34R94/14i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht ***** wegen Nichtigerklärung des Gebrauchsmusters AT 8.776 über die Berufung der Antragstellerin gegen den Beschluss der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 11.3.2014, NGM 7/2010 6, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragstellerin ist schuldig, dem Antragsgegner binnen 14 Tagen die Kosten des Berufungsverfahrens von EUR 1.615,14 (darin EUR 272,19 USt) zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,00.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Der Antragsgegner ist Inhaber des Gebrauchsmusters AT 8.776, das aus der Europäischen Patentanmeldung EP 1.113.249.5 mit Anmeldetag 31.5.2001 als Gebrauchsmuster GM 529/2005 unter Beanspruchung einer Priorität vom 16.6.2002 abgezweigt wurde (kurz: Streitgebrauchsmuster). Die registrierten Ansprüche 1 bis 12 haben folgenden Wortlaut:
«1. Dichtungsstopfen (1) zum Verschließen von Anschlussöffnungen mit dem Zweck, Fluidleckagen aus einer Maschine zu verhindern, wobei der Dichtungsstopfen (1) Befestigungsmittel (3) zum Befestigen des Dichtungsstopfens an der Maschine (M) anstelle eines Ausrüstungsteiles aufweist, das während des normalen Betriebes der Maschine (M) mit den Anschlussöffnungen verbunden ist und wobei der Dichtungsstopfen mit einem scheibenförmigen Flansch (2) ausgestattet ist, der gegen die verschließenden Anschlussöffnungen verschraubbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass der scheibenförmige Flansch (2) an seiner Verschlussseite mit einem Abdichtungsflansch (4) versehen ist, dessen Form an die Art und Anordnung der Anschlussöffnungen angepasst ist, der mit dem scheibenförmigen Flansch (2) integral ausgebildet ist und eine einschnittartige Vertiefung (7) umgibt.
2. Dichtungsstopfen nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Abdichtungsflansch (4) mit mindestens einer Erhöhung ausgebildet ist.
3. Dichtungsstopfen nach Anspruch 2 dadurch gekennzeichnet, dass die Erhöhung eine ringförmige und/oder eine vieleckige Abdichtungslippe (11) ausbildet.
4. Dichtungsstopfen nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Abdichtungslippe (11) mit dem Abdichtungsflansch (4) integral ausgebildet ist.
5. Dichtungsstopfen nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Abdichtungsflansch unterschiedliche Stufen aufweist.
6. Dichtungsstopfen nach Anspruch 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass er mit einem Fingergriff (6) ausgestattet ist, welcher in Bezug auf den Abdichtungsflansch (4) auf der gegenüberliegenden Seite des Flansches (2) angeordnet ist.
7. Dichtungsstopfen nach Anspruch 6 dadurch gekennzeichnet, dass der Dichtungsstopfen mit mindestens einem der folgenden Merkmale ausgestattet ist:
- einem Fingergriff (6) mit einer Anzahl von radialen Flügeln (5);
- einem Fingergriff (6) mit mindestens 2 Vertiefungen (12); oder
- einem Fingergriff (6) mit gerändelter Seitenkante.
8. Dichtungsstopfen nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass der Abdichtungsflansch (4) eben ist.
9. Dichtungsstopfen nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass der Dichtungsstopfen zur Befestigung ausgestaltet ist, wobei er eines der folgenden Merkmale umfasst:
- eine Gewindeöffnung (3), welche auf einen vorhandenen Gewindebolzen (8) aufgeschraubt werden kann;
- einen Gewindebolzen, welcher in eine vorhandene Gewindeöffnung eingeschraubt werden soll;
- einen inneren Abschnitt aus elastischem oder nachgebendem Material, das durch Schläge verformt werden kann, oder
- einen Bolzen aus elastischem oder nachgebendem Material, der an eine zentrale Öffnung eingetrieben werden kann.
10. Dichtungsstopfen nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass der Dichtungsstopfen aus einem Material hergestellt ist, welches gegen das zurückhaltende Fluid resistent ist und welches umweltfreundlich ist, wenn es zerstört wird, wobei das Material aus der Gruppe von thermoplastischen Materialien stammt, vorzugsweise Polypropylen oder Polyethylen, aus der Gruppe von Elastomeren oder aus der Gruppe von Metalllegierungen.
