JudikaturOLG Wien

7Rs175/12z – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
17. Dezember 2012

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Dr. Rassi sowie die fachkundigen Laienrichter ADir.Gerald Bichler und Dr.Richard Preissler in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** S***** , *****, 3300 Amstetten, vertreten durch Dr. Siegfried Lohse, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse , Kremser Landstraße 3, 3100 St. Pölten, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen EUR 894,93, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 14.09.2012, GZ 27 Cgs 23/12m-14 (Berufungsinteresse EUR 756,53), gemäß §§ 2 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das hinsichtlich der Abweisung des Zinsenbegehrens bestätigt und bezüglich der vorprozessualen Kosten mit der Maßgabe bestätigt wird, dass das Begehren in diesem Umfang zurückzuweisen ist, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass es einschließlich des unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Zuspruchs von EUR 138,40 insgesamt wie folgt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 894,93 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Begehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei 4 % Zinsen aus EUR 894,93 seit 23.02.2011 zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Das Klagebegehren wird im Umfang von EUR 70,-- samt 4 % Zinsen daraus seit 23.02.2011 zurückgewiesen.

4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.048,94 (darin enthalten EUR 174,82 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 436,27 (darin enthalten EUR 72,71 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

D***** S*****, der am 28.04.2003 geborene und mitversicherte Sohn des Klägers, wurde am 06.01.2011 bei einem Schiunfall am Hochkar verletzt. Zunächst wollte der Kläger mit seinem Sohn nach Hause fahren. Da es diesem jedoch schlechter ging, suchten die beiden in Göstling an der Ybbs die Ordination von Dr. M***** P*****, Facharzt für Innere Medizin und Sportarzt, auf. Dieser konnte einen Bluterguss am linken Kniegelenk und einen knöchernen Ausriss der Zwischenknorrenerhebung am Schienbeinkopf links feststellen.

Das Kind war schockiert, es klagte über diffuse Schmerzen im linken Knie. Das Kniegelenk war instabil, es bestand ein massiver Gelenkserguss. Der Bub war schweißig, sein Puls beschleunigt, mit einer Herzfrequenz von 115/min, der Bluthochdruck war im Bereich von 80/50. Dr. P***** verabreichte dem Knaben ein Schmerzmittel (Fentanyl).

Das nächstgelegene Krankenhaus in Amstetten war 60 km entfernt. Der nächstgelegene Notarztwagen hätte sich in Waidhofen an der Ybbs oder Scheibbs befunden und hätte für eine Anfahrtszeit rund 30 Minuten benötigt. Auf Ersuchen des Klägers forderte Dr. P***** einen Notarzthubschrauber an, der D***** S***** zum Krankenhaus in Amstetten flog. Bis zum 08.01.2011 erfolgte dort stationäre Aufnahme zur Schmerzbekämpfung in der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde. Nach der Entlassungsdiagnose litt der Bub an einem knöchernen Ausriss der Zwischenknorrenerhebung am Schienbeinkopf links und an Affektkrämpfen. Die Verletzung des Knaben war nach dem sogenannten NACA-Score der Gruppe III zuzuordnen.

Der NACA-Score (National Advisory Committee for Aeronautics) ist von NACA 0 (keine Verletzung oder Erkrankung) bis NACA VII (Tod) untergliedert. Unter NACA III (mäßige bis schwere, aber nicht lebensbedrohliche Störung) fallen zB Oberschenkelbrüche, Schlaganfälle in abgeschwächter Form oder Rauchgasvergiftungen. Ausgehend von diesem NACA-Score war es bei D***** S***** ex post betrachtet nicht notwendig, einen Hubschraubertransport durchzuführen. Ein landgebundener Transport wäre ausreichend gewesen.

Mit Bescheid vom 12.01.2012 wurde der Antrag des Klägers auf Ersatz der Kosten für den Hubschraubertransport seines minderjährigen Sohnes in Höhe von EUR 3.218,30 abgelehnt.

