34R114/14f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht ***** wegen Nichtigerklärung des Patents AT 260 161 E über die Berufung der Antragsteller gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 26.5.2014, N 13/2010 18, in nicht öffentlicher Sitzung
I. den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsteller sind schuldig, der Antragsgegnerin binnen 14 Tagen die Kosten der Berufungsbeantwortung von EUR 2.495,08 zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000,--.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin der europäischen Patente EP 1 068 918 B1 und EP 1 068 919 B1 sowie des österreichischen Gebrauchsmusters AT 11 067 U2. Das erstgenannte europäische Patent ist in Österreich unter AT 260 011 E eingetragen, das zweitgenannte europäische Patent unter AT 260 161 E, wobei beide aufrecht sind. Das in diesem Verfahren streitgegenständliche (zweitgenannte) Patent AT 260 161 E wurde am 26.6.2000 angemeldet und hat Priorität vom 14.7.1999.
Alle Patente betreffen jeweils eine „Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine“. Die Patentansprüche 1 bis 14 von AT 260 161 E in der erteilten Fassung lauten wie folgt:
1. Einrichtung zum positionsdefinierten Aufspannen eines Werkstücks im Arbeitsbereich einer Bearbeitungsmaschine, mit einem im Arbeitsbereich der Bearbeitungsmaschine zu fixierenden Spannfutter (1) und einem auf das Spannfutter (1) aufsetzbaren und daran festzuspannenden Werkstückträger (25), ferner mit ersten Positioniermitteln (22, 23) am Spannfutter (1) und zweiten Positioniermitteln (29, 30) am Werkstückträger (25), welche als Richtelemente paarweise zusammenarbeiten und den Werkstückträger (25) in drei senkrecht zueinander verlaufenden Koordinatenachsen (x, y, z) sowie winkelgerecht gegenüber dem Spannfutter (1) positionieren, und mit einer Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28), deren Spannkraft den Werkstückträger in der durch die Positioniermittel festgelegten Position am Spannfutter festhält, dadurch gekennzeichnet, dass die ersten Positioniermittel konische Zentrierzapfen (22) und die zweiten Positioniermittel Vertiefungen in Form einer zweistufigen Nut (30) aufweisen, welche zwei Absätze (31a, 31b) besitzt, deren gegen das Innere der Nut (30) vorstehenden Kanten (32a, 32b) einen gegenseitigen Abstand besitzen, der etwas geringer ist als die Breite eines Zentrierzapfens (22) zwischen denjenigen Stellen gemessen, die bei in das Spannfutter (1) eingespanntem Werkstückträger (25) die Kanten (32a, 32b) berühren.
2. Einrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , dass die Zentrierzapfen (22) randseitig auf der Oberfläche des Spannfutters (1) angeordnet sind, wobei jeweils zumindest die beiden sich peripher gegenüberliegenden Seitenflächen (22a) der Zentrierzapfen (22) gegenüber der Z-Achse geneigt sind.
3. Einrichtung nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet , dass die Neigung der Seitenflächen (22a) etwa zwischen 3° und 9° beträgt.
4. Einrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , dass die ersten Positioniermittel ferner sich bis an den Rand der Oberfläche des Spannfutters (1) erstreckende, erhöhte Flächenbereiche (23) umfassen.
5. Einrichtung nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die Vertiefungen (30) in einer gegen die Innenseite des im wesentlichen hohlzylindrischen Werkstückträgers (25) ragenden Schulter (29) eines Oberteils (27) des Werkstückträgers (25) eingearbeitet sind, wobei deren Lage mit derjenigen der Zentrierzapfen (22) am Spannfutter (1) korrespondiert.
6. Einrichtung nach Anspruch 1 und 5, dadurch gekennzeichnet , dass die zweiten Positioniermittel ferner planbearbeitete Oberflächenbereiche dieser Schulter (29) umfassen, welche letztere gegen die erhöhten Flächenbereiche (23) an der Oberseite des Spannfutters (1) aufzuliegen bestimmt sind.
7. Einrichtung nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass das Spannfutter (1) im wesentlichen zylindrisch und der Werkstückträger (25) im wesentlichen die Form eines einseitig mit einem Kreisring verschlossenen Hohlzylinders aufweist, derart, dass das Spannfutter (1) in gespanntem Zustand der Einrichtung vom Werkstückträger (25) umschlossen ist.
8. Einrichtung nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass sowohl das Spannfutter (1) als auch der Werkstückträger (25) zentrale Öffnungen (5, 6, 8) zur Aufnahme von langgestreckten Werkstücken besitzen.