11. Dichtungsstopfen nach einem der Ansprüche 1 bis 5 oder 8 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass der Dichtungsstopfen eine innere und äußere Form oder eine Anordnung aufweist, um mit entsprechenden Teilen eines Werkzeugs einzugreifen, beispielsweise einem Schraubendreher, einem Schraubenschlüssel, einem Innensechskantschlüssel, oder dergleichen.
12. Verwendung eines Dichtungsstopfens (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 11 zum Abdichten oder Verschließen von Anschlussöffnungen (9, 10) an einer Maschine (M) nach dem Abbauen des Ölfilters.»
Die Antragstellerin begehrte die Nichtigerklärung dieses Gebrauchsmusters nach § 28 Abs 1 Z 3 GMG. Die ursprüngliche Offenbarung der Europäischen Patentanmeldung EP 01.113.249.5 sei nämlich überschritten worden, zumal der ursprünglichen Offenbarung unmittelbar und eindeutig keine „integrale“ Ausgestaltung zu entnehmen sei. Abgesehen davon sei der Schutzgegenstand jedenfalls nicht neu, da US 4.854.277 A den Schutzgegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorwegnehme. Zudem beruhe der Schutzgegenstand aber auch auf keinem erfinderischen Schritt, da die Ansprüche 1 bis 4 des Streitgebrauchsmusters neuheitsschädlich vorweggenommen worden seien und die Merkmale der abhängigen Ansprüche 5 bis 11 bloß Maßnahmen fachmännischer Routine seien.
Der Antragsgegner beantragte die Zurückweisung des Antrags auf Nichtigerklärung. Er bestritt die Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung auch unter Hinweis darauf, dass das Streitgebrauchsmuster eine Abzweigung aus der Europäischen Patentanmeldung EP 1.164.261 A1 sei. Schon die ursprüngliche Offenbarung enthalte einen Dichtungsstopfen, der gegen die Maschine verschraubt und in dem der scheibenförmige Flansch Bestandteil des Dichtungsstopfens sei. Das streitgegenständliche Gebrauchsmuster sei auch neu, zumal sich durch den Einsatz eines Abdichtungsflansches anstelle eines ringförmigen Dichtelements und aus der integralen Ausführung von Abdichtungsflansch und scheibenförmigem Flansch eine erhöhte Gesamtsteifigkeit des Dichtungsstopfens ergebe. Daraus resultiere auch ein erfinderischer Schritt, zumal der Durchschnittsfachmann von US 4.854.277 A nicht dazu angeleitet werde, das ringförmige Dichtelement durch einen Abdichtungsflansch zu ersetzen, der eine beliebige Form aufweisen könne und (zugleich) integraler Bestandteil des scheibenförmigen Flansches sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Nichtigkeitsabteilung den Nichtigkeitsantrag ab. Ziehe man die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung des Anspruchs heran, sei eindeutig, dass eine aus einem Stück bestehende Ausführung von scheibenförmigem Flansch und Abdichtungsflansch bestehe. Auch sei die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik (Beilage ./D) gegeben. Zusätzlich liege auch ein erfinderischer Schritt vor, da gerade im Gegensatz zur Lösung des Patents US 4.854.277 A durch den Gegenstand des Streitgebrauchsmusters die Verwendung von Dichtringen vermieden werden könne. Der Gegenstand von Anspruch 1 sei daher gegenüber dem Stand der Technik nicht nur neu, sondern er beruhe auch auf einem erfinderischen Schritt gemäß § 1 Abs 1 GMG. Dies erstrecke sich auch auf die abhängigen Ansprüche 2 bis 12 dieses Gebrauchsmusters. Davon ausgehend sei der Antrag auf Nichtigerklärung nicht berechtigt.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Berufung der Antragstellerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung abzuändern und dem Antrag auf Nichtigerklärung stattzugeben; hilfsweise wird der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen (Berufungs-)Verhandlung gestellt.
Der Antragsgegner beantragt in seiner Berufungsbeantwortung , der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung, über die gemäß § 49 Abs 2 GMG iVm § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu entscheiden war, ist nicht berechtigt.
1. Zum angeblich fehlenden erfinderischen Schritt :
1.1. Voranzustellen ist, dass sich die Berufung nicht mehr gegen die Ansicht der Nichtigkeitsabteilung richtet, das Streitgebrauchsmuster sei gegenüber dem Stand der Technik neu. Das Berufungsgericht teilt im Rahmen der allseitigen Prüfung der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0043352) diese Auffassung (§ 49 Abs 2 GMG iVm § 500a ZPO).
