JudikaturOLG Wien

22Bs5/13s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
11. April 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr.Levnaic-Iwanski als Vorsitzenden sowie die Richter Mag.Hahn und Mag.Gruber als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Julius ***** M***** und andere Beschuldigte wegen §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerden 1. der M***** Bank AG, 2. des Dr.Heinrich S***** und 3. der I***** AG gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 27. November 2012, GZ 334 HR 436/08g-3946, sowie den gemäß § 106 Abs 2 StPO damit verbundenen Einspruch wegen Rechtsverletzung der M***** Bank AG in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Beschwerde der M***** Bank AG wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 19. November 2012 auf Bewilligung der Anordnung der Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte abgewiesen.

Dr. Heinrich S***** und die I***** AG werden mit ihrer Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.

2. Dem Einspruch wegen Rechtsverletzung wird stattgegeben und festgestellt, dass die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien auf Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 7 Abs 2, 116 Abs 6 StPO verletzt.

3. Das Oberlandesgericht ist zur Entscheidung über die Feststellung der Verletzung der M***** Bank AG in ihrem Recht auf umfassende Akteneinsicht gemäß den §§ 51 ff StPO hinsichtlich Führung von Verschlussakten bzw. einem solchen Zwecke dienenden Separatakten durch die Staatsanwaltschaft Wien sowie Gewährung von Einsicht in alle in derartigen von den verantwortlichen Staatsanwälten separat geführten Aktenzusammenstellungen erliegenden Unterlagen, die bis dato nicht Eingang in den offiziellen Ermittlungsakt gefunden haben und Übermittlung einer vollständigen elektronischen Aktenabschrift, nicht berufen.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien in einem von der Staatsanwaltschaft Wien zu Zl. 608 St 1/08w unter anderem gegen Julius ***** M*****, verschiedene Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der in Jersey domizilierten M***** *****, M***** Ltd. (*****), Julius M***** AG (*****), M***** Bank AG (*****) und andere Beschuldigte wegen den §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB; §§ 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall, 12 StGB; §§ 15, 156 Abs 1 und Abs 2 StGB; § 15 KMG; § 48b BörseG; § 255 AktG geführten Ermittlungsverfahren die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien auf Erteilung folgender Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte durch die M***** Bank AG, 1010 Wien, Bauernmarkt 2 gemäß den §§ 109 Z 3 lit. a und b, 116 Abs 1 und Abs 2 StPO:

„Nachstehende Auskünfte und Informationen sind zu erteilen:

Sämtliche gelöschte und bestehende Konten sämtlicher nachgenannter Unternehmen, insbesondere auch Sparbücher, Schließfächer, Safes, Depots, Kreditkarten, Kreditakten, Kredithandakten, Korrespondenzen, Aktennotizen, sonstige Aufzeichnungen etc. und in diesem Zusammenhang sämtliche erforderlichen Informationen und Unterlagen gemäß § 109 Z 3 lit. a und b StPO, und zwar:

C***** SA, *****; E***** Fund BV, *****; Julius M***** AG, *****; Julius M***** Finance NV, *****; M***** Bank ***** Ltd.; M***** Ltd., *****; M***** AG, *****; M***** Ltd., *****; M***** S***** AG, *****; O***** Investment Ltd., ***** *****; S***** AVV, *****; S***** Investment NV, *****; T***** AVV, *****; M***** Bank Aktiengesellschaft, *****; I***** AG;

Folgende Gegenstände, Urkunden (Unterlagen) oder Vermögenswerte sind zugänglich zu machen und – allenfalls in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat – herauszugeben:

Alle Unterlagen über Identität und Anschrift der Inhaber der Geschäftsverbindungen der oben genannten Unternehmen samt Verfügungsberechtigten sowie wirtschaftlich Berechtigten; sämtliche Unterlagen über die Geschäftsfälle seit Beginn der Geschäftsverbindung bis dato, insbesondere Tageseingangslisten, Primanoten, Tagesstrazzen und andere Grundbuchsaufzeichnungen; Kontoverdichtungen und Kopien der Kassajournale im Zeitraum fünfzehn Minuten vor und nach der jeweiligen Einzahlung bzw. Behebung.“

Die M***** Bank AG wurde auf die Verpflichtungen gemäß § 116 Abs 6 StPO verwiesen.