In seiner dagegen eingebrachten und auf Erstattung der Flugtransportkosten im Ausmaß von EUR 894,93 gerichteten Klage führte der Kläger aus, dass eine Notarztbegleitung für den Transport aufgrund des verabreichten morphiumhältigen Schmerzmittels und der dadurch beeinträchtigten Atmung notwendig gewesen wäre, weil eine Lebensbedrohung nicht ausgeschlossen hätte werden können. Zudem wäre der Transport an eine dafür geeignete unfall-chirurgische Fachabteilung mit angeschlossener Kinderabteilung in das rund 60 km entfernte Krankenhaus Amstetten notwendig gewesen. Bei solchen Transporten komme aus medizinischer und einsatzlogistischer Sicht nur der Notarzthubschrauber infrage, zumal zumindest von einem Verletzungsgrad im Ausmaß von NACA IV auszugehen gewesen wäre.

Der Kläger begehrte neben dem Hauptbegehren auch Verzugszinsen und vertrat, dass diesbezüglich eine planwidrige Lücke im ASVG vorliege. An vorprozessualen Unkosten machte er als Nebengebühren EUR 70,-- geltend.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass die nach § 44 Abs 5 ihrer Satzung geforderte Notwendigkeit des Lufttransports nicht vorgelegen sei. Die Übernahme von Kosten für Leistungen der Flugrettung erfolge ausschließlich in Fällen ab NACA IV. Gegenständlich habe jedoch (nur) eine Verletzung nach NACA III vorgelegen, also keine Notarztindikation iSd NACA-Scores. Einem Transport am Landwege wären keinerlei medizinische Gründe entgegengestanden. Verzugszinsen stünden dem Versicherten gegen den Versicherungsträger nach der Rsp nicht zu.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zum Ersatz der Transportkosten für einen Notarztwagen im Ausmaß von EUR 138,40. Das Mehrbegehren (einschließlich des Zinsenbegehrens und der vorprozessualen Unkosten) wies es ab.

Der Entscheidung liegen die den Seiten 4 bis 8 der Urteilsausfertigung zu entnehmenden Feststellungen zugrunde, die eingangs zusammengefasst referiert wurden. Zusätzlich traf das Erstgericht folgende, im Berufungsverfahren strittige, Feststellung: Dr. P***** ging davon aus, dass zum Zeitpunkt des Rufens des Notarzthubschraubers aufgrund des Schockzustands potentielle Lebensgefahr bestanden hatte. Ex ante betrachtet war daher das Rufen des Notarzthubschraubers gerechtfertigt.

In rechtlicher Hinsicht nahm das Erstgericht auf §§ 131 Abs 3, 135 Abs 5 und 144 Abs 5 ASVG sowie auf § 44 Abs 5 der Satzung der Beklagten Bezug. Bei einer ex ante-Betrachtung sei von einem potentiell lebensgefährlichen Zustand auszugehen. Ex post hätte sich jedoch ergeben, dass D***** S***** lediglich einen Oberschenkelbruch und einen Ausriss der Zwischenknorrenerhebung am Schienbeinkopf links erlitt, was dem NACA-Score III entspreche. Ex post betrachtet sei daher zwar ein Notarzttransport, allerdings kein Transport im Luftweg erforderlich gewesen. Eine Ersatzpflicht bestehe somit lediglich im Umfang der Transportkosten mit dem Notarztwagen. Es sei nicht ersichtlich, woraus sich die vorprozessualen Unkosten ergeben sollen. Hinsichtlich des Zinsenbegehrens verwies das Erstgericht auf die ständige Judikatur.

Im stattgebenden Teil blieb das Urteil unbekämpft und erwuchs daher in Rechtskraft.

Gegen den abweisenden Teil des Urteils richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im zur Gänze stattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist teilweise berechtigt.

In seiner Beweisrüge bekämpft der Kläger die Feststellung des Erstgerichts, dass das Rufen des Notarzthubschraubers ex ante betrachtet gerechtfertigt war. Er begehrt die Ersatzfeststellung, dass das Rufen des Hubschraubers und auch der Abtransport aufgrund des Schockzustands seines Sohnes bei einer ex ante-Betrachtung gerechtfertigt war.

Dem Berufungswerber ist hier entgegenzuhalten, dass die von ihm angefochtene Feststellung ohnedies iSd begehrten „Ersatzfeststellung“ zu verstehen ist. Das Erstgericht ging davon aus, dass bei einer ex ante-Betrachtung ein lebensgefährlicher Zustand vorlag (vgl auch Seite 12 der Urteilsausfertigung). Es stellte ausdrücklich fest, dass der Facharzt Dr. P***** zum Zeitpunkt des Rufens des Notarzthubschraubers von einer potentiellen Lebensgefahr ausging. In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Erstgericht die ex ante-Beurteilung einer ex post-Beurteilung entgegen und entschied sich dafür, dass es auf eine ex post-Betrachtung ankomme, wonach kein Transport im Luftweg erforderlich gewesen wäre.

