JudikaturOLG Wien

16R67/13k – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
16. April 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Strauss als Vorsitzenden, den Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Sonntag und die Richterin des Oberlandesgerichtes Dr. Fabian in der Rechtssache der klagenden Partei Y***** R***** GmbH , ***** W*****, *****gasse 11, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei G***** K*****, ***** Wien, G***** 30, wegen EUR 147.698,33 s.A. und Räumung (Streitwert: EUR 30.000,--), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27.2.2013, 14 Cg 16/13w-2, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit ihrer am 14.2.2013 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte die Klägerin EUR 147.698,33 s.A. und die Räumung des Geschäftslokals ***** Wien, G***** 30, mit dem wesentlichen Vorbringen, die Beklagte sei auf Grundlage des Franchisevertrags vom 1.9.1994 samt Anhängen und Nachträgen als selbstständige Unternehmerin Franchisenehmerin der Klägerin am genannten Standort. Der Saldo aus Forderungen der Klägerin aus Warenlieferungen und Gutschriften zugunsten der Beklagten ergebe den Klagebetrag. Die Beklagte verweigere trotz Mahnung und Nachfristsetzung die Zahlung dieses Betrages, sodass die Klägerin den Franchisevertrag aus wichtigen Gründen auflöse, was die Verpflichtung zur Rückstellung des Geschäftslokales zur Folge habe. Zur Zuständigkeit des Erstgerichtes führte die Klägerin aus, der Beklagten seien im Rahmen des Franchisevertrages auch die Geschäftsräumlichkeiten zur Nutzung überlassen worden. Die sachliche Zuständigkeit für Bestandstreitigkeiten dürfe nicht ausdehnend ausgelegt werden. § 49 Abs 2 Z 5 JN sei nur auf reine Bestand-, Nutzungs- und Teilpachtverhältnisse anzuwenden.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage mangels sachlicher Zuständigkeit zurück und begründete dies zusammengefasst damit, dass im vorliegenden Fall die Überlassung der Geschäftsräumlichkeiten zur Benützung eindeutig im Vordergrund stehe, weil es der Beklagten ohne die Geschäftsräumlichkeiten gar nicht möglich wäre, die Produkte der Klägerin im vorliegenden Umfang zu vertreiben.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

Im Rekurs führt die Klägerin zusammengefasst aus, es sei bei gemischten Verträgen darauf abzustellen, ob die Bestandelemente gegenüber den Elementen anderer Vertragstypen derart überwiegen, dass das Rechtsgeschäft insgesamt nach Bestandrecht zu behandeln sei. Hier liege ein echter Franchisevertrag vor, bei dem die Klägerin eine Vielzahl von typischen Leistungen eines Franchisegebers übernommen habe. Dass der Vertrag auch die Überlassung eines Geschäftslokales umfasst habe, mache die Streitigkeit noch nicht zu einer Bestandstreitigkeit.

Diesen Ausführungen ist beizupflichten.

Von § 49 Abs 2 Z 5 JN werden nach dem klaren Wortlaut nur Streitigkeiten aus Bestandverträgen, genossenschaftlichen Nutzungsverträgen und Teilpachtverträgen erfasst. Nach herrschender Auffassung darf die genannte Bestimmung nicht ausdehnend ausgelegt werden. Sie ist nur auf reine Bestand-, Nutzungs- oder Teilpachtverträge, nicht aber auf gemischte oder mietähnliche Verhältnisse anzuwenden (7 Ob 212/08i mwN).

Durch den Franchisevertrag wird ein Dauerschuldverhältnis begründet, durch das der Franchisegeber dem Franchisenehmer gegen Entgelt das Recht einräumt, bestimmte Waren und/oder Dienstleistungen unter Verwendung von Name, Marke, Ausstattung usw sowie der gewerblichen und technischen Erfahrungen des Franchisegebers unter Beachtung des von diesem entwickelten Organisations- und Werbesystems zu vertreiben, wobei der Franchisegeber dem Franchisenehmer Beistand, Rat und Schulung in technischer und verkaufstechnischer Hinsicht gewährt und eine Kontrolle über die Geschäftstätigkeit des Franchisenehmers ausübt (RIS-Justiz RS0071387).

