34R80/14f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht ***** wegen Nichtigerklärung des Patents AT 411 512 B, über die Berufung der Antragstellerin gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 30.10.2013, N 2/2006 20, in nicht öffentlicher Sitzung
***
I. den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Eventualantrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird abgewiesen.
[...]
***
II. zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen die Kosten der Berufungsbeantwortung von EUR 5.443,90 (darin EUR 907,30 USt) zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--. Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
[...]
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des österreichischen Patents AT 411 512 B , das einen Hörer betrifft. Die ursprünglichen Patentansprüche wurden am 30.6.2000 angemeldet; das Streitpatent wurde mit Beschluss vom 12.3.2003 erteilt und am 5.6.2003 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 27 rechtskräftig. Am 15.11.2005 reichte die Antragsgegnerin den ersten Teilverzicht ein und bildete einen neuen Patentanspruch 1 durch das Zusammenziehen der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2. Dieser Verzicht im Umfang der neuen Patentansprüche 1 bis 26 wurde am 16.11.2005 wirksam. Am 21.6.2010 brachte die Antragsgegnerin einen zweiten Teilverzicht mit neuen Ansprüchen 1 bis 6 ein, wobei mit Beschluss vom 1.7.2010 die letztgültigen Patentansprüche 1 bis 16 mit 22.6.2010 rechtswirksam wurden. Zur Übersicht der jeweiligen Gültigkeit der Anspruchsfassungen dient nachstehende Tabelle:
Die Patentansprüche 1 bis 26, die im Zeitraum 16.11.2005 bis 21.6.2010 gegolten haben, lauten wie folgt:
1. Hörer, welche über zumindest eine Schnittstelle (14) mit zumindest einem zumindest für die Ausgabe von Audiosignalen eingerichteten Gerät verbindbar ist, mit zumindest einer Hörkapsel (7), welche in einem Gehäuse (2) angeordnet ist, und mit einem Haltebügel (3) zur lösbaren Befestigung am Ohr (EAR) eines Benutzers, wobei der Bügel (3) am Gehäuse (2) und von diesem weglaufend angeordnet ist und das Ohr (EAR) in einem Bereich der Helix (HEL) mit einem in Richtung des Gehäuses (2) rücklaufenden Bereich (3b) hintergreift, wobei der die Helix (HEL) hintergreifende Bereich (3b) des Bügels (3) einen in befestigtem Zustand an der Rückseite des Ohres (EAR) anliegenden Endbereich aufweist, wobei der Haltebügel (3) verformbar ausgebildet ist, und das Gehäuse (2) an seiner der Außenseite des Ohres (EAR) zugewandten Seite eine Ohrauflagefläche (10) aufweist, wobei im befestigten Zustand der Bügel (3) zumindest bereichsweise gegen die Rückseite des Ohres (EAR) und der Hörer (1) mit der Ohrauflagefläche (10) zumindest bereichsweise so gegen die Außenseite des Ohres (EAR) gedrückt ist, dass die Hörkapsel (7) im Nahbereich des Schalltrichters (CON) und/oder der Gehörgangsöffnung (MEA) des Ohres angeordnet ist, wobei die Ohrauflagefläche (10) sowie die Hörkapsel (7) einen Abstand zu der Gehörgangsöffnung (MEA) aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass der Bügel (3) elastisch verformbar ist.
2. Hörer nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Fläche (10) eine über die Ausdehnung der Hörkapsel (7) hinausreichende Erstreckung aufweist.
3. Hörer nach Anspruch 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Bügel (3) C-förmig ausgebildet ist.
4. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass an dem die Helix (HEL) hintergreifenden Ende des Bügels (3b) ein sich mit einer Kontur (4a) an der Rückseite des Ohres (EAR) abstützendes Passstück (4) angeordnet ist.
5. Hörer nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die mit der Rückseite des Ohres (EAR) zusammenwirkende Kontur (4a) des Passstückes (4) im Wesentlichen der Form der Rückseite des Ohres angepasst ist.
6. Hörer nach Anspruch 4 oder 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Passstück (4) und der Bügel (3) einstückig ausgebildet sind.
7. Hörer nach einem der Ansprüche 4 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass das Passstück (4) mit einem gummiartigen Überzug versehen ist.
8. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass er in einem hinteren, dem Bügel (3) zugewandten Bereich der Ohrauflagefläche (10) eine Erhebung (6) aufweist, welche in befestigtem Zustand des Hörers (1) in einem hinteren, im Wesentlichen der Antihelix (ANT) zugewandten Bereich des Schalltrichters (CON) bzw. in dem in die Antihelix (Ant) übergehenden Bereich des Schalltrichters (CON) abgestützt ist.
9. Hörer nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Erhebung (6) eine im Wesentlichen abgerundete Kontur aufweist.
