhte Bemessungsgrundlage, falscher Tarifansatz, nicht erbrachte Leistungen, zu hoch wiedergegebene Dauer, nicht verbrauchter Kostenvorschuss, nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw Rechtsverteidigung notwendige Kosten, Unzulässigkeit eines Schriftsatzes, Verletzung der Verbindungspflicht, Kostenseparationsfälle, Fehlen von Belegen, Probleme bei der Umsatzsteuer, Fragen zum Einheitssatz und Streitgenossenzuschlag“.

Zu 15 R 179/11w , 28.12.2011, WR 1126, war das OLG Wien als Berufungsgericht, bereits ausgehend vom Erkenntnis des VfGH G 84/11 (Aufhebung von „ungeprüft“) der Ansicht, es könne bei der Neufassung der Kostenentscheidung des erstinstanzlichen Verfahrens auch ungerügte, offensichtliche Fehler des Kostenverzeichnisses aufgreifen. Dies betraf konkret einen zu Unrecht verzeichneten Streitgenossenzuschlag sowie die Berücksichtigung des Umstands, dass ein unverbrauchter und noch nicht rücküberwiesener Rest eines Kostenvorschusses aus dem Ersatzbetrag auch ohne Einwendungen zu streichen sei.

In 10 Rs 16/12i , 14.5.2012, WR 1129, hielt das OLG Wien mangels Einwendungen der Gegenpartei eine inhaltliche Überprüfung der Zweckmäßigkeit oder der ausreichenden Bescheinigung der abgewiesenen Kopierkosten für unzulässig.

Zu 15 R 164/11i , WR 1124, korrigierte das OLG Wien offenbare Rechenfehler im unbeanstandeten Kostenverzeichnis.

1.8.2. Auch in jüngster Zeit ist die Rechtsprechung des OLG Wien nicht einheitlich (zu Nw der älteren Rsp des Rekursgerichts siehe auch Rassi, ecolex 2012, 313 f; Fucik in Rechberger, ZPO 4 § 54 Rz 9; M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 54 ZPO Rz 25):

Zu 1 R 190/14i , 28.1.2015, (unveröffentlicht) wurde zur Berufung im Kostenpunkt ausgesprochen, dass die Beklagte – abgesehen von jenen gegen die vorprozessualen Kosten – keine Einwendungen gegen die vom Kläger verzeichneten Kosten erhoben habe und dass in diesem Fall das Gericht seiner Entscheidung die verzeichneten Kosten zugrunde zu legen habe, es sei denn sie wären „offenbar unrichtig“.

Zu 11 R 167/14f , 29.12.2014, (ebenfalls unveröffentlicht) verneinte das OLG Wien den Kostenersatzanspruch für die Einwendungen gegen die Kostennote, obwohl dagegen keine Einwendungen erhoben wurden, denn in diesem Punkt sei das Kostenverzeichnis – vom Berufungsgericht aufzugreifen – offenbar unrichtig.

In der Entscheidung 2 R 84/14h , 30.10.2014, (ebenfalls unveröffentlicht) wird die Ansicht vertreten, die unrichtige Bemessungsgrundlage sei auch ohne Einwendungen als offenbare Unrichtigkeit des Kostenverzeichnisses aufzugreifen.

Zu 2 R 88/14x , 27.10.2014, (ebenfalls unveröffentlicht) berücksichtigte das OLG Wien ohne Einwendungen korrigierend, dass eine unrichtige Bemessungsgrundlage für sämtliche Tagsatzungen gewählt worden war.

1.8.3. Das OLG Linz vertritt zur geltenden Rechtslage die Auffassung, das Gericht habe ohne konkrete Einwendungen nur offenbare Unrichtigkeiten (einschließlich Gesetzwidrigkeiten) sowie Schreib- und Rechenfehler wahrzunehmen (RIS-Justiz RL0000133 = OLG Linz, 3 R 80/13z ). Um der mit dieser Bestimmung angestrebten Entlastung einen sinnvollen Anwendungsbereich zu belassen, seien – entgegen Obermaier, ÖJZ 2011/116 – ohne konkrete Einwendungen nur offenbare Unrichtigkeiten sowie Schreib- und Rechenfehler wahrzunehmen. Ob ein Verlegungsantrag allein einer Partei zuzurechnen oder ein nach der vorbereitenden Tagsatzung erstatteter Schriftsatz im Einzelfall doch – und allenfalls nach welcher Tarifpost – zu honorieren sei, erfordere eine nähere Beschäftigung mit dem Akteninhalt und begründe somit keine offenbare Unrichtigkeit.

1.8.4. Der Oberste Gerichtshof wiederum, der in Kostensachen wegen des Rechtsmittelausschlusses des § 528 Abs 2 Z 3 ZPO nicht angerufen werden kann, tendiert in Einzelfällen offenbar dazu, den Begriff der „offenbaren Unrichtigkeit“ weit auszulegen. Nachstehend werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit bewusst jüngere Entscheidungen exemplarisch herausgegriffen (für weitere Einzelfälle siehe die Nw bei Fucik in Rechberger, ZPO 4 § 54 Rz 9).