Wie bei der Behandlung der Rechtsrüge noch aufzuzeigen sein wird, schließt sich das Berufungsgericht dieser rechtlichen Beurteilung nicht an. Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist jedoch zwingend davon auszugehen, dass ein Transport mit einem Notarzthubschrauber ex ante betrachtet aus ärztlicher Sicht indiziert war. Die Beweisrüge des Klägers geht somit ins Leere, weil sie die angefochtene Feststellung mit keiner Ersatzfeststellung bekämpft, die dieser inhaltlich widerspricht. Zudem stellt die Frage, ob das Rufen des Notarzthubschraubers gerechtfertigt war oder nicht, eine Rechtsfrage dar, die mittels Beweisrüge nicht bekämpft werden kann.

An dieser Stelle ist auch auf die in der Berufungsbeantwortung der Beklagten erhobenen Beweisrüge einzugehen. Auch die Beklagte bekämpft die Feststellung über die Einschätzung von Dr. P*****, dass zum Zeitpunkt des Rufens des Notarzthubschraubers potentielle Lebensgefahr bestanden hätte und das Rufen des Notarzthubschraubers ex ante betrachtet gerechtfertigt gewesen wäre.

Bei der Einschätzung von Dr. P***** stützte sich das Erstgericht auf dessen Vernehmung als Zeuge. Dieser war verwundert, dass ein Patient in einem so schlechten Zustand zu ihm kommen konnte (vgl ON 11, Seite 2 und 4). Der Zeuge sagte ausdrücklich aus, er hätte vor Rufen des Hubschraubers wegen des Schockzustands des Kinds Lebensgefahr angenommen (ON 11, Seite 4).

Die Beweisrüge der Beklagten vermag hier nicht im Ansatz darzulegen, warum Dr. P***** davon ausgegangen wäre, dass keine Lebensgefahr bestanden hätte. Allein aus dem Umstand, dass das Krankenhaus Amstetten die Diagnose von Dr. P***** übernahm und die Therapie konservativ fortführte, kann nicht abgeleitet werden, dass Dr. P***** nicht von Lebensgefahr ausging. Die Beklagte kann damit keine Zweifel an der Beweiswürdigung erwecken.

Das Berufungsgericht übernimmt daher den vom Erstgericht getroffenen Sachverhalt und legt ihn seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde. Daran anknüpfend erweist sich die Rechtsrüge hinsichtlich der Hauptforderung als berechtigt.

Aus dem Versicherungsfall der Krankheit werden dem Versicherten unter anderem Leistungen der Krankenbehandlung gewährt (§ 117 Z 2 ASVG). Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Hilfe und die Versorgung mit Heilmitteln und Heilbehelfen (§ 133 Abs 1 ASVG). Reicht eine ambulante ärztliche Versorgung nicht aus, hat der Versicherte Anspruch auf medizinische Hauskrankenpflege und Anstaltspflege (§ 144 Abs 1, § 151 Abs 1 ASVG).

Ärztliche Hilfe wird in erster Linie durch Vertrags-ärzte und Vertragsgruppenpraxen erbracht (§ 135 Abs 1 ASVG). § 135 Abs 4 ASVG bestimmt, dass dem Versicherten „im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe“ der Ersatz der Reise-(Fahrt-)Kosten nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung gewährt werden kann. § 135 Abs 5 ASVG legt fest, dass die Satzung des Krankenversicherungsträgers unter Bedachtnahme auf § 135 Abs 4 ASVG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen für gehunfähig erkrankte Versicherte der Transport mit einem Krankentransportwagen zur Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe sowie der Ersatz der Kosten für die Inanspruchnahme eines Lohnfuhrwerks bzw privaten Kraftfahrzeugs gewährt werden können. Die medizinische Notwendigkeit eines solchen Transports muss ärztlich bescheinigt sein (10 ObS 71/11f).