10. Hörer nach Anspruch 8 oder 9, dadurch gekennzeichnet, dass die Erhebung (6) einstückig mit der Hörkapsel (7) ausgebildet ist.
11. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 10, gekennzeichnet durch zumindest ein Mikrofon (8).
12. Hörer nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, dass das zumindest eine Mikrofon (8) in einem vorderen, dem Bügel (3) abgewandten Bereich des Hörers angeordnet ist.
13. Hörer nach Anspruch 11 oder 12, dadurch gekennzeichnet, dass er in einem vorderen, dem Bügel (3) abgewandten Bereich einen ausfahrbaren Mikrofonarm (11) aufweist, welcher in seinem vorderen Bereich das zumindest eine Mikrofon aufnimmt.
14. Hörer nach Anspruch 13, dadurch gekennzeichnet, dass der Mikrofonarm (11) teleskopartig ausfahrbar ist.
15. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 14, dadurch gekennzeichnet, dass er in einem vorderen dem Ohr (EAR) abgewandten Bereich eine Abstützung (13) zum Abstützen des Hörers in einem unmittelbar vor dem Ohr (EAR) liegenden Bereich des Kopfes aufweist.
16. Hörer nach Anspruch 15, dadurch gekennzeichnet, dass die Abstützung (13) zumindest bereichsweise mit einem gummiartigen Überzug versehen ist.
17. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 16, dadurch gekennzeichnet, dass er einen hinsichtlich einer Längsachse (X) symmetrischen Aufbau aufweist.
18. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 17, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse (2) in einer Aufsicht/Unteransicht eine im Wesentlichen dreiecksartige Form aufweist.
19. Hörer nach Anspruch 18, gekennzeichnet durch eine im Wesentlichen gleichschenkelige oder gleichseitige dreiecksartige Form.
20. Hörer nach Anspruch 18 oder 19, dadurch gekennzeichnet, dass die Dreiecksseiten (20a, 20b, 20c) im Wesentlichen bogenförmig ausgebildet sind.
21. Hörer nach einem der Ansprüche 18 bis 20, gekennzeichnet durch abgerundete Ecken (21a, 21b, 21c).
22. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 21, dadurch gekennzeichnet, dass an der dem Ohr (EAR) abgewandten Seite ein Betätigungselement (9) zum Entgegennehmen und/oder Tätigen von Anrufen vorgesehen ist.
23. Hörer nach Anspruch 22, dadurch gekennzeichnet, dass das Betätigungselement (9) über eine im Gehäuseinneren angeordnete Mechanik so mit dem ausfahrbaren Mikrofonarm (11) verbunden ist, dass bei einer Betätigung des Elements (9) der Arm (11) aus seiner eingefahrenen in eine ausgefahrene Position ausgefahren wird.
24. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 23, dadurch gekennzeichnet, dass die Ohrauflagefläche (10) als Abdeckteil für die Gehäuseunterseite ausgeführt und an dieser lösbar befestigbar ist.
25. Hörer nach Anspruch 24, dadurch gekennzeichnet, dass das Abdeckteil aus einem gummiartigen Material gefertigt ist.
26. Hörer nach Anspruch 16 und 25, dadurch gekennzeichnet, dass das aus Gummi gefertigte Abdeckteil sowie der Gummiüberzug für die Abstützung (13) einstückig ausgebildet sind.
Die Patentansprüche 1 bis 16 in der Fassung nach dem zweiten Teilverzicht vom 21.6.2010 lauten wie folgt:
1. Hörer, welche über zumindest eine Schnittstelle (1a) mit zumindest einem zumindest für die Ausgabe von Audiosignalen eingerichteten Gerät verbindbar ist, mit zumindest einer Hörkapsel (7), welche in einem Gehäuse (2) angeordnet ist, und mit einem Haltebügel (3) zur lösbaren Befestigung am Ohr (EAR) eines Benutzers, wobei der Bügel (3) am Gehäuse (2) und von diesem weglaufend angeordnet ist und das Ohr (EAR) in einem Bereich der Helix (HEL) mit einem in Richtung des Gehäuses (2) rücklaufenden Bereich (3b) hintergreift, wobei der die Helix (HEL) hintergreifende Bereich (3b) des Bügels (3) einen in befestigtem Zustand an der Rückseite des Ohres (EAR) anliegenden Endbereich aufweist, und wobei an dem die Helix (HEL) hintergreifenden Ende des Bügels (3) ein sich mit einer Kontur (4a) an der Rückseite des Ohres (EAR) abstützendes Passstück (4) angeordnet ist, und wobei die mit der Rückseite des Ohres (EAR) zusammenwirkende Kontur (4a) des Passstückes (4) im Wesentlichen der Form der Rückseite des Ohres angepasst ist und der Haltebügel (3) verformbar ausgebildet ist, und das Gehäuse (2) an seiner der Außenseite des Ohres (EAR) zugewandten Seite eine Ohrenauflagefläche (10) aufweist, und wobei im befestigten Zustand der Bügel (3) zumindest bereichsweise gegen die Rückseite des Ohres (Ear) und der Hörer (1) mit der Ohrauflagefläche (10) zumindest bereichsweise so gegen die Außenseite des Ohres (EAR) gedrückt ist, dass die Hörkapsel (7) im Nahbereich des Schalltrichters (CON) und/oder der Gehörgangsöffnung (Mea) des Ohres angeordnet ist, wobei die Ohrauflagefläche (10) sowie die Hörkapsel (7) einen Abstand zu der Gehörgangsöffnung (MEA) aufweisen, dadurch gekennzeichnet, dass der Bügel (3) elastisch verformbar ist.
