7Rs138/12h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Mag. Berger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Gruber und Alfred Gajdosik in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I***** H***** , *****, vertreten durch H***** B*****, *****, wider die beklagte Partei P***** *****, *****, wegen Gewährung einer Ausgleichszulage und Feststellung über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht, 8 Cgs 350/11h-9 (Berufungsinteresse EUR 2.257,03), gemäß §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil, das hinsichtlich der Spruchpunkte 2.) und 3.) bestätigt wird, wird in Punkt 1.) dahingehend abgeändert, dass dieser wie folgt zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei eine Ausgleichszulage ab 1.4.2004 bis 31.12.2004 von EUR 322,27 pro Monat, vom 1.1.2005 bis 31.12.2005 von EUR 327,11 pro Monat, vom 1.1.2006 bis 31.12.2006 von EUR 345,72 pro Monat, vom 1.1.2007 bis 31.12.2007 von EUR 376,21 pro Monat, vom 1.1.2008 bis 31.10.2008 von EUR 391,26 pro Monat, vom 1.11.2008 bis 31.12.2009 von EUR 404,56 pro Monat, vom 1.1.2010 bis 31.12.2010 von EUR 410,63 pro Monat, vom 1.1.2011 bis 31.12.2011 von EUR 415,56 pro Monat, sowie ab 1.1.2012 im Ausmaß von EUR 426,78 pro Monat (ohne Anrechnung eines Wohnrechtes) zu bezahlen.“
Die ordentliche Revision ist zulässig .
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die beklagte Partei, der Klägerin eine Ausgleichszulage vom 1.4.2004 bis 31.12.2004 von EUR 322,27 monatlich, vom 1.1.2005 bis 31.12.2005 von EUR 327,11 monatlich, vom 1.1.2006 bis 31.12.2006 von EUR 345,72 monatlich, vom 1.1.2007 bis 31.12.2007 von EUR 376,21 monatlich, vom 1.1.2008 bis 31.10.2008 von EUR 391,26 monatlich, vom 1.11.2008 bis 31.12.2009 von EUR 404,56 monatlich, vom 1.1.2010 bis 31.12.2010 von EUR 410,63 monatlich, vom 1.1.2011 bis 31.12.2011 von EUR 415,56 monatlich, sowie ab 1.1.2012 im Ausmaß von EUR 426,79 monatlich (ohne Anrechnung eines Wohnrechtes) zu bezahlen. Weiters sprach es aus, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, für den Zeitraum 1.4.2004 bis 30.6.2011 EUR 2.257,03 an bezogener Ausgleichszulage an die beklagte Partei zurückzuzahlen, weil ein Überbezug nicht bestehe. Die klagende Partei sei daher auch nicht verpflichtet, eine Aufrechnung der EUR 2.257,03 mit einer Nachzahlung bzw einen Abzug des restlichen Betrags in Raten von EUR 39,-- von der monatlichen Leistung zu dulden.
Soweit im Berufungsverfahren von Relevanz ging das Erstgericht dabei von nachstehenden Feststellungen aus:
Die Klägerin war ab dem Tod ihres Ehegatten Alleineigentümerin der Liegenschaft *****, und bewohnt diese auch alleine. Die Klägerin ist seit 11.5.1995 verwitwet. Es bestehen keine Sorgepflichten für Kinder.
Mit Notariatsakt vom 4. März 2004 hat die Klägerin F***** S*****, der Sohn eines Bekannten der Klägerin ist, die Liegenschaft *****, geschenkt. F***** S***** ist daher (auch derzeit) Alleineigentümer der Liegenschaft in *****. Der Klägerin wurde im Zuge dieser Schenkung ein Wohnrecht bezüglich der Liegenschaft *****, eingeräumt. Gleichzeitig wurde auch vereinbart, dass die Klägerin weiterhin sämtliche Instandhaltungs-, Betriebs- und Energiekosten sowie öffentlichen Abgaben der Liegenschaft *****, zu bezahlen hatte.
