7Rs76/13t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungs- und Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Dr. Rassi und Mag. Heß-Palas sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Kandlhofer und Gerald Pazdernik in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P***** P***** , L*****, 1140 Wien, vertreten durch Mag. Florian Wiederkehr, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18.09.2012, GZ 28 Cgs 319/10x-71, sowie die Rekurse gegen den Beschluss vom 04.02.2012, GZ 28 Cgs 319/10x-70 und den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 15.11.2012, GZ 2 Nc 31/12f-3, gemäß §§ 2 ASGG, 480 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung
I. den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
1. Die Berufung wird, soweit in ihr Nichtigkeit geltend gemacht wird, verworfen .
2. Beide Rekurse werden zurückgewiesen .
3. Der ordentliche Revisionsrekurs gegen die Entscheidung in Punkt 2. ist nicht zulässig .
II. Zu Recht erkannt:
Der Berufung wird im Übrigen nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klagebegehren ab. Es legte seiner Entscheidung den aus den Seiten 2 bis 6 der Urteilsausfertigung zu entnehmenden Sachverhalt zugrunde, auf den verwiesen wird.
Folgendes sei hervorgehoben:
Der am ***** geborene Kläger hat bis zum Stichtag (01.08.2010) insgesamt 435 Beitragsmonate erworben, davon 259 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach dem ASVG und 14 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach dem GSVG. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag erwarb er 78 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit als Angestellter, letztmalig im Juli 2002. Der Kläger hat im Jahr 1977 die Lehre im Lehrberuf Kellner erfolgreich abgeschlossen. Von 1989 bis 1997 arbeitete der Kläger als Chauffeur bei der amerikanischen Botschaft. Er fuhr mit PKW und LKW und hat dabei Personentransporte und Botenfahrten durchgeführt. Von Oktober 1997 bis November 2001 war er bei der OSZE als Angestellter beschäftigt. Er arbeitete als Chauffeur, dies machte ca 1/3 seiner Arbeitszeit aus. Daneben verrichtete er noch weitere Tätigkeiten, zum größten Teil im Büro, ua im Zusammenhang mit dem Erstellen von Passagierlisten, der Abfertigung von Gepäck und Passagieren an Flughäfen, der Kontrolle der Be- und Entladung von Flugzeugen sowie mit Zollformalitäten. Bei einer solchen Tätigkeit erfolgt die Einstufung üblicherweise in Beschäftigungsgruppe 3 vergleichbar dem Handelsangestelltenkollektivvertrag. Bei der HTM Hotel und Tourismus GmbH war der Kläger vom 15.11.2001 bis 30.06.2002 als Kundenbetreuer und Servicetechniker beschäftigt.
Nach seinem medizinischen Leistungskalkül ist dem Kläger eine Aufgabenstellung am allgemeinen Arbeitsmarkt als Angestellter in Beschäftigungsgruppe 3 weiterhin zumutbar. Dem Kläger sind zB allgemeine Büroarbeiten im Back-Office-Bereich möglich. Das Berufsanforderungsprofil entspricht dem medizinischen Leistungskalkül des Klägers.
Sollte sich der Kläger einer urologischen Operation unterziehen, ist mit einem einmaligen Krankenstand von etwa vier Wochen zu rechnen. Sollte sich der Kläger einer Schulteroperation unterziehen, ist mit einem einmaligen Krankenstand von zwei bis drei Monaten zu rechnen. Leidensbedingte Krankenstände sind unter Einhaltung des Gesamtkalküls im Ausmaß von drei Wochen pro Jahr zu erwarten. Leidensbedingte Krankenstände von sieben Wochen oder mehr pro Jahr sind jedoch beim Kläger nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass dem Kläger eine Tätigkeit gemäß seiner letzten Angestelltentätigkeit zumutbar sei. Es verneinte die Anwendung der Härtefallklausel des § 255 Abs 3a und 3b ASVG und einen Ausschluss des Klägers vom allgemeinen Arbeitsmarkt.