2. Hörer nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Fläche (10) eine über die Ausdehnung der Hörkapsel (7) hinausreichende Erstreckung aufweist.
3. Hörer nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Bügel (3) C-förmig ausgebildet ist.
4. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass das Passstück (4) und der Bügel (3) einstückig ausgebildet sind.
5. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass das Passstück (4) mit einem gummiartigen Überzug versehen ist.
6. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass er in einem hinteren, dem Bügel (3) zugewandten Bereich der Ohrauflagefläche (10) eine Erhebung (6) aufweist, welche in befestigtem Zustand des Hörers (1) in einem hinteren, im Wesentlichen der Antihelix (ANT) zugewandten Bereich des Schalltrichters (CON) bzw in dem in die Antihelix (ANT) übergehende Bereich des Schalltrichters (CON) abgestützt ist.
7. Hörer nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Erhebung (6) eine im Wesentlichen abgerundete Kontur aufweist.
8. Hörer nach Anspruch 6 oder 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Erhebung (6) einstückig mit der Hörkapsel (7) ausgebildet ist.
9. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 8, gekennzeichnet durch zumindest ein in einem vorderen, dem Bügel (3) abgewandten Bereich des Hörers angeordnetes Mikrofon (8).
10. Hörer nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass er in einem vorderen, dem Bügel (3) abgewandten Bereich einen ausfahrbaren Mikrofonarm (11) aufweist, welcher in seinem vorderen Bereich das zumindest eine Mikrofon aufnimmt.
11. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass er in einem vorderen, dem Ohr (EAR) abgewandten Bereich eine Abstützung (13) zum Abstützen des Hörers in einem unmittelbar vor dem Ohr (EAR) liegenden Bereich des Kopfes aufweist.
12. Hörer nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, dass die Abstützung (13) zumindest bereichsweise mit einem gummiartigen Überzug versehen ist.
13. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass an der dem Ohr (EAR) abgewandten Seite ein Betätigungselement (9) zum Entgegennehmen und/oder Tätigen von Anrufen vorgesehen ist.
14. Hörer nach einem der Ansprüche 1 bis 13, dadurch gekennzeichnet, dass die Ohrauflagefläche (10) als Abdeckteil für die Gehäuseunterseite ausgeführt und an dieser lösbar befestigbar ist.
15. Hörer nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass der Abdeckteil aus einem gummiartigen Material gefertigt ist.
16. Hörer nach Anspruch 12 und 15, dadurch gekennzeichnet, dass das aus Gummi gefertigte Abdeckteil sowie der Gummiüberzug für die Abstützung (13) einstückig ausgebildet sind.
Der neue Anspruch 1 ergibt sich durch das Zusammenziehen des vormals gültigen Anspruchs 1 mit den Merkmalen der Ansprüche 4 und 5. Die Ansprüche 2 und 3 sowie 6 bis 10 blieben unverändert und wurden nur in die Ansprüche 4 bis 8 umbenannt. Die Ansprüche 11 und 12 wurden in einem neuen Anspruch 9 zusammengezogen. Der Anspruch 13 trägt nunmehr die Nummer 10, die Ansprüche 15 und 16 die Nummern 11 und 12, wobei die Ansprüche 14 sowie 17 bis 21 und 23 gestrichen wurden. Der Anspruch 22 trägt nunmehr die Nummer 13, jene der Nummern 24 bis 26 die Nummern 14 bis 16.
