JudikaturOLG Wien

22Bs383/12b – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
04. Februar 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Levnaic-Iwanski als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Hahn und die Richterin Mag. Staribacher als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen G***** M***** wegen §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde der Wiener Gebietskrankenkasse gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. September 2012, GZ 75 Hv 54/12b-53, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die Staatsanwaltschaft Wien erhob am 1. August 2012 (ON 38) Strafantrag gegen G***** M*****, dem u.a. in Punkt II./ zur Last gelegt wurde, in Wien als Dienstgeber, nämlich leitender Angestellter (§ 74 Abs 3 StGB) einer juristischen Person, Beiträge zur Sozialversicherung dem berechtigten Versicherungsträger, nämlich der Wiener Gebietskrankenkasse betrügerisch vorenthalten zu haben, und zwar (zusammengefasst) im Jahre 2007 als Geschäftsführer der S***** Bau GmbH und im Jahre 2009 als faktischer Geschäftsführer der H***** Bau KG jeweils wiederholt Dienstnehmer- und Dienstgeberbeiträge im Gesamtausmaß von EUR 9.169,50.

Mit Schriftsatz vom 27. August 2012 schloss sich die Wiener Gebietskrankenkasse hinsichtlich Punkt II./ des Strafantrags – gestützt auf den zivilrechtlichen Haftungstatbestand , der sich aus der Verwirklichung des Delikts des § 153d Abs 1 StGB im Zeitraum 26. März 2007 bis 31. Oktober 2007 ergäbe , - mit einem Betrag von EUR 9.169,50 an (ON 49).

In der Hauptverhandlung vom 6. September 2012 wies das Erstgericht diesen Privatbeteiligtenanschluss damit begründet ab, dass die Privatbeteiligung ausschließlich wegen privatrechtlicher Ansprüche gestattet und die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren unzulässig wäre, wogegen noch am Ende der Verhandlung Beschwerde „erhoben“ wurde (S 2 und S 6 in ON 50).

In ihrer nach Zustellung des ausgefertigten Beschlusses (ON 53) rechtzeitigen Beschwerde (ON 67) bringt die Wiener Gebietskrankenkasse vor, der Oberste Gerichtshof habe zu AZ 6 Ob 202/11s eindeutig festgelegt, dass es sich bei den gegenständlichen Schadenersatzansprüchen aus der Verwirklichung des Delikts des § 153d StGB um keine auf den Verwaltungsweg gehörenden öffentlich-rechtliche, sondern durchaus um privatrechtliche Ansprüche handle, die vor die ordentlichen Gerichte gehörten. Bei der Strafbestimmung des § 153d StGB handle es sich nämlich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB, und zwar um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das dazu bestimmt sei, die Mitglieder eines Personenkreises - nämlich die Sozialversicherungsträger und deren Versicherte – gegen Verletzungen von Rechtsgütern zu schützen. Die Privatbeteiligte müsse alle möglichen Rechtsmittel ausschöpfen, damit der von ihr vertretene Personenkreis der Versicherten keinen Beitragsausfall und damit keinen zivilrechtlichen Schaden erleide.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Nach ständiger Judikatur ist die Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren unzulässig (Spenling, WK-StPO Vor §§ 365-379 Rz 29, mwN). Zufolge § 64 Abs 1 ASVG ist den Sozialversicherungsträgern zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge die Einbringung im Verwaltungsweg gewährt (§ 3 Abs 3 VVG 1950). Dazu hat der Sozialversicherungsträger nach § 64 Abs 2 ASVG einen Rückstandsausweis auszufertigen (Kirchbacher/Presslauer in WK² § 153c Rz 33).

Bleibt eine natürliche Person als Dienstgeber Beiträge zur Sozialversicherung schuldig, wie beispielsweise in den Fällen des § 153c Abs 1 StGB (früher § 114 Abs 2 ASVG), oder verwirklicht ein Vertreter einer juristischen Person oder einer Personenhandelsgesellschaft eine strafbare Handlung nach § 153c Abs 1 und Abs 2 StGB, sind rückständige Beiträge nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vom Sozialversicherungsträger im Verwaltungsweg einzutreiben. Anders liegen die Fälle, in denen Schadenersatzansprüche wegen des Ausfalls an Sozialversicherungsbeiträgen auch auf Grund der Verletzung allgemeiner Gläubigerschutzbestimmungen gestellt werden; diese Ansprüche können (auch) vor Gericht geltend gemacht werden (Kirchbacher/Presslauer aaO § 153c Rz 33 ff mwN).

Diese Grundsätze müssen in gleicher Weise für die Bestimmung des § 153d StGB gelten, die erst durch BGBl I 2004/152 (in Kraft getreten am 1. März 2005) in den Rechtsbestand eingefügt wurde. Wie die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 28. September 2012 zutreffend ausführt, unterscheidet sich die Regelung des § 153d StGB von jener des § 153c StGB - abgesehen davon, dass hier auch Dienstgeberbeiträge sowie Zuschläge nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz erfasst werden – nämlich lediglich durch den bereits von vornherein (bereits bei der Anmeldung zur Sozialversicherung) gegebenen Vorsatz, keine ausreichenden Beiträge zu entrichten (Kirchbacher/Presslauer aaO § 153d Rz 3). Zwischen den beiden Bestimmungen besteht sohin kein wesensmäßiger Unterschied, beide haben die Verpflichtung auf Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen zum Gegenstand.