In der (wohnrechtlichen) Entscheidung 2 Ob 98/14x sprach der OGH für die Aufkündigung nur den einfache Einheitssatz zu und qualifizierte die Verzeichnung des doppelten Einheitssatzes als offenbare Unrichtigkeit, die auch ohne Einwendungen aufgegriffen werden könne.

In 2 Ob 67/14p verneinte der OGH für einen gemäß § 257 Abs 3 ZPO unzulässigen Schriftsatz den Ersatzanspruch und korrigierte den überhöhten Kostenansatz für eine Tagsatzung auch ohne Einwendungen, weil dies nach der nunmehrigen Fassung des § 54 Abs 1a ZPO als offenbare Unrichtigkeit des Kostenverzeichnisses aufzugreifen sei.

Auch in 2 Ob 173/12y wurde ohne Einwendungen ein gemäß § 257 Abs 3 ZPO unzulässiger Schriftsatz nicht honoriert, weil dies als offenbare Unrichtigkeit des Kostenverzeichnisses aufzugreifen sei. Dies gelte auch für den überhöhten, weil von einer unrichtigen Dauer ausgehenden Ansatz für eine Tagsatzung und für sich aus der unrichtigen Bemessungsgrundlage ergebende geringfügige Korrekturen.

In 7 Ob 111/12t sprach der OGH im erstinstanzlichen Verfahren nicht angefallene Sachverständigengebühren nicht zu, denn die Klägerin habe solche Gebühren weder zu begründen noch zu belegen vermocht. Die Umsatzsteuer sei auch nicht zuzuerkennen, weil Leistungen österreichischer Rechtsanwälte für ausländische Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen würden.

1.9. Das Rekursgericht ist ähnlich wie das OLG Linz der Auffassung, dass ohne Einwendungen eine bloß eingeschränkte Pflicht zur amtswegigen Prüfung der verzeichneten Kosten besteht:

1.9.1. Die Absicht des Gesetzgebers des BBG 2009 und des BBG 2011 war unmissverständlich: Er wollte eine Entlastung der Gerichte erreichen (oben Punkte 1.1. und 1.4.; s aber RIS-Justiz RS0008771). Der VfGH verwarf diese Intention als Begründung für den völligen Entfall eines Kontrollrechts beim Fehlen von Einwendungen allerdings im Erkenntnis G 280/09 als verfassungsrechtlich nicht haltbar. Dass die von den Redaktoren des Gesetzes ebenfalls angestrebte Einführung der Dispositionsmaxime in das Kostenersatzrecht überhaupt nicht mit der Verfassung im Einklang stünde, ergibt sich jedoch aus keinem der beiden Erkenntnisse.

1.9.2. Seit der Aufhebung des Wortes „ungeprüft“ ist daher nach Auffassung des Rekursgerichts (im Anwaltsprozess) im Wesentlichen wieder von jenem Normverständnis auszugehen, wie es der VfGH in seinem ersten Erkenntnis (oben Punkt 1.1.1.) unter Zugrundelegung einer verfassungskonformen Interpretation (s dazu auch RIS-Justiz RS0112021; RS0008832; F. Bydlinski in Rummel, ABGB³ § 6 Rz 21) für unbedenklich erachtet hat. Die amtswegige Prüfkompetenz ist demnach nicht unbeschränkt, sondern vielmehr auf das Korrigieren von Schreib- oder Rechenfehlern oder anderen offenbaren Unrichtigkeiten eingegrenzt.

1.9.3. Das Auffinden von Schreib- oder Rechenfehlern ist nach Ansicht des Rekursgerichts unproblematisch und bedarf daher keiner näheren Diskussion. Immer noch unterschiedlich beurteilt wird die darüber hinausgehende Berechtigung, aber auch Verpflichtung, die in erster Instanz verzeichneten Kosten einer Überprüfung auf das Bestehen „offenbarer Unrichtigkeiten“ zu unterziehen. Diese stehende Wendung bedarf somit einer praktikablen Definition.

Bestünde die Verpflichtung, die verzeichneten Kosten erster Instanz von Amts wegen „allumfassend“ zu prüfen, so würde sich die Funktion der Einwendungen nur noch auf eine bloße Signalwirkung an das Gericht beschränken: Sie würden dann nämlich nicht den Gegenstand einer vertieften gerichtlichen Prüfung – abgesehen von Schreib- oder Rechenfehlern und offenbaren Unrichtigkeiten – determinieren, sondern hätten bloß noch den Zweck, bei der Fällung der Kostenentscheidung das Augenmerk des Gerichts auf besondere Einzelfragen zu lenken, ohne dass dies bedeuten würde, dass nicht auch jede andere Einzelposition in jede Richtung (das heißt dem Grund und der Höhe nach) eingehend überprüft werden müsste. De facto wäre die Bestimmung daher ohne fassbaren Regelungszweck und in Wahrheit sinnlos. Sind aber zwei Auslegungsvarianten vom Wortlaut gedeckt, so ist jener der Vorzug zu geben, die dem zuletzt geäußerten Willen des Gesetzgebers einen eigenen Anwendungsbereich belässt (RIS-Justiz RS0010053 [T1]).