Benötigt der Versicherte Anstaltspflege, sind die notwendigen Kosten der Beförderung vom Versicherungsträger unter Bedachtnahme auf § 135 Abs 4 ASVG zu übernehmen, wenn der körperliche Zustand des Erkrankten oder die Entfernung seines Wohnsitzes die Beförderung in die oder aus der Anstalt es erfordert (§ 144 Abs 5 ASVG). Nach § 144 Abs 5 ASVG iVm § 135 Abs 4 ASVG hat der Krankenversicherungsträger bei Notwendigkeit der Anstaltspflege somit auch die Kosten des Transports in die Krankenanstalt zu übernehmen.

Bei im Inland eingetretenen Unfällen, plötzlichen Erkrankungen und ähnlichen Ereignissen kann der Versicherte den nächst erreichbaren Arzt (nächst erreichbare Gruppenpraxis), erforderlichenfalls auch die nächst erreichbare Krankenanstalt in Anspruch nehmen, falls ein Vertragsarzt (Vertrags-Gruppenpraxis), eine Vertragskrankenanstalt oder eine eigene Einrichtung des Versicherungsträgers für die ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig die notwendige Hilfe zu leisten vermag („Erste Hilfe“). Der Versicherungsträger hat den Versicherten für die tatsächlich erwachsenen Kosten, wozu auch Transportkosten gehören, den in der Satzung vorgesehenen Ersatz zu leisten. Darüber hinaus können nach Maßgabe der Satzung auch die notwendigen Reise-(Fahrt-)Kosten übernommen werden (§ 131 Abs 3 ASVG). Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal werden bei Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik nicht ersetzt (§ 131 Abs 4 ASVG).

Den genannten gesetzlichen Bestimmungen ist gemein, dass nur die Kosten eines notwendigen Transports zu übernehmen sind. Aus dem Gesetz ergibt sich, dass Krankentransportkosten als Teil der zu gewährenden ärztlichen Hilfe bzw Anstaltspflege zu werten sind (vgl 10 ObS 10/94, SSV-NF 8/9; Teschner/Widlar/Pöltner , ASVG MGA § 135 Anm 11; Schrammel/Welser , Die Kostentragung bei Flugrettungseinsätzen 32; Binder in Tomandl , SV-System 21. ErgLfg 224). Da Beförderungskosten nur im Fall der Notwendigkeit (vgl § 133 Abs 2 ASVG) der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ersetzt werden, muss der Transport in jedem Fall medizinisch indiziert sein ( Schrammel/Welser aaO 32).

Es kann dahinstehen, ob sich der geltend gemachte Anspruch hier auf § 144 Abs 5 iVm § 135 Abs 4 und 5 ASVG oder auf § 131 Abs 3 ASVG stützen kann. In beiden Fällen knüpft das Gesetz an die Notwendigkeit des Transports an. Die näheren Voraussetzungen bestimmt § 44 Abs 5 und 6 der Satzung der Beklagten (in der hier anzuwendenden Fassung www.avsv.at Nr 60/2007). Auf diese Bestimmung verweist auch § 25 Abs 2 der Satzung im Falle einer Beförderung durch ein Luftfahrzeug nach § 131 Abs 3 ASVG.

§ 44 Abs 5 der im Verordnungsrang (vgl RIS-Justiz RS0053701; VfSlg 17.518/2005) stehenden Satzung der Beklagten lautet:

Die Kasse übernimmt die Kosten der Beförderung im Inland mit einem Luftfahrzeug in die nächstgelegene geeignete Krankenanstalt, wenn 1. wegen a) des Zustandes des/der Erkrankten oder b) der Dringlichkeit des Falles eine Beförderung auf dem Landweg nicht zu verantworten wäre und 2. die medizinische Notwendigkeit des Lufttransportes a) durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen und b) diese Notwendigkeit von der Kasse anerkannt worden ist.

Im Zentrum der Berufung steht die Frage, ob es bei der Beurteilung der Notwendigkeit auf eine ex post- oder eine ex ante-Betrachtung ankommt. Zu Recht verweist der Kläger auf die Rsp, wonach die Annexkosten eines Transports vom Versicherungsträger jedenfalls dann zu ersetzen sind, wenn für die den Rettungseinsatz anfordernde Person ein ex ante betrachtet objektiv ausreichender Krankheitsverdacht bestand (vgl 10 ObS 99/08f; 10 ObS 64/11a; 10 ObS 50/11t = RdM 2012/102 [Windisch-Graetz] ; 10 ObS 67/11t; 10 ObS 71/11f = ZAS 2012/64 [Pacic] ; RIS-Justiz RS0117777). Auch für die Bejahung der Notwendigkeit eines Helikoptertransports ist es demnach ausreichend, wenn der dafür erforderliche körperliche Zustand sich durch objektiv diagnostizierbare Symptome äußert, unabhängig davon, ob sich im Nachhinein der Krankheitsverdacht bewahrheitet oder nicht (vgl 10 ObS 99/08f; 10 ObS 50/11t = RdM 2012/102 [Windisch-Graetz] ).

