JudikaturOLG Wien

10Rs203/12i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2013

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Richter Mag. Atria als Einzelrichter (§ 8a JN) in der Sozialrechtssache des Klägers DI. A***** S***** , ***** Wien, vertreten durch Mag. Judith Eisenberg-Mirecki, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, über den Rekurs der Sachverständigen DDr. G***** W***** (Rekursinteresse: EUR 27,--) gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17.10.2012, 22 Cgs 279/11x - 33, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:

„Die Gebühren der Sachverständigen DDr. G ***** W***** für die in der Gebührennote zu ON 22 verzeichneten Leistungen werden gemäß GebAG wie folgt bestimmt:

1.) Psychiatrische Untersuchung samt Befund

und Gutachten ... EUR 116,20

Neurologische Untersuchung samt Befund

und Gutachten ... EUR 116,20

Blutabnahme aus der Vene ... EUR 10,--

2.) Testpsychologie ... EUR 234,--

3.) Teilnahme an der Verhandlung ... EUR  33,80

4.) Aktenstudium ... EUR  45,--

5.) Schreibgebühr

22 Urschriften ... EUR  44,--

66 Durchschriften ... EUR 39,60

12 Kopien ... EUR  7,20

6.) Zeitversäumnis für Aktentransport, Postwege und Abgabe der Blutprobe im Labor (drei begonnene Stunden a` EUR 22,70) ... EUR  68,10

7.) Sonstige Kosten (Porto, Telefongebühren

u.a.) ... EUR  15,--

Gesamt ... EUR 729,10

zuzüglich 20 % USt ... EUR 145,82

Gesamtsumme ... EUR 874,92

abgerundet gemäß § 39 Abs 2 GebAG ... EUR 874,--.“

Die Änderung der Auszahlungsanordnung wird dem Erstgericht übertragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Auftragsgemäß erstattete die Sachverständige für Psychiatrie und Neurologie DDr. G***** W***** in dem auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gerichteten Sozialrechtsverfahren ein schriftliches Gutachten über das Leistungskalkül des Klägers und verzeichnete dafür Gebühren von insgesamt EUR 980,-- (ON 22).

Soweit für das Rekursverfahren von Bedeutung begehrte sie in ihrer Honorarnote (auch) für Zeitversäumnis für „Korrespondenz, Telefonate, Postwege, Aktentransport, Labor, Wegzeit von und zur Untersuchung“ insgesamt EUR 68,10 zzgl 20 % USt.

Über Einwand der beklagten Partei (ON 25) schlüsselte die Sachverständige diese Gebühr auf wie folgt: „Aktenabholung: 1 angefangene Stunde; Aktenrücktransport: 1 angefangene Stunde; Postwege (dreimalige Ladungen): 3 angefangene Stunden; Abgabe der Blutprobe im Labor: 1 angefangene Stunde; Summe: 6 angefangene Stunden“, wovon sie Kosten für drei angefangene Stunden (à EUR 22,70 [zzgl 20% USt]) verzeichne (ON 31).

Die beklagte Partei wandte ein, es sei gerichtsbekannt, dass die Sachverständige für viele Abteilungen des Erstgerichtes tätig sei und wöchentlich viele Verhandlungen besuche. Es wäre ihr daher möglich gewesen, das Gutachten im Rahmen eines solchen Verhandlungstages abzugeben. Weiters schließe die allgemeine Lebenserfahrung aus, dass sie die drei verrechneten Postwege ausschließlich im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren getätigt habe. Insgesamt sei daher nur eine Zeitversäumnis von EUR 30,40 für zwei angefangenen Stunden zu je EUR 15,20 [zzgl 20 % USt] angemessen (ON 32).

Mit dem angefochtenen Beschluss bestimmte das Erstgericht die Gebühren der Sachverständigen gerundet mit insgesamt EUR 847,-- wovon auf die Gebühr für Zeitversäumnis EUR 45,60 (zuzüglich USt) fielen. Entgegen dem Einwand der beklagten Partei hielt es zwar die Bescheinigung des verzeichneten zeitlichen Ausmaßes von insgesamt drei Stunden für ausreichend, jedoch sei nicht der höhere Gebührensatz von EUR 22,70 je Stunde heranzuziehen, sondern lediglich EUR 15,20 , weil für die angeführten Erledigungen (Postweg, Aktentransport,…) keine besonderen fachlichen Qualitäten im Sinne des § 34 Abs 3 Z 1 GebAG erforderlich seien.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Sachverständigen mit dem Antrag, die verzeichneten Gebühren für Zeitversäumnis antragsgemäß (EUR 68,10 zuzüglich 20% USt) zu bestimmen.

Da das Rekursinteresse (inklusive USt) nur EUR 27,-- beträgt, ist das Rekursverfahren gemäß § 41 Abs 1 GebAG einseitig.

Der Rekurs ist berechtigt .