1.2. Erweist sich das angefochtene Gebrauchsmuster wegen eines fehlenden erfinderischen Schritts als schutzunfähig, kommt es auf den Aspekt der unzulässigen Erweiterung von vornherein nicht (mehr) an (Schmid in Bühring/Braitmayer/Schmid , GebrMG 8 § 15 Rz 19). Daher ist diese Frage zuerst zu klären.
1.3. Als Gebrauchsmuster werden auf Antrag Erfindungen geschützt, die neu sind, auf einem erfinderischen Schritt beruhen und gewerblich anwendbar sind (§ 1 Abs 1 GMG). Für Gebrauchsmuster wird demnach eine gewisse erfinderische Leistung gefordert.
1.4. Nach der älteren Rechtsprechung musste die Erfindungsqualität bloß in geringerem Ausmaß gegeben sein, als dies für die Patentierung erforderlich ist (1235 BlgNR 18. GP 14; 4 Ob 6/96 mwN = RIS-Justiz RS0103409). Während beim Patent das Schutzhindernis der fehlenden Erfindungshöhe erst überwunden wird, wenn etwas „Nicht-Naheliegendes“ geschaffen wird, wurden im Bereich des Gebrauchsmusters die materiellen Schutzvoraussetzungen als geringer angesehen: Gefordert wurde nur ein erfinderischer Schritt, für den ein geringeres Ausmaß an Erfindungsqualität genügte, als es für eine Patentierung gefordert wird (OGM 1/04 = PBl 2005, 39 – Präsentationsvorrichtung; OGM 1/01 = PBl 2003, 94 – Bodenkonstruktion; Kucsko, Geistiges Eigentum 976). Für das Vorliegen eines erfinderischen Schritts sollte daher keine Leistung verlangt sein, die sich für einen Fachmann mit durchschnittlichem Können als nicht naheliegend aus dem Stand der Technik ergibt (Erfindungshöhe für Patent), sondern es genügte vielmehr eine über die fachmännische Routine hinausgehende Lösung, die aber für den Durchschnittsfachmann grundsätzlich auffindbar ist (4 Ob 6/96 = RIS-Justiz RS0120892).
1.5. Diese Differenzierung gab der Oberste Patent- und Markensenat in seiner Entscheidung OGM 1/10 auf und vollzog ähnlich wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung X ZB 27/05 (GRUR 2006, 842 – Demonstrationsschrank; krit dazu etwa Braitmayer in Bühring/Braitmayer/Schmid , GebrMG 8 § 3 Rz 90 ff; Mes, PatG 3 § 1 GebrMG Rz 1 und 12) einen Paradigmenwechsel: Durch die Übernahme der in Art 56 EPÜ enthaltenen Definition der erfinderischen Leistung seien die Anforderungen an die Schutzfähigkeit im Patentrecht derart herabgesetzt worden, dass sie bereits alle nicht nur durchschnittlichen Leistungen erfassten, sodass auch für die Beurteilung des erfinderischen Schritts im Gebrauchsmusterrecht auf diese patentrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden müsse. Es verbiete sich, Naheliegendes als auf einem erfinderischen Schritt beruhend zu bewerten. Im Hinblick darauf, dass alle neuen und gewerblich anwendbaren Erfindungen bereits dann patentierbar seien, wenn sie für den Fachmann nicht nahe liegen, bestünden keine verallgemeinerungsfähigen Kriterien, mit denen die Anforderungen des Patentrechts zwar noch unterschritten werden können, andererseits eine Monopolisierung trivialer Neuerungen jedoch vermieden werde. In diesem Konflikt sei der Anforderung an die Erfindungsqualität im Gebrauchsmusterrecht der Vorzug zu geben, weil der maßgebende objektive Zweck des GMG darin liege, schöpferische Leistungen zu schützen, nicht aber darin, bloß fachmännische Routineleistungen mit Ausschließlichkeitswirkungen gegenüber Dritten zu versehen, also triviale Neuerungen zu monopolisieren. Daraus folge, dass ein erfinderischer Schritt im Sinne des § 1 Abs 1 GMG als qualitatives Kriterium ebenso wie die erfinderische Tätigkeit im Sinne des § 1 Abs 1 PatG das Auffinden einer nicht nahe liegenden Lösung einer Aufgabe voraussetze.