Für das Vorliegen einer Krankheit, die einen Anspruch auf Krankenbehandlung auslöst, muss nach der Legaldefinition des Versicherungsfalls der Krankheit in § 120 Abs 1 Z 1 ASVG zur Regelwidrigkeit noch die Notwendigkeit einer Krankenbehandlung (Behandlungsbedürftigkeit) treten. Behandlungsbedürftigkeit ist gegeben, wenn der regelwidrige Zustand ohne ärztliche Hilfe nicht mit Aussicht auf Erfolg behoben, zumindest aber gebessert oder vor einer Verschlimmerung bewahrt werden kann oder wenn die ärztliche Behandlung erforderlich ist, um Schmerzen oder sonstige Beschwerden zu lindern. Die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ist dabei stets losgelöst vom Erfolg bzw Nichterfolg der tatsächlichen Krankenbehandlung ex ante zu beurteilen (10 ObS 99/08v, SSV-NF 23/2 mwN; RIS-Justiz RS0117777 [T1 und T2]). Es obliegt dem Arzt, festzustellen, wann eine Störung ein solches Ausmaß erreicht hat, dass Behandlungsbedürftigkeit medizinisch geboten ist (10 ObS 99/08v mwN). Die Krankenkassen haben die Kosten der Untersuchung zur Beseitigung eines vom Arzt geäußerten Krankheitsverdachts auch dann zu tragen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass eine Krankheit nicht vorliegt (10 ObS 99/08v; Mazal , Krankheitsbegriff und Risikozurechnung 84; Schrammel/Welser aaO 36). Entscheidend ist, ob der Krankheitsverdacht bei der gebotenen ex ante-Betrachtung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft vertretbar („objektivierbar“) war (10 ObS 99/08v mwN; Schrammel/Welser aaO 36; Mazal aaO 86 und FN 164).

Der Grundsatz der ex ante-Beurteilung der Notwendigkeit einer Krankenbehandlung gilt auch für den Krankentransport, der ein Annex zur ärztlichen Hilfe oder Anstaltspflege ist. Ein Transport kann mit der Inanspruchnahme von Leistungen der Krankenbehandlung nur dann in Zusammenhang stehen, wenn der Versicherte der ärztlichen Hilfe oder Anstaltspflege bedarf. Ist die Notwendigkeit der Krankenbehandlung ex ante zu bejahen, ist weiters zu prüfen, ob die Beförderung mit einem bestimmten Transportmittel notwendig ist (10 ObS 71/11f). Kann der Versicherte den Arzt (die Krankenanstalt) aus eigener Kraft nicht aufsuchen, muss ein geeignetes Transportmittel ausgewählt werden, wobei das Maß des Notwendigen nicht überschritten werden darf. Es reicht aus, dass die Notwendigkeit für den Anfordernden hinreichend wahrscheinlich sein musste ( Schrammel/Welser aaO 37 f).

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass die Voraussetzungen für einen Kostenersatz eines Luftfahrzeugs vorliegen, zumal (sogar) der Facharzt Dr. P***** von einer Lebensgefahr des Knaben ausging. In der Regel wird nämlich ein Rettungstransportmittel nicht von einem Arzt, sondern vom Versicherten selbst oder einem Dritten für ihn angefordert. Von diesen Personen dürfen besondere medizinische Kenntnisse über die Notwendigkeit eines bestimmten Transportmittels nicht erwartet werden. Es reicht aus, dass die Notwendigkeit für den Anfordernden hinreichend wahrscheinlich sein musste ( Schrammel/Welser aaO 38; 10 ObS 71/11f). Wenn nun die Notwendigkeit eines Lufttransports aus einer ex ante-Sicht von einem Facharzt für den Versicherten bejaht wird, kann es Letzterem nicht zur Last fallen, wenn sich der Transport ex post betrachtet als nicht notwendig herausgestellt hat.