Die Sachverständige bringt in ihrem Rekurs vor, dass sich das Wort „Tätigkeit“ in § 32 Abs 1 GebAG auf die Gutachtertätigkeit beziehe; damit sei aber nicht der Weg zur Post, sondern jene Tätigkeit gemeint, die die Gebühr für Mühewaltung auslöse. Diese Auslegung sei auch durch den Zweck des Gesetzes geboten: Mit der Gebühr für Zeitversäumnis solle der Sachverständige dafür entschädigt werden, dass er in dieser Zeit ansonsten Einkommen erzielt hätte. Da mache es durchaus Sinn, dass bei einfachen Gutachtertätigkeiten, die den Rahmensatz des § 34 Abs 3 Z 1 GebAG begründen würden, nur von einem geringeren außergerichtlichen Erwerbseinkommen auszugehen sei, weshalb auch die Gebühr für Zeitversäumnis etwas niedriger sein solle. Würde man unter „Tätigkeit“ gemäß § 32 Abs 1 GebAG jene Handlungen verstehen, die die Zeitversäumnis begründen, käme man zu dem absurden Ergebnis, dass der höhere Satz dem Sachverständigen nie zustünde, da die Tätigkeiten, die die Gebühr für Zeitversäumnis auslösen (zB Autofahrten, Warten auf eine Verhandlung oder Postwege) nie eine besondere fachliche Qualifikation als Gutachter voraussetzen.

Das Rekursgericht hält diese Auslegung des § 32 Abs 1 GebAG für zutreffend.

Die Bestimmung des § 32 GebAG ( „Entschädigung für Zeitversäumnis“ ) lautet wie folgt:

„(1) Der Sachverständige hat für die Zeit, die er wegen seiner Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren außerhalb seiner Wohnung oder seiner gewöhnlichen Arbeitsstätte bis zur möglichen Wiederaufnahme der Arbeit besonders aufwenden muss, Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Ausmaß von EUR 22,70, handelt es sich aber um eine Tätigkeit nach § 34 Abs 3 Z 1, von EUR 15,20 für jede, wenn auch nur begonnene Stunde.

(2) Der Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis besteht so weit nicht,

1. als der Sachverständige Anspruch auf eine Gebühr für Mühewaltung hat,

2. als für die Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr),

a) dem Sachverständigen bei Benützung eines Massenbeförderungsmittels ein Anspruch auf Vergütung des Fahrpreises für einen Schlafwagen oder eine Kabine zusteht, oder

b) er bei Benützung des eigenen Kraftfahrzeugs die Gebühr für die Nächtigung in Anspruch nimmt.“

§ 34 GebAG ( „Gebühr für Mühewaltung“ ) ist die einleitende und zentrale Regelung des dem Sachverständigen zustehenden Anspruchs auf Entlohnung seiner mit der Aufnahme des Befundes und der Erstattung des Gutachtens verbundenen Mühe. § 34 Abs 1 GebAG sieht als Grundregel die Entlohnung des Sachverständigen in der vollen Höhe seiner außergerichtlichen Einkünfte vor. In bestimmten Verfahrensarten sowie bei einem nicht abgegebenen Verzicht des Sachverständigen auf Zahlung der gesamten Gebühr aus Amtsgeldern ist die Gebühr für Mühewaltung primär nach den festen Tarifen des GebAG, sekundär nach den außergerichtlichen Einkünften mit einem vorzunehmenden Abschlag von 20% im Hinblick auf die öffentliche Aufgabe der Rechtspflege zu bestimmen (§ 34 Abs 2 GebAG; sog. Gebühren-Splitting).

§ 34 Abs 3 GebAG idF des BRÄG 2008 (BGBl I 2007/111) regelt die sog. „Gebührenrahmen“ für die vorzunehmende Ermittlung der außergerichtlichen Einkünfte des Sachverständigen und lautet wie folgt:

„(3) Soweit nichts anderes nachgewiesen wird und vorbehaltlich des Abs 4 gelten für die Einkünfte, die Sachverständige im außergerichtlichen Erwerbsleben für ihre Gutachtenstätigkeit üblicherweise beziehen, folgende Gebührenrahmen, innerhalb derer die Gebühr je nach der konkret erforderlichen Qualifikation der oder des beauftragten Sachverständigen, der Schwierigkeit des aufgetragenen Befundes oder Gutachtens und der Ausführlichkeit der notwendigen Begründung zu bestimmen ist:

1. für Tätigkeiten, die keine nach Z 2 oder 3 qualifizierten fachlichen Kenntnisse erfordern, eine Gebühr für Mühewaltung von EUR 20,-- bis EUR 60,-- für jede, wenn auch nur begonnene Stunde;

2. für Tätigkeiten, die hohe fachliche Kenntnisse erfordern, welche durch den Abschluss einer berufsbildenden höheren Schule oder eine gleichwertige Berufsvorbildung vermittelt werden, eine Gebühr für Mühewaltung von EUR 50,-- bis EUR 100,-- für jede, wenn auch nur begonnene Stunde;

3. für Tätigkeiten, die besonders hohe fachliche Kenntnisse erfordern, welche durch ein Universitätsstudium oder eine gleichwertige Vorbildung vermittelt werden, eine Gebühr für Mühewaltung von EUR 80,-- bis EUR 150,-- für jede, wenn auch nur begonnene Stunde.“

Einen Verweis auf § 34 Abs 3 Z 1 GebAG enthält neben der hier auszulegenden Bestimmung des § 32 Abs 1 GebAG auch die Bestimmung des § 33 Abs 1 GebAG (Erhöhung der Entschädigung für Zeitversäumnis infolge einer langen Wegstrecke) und des § 35 Abs 1 GebAG (Gebühr für die Teilnahme an einer Verhandlung, soweit für diese Zeit nicht eine Gebühr für Mühewaltung geltend gemacht wird).