Unter „3.“ des Notariatsaktes (Schenkung) heißt es dazu: „Als Gegenleistung vereinbaren sämtliche Vertragsparteien zugunsten der schenkenden Partei in Ansehung des im Vertragspunkt 1.) näher bezeichneten Vertragsgegenstandes nachstehende lebenslängliche, unentgeltliche und hinsichtlich Punkt 2.) und 3.) hierauf grundbücherlich sicherzustellenden Rechte, und zwar ….
Die Dienstbarkeit des gebrauchsweisen Wohnungsrechtes auf Dauer der tatsächlichen Ausübung im gesamten Haus *****, errichtet auf dem Grundstück *****, inneliegend in Einlagezahl ***** des Grundbuches der Katastralgemeinde ***** samt Nebengebäuden und Gartenbenützung, verbunden mit dem Recht, Besuche bei sich zu empfangen und vorübergehend auch zu beherbergen. Sämtliche Instandhaltungs-, Betriebs- und Energiekosten sowie öffentlichen Abgaben in Ansehung des Dienstbarkeitsobjektes gehen auf Dauer dieser Dienstbarkeit zu Lasten der Dienstbarkeitsberechtigten. ….“
Die Instandhaltungs-, Betriebs- und Energiekosten sowie öffentlichen Abgaben wurden von der Klägerin vierteljährlich mittels an die Liegenschaftsadresse zugesandten Erlagscheins bezahlt. Dazu gehörten etwa das Wasser, Strom, Gas, die Grundsteuer, Kanal- und Müllgebühren. Auch die Lebensmittel zahlte sich die Klägerin selbst. Die Klägerin trägt daher alle Kosten, die mit dem Wohnen an der Adresse *****, verbunden sind, selbst. Wenn die Klägerin nicht genug Geld zur Verfügung hatte, zahlte F***** S***** die Abgaben der Liegenschaft mittels des an die Liegenschaftsadresse *****, zugesendeten Erlagscheines ein. Diesbezüglich kann jedoch nicht festgestellt werden, wie oft das der Fall war. Immer dann, wenn sich die finanzielle Situation der Klägerin wieder gebessert hat, zahlte sie F***** S***** die für sie übernommenen Beträge in bar zurück.
Diese Vereinbarung unter Punkt „3.“ des Notariatsaktes von 2004 bezüglich der auf die Liegenschaft entfallenden Kosten trafen die Klägerin und F ***** S*****, weil die Klägerin nach wie vor dort wohnt und F***** S***** somit keinen Nutzen am Haus hat. F***** S***** ist an der Adresse in ***** hauptgemeldet und wurde auch dort geladen. Der Grund für die Schenkung der Liegenschaft in *****, an F***** S***** durch die Klägerin im Jahr 2004 war der, dass F***** S***** der Klägerin sowohl bei der Gartenpflege, etwa dem Stutzen der Bäume, Blätter wegführen oder Rasenmähen, als auch bei kleineren anfallenden Reparaturen im Haus, wie Glühbirnen wechseln oder lockere Schrauben festziehen, unentgeltlich half.
Ab 1.1.2012 erhielt die Klägerin eine Witwenpension in der Höhe von EUR 388,03.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass ein Wohnrecht bei der Ermittlung der Ausgleichszulage dann nicht zu berücksichtigen sei, wenn der diesbezüglich Berechtigte alle Kosten, die mit dem Wohnen im Zusammenhang stehen, selbst trage und ihm sohin kein Vorteil aus dem gewährten Wohnrecht entstanden sei.
Die Klägerin treffe daher weder eine Pflicht zur Nachzahlung, noch habe sie monatliche Abzüge der ihr im gesetzlichen Ausmaß zustehenden Ausgleichszulage zu dulden.
Die Höhe der Ausgleichszulage habe sich unter Heranziehung des Richtsatzes und abzüglich der von der Klägerin als anrechenbares Einkommen gezogenen Witwenpension ergeben, wobei der Sachbezug des Wohnrechtes außer Betracht zu bleiben gehabt habe.