In der am Tag der Urteilsfällung durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung am 18.09.2012 verließ der fachkundige Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer (Dr. A***** L*****) „zu einer nicht mehr genau feststellbaren Zeit und für einen nicht mehr genau feststellbaren Zeitraum während der Verhandlung zumindest einmal den Verhandlungssaal ..., um einen der medizinischen Sachverständigen im Haus zu suchen.“ (ON 70). In der genannten Tagsatzung erstattete die Klagevertreterin ein umfassendes Vorbringen, zumal ihr am 14.09.2012 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) eingebrachter vorbereitender Schriftsatz aufgrund eines Kanzleiversehens zunächst nicht zum erstgerichtlichen Akt genommen wurde. Dieser ERV-Schriftsatz wurde (ebenso wenig wie die Berufung des Klägers) in den (elektronischen) VJ-Fall übernommen.
In der Tagsatzung am 18.09.2012 haben insgesamt sechs der zehn vom Erstgericht bestellten medizinischen Sachverständigen ihre Gutachten erörtert bzw weitere Befunde geprüft. Aus dem Verhandlungsprotokoll ist nicht ersichtlich, dass der genannte fachkundige Laienrichter in dieser Tagsatzung am gesamten Beweisverfahren teilgenommen hat. Die Abwesenheit des Laienrichters wurde von den Streitteilen nicht gerügt, der Kläger war in dieser Tagsatzung anwaltlich vertreten.
Im Urteil hielt das Erstgericht fest, dass die kurzfristige Abwesenheit des Arbeitnehmerlaienrichters mangels Rüge keine Verfahrensvorschrift verletze und verwies auf § 37 Abs 1 ASGG.
Gegen das Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im aufhebenden Sinn abzuändern.
Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Gleichzeitig mit der Berufung bekämpft der Kläger ausdrücklich auch Punkt 2. des Beschlusses vom 04.02.2012 (ON 70). Mit diesem Beschluss wies das Erstgericht den aufgrund des Widerspruchs des Klägers gegen das Protokoll über die Tagsatzung vom 18.09.2012 gestellten Antrag auf Berichtigung insoweit ab, als dieser über die Feststellung der temporären Abwesenheit des Arbeitnehmerlaienrichters hinausging.
Weiters bekämpft der Kläger den Beschluss des erstgerichtlichen Befangenheitssenats vom 15.11.2012 zu 2 Nc 31/12f-3 (ON 69 im Erstakt), womit sein Ablehnungsantrag gegen den vorsitzenden Richter Mag. Arnold Tiefnig zurückgewiesen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Die beiden in der Berufung quasi „integrierten“ Rekurse des Klägers sind als unzulässig zurückzuweisen, die Nichtigkeitsberufung ist zu verwerfen, im Übrigen ist der Berufung nicht Folge zu geben.
§ 212 ZPO sieht die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen den Inhalt des Verhandlungsprotokolls, der auch für das Kurzschriftprotokoll zulässig ist, und den Widerspruch gegen Fehler der Übertragung des Protokolls vor. Das Prozessgericht hat über einen Widerspruch nicht zu entscheiden ( Schragel in Fasching/Konecny² § 212 ZPO Rz 6). Welche Bedeutung dem Widerspruch beizumessen ist, der gegen einzelne Feststellungen eines Protokolls erster Instanz rechtzeitig erhoben wurde, hat das Berufungsgericht zu beurteilen (§ 498 ZPO). Der Widerspruch verhindert den vollen Beweis des Protokolls über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung (§ 215 Abs 1 ZPO).
Da eine beschlussmäßige Entscheidung nicht vorgesehen ist, ist ein Rekurs dagegen auch nicht statthaft, zudem wäre der Kläger insoweit nicht beschwert, weil ihm durch die (das Berufungsgericht nicht bindende) Abweisung des Berichtigungsantrags keine Nachteile entstehen.