1.6. Die Beurteilung des erfinderischen Schritts hat sich daher nach den Kriterien für die patentrechtliche erfinderische Tätigkeit zu richten (resümierend Braitmayer in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 3 Rz 95 und 104 mwH).
1.7. Eine Erfindung liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann nahe, wenn der Fachmann aufgrund des Stands der Technik zu ihr hätte gelangen können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (17 Ob 24/09t = ÖBl 2010/28 – Nebivolol mwN). Diese Prüfung kann auch bei einem Gebrauchsmuster insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt bei Patenten herangezogenen Aufgabe-Lösungs-Ansatz erfolgen (vgl Op 1/02 PBl 2003, 29 mwN; Op 6/08; Op 4/11; OGM 1/10 [zum GMG]; Braitmayer in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 1 Rz 123 ff und § 3 Rz 105). Dazu ist zuerst der nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln, dann die zu lösende objektive technische Aufgabe zu bestimmen und schließlich zu prüfen, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven Aufgabenstellung für den Durchschnittsfachmann naheliegend gewesen wäre (näher zB Haedicke, Patentrecht 2 74).
1.8. Zutreffend hat die Nichtigkeitsabteilung aus diesem Blickwinkel zum Prioritätszeitpunkt das Vorliegen eines erfinderischen Schritts bejaht, wobei sie US 4.854.277 A (Beilage ./D) als nächstliegenden Stand der Technik ansah, die alle Merkmale des Oberbegriffs des bekämpften Anspruchs 1 offenbare, aber keines der Merkmale des Kennzeichens. Aus diesen Unterschieden lasse sich die Aufgabe ableiten, den Dichtungsstopfen ausreichend massiv auszubilden, um die notwendigen Dichtungskräfte zur Verhinderung von Fluidleckagen aus einer Maschine zu erzeugen. Diese Aufgabe werde gelöst, indem im Gegensatz zur Lösung aus Beilage ./D die Verwendung von Dichtringen durch den Gegenstand des Streitgebrauchsmusters vermieden werden könne. Der ringförmige Abdichtungsflansch 4 gehe über die bis dahin allein geläufige Aufgabe hinaus, Anpresskraft massiv ausgebildet in radialer und axialer Richtung zu übertragen. Erfinderisch ist somit der mit dieser bekannten Eigenschaft kombinierte Effekt der Dichtwirkung der Oberfläche des Abdichtungsflansches 4 in „integraler“ Ausgestaltung, was die Verwendung eines (zusätzlichen) Dichtrings überflüssig macht. Das betont daher auch der Antragsgegner mit Recht und verweist darauf, dass in Beilage ./D als nächstliegendem Stand der Technik eben kein Abdichtungsflansch offenbart wird, sondern vielmehr ein separater Dichtring enthalten ist. Mit anderen Worten ist daher die Ausbildung eines Dichtungsstopfens aus einem Stück, der gleichzeitig sowohl die Funktionen eines Flansches als auch einer Dichtung in sich vereint, erfinderisch. Dieser Lösung steht auch die von der Antragstellerin an anderer Stelle angeführte Entscheidung des EPA vom 18.1.2011, T 268/10, nicht entgegen, bejaht doch gerade auch diese das Vorliegen eines „ inventive steps “ der Europäischen Patentanmeldung EP 1.113.249.5 (auch wenn dieser Begriff nicht mit dem „erfinderischen Schritt“ gleichzusetzen ist: Braitmayer in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 3 Rz 4).
1.9. Der Berufungsvortrag beruht im Wesentlichen auf einer Ex-post-Analyse und zeigt keine zwingenden Argumente auf, die das Vorliegen eines erfinderischen Schritts entkräften könnten. Die diesbezügliche Wertung der Nichtigkeitsabteilung ist daher in ihrer Gesamtheit nicht zu beanstanden.