Ein gegenteiliges Ergebnis kann auch nicht aus der oben referierten Bestimmung des § 44 Abs 5 der Satzung der Beklagten abgeleitet werden. Insbesondere lässt sich aus dem Umstand, dass die Notwendigkeit von der Kassa „anerkannt worden ist“, keine ex post-Betrachtung begründen. Diese Bestimmung ist vielmehr dahin zu verstehen, dass die Beklagte im Verwaltungsverfahren die Notwendigkeit selbständig zu prüfen hat und nicht etwa an eine ärztliche Bescheinigung gebunden ist. In Erfüllung des gesetzlichen Auftrags soll damit der Ersatz auf die Fälle des notwendigen Transports beschränkt werden. Aus der referierten Formulierung und der daraus ableitbaren nachträglichen Überprüfung kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass es für den Kostenersatz auf eine ex post-Betrachtung der Notwendigkeit ankommt. Auch die Richtigkeit der ex ante-Einschätzung kann nämlich nachträglich überprüft werden.

Zu diesem Ergebnis kommen auch Schrammel/Welser , die bei der Auslegung der gleichlautenden Bestimmung des § 44 Abs 6 der Mustersatzung 2011 des Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ( www.avsv.at Nr 105/2011) davon ausgehen, dass „die Notwendigkeit des Krankentransports ... jedenfalls nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Anforderung des Hubschraubers zu beurteilen ist“ ( Schrammel/Welser aaO 39). Die Autoren weisen zutreffend darauf hin, dass der Kasse kein Entscheidungsspielraum zur Notwendigkeit zustehe, wenn die (ex ante-)Diagnose des Arztes zutreffend war.

Die Satzung kann auch nicht dahin ausgelegt werden, dass der Anspruch von einem ausdrücklichen Anerkenntnis der Beklagten abhängig gemacht werden kann. Eine solche Auslegung verbietet nicht nur der Sinn der Satzung, sondern auch die oben referierten Bestimmungen des ASVG, die ausdrücklich die Erstattung der Transportkosten vorsehen und denen durch diese Auslegung zur Gänze der Boden entzogen wäre (idS zu einer älteren Satzung hg 8 Rs 323/98 = SV-Slg 45.260). Wenn der Gesetzgeber die Erbringung einer Leistung durch den Versicherungsträger vorsieht, so ist auch im Rahmen der Satzung darauf Rücksicht zu nehmen und die Satzung so zu gestalten und auszulegen, dass sie dem Willen des Gesetzgebers gerecht wird.

Der in der Berufungsbeantwortung vertretenen Ansicht, wonach die Beklagte die Voraussetzung für die Erstattung der Kosten für den Lufttransport selbst festlegen könne und ein ausdrückliches Anerkenntnis der Notwendigkeit erforderlich sei, kann somit nicht zugestimmt werden.

Ins Leere geht auch der Hinweis der Beklagten auf § 131 Abs 4 ASVG, wonach Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal bei Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik nicht ersetzt werden. Wohl handelte es sich hier um einen Unfall in Ausübung von Sport und Touristik. Die gegenständlichen Transportkosten waren aber keine Bergungskosten von der Unfallstelle ins Tal, weil der Kläger die Bergung selbst vornahm und der Transport des Notarzthubschraubers von Göstling nach Amstetten erfolgte. § 131 Abs 4 ASVG legt Leistungsbegrenzungen für jene Fälle fest, wo die Übernahme des Risikos und der damit regelmäßig verbundenen hohen Kosten es wirtschaftlich nicht mehr vertretbar erscheinen lassen. Da bei Bergunfällen, schon bedingt durch die Situation im Gelände regelmäßig unverhältnismäßig hohe Bergungskosten auftreten, ist der Ausschluss des Ersatzes für derartige Kosten durchaus sachgerecht (vgl 10 ObS 2415/96m; RIS-Justiz RS0106235;). Der Schutzzweck dieser Norm ist hier jedoch nicht berührt, weil der Kläger seinen Sohn selbst ins Tal brachte und deshalb keine Bergekosten iSd Gesetzes angefallen sind.

Die Berufung erweist sich somit in der Hauptsache als berechtigt, weshalb das angefochtene Urteil in diesem Umfang abzuändern war.