Auch im Rahmen der Berufungsentscheidung war auf die Frage der unrichtigen oder richtigen Protokollierung aber nicht weiter einzugehen, weil der Kläger in der Berufung nicht ansatzweise konkret darlegt, worin der Protollierungs- oder Übertragungsfehler überhaupt bestehen soll. Eine bloße Verweisung auf seinen erstgerichtlichen Widerspruch vom 12.10.2012 (ON 68) reicht nicht hin.
Unzulässig ist auch der gegen die Entscheidung des Befangenheitssenats des Erstgerichts erhobene Rekurs, weil diese Entscheidung bereits in Rechtskraft erwachsen ist (vgl die Rechtskraftbestätigung in ON 69). Das deckt sich auch mit der Einsicht in den entsprechenden VJ-Fall, wonach die Entscheidung dem Klagevertreter am 12.11.2012 zugestellt wurde und unbekämpft blieb. Der mit der Berufung am 06.03.2013 eingebrachte Rekurs des Klägers war somit als verspätet zurückzuweisen.
Im Zentrum der Berufung steht der unstrittige Umstand, dass einer der beiden fachkundigen Laienrichter die Tagsatzung am 18.09.2012 zumindest einmal verlassen hat. Diese Vorgehensweise steht zum einen im Spannungsfeld zur richtigen und vollständigen Gerichtsbesetzung und auch zur persönlichen Unmittelbarkeit, weil im Senatsprozess grundsätzlich jedes einzelne Senatsmitglied an der gesamten mündlichen Streitverhandlung teilnehmen muss (vgl RIS-Justiz RS0036578; Bydlinski in Fasching/Konecny ² § 412 ZPO Rz 5). Daraus folgt, dass eine auch nur vorübergehende Anwesenheit eines Senatsmitglieds während der mündlichen Verhandlung unzulässig ist ( Bydlinski aaO). Sie kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass der abwesende Richter zur Suche nach einem Sachverständigen im Haus benötigt wurde. Muss ein Senatsmitglied in einer Verhandlung vorübergehend den Raum verlassen, dann ist die Verhandlung zu unterbrechen ( Bydlinski aaO). Nach Fasching soll „vernünftigerweise eine kurzzeitige Abwesenheit, in der sich keine prozesserheblichen Vorgänge abspielten, zu tolerieren sein“ (vgl Fasching 1 III 781). Dem hält Fasching selbst allerdings zutreffend entgegen, dass dafür objektiv überprüfbare Grenzen nicht leicht zu finden seien. Für den hier zu beurteilenden Fall kommt hinzu, dass im Zuge der Tagsatzung sowohl umfangreiches Prozessvorbringen als auch Beweisaufnahmen stattfanden, sodass eine Berufung auf die Ansicht von Fasching ins Leere geht, zumal nicht feststeht, dass sich in der Abwesenheit des fachkundigen Laienrichters keine prozesserheblichen Vorgänge abgespielt hätten.
Der Berufungssenat verkennt nicht die Herausforderungen an die Verfahrensgestaltung im Sozialrechtsverfahren, in dem regelmäßig – so auch hier – zahlreiche Sachverständige zum Einsatz kommen. Es mag für den Verhandlungsbetrieb durchaus herausfordernd sein, die Anwesenheit der Gutachter verfahrensökonomisch zu organisieren, zumal diese gerade am Arbeits- und Sozialgericht Wien im Regelfall an einem Tag für mehrere Verhandlungen bei verschiedenen Senaten benötigt werden. Das kann aber jedenfalls nicht dazu führen, dass wenn der Vorsitzende – ohne Zustimmung der Parteien - einen Teil des Senats mit der Suche nach Sachverständigen beauftragt und in dieser Zeit das Verfahren mit dem anderen Laienrichter fortsetzt, eine solche Vorgangsweise regelmäßig sanktioniert ist.
