JudikaturOLG Wien

30R43/12g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
30. November 2012

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Pöschl als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichts Dr. Hinger und Mag. Guggenbichler in der Rechtssache der klagenden Partei B***** gegen die beklagte Partei S***** wegen EUR 417.737.018,29 sA (48 Cg 222/11y) über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31.7.2012, 60 Nc 5/12t 5, mit dem die Ablehnung des fachmännischen Laienrichters Dr. NN durch die beklagte Partei abgewiesen wurde (Rekursinteresse der klagenden Partei EUR 8.351,28), in nicht öffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:

Spruch

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Parteien sind schuldig, einander die jeweiligen Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar

a) die beklagte Partei der klagenden Partei EUR 34.774,20 (darin EUR 5.795,70 USt) und

b) die klagende Partei der beklagten Partei EUR 497,14 (darin EUR 82,86 USt).

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

1. Die vorliegende Klage ist die Widerklage zum Verfahren 48 Cg 218/11k des Handelsgerichts Wien; die Verfahren sind nicht verbunden.

Die dort beklagte und hier klagende Partei hatte jeweils nach § 7a Abs 2 JN die Entscheidung im Senat beantragt. Nach § 7 Abs 2 JN gehört dem Senat somit ein fachmännischer Laienrichter aus dem Handelsstand an.

2. Diesen lehnte die Beklagte ab; sie bringt dazu – kurz zusammengefasst (§ 500a ZPO) – vor:

Die Beiziehung eines fachmännischen Laienrichters aus dem Handelsstand widerspreche den Grundsätzen des fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK und nach Art 47 Abs 2 der EU Grundrechte-Charta (EGC) und – im Rekursverfahren nicht mehr relevant – dem Grundsatz der festen Geschäftsverteilung.

Die Beklagte äußerte Bedenken gegen die institutionelle Zusammensetzung des Gerichts durch die Beiziehung eines fachmännischen Laienrichters. Deshalb liege auch beim nun beigezogenen Laienrichter ein Grund vor, dessen Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, weil die Interessenvertretung die Laienrichter in die Kausalsenate entsende. Die fachmännischen Laienrichter würden auf der Basis von Vorschlägen der zuständigen Wirtschaftskammer ernannt. Die Wirtschaftskammer sei bekanntermaßen eine Interessenvertretung ihrer Mitglieder. Die Prozessgegnerin (hier die Klägerin, im spiegelbildlichen Verfahren 48 Cg 218/11k die Beklagte) gehöre dieser Interessenvertretung an (Fachgruppe Banken und Versicherungen). Die Beklagte hingegen sei kein Mitglied dieser Interessenvertretung. Die Beklagte sei im Streitfall geschädigte Anlegerin und Bankkundin. Sie sei nun damit konfrontiert, dass ein Richterkollegium über den Fall entscheide, dem ein Senatsmitglied angehöre, das von jener Interessenvertretung vorgeschlagen worden sei, dessen Mitglied die Klägerin sei. Hingegen gehöre dem Senat kein Mitglied an, das in vergleichbarer Weise mit den Interessen der Beklagten verbunden sei.

Es liege auf der Hand, dass die Interessenvertretung solche Personen entsende, die es gewohnt (gewesen) seien, im beruflichen Umfeld die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten.

Da sich hier Parteien gegenüberstünden, die nicht in gleicher Weise dieser Interessenvertretung angehörten, läge eine „institutionelle Befangenheit“ vor.

Diese Unausgewogenheit wäre zu tolerieren, wenn in einer Rechtssache nur die Einzelinteressen der Streitteile betroffen seien. Im vorliegenden Fall hingegen reichten die Wirkungen des Prozessausgangs weit darüber hinaus. Neben den wirtschaftlichen Folgen für die Beklagte oder die Klägerin wären zahlreiche weitere Gemeinden sowie die gesamte Finanzwirtschaft von der Beantwortung der offenen Rechtsfragen und vom Ausgang des Verfahrens unmittelbar betroffen. Vor allem die Frage der aufsichtsrechtlichen Genehmigungspflicht von OTC-Swap-Geschäften sei bisher noch nicht abschließend gelöst.

Dadurch entstünde eine schiefe Optik und in der Öffentlichkeit zwingend der Anschein, es fehle die Unparteilichkeit. In anderem Zusammenhang, nämlich bei den Verbandsklagen nach dem KSchG, habe der Gesetzgeber dieser Überlegung Rechnung getragen und die Mitwirkung von Laienrichtern ausgeschlossen, weil auch in jenen Fällen Entscheidungen zu treffen seien, deren Bedeutung über den Einzelfall hinausreichen würde.