Mit Antrag vom 23.3.2006 begehrt die Antragstellerin – unter Hinweis auf das Patentrechtsverletzungsverfahren 10 Cg 2/06h des Handelsgerichts Wien – die Nichtigerklärung des Streitpatents AT 411 512 B mit dem wesentlichen Vorbringen, dass der Gegenstand bereits zum Anmeldezeitpunkt nicht mehr neu gewesen sei und/oder sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben habe. Die Merkmale des Anspruchs 1 seien in der US 6,038,329 neuheitsschädlich vorweggenommen, so auch im chinesischen Patent mit der Publikationsnummer CN 1256607 A, welche in Figur 8 in Zusammenschau mit den Figuren 1, 2, 4, 6 eine Ausführungsform eines Hörers offenbare, die den Anspruch 1 des Streitpatents neuheitsschädlich vorwegnehme. Ebenfalls nehme das US 5,134,655 den Anspruch 1 des Streitpatents vorweg. In Zusammenschau mit den Dokumenten US 5,134,655, US 5,903,644 und US 5,790,683 mit einem der Dokumente US 6,038,329, CN 1256607 A oder JP 7-39195 ergebe sich der Anspruch 1 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise. Die zusätzlichen Merkmale der abhängigen Ansprüche 2 bis 26 des Streitpatents bezögen sich auf unbedeutende Ausführungsdetails, die entweder direkt vom Stand der Technik ableitbar oder nicht über normales Fachwissen hinausgehende Standardmaßnahmen oder reine Designmaßnahmen seien.
Die Antragsgegnerin stellte in ihrer Gegenschrift den Antrag auf Bewilligung des neuen Anspruchs 1, sofern dieser nicht ausreichend klar sei, einen Hilfsantrag („...der gesamte Bügel (3) elastisch verformbar sei...“) und verwies darauf, dass keine der genannten Druckschriften den Patentanspruch vorwegnehme. Da (auch) der neue Anspruch 1 neu und erfinderisch sei, müssten auch die neuen, abhängigen Unteransprüche 2 bis 16 gewährbar sein.
Mit 21.6.2010 brachte die Antragsgegnerin den zweiten Teilverzicht mit wiederum neuen Ansprüchen 1 bis 16 ein, welche mit Beschluss des Patentamts vom 1.7.2010 mit 22.6.2010 rechtswirksam wurden.
Mit Eingabe vom 6.10.2011 beharrte die Antragstellerin auf der Fortsetzung des Nichtigkeitsverfahrens auf Basis der zum Zeitpunkt der Einbringung des Nichtigkeitsantrags am 23.3.2006 gültigen Ansprüche 1 bis 26 wegen des anhängigen Patentverletzungsverfahrens 10 Cg 2/06h beim Handelsgericht Wien.
In der mündlichen Verhandlung vom 1.7.2013 beantragte die Antragstellerin eine Entscheidung über alle drei Fassungen des Streitpatents und führte zum rechtlichen Interesse an, dass die älteste Fassung jener des registrierten Gebrauchsmusters entspreche, welches im Parallelverfahren NGM 3/2006 nicht eingeschränkt worden sei. Auch nach dem Erlöschen des Gebrauchsmusters bestehe ein rechtliches Interesse an der Fortführung des Nichtigkeitsverfahrens, weil es möglich sei, zumindest Ansprüche in Geld rückwirkend einzuklagen. Lediglich in Bezug auf das Verfahren NGM 3/2006 zog die Antragstellerin das geltend gemachte rechtliche Interesse zurück und ersuchte um eine Kostenentscheidung.
Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts den Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang der Patentansprüche 1 bis 26 in der Fassung nach dem Teilverzicht vom 16.11.2005 sowie auch im Umfang der derzeit aufrechten Patentansprüche 1 bis 16 in der Fassung nach dem Teilverzicht vom 22.6.2010 ab sowie den Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang der vom 15.6.2003 rechtskräftigen Patentansprüche 1 bis 27 zurück.