9. Einrichtung nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet , dass die Spannvorrichtung (12, 14, 18, 28) randseitig wirkende Spannorgane (18, 28) mit einer Mehrzahl von um den Umfang des Spannfutters (1) verteilt angeordneten Spannkugeln (18) aufweist, die mit einer in der Innenfläche des Werkzeugträgers (25) angeordneten, umlaufenden Ringnut (28) zusammenzuarbeiten bestimmt sind.
10. Einrichtung nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet , dass die Spannvorrichtung ferner einen federbelasteten Ringkolben (12) umfasst, der axial beweglich in einem Ringraum (11) des Spannfutters (1) angeordnet ist, gegen den die Spannkugeln (18) anliegen und der die Spannkugeln (18) radial in die umlaufende Ringnut (28) des Werkstückträgers (25) zu pressen bestimmt ist.
11. Einrichtung nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet , dass die Spannkugeln (18) in gleichmässig über den Umfang des Spannfutters (1) verteilt angeordneten, radialen Bohrungen (19) aufgenommen sind.
12. Einrichtung nach einem der Ansprüche 9-11, dadurch gekennzeichnet , dass zwölf Spannkugeln (18) vorgesehen sind.
13. Einrichtung nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet , dass die umlaufende Ringnut (28) des Werkstückträgers (25) im wesentlichen V-förmigen Querschnitt besitzt.
14. Einrichtung nach einem der Ansprüche 9-13, dadurch gekennzeichnet , dass die axiale Lage der umlaufenden Ringnut (28) im Werkzeugträger (25) derart festgelegt ist, dass die Spannkugeln (18) des Spannfutters (1) in die Ringnut (28) eintauchen können, wenn der Werkstückträger (25) lose auf das Spannfutter (1) aufgesetzt ist, wobei sich die Symmetriebene (S-S) der Ringnut (28) etwas oberhalb des Zentrums der in die Bohrungen (19) des Spannfutters (1) eingesetzten Spannkugeln (18) befindet.
Mit Antrag vom 5.8.2010 begehrten die Antragsteller die teilweise Nichtigerklärung des Patents AT 260 161 E im Umfang der Ansprüche 1 und 8 mit der wesentlichen Begründung, dass diese Patentansprüche wegen mangelnder Neuheit in Folge druckschriftlicher Veröffentlichungen und wegen offenkundiger Vorbenutzung nichtig seien. In der vorzuhaltenden EP 111 092 A2 sei eine Kupplungsvorrichtung offenbart, die ein erstes Kupplungsorgan 1 zur Befestigung an einer Bearbeitungsmaschine und ein zweites mit einer Mitnehmerscheibe 6 und Schraube 18 ausgebildetes Kupplungsorgan 3 als Werkstücksträger aufweise. Zur positionsgenauen Verbindung von erstem und zweitem Kupplungsorgan seien ein zentrisch angeordneter Mitnehmerzapfen 7 und ein exzentrisch angeordneter Mitnehmerzapfen 8 ausgebildet. Die Mitnehmerscheibe 6 weise die Öffnungen 19 und 20 auf, denen die Zapfen 7 und 8 zugeordnet seien. Die Kupplungsorgane 1 und 3 seien mit Bohrungen 2 und 3 ausgebildet, in die eine Schraube 5 einsetzbar sei und eine Verspannung der Kupplungsorgane durch Verschrauben erzielt werden könne. Beim Verspannen der Kupplungsorgane 1 und 3 kämen die konisch verjüngend ausgebildeten Mitnehmerzapfen 7 und 8 an die Berandungen der Öffnungen 19 und 20 der Mitnehmerscheibe zur Anlage. Da die Querschnitte der Bolzen 7 und 8 größer als die Querschnitte der Öffnungen 19 und 20 seien, käme es in dieser Lage zu einer Verformung der Berandungen. Das erste Kupplungsorgan stelle dabei ein Spannfutter und das zweite Kupplungsorgan einen Werkstückträger dar. Die Mitnehmerzapfen 7 und 8 seien erste Positioniermittel und die Öffnungen 19 und 20 seien zweite Positioniermittel, wobei diese paarweise als Richtmittel zusammenarbeiten würden. Zudem stelle die das Kupplungsorgan 3 durchsetzende, in die Gewindebohrung 2 eindrehbare Schraube eine Spannvorrichtung dar. Die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 des Streitpatents seien somit bekannt. Aus den Dokumenten EP 308 908 B1 und EP 897 776 A2 sei bekannt, dass eine geringe Verformung der anliegenden Flächen eine maßgenaue Verformung bewirke, was insbesondere durch die unterschiedlichen gegenseitigen Lagen der Positioniermittel in der Figur 4a und 4b von EP 897 776 A2 dargestellt sei; die Ausnehmung sei hier ebenso zweistufig ausgebildet. Zu Patentanspruch 8 sei die Veröffentlichung EP 864 410 A1 heranzuziehen, die eine Spannvorrichtung für ein Spritzgießwerkzeug mit einem als Formaufspannplatte 1 bezeichneten Spannfutter zeige, wobei ein Spann- und Zentrierring 3 an der mit zentraler Öffnung 2 und mit gegenüber dieser Öffnung verschiebbaren Verriegelungsbacken 6 und 7 versehenen Formaufspannplatte verrastbar sei. Bei dieser Spannvorrichtung seien sowohl ein Spannfutter als auch ein als Spann- und Zentrierring ausgebildeter Werkstückträger mit zentraler Öffnung bekannt. Die Merkmale von Anspruch 8 seien somit bekannt, wobei diese Merkmale in keinem technisch-funktionellen Zusammenhang mit den Merkmalen des Anspruchs 1 stünden und es daher wegen der EP 864 410 A1 an Neuheit mangle. Weiters sei eine Übertragung einer Spanneinrichtung gemäß dieses Patents auf eine Vorrichtung gemäß der EP 111 092 A2 naheliegend und nicht erfinderisch.