2. Zur behaupteten Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung:
2.1. Der Antragsgegner verweist in seiner Berufungsbeantwortung mit Recht auf den unmissverständlichen Wortlaut von § 28 Abs 1 Z 3 GMG, wonach eine Nichtigkeit aufgrund eines Hinausgehens über die ursprünglich eingereichte Fassung anhand der ursprünglich eingereichten, den Anmeldetag begründenden Offenbarung zu beurteilen ist. Dass diese Fassung EP 1.164.261 A1 ist, beurteilt bereits die Nichtigkeitsabteilung vollkommen zutreffend (weiterführend zB Schmid in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 15 Rz 24; allg Loth, GebrMG § 15 Rz 52 f) und setzt sich eingehend mit der von der Antragstellerin geltend gemachten Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung durch die Merkmale [4] bis [6] des Anspruchs 1 des Streitgebrauchsmusters auseinander. Es kann daher – insbesondere angesichts des besonders umfangreichen und detaillierten Berufungsvorbringens – zur Vermeidung von Wiederholungen vorweg auf die fundierten Ausführungen im angefochtenen Beschluss verwiesen werden (§ 49 Abs 2 GMG iVm § 500a ZPO), da – worauf wiederum die Berufungsbeantwortung hinweist – der Anmeldungstext des Streitgebrauchsmusters eine Übersetzung von EP 1.164.261 A1 ist.
2.2. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was der Stand der Technik lehrt und wie Vorveröffentlichungen zu verstehen sind, ist der Durchschnittsfachmann. Dabei handelt es sich um eine Kunstfigur und damit letztlich um ein Werkzeug des Gerichts, das dazu dient, einen unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen. Der Fachmann besitzt durchschnittliche Fachkenntnisse, kennt aber den gesamten Stand der Technik seines Fachgebiets (zB Haedicke, Patentrecht² 68; Braitmayer in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 1 Rz 19 und § 3 Rz 74; Mes, PatG 3 § 1 GebrMG Rz 14; Loth, GebrMG § 1 Rz 154). Als Fachmann ist hier ein Facharbeiter oder Absolvent einer höheren technischen Schule mit Kenntnissen auf dem Gebiet der Konstruktion einfacher Maschinenelemente anzusehen; er ist in der Lage, technische Zeichnungen einschließlich Schnittdarstellungen zu lesen.
2.3. Unproblematisch ist daher die Verneinung der Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung, was die Merkmale [4] und [5] des Anspruchs 1 des angegriffenen Gebrauchsmusters anlangt: Denn tatsächlich sind aufgrund der im angefochtenen Beschluss angestellten Betrachtung sowohl die Verschraubbarkeit als auch die geometrische Ausgestaltung bereits in der ursprünglichen Offenbarung unmittelbar und eindeutig enthalten.
2.3.1. Die Antragstellerin weist die behauptete Unrichtigkeit der Würdigung der ursprünglichen Anmeldung EP 1.164.261 A1 durch die Nichtigkeitsabteilung nicht nach. Mit Recht betont der Antragsgegner in seiner Berufungsbeantwortung etwa, dass der scheibenförmige Flansch keineswegs technisch zwingend mit den radialen Flügeln oder der mittigen Gewindeöffnung verknüpft ist und alle drei Merkmale jeweils unterschiedlichen Funktionen haben (S 6 ff). Die Abdichtung von Anschlussöffnungen durch Verschraubung wiederum erfordert per se keine bestimmte konstruktive Ausgestaltung, was sich aus dem bereits in der angefochtenen Entscheidung zitierten Absatz [0013], aber auch Absatz [0012] der ursprünglichen Anmeldung ergibt: „The form of the grip depends on the way in which the plug is to be fastened“.
2.3.2. Dass die Form des Dichtungsstopfens („Abdichtungsflansches“) an der Verschlussseite von Art und Position der Anschlussöffnungen abhängig ist, ergibt sich für den Durchschnittsfachmann unmittelbar und eindeutig aus Absatz [0016] der EP-Anmeldung. Dass es sich deshalb auch um eine Mehrzahl von Öffnungen – genauer von zumindest zwei Anschlussöffnungen – handelt, weist der Antragsgegner in der Berufungsbeantwortung nach („[...] on which kind of connection apertures desired to be covered and their mutual position.“; Hervorhebung durch das Berufungsgericht). Warum daher im angegriffenen Gebrauchsmuster gegenüber der ursprünglichen Fassung ein Merkmal gestrichen und ein anderes hinzugefügt worden sein soll, wie die Berufung behauptet, ist für das Berufungsgericht nicht nachvollziehbar.