Nach Durchführung dieser Ermittlungsmaßnahme am 29. November 2012 (ON 4019) erhob die M***** Bank AG rechtzeitig Beschwerde gegen diesen Beschluss und verband damit einen Einspruch wegen Rechtsverletzung gegen die staatsanwaltschaftliche Anordnung. Inhaltlich wendet sie sich gegen die grundsätzliche Unzulässigkeit der Anordnung der Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte, weil durch dieses Rechtsinstitut die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren in die Lage versetzt werde, gegen den Willen des Beschuldigten Einblick in dessen Konten zu erlangen. Weiters stütze sich die Anordnung auf falsche Unterlagen bzw. auf solche, denen keinerlei Beweiserheblichkeit zukomme, seien die Voraussetzungen für eine inhaltliche Kontoöffnung nicht gegeben, habe diese vielmehr den Charakter einer überschießenden Pauschalanordnung und sei der Tatverdacht nicht ausreichend begründet worden, damit das verpflichtete Kreditinstitut die Sach- und Rechtslage unter ihrer Verpflichtung zur Wahrung und Verteidigung des Bankgeheimnisses prüfen könne. Bei einzelnen der angeführten Gesellschaften handle es sich um Wirtschaftsprüfer bzw. Wirtschaftstreuhänder- und Steuerberatungsunternehmen, sodass gegenständliche Anordnung auf die unzulässige Umgehung gesetzlicher Aussageverweigerungsrechte abziele. Die angefochtene Maßnahme sei darüber hinaus nicht ausreichend begründet und im Hinblick auf die Vielzahl der zu ermittelnden Daten unverhältnismäßig. Ebenso fehle es an der Begründung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, werde doch insbesondere auf einen von der Akteneinsicht ausgenommenen Bericht der LPD Niederösterreich verwiesen und fehle es an konkreten Ausführungen, in welchem Zusammenhang die angeführten Gesellschaften mit den erhobenen Vorwürfen stehen. Der angefochtene Beschluss entspreche auch nicht den Voraussetzungen des § 86 Abs 1 StPO (ON 3995).

Ausgehend von bezughabenden Medienberichten am 29. und 30. November 2012 erhoben Dr.Heinrich S***** und die I***** AG (vorsorglich) ebenso Rechtsmittel gegen obangeführten Beschluss, weil dieser dem Verhältnismäßigkeitsgebot des § 5 StPO widerspräche. Die I***** AG wäre darüber hinaus als Revisionsexpertin bei der schweizerischen Revisionsaufsichtsbehörde eingetragen, sodass ausgehend von dem im § 144 Abs 2 StPO normierten Umgehungsverbot diese Ermittlungsmaßnahme nur bei vorliegendem dringenden Tatverdacht zulässig sei. Die genannte Gesellschaft würde nicht als Beschuldigte des Verfahrens geführt und wäre die Offenlegung von Daten völlig unbeteiligter Dritter gegenüber den Ermittlungsbehörden zu befürchten (ON 3989).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde der M***** Bank AG ist berechtigt.

Zur Rechtsmittellegitimation obangeführter Gesellschaft wird auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 10. Dezember 2012, AZ 22 Bs 407/12g, verwiesen.

§ 116 Abs 1 StPO erklärt die Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte für zulässig, wenn sie zur Aufklärung einer vorsätzlich begangenen Straftat oder eines Vergehens, das in die Zuständigkeit des Landesgerichts fällt (§ 31 Abs 2 bis 4), oder zur Aufklärung der Voraussetzungen einer Anordnung auf Auskunft nach Abs 2 Z 2 in Verfahren wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat, für die im Hauptverfahren das Landesgericht zuständig wäre (§ 31 Abs 2 bis 4) erforderlich erscheint.