Die Antragsgegnerin verwies in ihren Gegenschriften darauf, dass den genannten Druckschriften die Aufgabenstellung der Patentansprüche 1 und 8 nicht zu entnehmen sei und auch nicht deren Lösung. Für den Fall, dass die registrierte Fassung dieser beiden Patentansprüche als nicht schutzwürdig erachtet werden sollte, werde hilfsweise beantragt, den Anspruch 1 durch die Aufnahme der Angabe „im Bereich des Nutgrundes einen geringeren Querschnitt aufweisenden“ einzuschränken oder den Anspruch 1 durch die zusätzliche Formulierung „in lose aufgesetztem Zustand des Werkstückträgers (25) auf dem Spannfutter (1) in Linienberührung mit Seitenflächen (22a) der Zentrierzapfen (22) stehen und“ klarzustellen.
Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts den Antrag auf Nichtigerklärung der AT 260 161 E in Bezug auf die Ansprüche 1 und 8 ab.
Begründend wird ausgeführt, dass keines der von der Antragstellerin genannten Dokumente dem Gegenstand des Streitpatentanspruchs 1 patenthindernd entgegenstehen würde. Der ebenfalls angegriffene Patentanspruch 8 sei auf den Patentanspruch 1 rückbezogen und erfülle somit ebenfalls die Anforderungen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Art 54 und 56 EPÜ. Durch die unterschiedliche Wirkungsweise der erfindungsgemäßen Positioniermittel gegenüber jenen im Stand der Technik sei die Definition der Bedeutung des Begriffs „Spannfutter“ nicht ausschlaggebend für die Entscheidung. Die behauptete Vorbenutzung des Spannsystems EROWA IST PM liege weit ab vom Streitpatentgegenstand.
Dagegen richtet sich die Berufung der Antragsteller mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, dass das Patent AT 260 161 E hinsichtlich der Patentansprüche 1 und 8 für nichtig befunden werde, hilfsweise die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Nichtigkeitsabteilung zurückzuverweisen, jedenfalls aber der Antragsgegnerin die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin beantragt, die Berufung abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden (RIS-Justiz RS0008733). Gemäß § 141 Abs 1 PatG iVm § 176b Abs 1 Z 1 PatG können Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts nur durch Berufung angefochten werden. Für das Berufungsverfahren gelten die Bestimmungen der ZPO sinngemäß mit der Ausnahme des § 461 Abs 2 ZPO und mit weiteren – im konkreten Fall nicht relevanten – Ausnahmen.
Grundsätzlich besteht seit der Aufhebung von § 492 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, kein Antragsrecht der Parteien auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung im Rahmen der ZPO. Eine mündliche Berufungsverhandlung ist seit dem Inkrafttreten der Novelle nur noch anzuberaumen, wenn der Berufungssenat dies im Einzelfall für erforderlich hält (§ 480 Abs 1 ZPO). Im konkreten Fall hält das Berufungsgericht die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich und entscheidet über die Berufung daher in nicht öffentlicher Sitzung.