Es wies auch die Anträge der Antragsgegnerin in der Gegenschrift vom 21.2.2008 ab und gab ihrem Hauptantrag in der mündlichen Verhandlung vom 1.7.2013 statt. Begründend wurde ausgeführt, dass die ursprüngliche Anspruchsfassung der Patentansprüche 1 bis 27 am 15.11.2005, noch vor dem Einlangen des Nichtigkeitsantrags vom 23.3.2006, erloschen seien. Es seien auch in der mündlichen Verhandlung keine anhängigen Gerichtsverfahren glaubhaft gemacht worden, die die ursprüngliche Anspruchsfassung des Streitpatents betreffen und es mangle daher am rechtlichen Interesse. Dies im Gegensatz zum Antrag in Bezug auf die Patentansprüche 1 bis 26; das rechtliche Interesse sei durch das anhängige Patentverletzungsverfahren 10 Cg 2/06h des Handelsgerichts Wien glaubhaft gemacht worden. Inhaltlich zeigten keine der von der Antragstellerin vorgelegten Dokumente, jeweils alleine für sich betrachtet, alle Merkmale des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach dem ersten Teilverzicht. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei daher neu, ebenso aufgrund der Rückbeziehung die erneuerten Merkmale der abhängigen Patentansprüche 2 bis 26 in der Fassung nach dem ersten Teilverzicht. Die Neuheit der (letztgültigen) Patentansprüche 1 bis 16 in der Fassung nach dem zweiten Teilverzicht sei ebenso gegeben, weil beim Patentanspruch 1 eine weitere zulässige Einschränkung durch die Aufnahme der Merkmale der Patentansprüche 4 und 5 in den Oberbegriff durchgeführt worden sei. Bei der Zusammenschau von zwei beliebigen Dokumenten, die im Verfahren vorgelegt worden seien, werde die technische Lösung des Anspruchs 1 in der Fassung nach dem ersten Teilverzicht weder angeregt noch nahegelegt. Somit sei die ausreichende erfinderische Tätigkeit der Ansprüche 1 bis 26 anzuerkennen. Dies gelte auch für den letztgültigen Patentanspruch 1 bis 16 (nach dem zweiten Teilverzicht). Rein aus formellen Gründen sei der Hauptantrag der Antragsgegnerin in der Gegenschrift abzuweisen gewesen, ebenfalls ihr Hilfsantrag. Dem Hauptantrag der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vom 1.7.2013 entsprechen die letztgültigen Patentansprüchen 1 bis 16 in der Fassung nach dem zweiten Teilverzicht. Da diese ohendies als rechtsbeständig beurteilt würden, werde auch dem Hauptantrag der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vollinhaltlich stattgegeben.
Gegen diesen Beschluss des Patentamts richtet sich die an den Obersten Patent- und Markensenat gerichtete Berufung der Antragstellerin, über die nach der Gesetzesänderung durch die Patent- und Markenrechts-Novelle 2014, BGBl I 2013/126, ab 1.1.2014 das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden hat (§ 176b Abs 1 Z 1 PatG). Beantragt wird, die Entscheidung (in eventu nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung) aufzuheben, dem Nichtigkeitsantrag stattzugeben und der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Berufung abzuweisen, in eventu den Beschluss im Umfang eines der Hilfsanträge 1 bis 6 zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1.1 Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden (RIS-Justiz RS00008733). Gemäß § 141 Abs 1 PatG iVm § 176b Abs 1 Z 1 PatG können Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts nur durch Berufung angefochten werden, wobei mit Ablauf des 31.12.2013 die Zuständigkeit zur Weiterführung der anhängigen Verfahren vom Obersten Patent- und Markensenat als zweite Instanz auf das Oberlandesgericht Wien übergegangen ist.
Für das Berufungsverfahren gelten die Bestimmungen der ZPO sinngemäß mit der Ausnahme des § 461 Abs 2 ZPO und weiteren – im konkreten Fall nicht relevanten – Ausnahmen. Hervorzuheben ist, dass § 176b Abs 4 PatG ausdrücklich anordnet, dass für Berufungen gegen Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung, die vor Ablauf des 31.12.2013 eingereicht werden, § 482 ZPO (Neuerungsverbot) nicht anzuwenden ist.
1.2 Grundsätzlich besteht seit Aufhebung von § 492 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, kein Antragsrecht der Parteien auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung im Rahmen der ZPO. Eine mündliche Berufungsverhandlung ist seit Inkrafttreten der Novelle nur noch anzuberaumen, wenn der Berufungssenat dies im Einzelnen für erforderlich hält (§ 480 Abs 1 ZPO). Vor dem Inkrafttreten der Patent- und Markenrechts-Novelle 2014, BGBl I 2013/126, fand eine mündliche Verhandlung in Berufungsverfahren dann statt, wenn die Berufungsinstanz eine Beweisaufnahme für notwendig erachtet hat. Eine derartige Notwendigkeit besteht hier – abgesehen vom Fehlen ausreichender Bedenken gegen die Würdigung der Erhebungsergebnisse der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts – auch schon deshalb nicht, weil keine Feststellungen des Patentamts bekämpft wurden. Im konkreten Fall hält das Berufungsgericht die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich und entscheidet über die Berufung daher in nicht öffentlicher Sitzung. Im Hinblick darauf, dass nach dem damals geltenden Recht für eine an den Obersten Patent- und Markensenat gerichteten Berufung grundsätzlich die Möglichkeit einer Berufungsverhandlung nicht ausgeschlossen war, war aus formellen Gründen dieser Antrag abzuweisen (und nicht nach den Bestimmungen der ZPO zurückzuweisen).
2. Wenn nunmehr die Antragstellerin behauptet, keinen Antrag auf Entscheidung über die ursprünglich erteilten Patentanspruchsfassung gestellt zu haben, so ist ihr entgegenzuhalten, dass sie in der Verhandlung vom 1.7.2013 die Entscheidung über alle drei Fassungen beantragt hat und lediglich kurze Zeit später das geltend gemachte rechtliche Interesse im Gebrauchsmusterfall NGM 2/2006 (gemeint richtig NGM 3/2006) zurückzog und um Kostenentscheidung ersuchte. Der ursprünglich artikulierte Antrag in diesem Verfahren in Bezug auf die Patentansprüche vor dem ersten Teilverzicht wurde daher formell nicht zurückgezogen und musste daher richtigerweise vom Patentamt behandelt werden.