2.3.3. An sich trägt die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA vom 31.5.2001, G 2/98, nicht zwingend etwas zur Lösung des Falles bei, bezieht sie sich doch nicht auf die Nichtigerklärung eines Gebrauchsmusters, sondern auf die Frage der Inanspruchnahme der Priorität für „dieselbe Erfindung“. Abgesehen davon setzt sich die Nichtigkeitsabteilung mit den in dieser Entscheidung entwickelten Grundgedanken ohnehin ausführlich auseinander und wendet sie richtig auf den vorliegenden Sachverhalt an. Dass sich im angefochtenen Beschluss das Wort „unmittelbar“ aus dem – in der Berufung verkürzt wiedergegeben – Leitsatz der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer nicht wiederfindet, bewirkt entgegen dem Berufungsvorbringen (Pkt I.b.3. und I.b.4.) weder eine grundlegende Abweichung davon noch sonst ein „Über-den-Haufen-Werfen“ anerkannter Grundsätze (zu diesen etwa Schmid in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 15 Rz 22 mwH). Die Antragstellerin ignoriert in ihrer Argumentation abweichend von den in der Entscheidung G 2/98 dargelegten Grundsätzen den Fachmann und sein allgemeines Fachwissen und gelangt somit zu praxisfremden Rückschlüssen auf die tatsächliche ursprüngliche Offenbarung.
2.4. Die Antragstellerin argumentiert zur Frage, ob auch Merkmal [6] bereits in der ursprünglichen Offenbarung enthalten ist, mit dem Wortlaut („[...] mit einem Abdichtungsflansch (4) [...], dessen Form an die Art und Anordnung der Anschlussöffnungen angepasst ist, der dem scheibenförmigen Flansch (2) integral ausgebildet ist und eine einschnittartige Vertiefung (7) umgibt.“).
„Integral ausgebildet“ (oder eine englisches Sprachäquivalent) sei in EP 1.164.261 A1 nicht enthalten. Schon die Nichtigkeitsabteilung hat diesem Argument in der angefochtenen Entscheidung großes Gewicht beigemessen und seine Berechtigung im Kern anerkannt. Die Nichtigkeitsabteilung greift für die Beurteilung allerdings auf die Auslegungsregeln von § 4 Abs 2 GMG und (sinngemäß) Art 69 EPÜ zurück und gelangt dabei zum Resultat, dass Beschreibung und Zeichnungen für die Auslegung des Streitgebrauchsmusters heranzuziehen seien. Dies habe zum Ergebnis, dass bereits die ursprüngliche Offenbarung ein einteilige Ausführung von Flansch und Abdichtung beinhaltet habe.
2.4.1. Diese Überlegungen sind nach Ansicht des Berufungsgerichts zwingend:
Nach (der verwandten Bestimmung des) § 22a PatG als Auslegungsregel wird der Schutzbereich des Patents und der bekanntgemachten Anmeldung durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt (RIS-Justiz RS0118278; RS0030757 [T10]). Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Dabei ist das Protokoll über die Auslegung des Art 69 des EPÜ, BGBl 1979/350, in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden. Nach dem Auslegungsprotokoll zu Art 69 EPÜ ist Art 69 nicht in der Weise auszulegen, dass unter dem Schutzbereich des europäischen Patents jener Schutzbereich zu verstehen ist, der sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche ergibt, und dass die Beschreibung sowie die Zeichnungen nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen anzuwenden sind. Ebenso wenig ist Art 69 dahingehend auszulegen, dass die Patentansprüche lediglich als Richtlinie dienen und der Schutzbereich sich auch auf das erstreckt, was sich dem Fachmann nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt (4 Ob 178/03k mwN der Rsp des OPM).
2.4.2. Die insoweit bestehende Verwandtschaft zwischen Gebrauchsmuster und Patent legt es im Sinn der Argumentation der Nichtigkeitsabteilung daher tatsächlich nahe, für die Frage der Überschreitung der Offenbarung auch auf die technischen Zeichnungen zurückzugreifen, dienen diese doch zweifellos dazu, die verbale Umschreibung näher zu determinieren und umgekehrt. Überhaupt ist dabei nicht eine zergliedernde Betrachtungsweise anzustellen, wie sie im Wesentlichen der Antragstellerin vorzuschweben scheint, sondern eine umfassende Gesamtbetrachtung der einzelnen Elemente vorzunehmen. Es sind daher die Anmeldungsunterlagen in ihrer Gesamtheit einschließlich der Zeichnungen (und nicht nur die ursprünglichen Ansprüche) zu betrachten (zu § 15 Abs 1 Z 3 dGebrMG Schmid in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 15 Rz 22; zu § 21 Abs 1 Z 4 dPatG Keukenschrijver in Busse, PatG 7 § 21 Rz 82 mwN der Rechtsprechung des BGH; Moufang in Schulte, PatG 9 § 21 Rz 54 f).