§ 11b ASGG sieht eine Sonderregel für das arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren vor, die es dem Vorsitzenden ohnedies ermöglicht, einzelne Tagsatzungen auch ohne fachkundige Laienrichter durchzuführen. Das setzt freilich die ausdrückliche Zustimmung der Streitteile voraus und verlangt, dass der Vorsitzende alleine verhandelt, auch wenn einer der beiden fachkundigen Laienrichter anwesend ist. Letzterem liegt der in § 12 Abs 1 ASGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Parität zugrunde (vgl Kuderna ASGG 2 123; Neumayr in ZellKomm 2 § 11b ASGG Rz 1).
§ 11b ASGG hat vor Augen, dass einer der geladenen fachkundigen Laienrichter zur Tagsatzung nicht erschienen ist. Ein Nichterscheinen ist in diesem Sinne jedoch auch dann gegeben, wenn sich der fachkundige Laienrichter vor Beginn der Tagsatzung, aber auch wohl während der Tagsatzung entfernt (vgl Kuderna aaO 123). Die Bestimmung verfolgt das prozessökonomische Ziel der Vermeidung einer Verzögerung des Verfahrens, indem der Vorsitzende unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen ermächtigt wird, alleine zu verhandeln . Dieser Normzweck ist auch für den Fall heranzuziehen, dass ein oder beide Laienrichter sich von der Tagsatzung entfernen. Dabei macht es nach Ansicht des Berufungssenats im Ergebnis keinen Unterschied, ob mit einem Wiedererscheinen in Kürze zu rechnen ist.
Will der Vorsitzende die sonst zwingende (vgl oben) notwendige Unterbrechung des Verfahrens vermeiden, wenn ein Senatsmitglied die Verhandlung verlässt, ist er gehalten, nach der für das arbeits- und sozialgerichtliche Verfahren geltenden Sonderregelung des § 11b ASGG vorzugehen. Mangels ausdrücklicher Zustimmung der Parteien und des Umstands, dass mit dem zweiten fachkundigen Laienrichter weiter verhandelt wurde, liegt ein Verstoß gegen § 11b ASGG vor.
Allerdings sieht § 37 ASGG bei einem Verstoß (ua) gegen § 11b ASGG vor, dass § 260 Abs 4 ZPO sinngemäß anzuwenden ist, sofern die Parteien zur Zeit des Verstoßes durch qualifizierte Personen im Sinne des § 40 Abs 1 ASGG vertreten waren. Nach der Rechtsprechung ist § 260 Abs 4 ZPO gemäß § 37 Abs 1 ASGG im Fall der qualifizierten Vertretung der Parteien auch dann sinngemäß anzuwenden, wenn die unrichtige Gerichtsbesetzung darin besteht, dass ein Berufsrichter und nur ein fachkundiger Laienrichter verhandelt und entschieden haben (RIS-Justiz RS0085495).
Der Kläger war anwaltlich vertreten, seine Anwältin hat ungeachtet des Verlassens des fachkundigen Laienrichters ein umfassendes Vorbringen erstattet und sich damit in die mündliche Streitverhandlung eingelassen, ohne diesen Umstand geltend gemacht zu haben. Es ist dabei irrelevant, ob der Klagevertreterin wegen ihres umfassenden Vorbringens die Abwesenheit des fehlenden fachkundigen Laienrichters nicht aufgefallen ist. Die Rügeobliegenheit nach § 37 ASGG iVm § 260 Abs 4 ZPO ist bereits dann erfüllt, wenn der Parteienvertreter hätte erkennen können, dass das Gericht nicht gesetzmäßig besetzt ist. Von einer Anwältin kann erwartet werden, dass sie bei ihrem Vortrag den gesamten Senat und nicht nur den Vorsitzenden im Auge behält. Der hier zu bejahende Verstoß gegen die unrichtige Gerichtsbesetzung ist somit im Sinne des § 37 Abs 1 ASGG iVm § 260 Abs 4 ZPO geheilt, sodass die Nichtigkeit, aber auch eine darauf gestützte Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu verneinen ist.