Die beklagte Partei habe den von ihr errechneten Anspruch auf Ausgleichszulage ab 1.1.2012 mit EUR 400,75 angegeben, wobei die beklagte Partei das Wohnrecht berücksichtigt habe. Ausgehend von einem monatlichen Richtsatz von EUR 814,82 pro Monat ab 1.1.2012 wäre der Betrag von EUR 26,04 zu den EUR 400,75 zu addieren gewesen, sodass sich die Witwenpension mit EUR 388,03 pro Monat ab 1.1.2012 ergebe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Berufung der beklagten Partei aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung in deren Rahmen ein sekundärer Feststellungsmangel geltend gemacht wird, mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern sowie festzustellen, dass die Klägerin den in der Zeit vom 1.4.2004 bis 30.6.2011 entstandenen Überbezug in Höhe von EUR 2.257,03 zurückzuzahlen und die von der beklagten Partei vorgenommene Aufrechnung in monatlichen Raten zu EUR 39,-- zu dulden sowie die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen habe. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. In eventu wird beantragt, das erstinstanzliche Urteil in dem im Spruch ersichtlichen Ausmaß abzuändern.
Die Klägerin hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist teilweise berechtigt .
1.) Der Berufung der beklagten Partei kommt insoweit Berechtigung zu, als sie aufzeigt, dass das Erstgericht sowohl im Rahmen der Tatsachenfeststellungen als auch der rechtlichen Beurteilung offensichtlich auf Grund eines Rechenfehlers irrtümlich von einer Witwenpension der Klägerin ab 1.1.2012 in Höhe von EUR 388,03 ausgeht. Der Anpassungsfaktor für das Jahr 2012 betrug 1,027. Ausgehend davon ist den Berufungsausführungen darin Recht zu geben, dass sich die Witwenpension der Klägerin ab 1.1.2012 mit EUR 388,04 errechnet, was wiederum ab 1.1.2012 einen Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage im Ausmaß von EUR 426,78 zur Folge hat. Die entgegenlautende „Tatsachenfeststellung“ des Erstgerichts, der in Wahrheit eine rechtliche Beurteilung zugrundeliegt, ist damit unrichtig und korrekturbedürftig.
Damit kommt der Berufung im Umfang des zweiten Eventualantrages Berechtigung zu.
2.) Im Übrigen gehen die Berufungsausführungen allerdings ins Leere.
2.1.) Soweit die Berufungswerberin sowohl im Rahmen der Tatsachenrüge als auch im Rahmen der Rechtsrüge Tatsachenfeststellungen dazu vermisst, wie hoch die von der Klägerin für die Instandhaltungs-, Betriebs- und Energiekosten sowie öffentlichen Abgaben geleisteten Zahlungen sind, ist dem entgegenzuhalten, dass es auf diese Höhe nicht ankommt. Wesentlich ist, dass die Klägerin nach dem insoweit unbekämpften Sachverhalt alle Kosten (Instandhaltungs-, Betriebs- und Energiekosten sowie öffentliche Abgaben), die mit dem Wohnen an der Adresse *****, verbunden sind, selbst trägt. Zwar schießt der Liegenschaftseigentümer F***** S***** erforderlichenfalls finanzielle Mittel vor, diese werden von der Klägerin jedoch refundiert.
Das „Wohnungsrecht“ stellt keine eigenständige Form einer Personalservitut, sondern eine Spielart des Fruchtgenussrechts oder des Gebrauchsrechts dar, je nachdem, ob Wohnräume nur zum persönlichen Bedarf oder ohne diese Einschränkung benützt werden dürfen (5 Ob 157/08m). Wohnungsgebrauchsrecht und Fruchtgenussrecht unterscheiden sich nur darin, dass das bloße Gebrauchsrecht auf die persönlichen Bedürfnisse des Berechtigten zugeschnitten ist, während das Fruchtgenussrecht ohne diese Einschränkung den vollen Genuss der Sache, die nur in ihrer Substanz zu bewahren ist, gewährt und dementsprechend sogar die Gebrauchsüberlassung an Dritte ermöglicht (5 Ob 206/99a). Ausgehend davon kommt der Klägerin (lediglich) ein Wohnungsgebrauchsrecht an der gegenständlichen Liegenschaft zu (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0011821).