Im Übrigen ist die Berufung nicht berechtigt. Das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass einem Versicherten gegen den Versicherungsträger kein Anspruch auf die Zahlung von Verzugszinsen wegen verspäteter Leistungen zusteht. Auf die diesbezügliche Begründung kann verwiesen werden, zumal der Kläger in der Berufung dem argumentativ nichts entgegenhält.

Hinsichtlich der zusammen mit der Hauptforderung eingeklagten vorprozessualen Kosten ist darauf hinzuweisen, dass der zivilrechtliche Kostenersatzanspruch streng akzessorisch ist. Die Kosten sind ausschließlich durch das Legen des Kostenverzeichnisses anzusprechen, wodurch die gerichtliche Entscheidungspflicht im konkreten Fall ausgelöst wird (vgl Obermaier, Kostenhandbuch 2 Rz 3). Die Akzessorität bewirkt damit die Unzulässigkeit des Rechtswegs. Das betrifft in der Regel auch vorprozessuale Kosten. Solange die Hauptforderung noch besteht, können diese nicht gesondert eingeklagt, sondern nur zusammen mit der Hauptforderung, allerdings nicht im Punktum, sondern nur mittels Kostenverzeichnis geltend gemacht werden (was vorliegend zusätzlich auch geschah!). Nur wenn die Hauptforderung vor Klagsführung zur Gänze wegfällt, wird damit auch die Akzessorität der Kostenforderung aufgehoben; sie ist dann als Hauptforderung einzuklagen (RIS-Justiz RS0111906). Das die selbständige Einklagung ermöglichende Vorbringen hat der Kläger zu erstatten (2 Ob 390/97k), es ist darzustellen, dass der Hauptanspruch nicht mehr besteht ( Obermaier aaO). Derartiges ist hier unterblieben, weshalb die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der vorprozessualen Kosten mit der Maßgabe zu bestätigen war, dass die Klage diesbezüglich zurückzuweisen ist.

Aufgrund der Abänderung des angefochtenen Urteils war die Kostenentscheidung hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens neu zu treffen.

Das Unterliegen hinsichtlich des Zinsbegehrens bzw der eingeklagten vorprozessualen Kosten verhindert keinen vollen Zuspruch der verzeichneten Kosten, weil bei der Berechnung der Obsiegensquote Zinsen und Kosten unberücksichtigt bleiben (vgl § 54 Abs 2 JN; RIS-Justiz RRD0000035 und RSA0000026).

(Auch) im Hinblick auf die Einwendungen der Beklagten iSd § 54 Abs 1a ZPO war allerdings bei der Honorierung der vorprozessualen Kosten laut Kostenverzeichnis als Bemessungsgrundlage der eingeklagte Betrag (und nicht die tatsächlichen Kosten des Transports) heranzuziehen.

Die Beklagte rügte auch zu Recht den für die Klage geltend gemachten Einheitssatz in Höhe von 120 %. In sozialgerichtlichen Verfahren ist für die Klage der auf diese Leistung entfallene Einheitssatz mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 23 Abs 6 RATG lediglich einfach, hier somit in Höhe von 60 %, zuzusprechen (10 ObS 136/07h; hg 8 Rs 185/06v und 7 Rs 89/09y).

Mangels nachvollziehbarer möglicher Insolvenzgefahr der Beklagten gebühren keine Kosten für eine Insolvenzabfrage.

Zu Unrecht wandte jedoch die Beklagte ein, dass dem Kläger nach § 23a RATG nur ein ERV-Erhöhungsbetrag im Ausmaß von EUR 1,80 gebührt. Vielmehr fiel hier eine Entlohnung von EUR 3,60 an, weil es sich bei der Klage um einen das Verfahren einleitenden Schriftsatz handelt.

Für die in der Berufung verzeichneten Pauschalgebühren besteht aufgrund der Gebührenbefreiung in Sozialrechtssachen (§ 80 ASGG) keine Grundlage. Mangels Durchführung einer Berufungsverhandlung gebührt für den Berufungsschriftsatz nur ein dreifacher Einheitssatz (vgl § 23 Abs 9 RATG).

Die Revision war zuzulassen, weil es zur Auslegung des § 44 Abs 5 der Satzung der Beklagten – soweit überblickbar – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt und diese Bestimmung, die auch der im Schrifttum ( Schrammel/Welser aaO 38) als „problematisch“ qualifizierten Bestimmung des § 44 Abs 6 der Mustersatzung entspricht, erhöhte praktische Relevanz hat.

Rückverweise