Auch wenn das Patentamt in der rechtlichen Beurteilung einmal von einer Zurückweisung und dann von einer Abweisung schreibt, geht aus dem Entscheidungstenor jedenfalls klar hervor, dass der Antrag auf Nichtigerklärung im Umfang der Patentansprüche 1 bis 27 ab 15.6.2003 zurückgewiesen wurde. Dies wird inhaltlich nach den Ausführungen in der Berufung auch gar nicht mehr bekämpft. Zu prüfen verbleiben daher lediglich die jeweiligen Patentansprüche nach dem ersten Teilverzicht am 15.11.2005 (somit die Patentansprüche 1 bis 26 bis zum 21.6.2010 und die Patentansprüche 1 bis 16 nach dem zweiten Teilverzicht am 22.6.2010).
3.1 Im Vordergrund der diesbezüglichen Berufungsausführungen steht die Behauptung der mangelnden Neuheit des Patentanspruchs 1 in der jeweiligen Fassung wegen der Vorveröffentlichungen in den Patenten
Sofern überhaupt Unterschiede erkannt werden, mangle es jedenfalls an der erfinderischen Tätigkeit.
3.2 Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung vorweggenommen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technischen Information dem Fachmann klar und eindeutig (Weiser, Patentgesetz/Gebrauchsmustergesetz 110 mwN zur Rsp des Patentamts) offenbart wird (4 Ob 214/04f – Paroxat ; Op 3/11 – Olanzapin). Die Neuheitsschädlichkeit einer Offenbarung ist somit daran zu messen, was sie dem sie lesenden Durchschnittsfachmann, ohne von ihm schwierige Deduktionen oder gar schöpferische Gedankengänge zu verlangen, jedoch unter voller Anwendung des von ihm im Prioritätszeitpunkt zu erwartenden Informations- und Wissensstandes und des allgemeinen Fachwissens, vermittelt (Op 5/05). Der Fachwelt muss ein Weg gewiesen werden, wie sie planmäßig ohne unzumutbare Schwierigkeiten den angestrebten Erfolg erzielt (4 Ob 214/04f – Paroxat mwN).
4. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat die Nichtigkeitsabteilung zutreffend die Neuheitsschädlichkeit der auch in der Berufung entgegengehaltenen Patente US 6,038,329, CN 1 256 607 A, US 5,903,644 und US 5,881,161 gegenüber den Patentanspruch 1 in den jeweilig noch strittig verbleibenden zwei Fassungen verneint. Das Berufungsgericht hält die Begründung der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die Neuheit, aber auch in Bezug auf die Erfindungshöhe des jeweiligen Anspruchs 1 (und somit auch auf jeweilig rückbezogenen weiteren Ansprüche) für zutreffend, sodass vorweg auf diese verwiesen werden kann (§ 141 PatG iVm § 500a ZPO).
4.1 Vorausgeschickt werden kann sowohl hinsichtlich der Patentansprüche 1-26 in der Fassung des Zeitraums 16.11.2005 bis 21.6.2010 sowie auch der Patentansprüche 1-16 nach dem 2. Teilverzicht vom 21.6.2010, dass als erfindungswesentliches Merkmal „der Bügel (3) elastisch verformbar ist“. Aus den betreffenden Patentschriften, insbesondere aus den Zeichnungen, geht zweifelsfrei hervor, dass der gesamte Bügel aus einem elastischen Material ausgebildet ist. Der Bügel ist nach den Zeichnungen immer als durchgehendes Element aus einem Material dargestellt. Das zeigt sich auch darin, dass der Bügel einstückig mit den anderen Bereichen ausgebildet ist. Die Oberseite sowie der Vorsprung sind an der dem Ohr zugewandten Seite mit einem Abdeckteil verbunden und werden dadurch formstabil. Hauptpunkt ist jedoch, dass der Bügel in seiner Gesamtheit elastisch bleibt.