Grundsätzlich hat nach § 508 ABGB auch bei einem Wohnungsrecht der Eigentümer der dienstbaren Sache die Kosten der Instandhaltung ohne Einschränkungen zu tragen, soweit dies zur Erreichung des Zweckes der Dienstbarkeit erforderlich ist (RIS-Justiz RS0011777), was auch die Bestreitung der Betriebskosten und öffentlichen Abgaben für das Haus umfasst (2 Ob 212/98k).
Abweichend davon hat die Klägerin im vorliegenden Fall mit dem Liegenschaftseigentümer vereinbart, sämtliche Betriebs- und Instandhaltungskosten des von ihr bewohnten Hauses zur Gänze zu tragen. Damit kann nach Ansicht des erkennenden Berufungssenats von der Gewährung eines „freien Quartiers“ aber nicht mehr gesprochen werden. § 1 der Sachbezugswerteverordnung, auf welche § 292 Abs 3 ASVG verweist, gliedert den Wert der vollen freien Station hinsichtlich der Wohnung (ohne Beheizung und Beleuchtung) zwar mit einem Zehntel auf, nach § 1 Abs 3 leg cit vermindert sich der Wert der vollen freien Station aber stets um den entsprechenden Anteilswert im Sinne des Abs 1, wenn mit der Gewährung Kostenersätze geleistet werden. Genau dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin trägt bzw. ersetzt dem Liegenschaftseigentümer sämtliche im Zusammenhang mit der Wohnung (und der Erhaltung des Wohnobjektes) entstehenden Kosten. Damit liegt aber kein anrechenbarer Sachbezug im Sinne des § 1 SachbezugswerteVO bzw § 292 Abs 3 ASVG vor.
2.2.) Bei der vorliegenden Sachlage kann entgegen den Berufungsausführungen auch nicht davon gesprochen werden, dass die Klägerin Vermögen aktiviert und dadurch ein über ihr bisheriges hinausgehendes weiteres Einkommen verfügbar gemacht hätte. In Wahrheit hat sich - mit Ausnahme der Eigentumsübertragung an der gegenständlichen Liegenschaft an F***** S***** - durch das vorgenommene Rechtsgeschäft die Vermögens- und Einkommenslage der Klägerin nicht geändert. Daraus folgt, dass eine Begünstigung der Klägerin gegenüber anderen Pensionsbeziehern, deren Wohnbedürfnis nicht durch ein Wohnrecht gedeckt ist, nicht vorliegt.
Es ist zwar richtig, dass die Klägerin ihr Gebrauchsrecht nicht mehr aus ihrem Eigentumsrecht ableiten kann und sie die Rechtsposition der Eigentümerin des gegenständlichen Hauses sowohl hinsichtlich der Rechte als auch der Pflichten aufgegeben hat, die Klägerin trägt aber auf Grund der vorliegenden Vereinbarung sämtliche Kosten nicht nur des Betriebs der gegenständlichen Wohnung, sondern auch der Instandhaltung. Damit kann vom Vorliegen von Einkünften in Geldeswert der Klägerin durch die vorgenommene Schenkung aber letztlich nicht gesprochen werden. Da somit kein „Nettoeinkommen“ gemäß § 292 Abs 1 ASVG der Klägerin vorliegt, ist der von ihr geltend gemachte Anspruch gerechtfertigt.
Es war damit der Berufung der beklagten Partei im Übrigen nicht Folge zu geben.
Eine Kostenentscheidung konnte unterbleiben, weil Kosten im Berufungsverfahren nicht verzeichnet wurden.
Die Revision war zuzulassen, weil - soweit überblickbar – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu vorliegt, ob das Recht, die zuvor im eigenen Haus benutzte Wohnung nach deren Veräußerung (weiter) zu bewohnen, auch dann ausgleichszulagenrechtlich zu berücksichtigen ist, wenn der Wohnungsberechtigte sämtliche mit dem Betrieb und der Instandhaltung des Wohnobjektes verbundenen Kosten trägt und lediglich keine Gegenleistung für die reine Gebrauchsüberlassung zu erbringen hat. Die Entscheidung hängt damit von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts ab, die über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinaus Bedeutung hat.