Damit stellt § 153d StGB aber keine ganz allgemein dem Gläubigerschutz dienende Bestimmung dar, sondern vielmehr auf rein sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen ab, sodass eine Durchsetzung der Ansprüche auf Leistung der Sozialversicherungsbeiträge im ordentlichen Rechtsweg nicht in Betracht kommt (vgl Kirchbacher/ Presslauer aaO § 153d Rz 35 iVm § 153c Rz 33 f).

In der Entscheidung 1 Ob 50/99f bejahte der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs für eine Klage auf Zahlung der einer GmbH als Dienstgeberin aufgelaufenen Rückstände an Sozialversicherungsbeiträgen gegen den Geschäftsführer der GmbH, der wegen des Vergehens der (damals) fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB in Bezug auf diese GmbH verurteilt worden war. Der Oberste Gerichtshof führte dazu aus, trotz der Möglichkeit der Einbringung nach § 67 Abs 10 ASVG im Verwaltungswege stehe der Sozialversicherung auch der ordentliche Rechtsweg offen, weil es sich bei den Tatbeständen nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB um Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB zur Vermeidung einer Gläubigerschädigung handle, die einen weiteren Anspruch (neben dem sozialversicherungsrechtlichen des § 67 Abs 10 ASVG) gegen den Geschäftsführer auf Zahlung der Beitragsrückstände begründen. In der Entscheidung 2 Ob 222/04t manifestiert sich die den ordentlichen Rechtsweg eröffnende weitere Anspruchsgrundlage in einer Bürgschaft des Geschäftsführers für die Beitragsrückstände einer GmbH gegenüber dem Sozialversicherungsträger. Auch in seiner jüngsten Entscheidung 10 ObS 43/12i stellte der Oberste Gerichtshof darauf ab, ob der Geschäftsführer nach Eintritt der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen auch eine der durch § 67 Abs 10 ASVG sanktionierten spezifischen Handlungspflichten missachtete.

Der Verwaltungsgerichtshof zieht in seinem Erkenntnis vom 12. Dezember 2000, Zl. 98/08/0191, die Trennlinie zwischen der (im Verwaltungsweg geltend zu machenden) Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG und der Haftung nach anderen, auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machenden schadenersatzrechtlichen Ansprüchen, in der Frage, ob der Geschäftsführer gegen spezifisch sozialversicherungsrechtliche oder andere, ganz allgemein dem Gläubigerschutz dienende Verpflichtungen verstoßen hat (so auch im Ergebnis 1 Ob 50/99f).

Der Straftatbestand des Betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigunggesetz nach § 153d StGB wurde mit dem Sozialbetrugsgesetz BGBl I Nr 152/2004 eingeführt, um eine aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Besonderheiten bestehende Strafbarkeitslücke zu schließen. Für den „klassischen" Betrug im Sinne des § 146 StGB bedarf es nämlich einer Täuschung, die zu einem Irrtum beim Getäuschten führt. Aufgrund dieses Irrtums tätigt der Getäuschte sodann eine Vermögensverfügung, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt. Die schädigende Vermögensverfügung muss somit entscheidend auf einer Täuschung beruhen. Aus diesem Grund kann es infolge Fehlens eines Kausalzusammenhangs zwischen Täuschung und Vermögensschaden bei den meisten Fällen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen nicht zur Strafbarkeit nach §§ 146 ff StGB kommen. Die Sozialversicherung erbringt ihre Leistungen nämlich nicht, weil jemand bei ihr als Dienstnehmer gemeldet wird, sondern aufgrund ihrer gesetzlichen Leistungspflicht; dies freilich unter der Voraussetzung, dass tatsächlich ein Beschäftigungs- und damit Versicherungsverhältnis vorliegt (§ 33 ASVG). Um diese durch die Betrugsstruktur bedingte Strafbarkeitslücke zu schließen, wurde die Bestimmung des § 153d StGB geschaffen (Reindl-Krauskopf, Sozialbetrug aus strafrechtlicher Sicht, DRdA 2008, 389; 390 f). Bei der Pflicht eines Dienstgebers, sich entsprechend den im § 153d StGB normierten Verpflichtungen zu verhalten, handelt es sich somit um eine spezifisch sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung. Die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs und damit eines Privatbeteiligtenanschlusses ist demgemäß zu verneinen.

Aus der in der Beschwerde zitierten Entscheidung 6 Ob 202/11s ist für die Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen. In dieser hat sich der Oberste Gerichtshof nämlich mit der Abgrenzung zwischen Verwaltungsweg und ordentlichem Rechtsweg in Bezug auf eine ebenfalls von der Beschwerdeführerin eingebrachte Klage aus dem Titel des Schadenersatzes ex delicto gegen den faktischen Geschäftsführer einer GmbH, der wegen §§ 12 dritter Fall, 153d Abs 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden war, gar nicht befasst, sondern nur über das Rechtsproblem, ob eine Klage eines Sozialversicherungsträgers ex delicto die Zuständigkeit der Kausalgerichtsbarkeit in Handelssachen begründet, abgesprochen.

Daraus folgt, dass der bloße Verstoß gegen die Bestimmung des § 153d Abs 1 StGB – ohne dass der Geschäftsführer nach Eintritt der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen auch eine der durch § 67 Abs 10 ASVG sanktionierten spezifischen Handlungspflichten (etwa durch strafbare Handlungen nach §§ 156, 159 StGB) missachtete - nicht geeignet ist, eine zusätzliche zivilrechtliche Anspruchsgrundlage zur Geltendmachung der Beitragsrückstände gegen den Dienstgeber zu begründen (in diesem Sinne bereits OLG Wien, 23 Bs 169/12i, 23 Bs 170/12m).

Ist die Zulässigkeit des Privatbeteiligtenanschlusses demgemäß zu verneinen, war der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.

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