1.9.4. Entsprechend der vom VfGH vorgegebenen Auslegung ist der Entlastungsgedanke nur in bestimmten Grenzen und damit die vom Gesetzgeber parallel angestrebte Dispositionsmaxime nicht schrankenlos in die Ermittlung des Normzwecks einzubeziehen. Unter diesen Umständen ist als in jedem Einzelfall gesondert zu gewichtendes Abgrenzungskriterium die klare Erkennbarkeit einer Unrichtigkeit (arg: „offenbar“) anhand des Akts maßgebend, die kein eingehendes Aktenstudium und nicht die Lösung mehr oder weniger diffiziler Tat-, Rechts- und Wertungsfragen erfordert. Unter solche bereits bei überblicksartiger Aktensichtung ins Auge stechenden Unrichtigkeiten fallen daher jedenfalls gar nicht erbrachte und damit zu Unrecht verzeichnete Leistungen ebenso wie unverbrauchte Kostenvorschüsse und sonstige evidente Gesetzwidrigkeiten. Auch solche Fehler, die durch einfaches Gegenüberstellen und Vergleichen der Kostennoten der Prozessparteien bereits ins Auge springen, sind unter den Begriff der offenbaren Unrichtigkeit zu subsumieren.

Weitergehende Fragen, wie etwa, ob eine Leistung nach dem richtigen Tarifansatz verzeichnet wurde, in welcher Höhe der Einheitssatz zusteht oder ob die verzeichnete Leistung überhaupt für die Rechtsverfolgung oder -verteidigung zweckentsprechend und notwendig war, fallen damit ohne konkrete Einwendungen der Gegenpartei aus der Prüfkompetenz heraus. Das Rekursgericht engt damit die Prüfkompetenz gegenüber der oben zitierten Entscheidung 16 R 73/11i bedeutend ein.

Die Anordnung, ein unbeeinspruchtes Kostenverzeichnis „zu Grunde zu legen“, steht im Widerspruch zu § 41 Abs 1 ZPO, wonach das Gericht den Kostenersatzbetrag nach seinem von sorgfältiger Würdigung aller Umstände geleiteten Ermessen zu bestimmen hat. Die – auch dogmatisch kritisierte (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 54 ZPO Rz 23) – Neufassung des § 54 ZPO ist nach Ansicht des Rekursgerichts als lex posterior aber derogativ und setzt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis fest, aus dem sich ergibt, dass die Prüfkompetenz in Bezug auf Unbeeinspruchtes eng auszulegen ist.

1.10. Auch wenn sich der VfGH mit dem Abstellen auf Schreib- oder Rechenfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten nahezu wortwörtlich einer Wendung bedient, die sich in § 419 Abs 1 ZPO über die Urteilsberichtigung wiederfindet, besteht entgegen der Ansicht Thieles (Zak 2012/8) für die amtswegige Ergänzung einer Kostennote kein Raum. Aus § 54 Abs 1 ZPO wurde und wird nämlich abgeleitet, dass derjenige, der einen zu niedrigen Kostenbetrag verzeichnet, nur diesen zugesprochen erhalten kann und den darüber hinausgehenden Ersatzanspruch verliert ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny ³ § 54 Rz 10; allg Fucik in Rechberger, ZPO 4 § 54 Rz 4 mwH; RIS-Justiz RS0120661; RLE0000009).

1.11. Unter Bedachtnahme auf diese Überlegungen hat das Erstgericht daher zu Unrecht ex offo Kürzungen bei den Vertretungskosten des Klägers vorgenommen. Dem Kläger steht ein Ersatzanspruch für die beiden (tatsächlich erstatteten) Schriftsätze ON 3 und ON 8 in der verzeichneten Höhe von insgesamt EUR 996,12 (davon EUR 166,02 USt) zu, weil die Beklagte nicht eingewendet hat, sie wären nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen. Auch die Frage, ob diese beiden nach dem richtigen Tarifansatz des RATG verzeichnet wurden, ist ohne Einwendungen der Beklagten einer eigenständigen Überprüfung entzogen, weil ihre allfällige Unrichtigkeit nicht „offenbar“ wäre.

2. [...]

3. [...]

Dem Kostenrekurs war daher teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung im Rekursverfahren stützt sich auf §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO. Im zweiseitigen Kostenrekursverfahren ist bei einem Teilerfolg eine Kompensation der Quoten vorzunehmen (RIS-Justiz RW0000364 uva). Der Kläger ist nur mit EUR 996,12 durchgedrungen. Das entspricht bei einem Rekursinteresse von EUR 4.643,70 einem Erfolg der Beklagten von etwa 79 %, sodass ihr nach der Quotenkompensation ein Ersatzanspruch von 58 % der – offenbar versehentlich lediglich nach TP 1 RATG, aber auf Basis eines Streitwerts von bis zu EUR 26.120,-- – verzeichneten Kosten der Rekursbeantwortung zustehen.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit eines weiteren Rechtsmittels stützt sich auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

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