4.2 Die Antragstellerin moniert, dass durch das Patent US 6,038,329 das Merkmal i) des Streitpatents (vgl Aufspaltung des Anspruchs 1 durch das Patentamt auf Seite 13 der angefochtenen Entscheidung), nämlich «in befestigtem Zustand der Bügel (3) zumindest bereichsweise gegen die Rückseite des Ohres (EAR) und der Hörer mit der Ohrauflagefläche (10) zumindest bereichsweise so gegen die Außenseite des Ohres (EAR) gedrückt ist, dass die Hörkapsel (7) im Nahbereich des Schalltrichters (CON) und/oder der Gehörgangsöffnung (MEA) des Ohres angeordnet ist, wobei die Ohrenauflagenfläche (10) sowie die Hörkapsel (7) einen Abstand zu der Gehörgangsöffnung (MEA) aufweisen» offenbart sei und nur die Ausführungsform gemäß Figur 2 einen Teilbereich des Kopfhörers aufweise, der in die Gehörgangsöffnung des Ohres eingeführt werde, wogegen die Ausführungsformen des Hörers gemäß Figur 1, Figur 3 und Figur 4 des Patents US 6,038,329 einen Hörer offenbarten, bei dem im am Ohr befestigten Zustand der Bügel zumindest bereichsweise gegen die Rückseite des Ohres und der Hörer mit der Ohrauflagefläche zumindest bereichsweise so gegen die Außenseite des Ohres gedrückt sei, dass die Hörkapsel im Nahbereich des Schalltrichters und/oder der Gehörgangsöffnung des Ohres angeordnet sei. Die Ohrenauflagefläche sowie die Hörkapsel wiesen einen Abstand zu der Gehörgangsöffnung auf, und daher verwirklichten alle diese Ausführungsformen das Merkmal i) des Streitpatents.
Bei richtiger Beurteilung des Patents US 6,038,329 hätte die Nichtigkeitsabteilung die Feststellung treffen müssen, dass die Hörer gemäß den Ausführungsformen von Figur 1, Figur 3 und Figur 4 – ebenso wie der Hörer gemäß dem Streitpatent – dazu dienen, auf einfache, unkomplizierte Weise am Außenohr eines Benutzers lösbar befestigt zu werden und dadurch ein Einführen der Hörkapsel in die Gehörgangsöffnung für den guten Sitz des Hörers am Ohr zu vermeiden. Die Ausführungsformen des Hörers des Vergleichspatents seien der selben Gattung von Hörern zuzuordnen wie der Hörer des Streitpatents.
4.3 Die Berufungwerberin verkennt in diesem Zusammenhang, dass sich der erfindungsgemäße Hörer vor allem durch die Merkmale e) «der Bügel (3) am Gehäuse (2) und von diesem weglaufend angeordnet ist das Ohr (EAR) in einem Bereich der Helix (HEL) mit einem in Richtung des Gehäuses (2) rücklaufenden Bereich (3b) hintergreift, wobei ...] und f) [der die Helix (HEL) hintergreifende Bereich (3b) des Bügels (3) einen in befestigtem Zustand an der Rückseite des Ohres (EAR) anliegenden Endbereich aufweist, wobei ...» auszeichnet. Zur Befestigung (Haltefunktion) hintergreift der Haltebügel das Ohr im Bereich der Helix, und durch die elastische Ausgestaltung des Bügels wird das Gehäuse des Hörers an das Ohr gedrückt. Erst durch das Merkmal i) wird erklärt, dass das Gehäuse an der Außenseite des Ohres anliegt und keine Teile des Hörers in das Ohr eingeführt werden (siehe „Abstand zu der Gehörgangsöffnung“).
Dies ist aus dem Vergleichspatent US 6,038,329 nicht zu ermitteln (vgl insbesondere Figur 1): Beim Hörer des Vergleichspatents handelt es sich um einen sogenannten „Hänger“, der Hörer hängt gleichsam „clipartig“ am Ohr. Dies bedingt – und so zeigt es auch Abschnitt 56 in Figur 2 –, dass ein Teil des Hörers in das Ohr eingesetzt wird, weil sonst keine Haltefunktion gegeben wäre.
Die von der Antragstellerin mehrfach angeführte Gattungsgleichheit der beiden Hörer kann somit nicht erkannt werden.
Den weiteren Ausführungen der Antragstellerin in Bezug auf das Patent US 6,038,329 ist entgegenzuhalten, dass der Anspruch 1 in beiden Fassungen in seiner Gesamtheit zu bewerten ist, da es die konkrete Merkmalskombination ist, die den Patentgegenstand und damit den Schutzbereich definiert. Unerheblich ist, ob die Merkmale im Oberbegriff oder im kennzeichnenden Teil stehen. Wesentliches Merkmal und erfindungswesentlich ist, dass der Bügel in seiner Gesamtheit elastisch ist. Beim Hörer des Vergleichspatents ist nur der kleine Abschnitt 28 elastisch ausgebildet, während der Rest des Bügels starr ist.