Es kann dahinstehen, ob hier zusätzlich ein Verstoß gegen § 412 ZPO bzw gegen den Grundsatz der persönlichen Unmittelbarkeit vorliegt, zumal auch darauf keine Nichtigkeit gestützt werden kann (vgl RIS-Justiz RS0036578 und RS0041480) und eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nur dann erfolgreich geltend gemacht werden kann, wenn bereits im Verfahren erster Instanz eine Rüge nach § 196 ZPO vorliegt (vgl RIS-Justiz RS0037176 und RS0036578; 6 Ob 59/72; Klauser/Kodek , ZPO 17 § 412 E 8; hg 8 Rs 41/10y uva).
Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass aufgrund der unterlassenen Rüge nach § 196 ZPO bzw der hier zu bejahenden Heilung nach § 37 ASGG iVm § 260 Abs 4 ZPO die temporäre Abwesenheit eines fachkundigen Laienrichters weder eine Nichtigkeit noch einen Verfahrensmangel begründet.
Der Umstand, dass der Vorsitzende des Erstgerichts angeblich zahlreiche Fragen der Klagevertreterin nicht zugelassen haben soll, die für den Ausgang des Verfahrens wesentlich und entscheidungsrelevant gewesen wären, kann ebenso keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens begründen wie der Vorwurf, dass sämtliche noch offenen Beweisanträge abgewiesen wurden. Diesen Ausführungen ist nämlich nicht ansatzweise die Wesentlichkeit des damit behaupteten primären Verfahrensmangels zu entnehmen. Ein Verfahrensmangel muss aber abstrakt geeignet sein, eine unrichtige Entscheidung herbeigeführt zu haben. Hatte die vorgefallene Mangelhaftigkeit schon bei abstrakter Betrachtung keinen möglichen Einfluss auf die Entscheidung, liegt auch keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor. Wohl ist der strenge Nachweis, dass der geltend gemachte Mangel im konkreten Einzelfall eine unrichtige Entscheidung herbeigeführt hat, nicht vom Berufungswerber zu erbringen (vgl Pochmarski/ Lichtenberg, Die Berufung in der ZPO 2 61). Es muss aber aus den Berufungsausführungen zumindest ansatzweise abzuleiten sein, warum der Mangel geeignet war, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu verhindern bzw warum er geeignet war, die Unrichtigkeit der Entscheidung herbeizuführen (vgl Klauser/ Kodek 17 § 496 ZPO E 11 ff). Derartige Behauptungen hat der Kläger nicht aufgestellt, sodass die Verfahrensrüge hier ebenfalls ins Leere geht.
Bemerkenswert sind die Ausführungen in der Rechtsrüge zum „ Urteil vom 22.09.2009 “ hinsichtlich des dort verneinten Berufschutzes als Berufskraftfahrer. Dabei handelt es sich gar nicht um das angefochtene Urteil, sondern um das in einem Vorverfahren vor dem Erstgericht zwischen den Parteien zu 16 Cgs 204/04p-88 ergangene Urteil, das der Kläger offenbar mit der aktuellen Entscheidung verwechselt. Auf einen entsprechenden Irrtum deutet auch die Anfechtungserklärung in der Berufung hin, wonach das Urteil hinsichtlich der „Spruchpunkte 2 und 3, mit denen das Klagebegehren, dem Kläger eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß vom 01.01.2004 bis 31.05.2007 sowie über den 29.02.2008 hinaus zu zahlen, abgewiesen wurde, bekämpft wird.“ Der nun angefochtenen Entscheidung ist jedoch kein derartiger Spruch zu entnehmen. Vielmehr wurde das Klagebegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 01.08.2010 (in einem einzigen Spruchpunkt des Urteils) abgewiesen. Insoweit sich die Ausführungen in der Berufung auf das Urteil vom 22.09.2009 beziehen, ist darauf daher nicht näher einzugehen.