Nach Abs 2 leg.cit. ist eine solche Auskunft darüber hinaus nach § 109 Z 3 lit. b nur zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dadurch Gegenstände, Urkunden oder andere Unterlagen über eine Geschäftsverbindung oder damit im Zusammenhang stehende Transaktionen sichergestellt werden können, soweit dies für die Aufklärung der Straftat erforderlich ist (Z 1), dass Gegenstände oder andere Vermögenswerte zur Sicherung der Konfiskation (§ 19a StGB), des Verfalls (§ 20 StGB), des erweiterten Verfalls (§ 20b StGB), der Einziehung (§ 26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung gemäß § 109 Z 1 lit. b sichergestellt werden können (Z 2), oder dass eine mit der Straftat im Zusammenhang stehende Transaktion über die Geschäftsverbindung abgewickelt werde (Z 3).

§ 109 Z 3 StPO definiert die Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte als Bekanntgabe des Namens und sonstiger Daten über die Identität des Inhabers einer Geschäftsverbindung sowie dessen Anschrift und die Auskunft, ob ein Beschuldigter eine Geschäftsverbindung mit diesem Institut unterhält, aus einer solchen wirtschaftlich berechtigt ist oder für sie bevollmächtigt ist, sowie die Herausgabe aller Unterlagen über die Identität des Inhabers der Geschäftsverbindung und über seine Verfügungsberechtigung (lit. a), die Einsicht in Urkunden und andere Unterlagen eines Kredit- oder Finanzinstituts über Art und Umfang einer Geschäftsverbindung und damit im Zusammenhang stehende Geschäftsvorgänge und sonstige Geschäftsvorfälle für einen bestimmten vergangenen oder zukünftigen Zeitraum (lit. b).

Zu Recht wendet die M***** Bank AG ein, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 116 Abs 6 StPO die in der angeführten Bestimmung geregelte Mitwirkungspflicht durch ein (nach dem VbVG) als Beschuldigte geführtes Kredit- oder Finanzinstitut ausschließt. Weigert sich nämlich das Kreditinstitut, die geforderten Unterlagen herauszugeben, kann das Gericht über das Kreditinstitut ein Beugemittel verhängen (§ 116 Abs 6 dritter Satz StPO iVm § 93 Abs 2 StPO; Flora, WK-StPO § 116 Rz 114). Fallbezogen widerspricht die mögliche Anwendung von Zwang dem Verbot eines Zwangs zur Selbstbelastung (nemo-tenetur-Prinzip), das aus Artikel 6 MRK, vom VfGH auch aus Artikel 90 Abs 2 B-VG, der verfassungsmäßigen Verankerung des Anklageprinzips, abgeleitet wird (VfSlg 12.454/1997). Dieser Grundsatz ist in Artikel 6 (MRK) nicht ausdrücklich erwähnt, wird vom EGMR aber zum Kernbereich eines fairen Verfahrens gerechnet, wobei dieser stets auf den engen Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung gemäß Artikel 6 Abs 2 hinweist. Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde, den Beschuldigten zu überführen, ohne hiefür auf Beweismittel zurückzugreifen, die durch Zwangs- oder Druckmittel ohne den Willen des Beschuldigten erlangt wurden (15 Os 184/09m; EGMR, 25. Februar 1993, Funke gegen Frankreich; EGMR, 17. Dezember 1996, Saunders gegen Vereinigtes Königreich; EGMR, 8. Februar 1996, John Murray gegen Vereinigtes Königreich; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention 4 , § 24 Rz 119; Giefing, JBl 2005, 85; Reiter, RZ 2010, 103). So beanstandete der EGMR die Verwendung von selbstinkriminierenden Auskünften in einem Strafverfahren, die der Beschwerdeführer als Verantwortlicher eines Handelsunternehmens gegenüber Beamten des Wirtschaftsministeriums abgeben musste (Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar³ Artikel 6 Rz 132).