In Bezug auf die Patente CN 1256657 A und US 5,903,604 sowie US 5,881,161 kann unter Hinweis auf die diesbezüglichen Ausführungen des Patentamts zusammengefasst werden, dass die jeweiligen Hörer – in deren spezifischen Ausformungen – nicht jenem des angegriffenen Patents entsprechen. Beim Patent CN 1256607 A weist der Hörer einen zweiteiligen Bügel mit einem (im getragenen Zustand vertikalen) Hauptgelenk 3 (Figuren 2a, 2b) auf. Beim Patent US 5,903,644 zeigt der Hörer einen Bügel, der aus zwei starren Bügelteilen besteht, die um ein Gelenk 2 gegen die Rückstellkraft einer Feder 4 relativ zueinander schwenkbar sind. Das Patent US 5,881,161 offenbart keinen elastischen Bügel und kann schon aus diesem Grund das angegriffene Patent nicht vorwegnehmen.
4.4 Die Antragstellerin führt in Bezug auf die behauptete mangelnde erfinderische Tätigkeit ins Treffen, dass die Nichtigkeitsabteilung keinen maßgebenden Fachmann festgelegt habe, und wiederholt, dass eine Gattungsgleichheit der Hörer gegeben sei.
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass – berücksichtigend die obigen Ausführungen – der Anspruch 1 des Streitpatents durch die genannten Vorveröffentlichungen nicht nahegelegt ist. Die Ausführung des Bügels ist in den Vorveröffentlichungen derart unterschiedlich zum Streitpatent, dass der Fachmann nicht zum erfindungsgemäßen Hörer mit einem (durchgehend) elastischen Bügel kommen würde. Da sich die Fähigkeiten des heranzuziehenden Fachmanns durch das Patent selbst bestimmen und somit das Patent selbst die Beurteilungsgrundlage dafür bildet, ist eine weitere Festlegung des Fachmanns nicht erforderlich. Grundsätzlich ist unter einem Fachmann ein Sachverständiger/Sachkundiger zu verstehen, der über durchschnittliche Fähigkeiten zur Überwindung technischer Schwierigkeiten verfügt und den Stand der Technik kennt (Wiltschek, Patentrecht 3 376).
Im Vordergrund steht die Beurteilung der Tatfrage, ob sich das eingetragene Patent für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Es bedarf entsprechender Feststellungen, was sich
für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt aus den Vorveröffentlichungen ergeben hätte (vgl 17 Ob 4/11d ua). Die Feststellungen zum Erkenntnisstand des Durchschnittsfachmanns im Prioritätszeitpunkt hat die Antragstellerin jedoch nicht bekämpft, sodass der erhobene Einwand ohne Relevanz ist.
Da die Patentansprüche 2 bis 26 sowie 2 bis 16 in der jeweiligen Fassung auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sind, erübrigt es sich, diesbezüglich auf die Anforderungen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Art 54 und 56 EPÜ weiter einzugehen.
4.5 Die Antragstellerin moniert in Bezug auf die Patentansprüche 1 bis 16 nach dem 2. Teilverzicht am 21.6.2010, dass die Aufnahme der Ansprüche 5 und 6 in den Oberbegriff des Anspruchs 1 nicht zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik beitragen könne, weil zu bekannten Merkmalen bloß weitere bekannte Merkmale hinzugefügt worden seien. Vielmehr verstärke insbesondere die Aufnahme des ursprünglichen Anspruchs 6 die ohnehin bereits vorhandene unklare Formulierung des Anspruchs 1 bis hin zur mangelnden Ausführbarkeit. Die Nichtigkeitsabteilung hätte feststellen müssen, dass im vorliegenden Fall der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem 2. Teilverzicht unzureichend offenbart sei.
4.6 Die Antragsgegnerin weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass es sich bei den Ansprüchen 5 und 6 um geprüfte Ansprüche handelt und dass durch die Aufnahme dieser Merkmale völlig klar und offensichtlich weitere, zusätzliche, das Schutzbegehren einschränkende Merkmale hinzugefügt werden. Da der Anspruch 1 gemäß 1. Teilverzicht neu ist, führt dies zwangsläufig dazu, dass auch der (eingeschränkte) Anspruch 1 gemäß dem 2. Teilverzicht neu ist. Dies gilt auch in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit.
4.7 Im Ergebnis vermag die Berufung nicht aufzuzeigen, warum die Beurteilung des Patentamts, dass keines der von der Antragstellerin genannten Dokumente dem Gegenstand des Streitpatentanspruchs 1 patenthindernd entgegenstehe, unzutreffend sein soll. Dies bedingt, dass auch die anderen angegriffenen Patentansprüche 2 bis 26 sowie 2 bis 16 in der jeweiligen Fassung, weil sie auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sind, ebenfalls die Anforderungen der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit erfüllen. Die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 122 Abs 1 und 141 PatG iVm §§ 41 Abs 1 iVm 50 ZPO.
6. Die ordentliche Revision war gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage, der durch Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, nicht zu lösen war. Der Anspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstandes nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO beruht auf der Bedeutung von Patentansprüchen im Wirtschaftsleben.