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist daran zu erinnern, dass der Kläger im gegenständlichen Verfahren keine Anlernqualifikation als Berufskraftfahrer geltend gemacht hat und eine solche auch aus den Feststellungen nicht abzuleiten ist. Ein Berufsschutz als Berufskraftfahrer aufgrund seiner teilweisen Tätigkeit als Chauffeur scheitert zudem auch daran, dass im Rahmenzeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine entsprechende überwiegende Tätigkeit nicht vorliegt. Der Kläger hat im Verfahren erster Instanz (vgl ON 31) auch ausdrücklich damit argumentiert, dass er bei der OSZE „keinesfalls als einfacher Chauffeur“, sondern vielmehr als Angestellter tätig war. Selbst wenn man die Tätigkeit als Chauffeur als berufsschutzerhaltende Arbeit qualifiziert, wäre für den Kläger nichts gewonnen, weil die Tätigkeit als Fahrer bei der OSZE nur untergeordnete Bedeutung hatte (vgl 10 ObS 411/98h) und der Kläger bei der HTM GmbH überhaupt nicht als Fahrer tätig war. Die Ausübung einer bloßen Teiltätigkeit des erlernten Berufs, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, vermag einen vorher bestandenen (allfälligen) Berufsschutz nicht aufrechtzuerhalten (SSV-NF 9/40). Die Tätigkeit des Klägers bei der OSZE kann in ihrer Gesamtheit nicht mehr als Ausübung eines Berufskraftfahrers angesehen werden (SSV-NF 4/80, 9/35; 10 ObS 309/98h).
Die weiteren Ausführungen in der Berufung hinterfragen nicht weiter die rechtlichen Ausführungen des Erstgerichts, wonach der Kläger die zuletzt überwiegend ausgeübte Angestelltentätigkeit weiter ausüben kann, sondern konzentrieren sich ausschließlich auf die Problematik der vom Erstgericht prognostizierten Krankenstände.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit und trotz zumutbarer Krankenbehandlung zu erwartende leidensbedingte Krankenstände von jährlich sieben Wochen und darüber schließen einen Pensionswerber vom Arbeitsmarkt aus (RIS-Justiz RS0113471 und RS0084429). Es kann nämlich nicht damit gerechnet werden, dass krankheitsbedingte Abwesenheiten in einem solchen Ausmaß von den in Betracht kommenden Arbeitgebern akzeptiert werden; ein derart betroffener Versicherter würde in diesem Fall nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers auf Dauer beschäftigt werden (10 ObS 159/93; 10 ObS 66/09t). Wesentlich ist dabei ausschließlich die Prognose, die von den Anforderungen in den Verweisungsberufen, das heißt von der Kalkülseinhaltung ausgehen muss (RIS-Justiz RS0084364; Sonntag in Sonntag 3 § 255 ASVG Rz 63). Dabei sind klare Feststellungen über die wirkliche Dauer von mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Krankenständen zu treffen.
Nach den unbekämpft gebliebenen Feststellungen hat das Erstgericht Krankenstände von sieben Wochen oder mehr nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit prognostiziert. Daran ist bei der rechtlichen Beurteilung anzuknüpfen. Es trifft den Versicherten die (objektive) Beweislast dafür, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit mit jährlichen Krankenständen von sieben Wochen oder mehr zu rechnen ist (RIS-Justiz RS0086045; RS0086050; 10 ObS 159/03k).
Der Kläger gesteht zu, dass er dazu den Beweis nicht erbracht habe. Er entfernt sich in der Rechtsrüge von den Feststellungen und geht von einem sogenannten Wunschsachverhalt aus. Gleichzeitig rügt er, dass er das Fragerecht nicht ausüben hätte können und seine Beweisanträge abgewiesen worden seien. Derartiges kann jedoch nicht im Rahmen der Rechtsrüge sondern nur als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht werden. Eine diesbezüglich Mangelhaftigkeit ist jedoch – wie bereits oben ausgeführt – zu verneinen. Die substratlosen Ausführungen in der Rechtsrüge können aufgrund der ausreichend getroffenen Feststellungen keinen Ausschluss des Klägers vom allgemeinen Arbeitsmarkt begründen.
Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil das Berufungsverfahren keine Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zum Gegenstand hatte. Hinsichtlich Punkt I. 2. war auszusprechen, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig ist.