Räumungsklagen sind nur dann als Bestandstreitigkeiten anzusehen, wenn sie aus der Beendigung eines Bestandverhältnisses resultieren und dieses Verhältnis auch tatsächlich bereits in der Klage behauptet wurde (RIS-Justiz RS0122891).

§ 49 Abs 2 Z 5 JN ist nicht auf einen Vertrag anzuwenden, der neben bestandrechtlichen Teilen weitaus überwiegend Teile enthält, die nicht bestandrechtlicher Natur sind (RIS-Justiz RS0121125).

Umgelegt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Gemäß Abs 2 der Präambel des Franchisevertrages zwischen den Streitteilen Beilage ./A ist das Y***** R*****-System ein umfassendes System zur Betriebsführung und Geschäftsgestaltung von Sch*****zentren. Es besteht insbesondere aus

a) gewerblichen Schutzrechten, nämlich:

- der Wortmarke [...] „Y***** R*****“

- dem eingetragenen Produktnamen

- den Geschäftsbezeichnungen: Y***** R***** bzw Y*****

R***** Sch*****zentrum

b) systemtypischen Ausstattungen; Designs; Farben

und Farbenzusammenstellungen für die Innen- und

Außendekoration der einzelnen Sch*****zentren;

Werbung; Waren, Verpackung und Zusammensetzung;

c) Know-how im jeweiligen Entwicklungsstand;

d) betriebswirtschaftlichen Kontrollverfahren,

einschließlich Betriebsabrechnungsverfahren;

e) einer einheitlichen Marktbearbeitungskonzeption.

Gemäß § 1 Abs 2 dieses Vertrages umfasst das Nutzungsrecht des Unternehmens auch das Recht zur Nutzung aller gewerblichen Schutzrechte, der systemtypischen Ausstattungsmerkmale, des kundenbezogenen und des betriebswirtschaftlichen Know-hows, also aller das Y***** R*****-System kennzeichnenden materiellen und immateriellen Merkmale.

Gemäß § 12 Abs 1 lit a des Vertrages ist die Klägerin grundsätzlich verpflichtet, dem Franchisenehmer alle Produkte, die zur Erbringung der Dienstleistungen im Sch*****zentrum erforderlich sowie zum Verkauf im Unternehmen bestimmt sind, zu verkaufen und zu liefern.

Angesichts dieser dargestellten Verpflichtungen ist nicht von einem Überwiegen der Überlassung der Geschäftsraumnutzung auszugehen, weil es sich bei diesen anderen Verpflichtungen nicht nur um nebensächliche Leistungen – anders als im Falle der Entscheidung 4 Ob 535/94 – handelt (WR 720). Es liegt daher keine Bestandstreitigkeit im Sinne des § 49 Abs 2 Z 5 JN vor.

Eine Bindung an den zu 16 Cg 15/13p des Erstgerichtes ergangenen Zurückweisungsbeschluss vom 6.2.2013 besteht aus folgenden Überlegungen nicht (vgl grundsätzlich zur Bindung an derartige Zuständigkeitsentscheidungen Ballon in Fasching 2 I § 46 JN Rz 2ff):

Die Klägerin hatte bereits am 4.2.2013 zum genannten Aktenzeichen beim Erstgericht eine hinsichtlich der Begründung des Klageanspruches idente Klage eingebracht, dort zur sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes jedoch nur ausgeführt, es sei der Gerichtsstand Wien vereinbart worden, die Beklagte sei im Firmenbuch nicht als Unternehmerin eingetragen.

Mit dem genannten Beschluss hatte das Erstgericht in diesem Vorverfahren die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit aufgrund des Vorliegens einer Bestandsache zurückgewiesen. Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 8.2.2013 zugestellt.

Mit Eingabe vom 13.2.2013 zog die Klägerin im Vorverfahren die Klage ohne Anspruchsverzicht zurück.

Mit Beschluss vom 18.2.2013 nahm das Gericht die Klagerückziehung ohne Anspruchsverzicht zur Kenntnis (dort ON 4). Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 20.2.2013 zugestellt und ist in Rechtskraft erwachsen.

Gemäß § 237 Abs 1 ZPO kann die Klage ohne Zustimmung des Beklagten nur bis zum Einlangen der Klagebeantwortung oder des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl zurückgenommen werden.