In der Verpflichtung zur Vorlage von Dokumenten erkannte der EGMR einen Beitrag des Angeklagten, sich selbst zu beschuldigen. Die Rechte, zu schweigen und sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, gehören zu den allgemein anerkannten internationalen Regeln, die das „Herzstück“ des Verständnisses eines fairen Verfahrens nach Artikel 6 MRK bilden. Sie sollen dazu beitragen, Justizirrtümer zu vermeiden sowie die Ziele des Artikel 6 MRK zu wahren. Das Recht, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, sei primär darauf ausgerichtet, den Willen des Angeklagten zu respektieren, sein Schweigen aufrechtzuerhalten. Eine Verletzung des Rechts, sich nicht selbst beschuldigen zu müssen, ist nach der Rechtsprechung des EGMR darin zu erblicken, dass der einer strafbaren Handlung Angeklagte durch Androhung von Zwangsmitteln aktiv – und nicht jedoch bloß passiv durch Duldung einer behördlichen Handlung – an der Herstellung von Beweismitteln zu seiner Überführung mitwirken muss. Vom Schutzbereich sind nicht bloß Aussagen erfasst, sondern auch der Zwang zur eigenhändigen Herausgabe von Beweismaterial (Giefing aaO).

Insoweit der angefochtene Beschluss das beschuldigte Kreditinstitut (gemäß § 116 Abs 6 StPO) zur Erteilung es belastender Auskünfte und Informationen bzw. zur Zugänglichmachung von solchen Urkunden (Unterlagen) verpflichtet, verstößt es gegen oben dargestellte Grundsätze des Verbots des Zwangs zur Selbstbelastung (vgl. in diesem Zusammenhang auch Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren Rz 474, wonach der Einsatz von Beugemitteln gegen den Beschuldigten in diesen Fällen verboten ist).

Ob die in der bewilligenden Entscheidung weiters angeführten Gesellschaften allenfalls in einem solchen Verhältnis zur Beschwerdeführerin stehen, dass deren Selbstbelastung durch Übermittlung von Unterlagen ausgeschlossen werden kann, lässt sich dieser nicht entnehmen, sodass insoweit dem Begründungserfordernis nicht entsprochen wurde.

Der angefochtene Beschluss wurde sohin zu Unrecht erlassen, weshalb der Beschwerde Folge zu geben, der bekämpfte Beschluss aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Bewilligung der Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte abzuweisen war.

Dr.Heinrich S***** und die I***** AG werden auf diese Entscheidung verwiesen.

Die M***** Bank AG darf allerdings nicht übersehen, dass ihr die gesuchten Gegenstände mittels Durchsuchung abgenommen werden dürfen (vgl. § 116 Abs 6 letzter Satz StPO; Pilnacek/Pleischl aaO).

Insoweit sich die M***** Bank AG gegen die von der gerichtlichen Bewilligung gedeckte Anordnung der Staatsanwaltschaft wendet, ist sie ist auch mit ihrem Einspruch wegen Rechtsverletzung im Recht. Denn wie dargetan, verletzt diese Anordnung die Bestimmung des § 116 Abs 6 StPO, weil sie dem bei verfassungskonformer Interpretation anzuwendenden – einfachgesetzlich auch in § 7 Abs 2 StPO geregelten – nemo-tenetur-Prinzip widerspricht.

Zur Entscheidung über die von der M***** Bank AG behauptete Verletzung des Rechts auf umfassende Akteneinsicht und dem Begehren auf umfassende Einsicht in sämtliche mit dem Strafverfahren in Zusammenhang stehenden Ermittlungsergebnissen und Übermittlung einer vollständigen elektronischen Aktenabschrift ist das Oberlandesgericht gemäß § 106 Abs 2 StPO nicht befugt, zumal es sich nicht um einen Einspruch gegen die Anordnung oder Durchführung der mit Beschwerde bekämpften bewilligten Ermittlungsmaßnahme handelt.

Da somit das Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über diesen Einspruch nicht berufen ist, wird das Erstgericht im Sinne des § 106 Abs 5 StPO iVm § 31 Abs 1 Z 3 StPO vorzugehen haben.

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