2. Im Vordergrund der Berufungsausführungen in Bezug auf die unrichtige rechtliche Beurteilung steht die Behauptung der mangelnden Neuheit des Patentanspruchs 1 wegen der EP 897 776 A2. Sofern Unterschiede erkannt werden, mangle es jedenfalls an der erfinderischen Qualität. Ausgehend von der Rechtsbeständigkeit des Patentanspruchs 8 aufgrund der Rechtsbeständigkeit des Patentanspruchs 1 fehle es somit auch dem Patentanspruch 8 an der Neuheit. Zudem sei der Patentanspruch 8 auch deshalb nichtig, weil seine Merkmale mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 nicht einheitlich seien, weswegen die erforderliche Neuheit und/oder Erfindungshöhe nicht gegeben sei.
3. Die Beurteilung, ob der Gegenstand eines Patents durch eine Vorveröffentlichung vorweggenommen ist, erfordert die Ermittlung des Gesamtinhalts der Vorveröffentlichung. Maßgeblich ist, welche technischen Information dem Fachmann klar und eindeutig (Weiser, Patentgesetz Gebrauchsmustergesetz 110 mwN zur Rsp des Patentamts) offenbart wird (4 Ob 214/04f – Paroxat ; Op 3/11 – Olanzapin).
Die Neuheitsschädlichkeit einer Offenbarung ist somit daran zu messen, was sie dem lesenden Durchschnittsfachmann vermittelt, ohne von ihm schwierige Deduktionen oder gar schöpferische Gedankengänge zu verlangen, jedoch unter voller Anwendung des von ihm im Prioritätszeitpunkt zu erwartenden Informations- und Wissensstandes und des allgemeinen Fachwissens (Op 5/05). Der Fachwelt muss ein Weg gewiesen werden, wie sie planmäßig ohne unzumutbare Schwierigkeiten den angestrebten Erfolg erzielt (4 Ob 214/04f – Paroxat mwN).
4. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat die Nichtigkeitsabteilung zutreffend die Neuheitsschädlichkeit insbesondere des in der Berufung nur mehr entgegengehaltenen Patents EP 897 776 A2 gegenüber den Patentansprüchen 1 und 8 verneint. Das Berufungsgericht hält die Begründung der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die Neuheit, aber auch in Bezug auf die Erfindungshöhe der Ansprüche 1 und 8 für zutreffend, sodass vorweg auf sie verwiesen werden kann (§ 141 PatG iVm § 500a ZPO).
4.1 Zu untersuchen ist, ob die in der EP 897 776 A2 geoffenbarten Nuten (vgl unten stehende Führungskanäle 21a, 21b; 22a, 22b)
den im streitgegenständlichen Patent beanspruchten Vertiefungen in Form einer zweistufigen Nut (30) [Figur 3, Figur 6] entsprechen oder nicht.
Um dies zu beurteilen, kommt es nicht nur auf die strukturellen Identitäten, Ähnlichkeiten oder Unterschiede an, sondern auch auf die Beantwortung der Frage, ob mit beiden Gebilden vergleichbare Wirkungen erzielt werden. Wenn man nun die Figur 4a (Vorhalt, unbelastet)
und die Figur 4b (Vorhalt, festgespannt)
betrachtet, so erkennt man, dass die beim Spannen bewirkte Deformation (wie durch die Pfeile eindeutig gekennzeichnet und angegeben) über eine relativ große Fläche erfolgt und hier wiederum durch einen speziellen Schlitz unterhalb der Nocken bestimmt wird. Dabei heißt es im Patentanspruch „... Dabei gibt der Zentriernocken in axialer Richtung federnd nach. Der Druck wird mit Hilfe des Einschnitts 14 aufgenommen“.
Die Vergrößerung der Figur 4a gibt folgendes Detail der Form des Führungskanals wieder:
Ohne dass es im Vorhalt angeführt wird, ist es im Zusammenhang mit den Erläuterungen der EP 897 776 A2 für jeden auf dem Gebiet des Maschinenbaus Tätigen klar, dass die von Anfang an flächenhafte Ausbildung des Kontakts zwischen Zentriernocken (rechts) und Seitenflächen der Nut (links) gewollt ist, um hier zu einer möglichst geringen Deformation zu kommen. Diese soll überwiegend im Bereich des Einschnitts 14 erfolgen, wie in der Figur 4b dargestellt.
Demgegenüber wird vom bekämpften Patent an Hand der Beschreibung der Nut 30 explizit verlangt, dass vor dem Festspannen die Seitenflächen 22a und der Zentrierzapfen 22 in Linienberührung mit den Kanten, die aus den Flächen 32a, 32b der Absätze 31a, 31b (der gestuften Nut) gebildet werden, gelangen ([0021] ... Wenn der Werkstückträger 25 lose auf das Spannfutter 1 aufgesetzt wird, greifen die Zentrierzapfen 22 in die Vertiefungen 30 ein, wobei die Seitenflächen 22a der Zentrierzapfen 22 in Linienberührung mit den Kanten 32a, 32b der Absätze 31a, 31b gelangen ...).