Nach der Rechtsprechung ist die Regelung des § 483 Abs 3 ZPO über die Klagerücknahme im Berufungsverfahren für das Rekursverfahren gegen Entscheidungen über einen nach den Verfahrensbestimmungen der ZPO zu verhandelnden Rechtsschutzanspruch, also auch über einen Sicherungsantrag, analog anwendbar (EvBl 1988/41). Dasselbe gilt für das Verfahrenshilfeverfahren, wenn der Antrag im Rekursverfahren zurückgezogen wird (WR 912).

Im vorliegenden Fall erfolgte die Rückziehung der Klage nach dem zurückweisenden Beschluss des Erstgerichtes im Vorverfahren, ohne dass die Klägerin Rekurs erhoben hätte.

Hat der Beklagte die Einrede der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes erhoben, kann der Kläger vor der Entscheidung des Prozessgerichtes über die Einrede die Klage unter Bezugnahme auf die Einrede auch nach der ersten Tagsatzung zurückziehen, ohne dass dies einen Verzicht auf den Anspruch bedeutet (RIS-Justiz RS0039763).

Angesichts dieser Rechtslage war die Klagerücknahme im Vorverfahren im dortigen Stadium daher nicht zulässig .

Das Erstgericht hat mit dem zitierten Beschluss vom 18.2.2013 die Klagerücknahme allerdings zur Kenntnis genommen. Ein derartiger Beschluss stellt keineswegs eine bloß rechtsbelehrende Mitteilung ohne verfahrensgestaltende Wirkung dar. Unterbleibt die Anfechtung eines solchen Beschlusses, so wird er auch im Falle seiner Fehlerhaftigkeit rechtskräftig und wirkt dann endgültig derart, als läge das Rechtsverhältnis so vor, wie es – unrichtig – bekundet wurde (RIS-Justiz RS0007248). Die Notwendigkeit der Anfechtbarkeit des Beschlusses liegt darin begründet, dass dem Beschluss in jenen Fällen, in welchen in Wahrheit eine wirksame Klagerücknahme gar nicht erfolgte, prozessbeendende Wirkung zukommt. Bei der Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht erschöpfen sich die Wirkungen in der Prozessbeendigung und dem Ende der Streitanhängigkeit. Prozessual besteht die jederzeitige Möglichkeit der Wiedereinbringung der Klage (vgl Lovrek in Fasching/Konecny 2 III § 237 Rz 29f).

Angesichts der prozessbeendenden Wirkung des genannten deklarativen Beschlusses im Vorverfahren war die Klägerin insoweit beschwert und hätte diesen Beschluss bekämpfen können.

Dass das Erstgericht im Vorverfahren nicht die Wirkungslosigkeit des Zurückweisungsbeschlusses aussprach, ändert an dieser Beurteilung nichts: Die rechtswirksame Klagerücknahme bewirkt ex lege die Unwirksamkeit des Ersturteiles im Umfang der Rücknahmeerklärung im Berufungsverfahren. Aus Gründen der Rechtssicherheit hat das Berufungsgericht mit deklarativem Beschluss auszusprechen, in welchem Umfang das Ersturteil unwirksam geworden ist (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 483 Rz 16 mwN). Verleiht das Gericht einer an sich unzulässigen und unwirksamen Klagerücknahme durch seinen Beschluss Wirksamkeit, tritt die prozessbeendende Wirkung dieses Beschlusses nach den oben dargelegten Grundsätzen ein. Diese prozessbeendenden Wirkung umfasst aber auch die Wirkungslosigkeit des davor gefassten Zurückweisungsbeschlusses.

Dem berechtigten Rekurs war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO. Ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses konnte entfallen, weil der Beklagten ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss nicht zusteht, zumal vor Zustellung der Klage an sie ein Verfahren zwischen ihr und der Klägerin noch nicht anhängig ist und sie daher auch noch nicht Partei dieses Verfahrens sein kann. Solange die Beklagte am Verfahren nicht beteiligt ist, kann eine Entscheidung des Gerichtes ihr gegenüber auch nicht bindend sein (RIS-Justiz RS0039200 [T25]).

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