2.4.3. Deshalb greift es zu kurz, sich lediglich auf die (Sprach-)Fassung der Offenbarung, also auf die Beschreibung zu beziehen, daraus Textpassagen zu isolieren und die Zeichnungen außer Betracht zu lassen. Denn dass die Zeichnungen eindeutig dazu dienen, die einzelnen Ansprüche graphisch darzustellen und näher zu umschreiben, ist ungeachtet der selektiven, rein auf sprachliche Determinanten zurückgreifenden Argumentation der Antragstellerin offensichtlich (s dazu lediglich Fig 4 bis 6 sowie 7 und 8 in Beilage ./B).
Die von der Nichtigkeitsabteilung für die Beantwortung der Frage nach einer Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung zutreffend angewandte vernetzte Gesamtbetrachtung erweist das Gegenteil. Mit Recht verweist der Antragsgegner diesbezüglich ergänzend auch auf § 15 Abs 7 PAV (aus Sicht des Berufungsgerichts ist [zusätzlich] allerdings auch Abs 8 leg cit heranzuziehen).
2.4.4. Zudem ist für die Frage der Auslegung der ursprünglichen Offenbarung wiederum auf die Maßfigur des Durchschnittsfachmannes abzustellen. Für diesen ist anhand seines Fachwissens und des Einsatzzwecks des Streitgebrauchsmusters der Begriff „ integral ausgebildet “ anhand der Zeichnungen unmittelbar als „ein Ganzes ausmachend“ (Beilage ./G), somit eben als „aus einem Stück“ zu verstehen und zwar auch deshalb, weil sich aus der ursprünglichen Offenbarung kein Hinweis auf eine zwei- oder gar mehrteilige Ausbildung von Abdichtungsflansch und scheibenförmigem Flansch ergibt (weiterführend Keukenschrijver in Busse, PatG 7 § 21 Rz 82). Diesem bereits im angefochtenen Beschluss enthaltenen Argument setzt die Berufung nichts Stichhaltiges entgegen.
2.5. Mit ihrer Behauptung, die Ergänzung der einschnittartigen Vertiefung bewirke ebenfalls eine Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung, verstößt die Antragstellerin gegen das Neuerungsverbot nach § 49 Abs 1 GMG iVm § 482 ZPO: Darauf gerichtetes Vorbringen hat sie im Verfahren erster Instanz nicht erstattet. Es handelt sich dabei aber auch um keinen rein rechtlichen neuen Gesichtspunkt (allg etwa Kodek in Rechberger , ZPO 4 § 482 Rz 3 mwN), sodass sich eine Befassung mit diesem Argument verbietet (zur Antragsbindung nach § 15 dGebrMG siehe etwa Schmid in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 15 Rz 71).
2.6. Anknüpfend an die zutreffenden Erwägungen der Nichtigkeitsabteilung (§ 49 Abs 2 GMG iVm § 500a ZPO) steht für das Berufungsgericht auch in Abwägung aller Argumente der Berufung fest, dass der Durchschnittsfachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens die Merkmale [4], [5] und [6] des Anspruchs 1 des Streitgebrauchsmusters dem Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten, den Anmeldetag begründenden Fassung (§ 28 Abs 1 Z 3 GMG) unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (zu dieser Prüfmethode vgl auch RIS-Justiz RS0124037 [T4; zu Art 123 EPÜ]; Schmid in Bühring/Braitmayer/Schmid, GebrMG 8 § 15 Rz 22; zu § 21 Abs 1 Z 4 dPatG Moufang in Schulte, PatG 9 § 21 Rz 55).
2.7. Damit liegt zusammengefasst keine Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung vor, weswegen der insgesamt unberechtigten Berufung ein Erfolg zu versagen war.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 33 Abs 2 und 49 Abs 2 GMG iVm §§ 41 und 50 ZPO.
Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands stützt sich auf § 49 Abs 2 GMG iVm § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO. Der Entscheidungsgegenstand ist rein vermögensrechtlicher Natur, besteht aber nicht in einem Geldbetrag. Wegen der Bedeutung des Gebrauchsmusterschutzes im Wirtschaftsleben übersteigt er EUR 30.000,--.
Die ordentliche Revision war gemäß § 49 Abs 2 GMG und § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage zu lösen war, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt: Sowohl die Frage des Fehlens eines erfinderischen Schritts als auch jene der Überschreitung der ursprünglichen Offenbarung sind stets solche des Einzelfalls.