Die hier auszulegende Bestimmung des § 32 Abs 1 GebAG ist in der Fassung der GebAG-Novelle 1994 (BGBl Nr. 623/1994). Davor hatte § 32 Abs 1 GebAG folgenden Wortlaut:

„(1) Der Sachverständige hat für die Zeit, die er wegen seiner Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren außer halb seiner Wohnung oder seiner gewöhnlichen Arbeitsstätte bis zur möglichen Wiederaufnahme der Arbeit besonders aufwenden muss, Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis im Ausmaß von 235 S, handelt es sich um einen Sachverständigen, dessen Mühewaltung nach § 34 Abs 3 zu entlohnen ist, von 157 S für jede, wenn auch nur begonnene Stunde.“

Nach dieser früheren Fassung des § 32 Abs 1 GebAG war es auch vom Wortlaut der Bestimmung her klar, dass es für die Bestimmung des höheren oder niedrigeren Gebührensatzes für Zeitversäumnis nicht darauf ankommt, wie „qualifiziert“ die die Versäumnis begründende Tätigkeit des Sachverständigen ist, sondern wie qualifiziert die Gutachtertätigkeit des Sachverständigen ist, welche im Verfahren mit einer Mühewaltungsgebühr abzugelten ist. § 34 Abs 3 GebAG idF vor dem BRÄG 2008 sah einen niedrigeren pauschalen Betrag an außergerichtlichen Einkünften bei dem Sachverständigen vor, dessen Gutachtenserstattung „im Einzelfall einfache gewerbliche oder geschäftliche Erfahrungen“ voraussetzte.

Die Umformulierung der Voraussetzungen für den niedrigeren Stundensatz für Zeitversäumnis von der Wendung „um einen Sachverständigen, dessen Mühewaltung nach § 34 Abs 3 zu entlohnen ist“ , auf „um eine Tätigkeit nach § 34 Abs 3“ ist eine bloße Folgeänderung zur Neuregelung des § 34 Abs 4 (Gebühren-Splitting). Es wird nur klargestellt, dass bei Sachverständigen, die ein Gutachten mit einfachen gewerblichen oder geschäftlichen Erfahrungen erstatten, unabhängig von der Art der Bestimmung ihres Anspruchs auf die Gebühr für Mühewaltung auch weiterhin nur die geringeren Gebühren für Zeitversäumnis zustehen (so ausdrücklich in der RV zur GebAG-Novelle 1994, GP XVIII RV 1554).

Dem folgend kommentieren auch Krammer/Schmidt , SDG-GebAG 3 [2001], in § 32 GebAG Anm 3, dass durch die GebAG-Novelle 1994 (lediglich) klargestellt wurde, dass bei Gutachten, bei denen einfache gewerbliche oder geschäftliche Erfahrungen genügen (§ 34 Abs 3), dem Sachverständigen nur der geringere Stundensatz für Zeitversäumnis zusteht, auch wenn die Gebührenbestimmung für Mühewaltung nach einer außergerichtlichen Gebührenordnung (§ 34 Abs 3; gemeint idF vor dem BRÄG 2008, Anmerkung des Rekursgerichts) oder nach § 34 Abs 1 (Gebühren-Splitting) in der vollen Höhe der außergerichtlichen Erwerbseinkünfte erfolgt.

Auch der Sinn und Zweck der auszulegenden Gebührenbestimmung legt nahe, dass für die Frage, ob der höhere oder niedrigere Stundensatz für Zeitversäumnis heranzuziehen ist, nicht auf die „Qualität“ der die Zeitversäumnis auslösenden Tätigkeit abzustellen ist, sondern auf die Qualität der Gutachtertätigkeit. Zutreffend weist die Sachverständige in diesem Zusammenhang daraufhin, dass es sich bei den eine Gebühr für Zeitversäumnis auslösenden Tätigkeiten eines Sachverständigen, wie die das Zurücklegen von Wegstrecken oder das Warten, in der Regel um Tätigkeiten handelt, für die keine besondere gutachterliche Qualifikation erforderlich ist.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben und die – im zeitlichen Ausmaß unstrittige – Zeitversäumnis der Sachverständigen mit einem Satz von EUR 22,70 pro Stunde zu vergebühren.

Die Änderung der Auszahlungsanordnung war dem Erstgericht gemäß § 525 Abs 1 ZPO zu übertragen.

Der Revisionsrekurs ist gemäß §§ 2 ASGG, 528 Abs 2 Z 5 ZPO jedenfalls unzulässig.

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