Weiters wird gefordert, dass unter der Wirkung der Spannkraft die Absätze 31a, 31b (das sind jene mit der Linienberührung) im Bereich ihrer Kanten 32a, 32b elastisch verformt werden ([0021] ... Unter Wirkung dieser Spannkraft werden die Absätze 31a, 31b im Bereich ihrer Kanten 32a, 32b elastisch verformt, und zwar in einem solchen Mass, bis die Oberfläche der Schulter 29 des Werkstückträgers 25 auf den etwas erhöhten Flächenabschnitt 23 des Spannfutters 1 aufliegt ...).
Dies bringt nun eine ganz andere Wirkung zustande, als es aus der EP 897 776 A2 bekannt war, denn durch den Einschnitt 14 ist dort die in Figur 4b dargestellte geradlinig vertikale Verschiebung zwar angestrebt, durch die „polsterartige“ Lagerung des Zentriernockens über dem Einschnitt 14 aber keineswegs garantiert. Es ist zu bedenken, dass die Aufspannungsgenauigkeit im Bereich von 1.000stel Millimeter liegen soll, und hier sorgen bereits geringfügige Abweichungen vom gezeichneten Idealbild für Probleme.
Bei der Lösung nach dem Streitpatent ist gerade diese Position äußerst fest und gegen Kippmomente weitgehend „immun“.
Weitere Probleme der Vorrichtung entsprechend dem Stand der Technik sind aus der obigen vergrößerten Detaildarstellung der Figur 4a zu erkennen: Der Bereich hinter dem Vorsprung der Nut neigt zum Verschmutzen. Anders ist dies bei der erfindungsgemäßen Ausbildung, bei der der Kontaktbereich als leicht zu reinigende, weil direkt dem Benutzer zugewandte Kante 32a, 32b ausgebildet ist. Im Vorhalt liegt an dieser Stelle ein schwer zugänglicher Bereich vor, auch wenn die entsprechende Führungskanäle an beiden Seiten offen sind.
Weiters ist die flächige Ausbildung des Kontakts zwischen den Zentriernocken und dem schrägen Vorsprung der Nut ebenfalls anfällig für Verunreinigungen, weil diese während des Zusammenbaus und des Festspannens nicht durch die keilförmige Ausbildung der zweistufigen Nut verdrängt oder zerschnitten werden können.
4.2 Nicht nachvollzogen werden können die Ausführungen in der Berufung, dass eine zweistufige Nut vorliegen soll. Der Begriff „zweistufige Nut“ ist in Fachveröffentlichungen nicht zu finden, doch ist der allgemeine Wortsinn, dass eine Mehrstufigkeit etwas Treppenartiges (z.B. Stufenpyramide) bedeutet, wohl nicht von der Hand zu weisen. Im Vergleich dazu sind die Führungskanäle schwalbenschwanzartig hinterschnitten und haben mit einer Stufe oder Abstufung nichts zu tun. Auch die Bezeichnung „Führungskanäle“ lässt auch ohne Zeichnung viel eher an einer schwalbenschwanzartigen Ausbildung denken, weil derartige Führungen an Werkzeugmaschinen oft hinterschnitten sind.
4.3 Im Ergebnis vermag die Berufung nicht aufzuzeigen, warum die Beurteilung des Patentamts, dass keines der von der Antragsstellerin genannten Dokumente dem Gegenstand des Streitpatentanspruchs 1 patenthindernd entgegenstehe, unzutreffend sein soll. Dies bedingt, dass auch der angegriffene Patentanspruch 8, weil er auf den Patentanspruch 1 rückbezogen ist, ebenfalls die Anforderungen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Art 54 und 56 EPÜ erfüllt. Die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor.
5. Sofern die Antragsstellerin eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen mangelhafter Begründung darin sieht, dass aus der Entscheidung nicht klar hervorgehe, welche Merkmale für die Beurteilung des Schutzumfangs des Patentanspruchs 1 herangezogen worden seien, wird kein Formal- oder Verfahrensfehler im Sinne des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO moniert, sondern versucht, auf diesem Weg die rechtliche Beurteilung nochmals zu bekämpfen. Es erübrigt sich daher, weiter darauf einzugehen.
6. Die Kostenentscheidung stützt sich §§ 122 Abs 1 und 141 PatG iVm §§ 41 Abs 1 iVm 50 ZPO.
Die ordentliche Revision war gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erheblich Bedeutung zukommt, nicht zu lösen war. Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO beruht auf der Bedeutung von Patentansprüche im Wirtschaftsleben.