Der Laienrichter sei somit zur Wahrung eines fairen Verfahrens an der Mitwirkung gehindert, auch wenn er persönlich gar nicht befangen sei. Es genüge nämlich, dass es bei objektiver Betrachtung ausreichende Anhaltspunkte gebe, die Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Gerechtigkeit solle nicht nur geübt, sondern auch sichtbar geübt werden.

Die Beklagte regte an, den EuGH um die Vorabentscheidung zu ersuchen, ob die Bestimmung des fachmännischen Laienrichters durch die Interessenvertretung einer Partei mit Art 47 Abs 2 EGC in Einklang stehe.

3. Der Laienrichter äußerte sich dazu und erklärte, er sehe sich in der Lage, die Sachverhalte in der anhängigen Causa objektiv zu bewerten. Er erachte sich daher als nicht befangen.

Die Klägerin trat der Ablehnung entgegen.

4. Das Erstgericht wies in der nun angefochtenen Entscheidung sowohl die Ablehnung des Laienrichters durch die Beklagte als auch das Kostenersatzbegehren der Klägerin ab und führte dazu aus:

Schon den ursprünglich nach der Geschäftsverteilung beigezogenen Laienrichter habe die Beklagte mit den gleichen Argumenten abgelehnt. Darüber müsse aber nicht mehr entschieden werden, weil sich dieser Laienrichter ohnedies auch selbst für befangen erklärt habe. Mit Beschluss vom 17.2.2012 (60 Nc 1/12d) sei seine Befangenheit bejaht und ausgesprochen worden, dass der Vertreter als Laienrichter beizuziehen sei. Der Vorsitzende des Senats im Ausgangsverfahren habe den Parteienvertretern mitgeteilt, dass der nun abgelehnte Laienrichter beigezogen würde.

Der Ablehnungsantrag sei nicht berechtigt.

Zur Frage der fehlerhaften Senatsbesetzung sei das Prozessgericht des Ausgangsverfahrens, nicht aber jener Senat entscheidungsbefugt, der über die Ablehnung eines Richters zu entscheiden habe.

Gemäß § 19 Z 2 JN könne ein Richter abgelehnt werden, wenn ein zureichender Grund vorliege, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Es sei dabei ein strenger Maßstab anzulegen. Es genüge, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden müsse oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könne. Die Ablehnung solle den Parteien aber nicht ermöglichen, sich nicht genehmer Richter zu entledigen.

Damit sei klargestellt, dass nur Umstände berücksichtigt werden dürften, die sich auf die Person des abgelehnten Richters bezögen. Die Beklagte mache aber keinen derartigen Grund geltend.

Dem Gericht sei verwehrt, die gesetzlichen Grundlagen zu prüfen, die zur Bestellung des Gerichtsorgans führten. Da der abgelehnte Richter ordnungsgemäß bestellt und ernannt worden sei, könnten keine Überlegungen berücksichtigt werden, die diese gesetzlichen Grundlagen in Frage stellen würden.

5. Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Sie beantragt, den abgelehnten Laienrichter für befangen zu erklären; daneben regt sie an, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten oder beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung von § 7 Abs 2 JN als verfassungswidrig zu beantragen.

Gegen die Entscheidung richtet sich auch der Rekurs der Klägerin, die die Kostenentscheidung bekämpft. Sie beantragt, der Beklagten einen Prozesskostenersatz von EUR 8.351,28 aufzuerlegen.

Die Parteien beantragen wechselseitig, dem Rekurs der Prozessgegnerin nicht Folge zu geben.

Die Rekurse sind nicht berechtigt.

6.1 Die Beklagte stellt im Rekurs das Thema „fair trial“ in den Vordergrund und stellt klar, dass sie sich nicht grundsätzlich gegen die Laiengerichtsbarkeit wendet, sondern nur dann, wenn im Einzelfall – wie hier wegen der weitreichenden Bedeutung der Antworten auf die zu lösenden Fragen – das Risiko bestehe, außenstehende Dritte könnten die Unabhängigkeit des Gerichts gefährdet sehen.

Rechtliche Beurteilung

6.2 Dazu hat das Rekursgericht erwogen:

In Handelssachen werden sowohl die erst- als auch die zweitinstanzlichen Senate (diese im Wesentlichen zur Entscheidung über Berufungen und in bestimmten Provisorialverfahren über Rekurse) mit zwei Berufs- und einem Laienrichter besetzt. Diese „fachmännischen Laienrichter aus dem Handelsstand“ werden vom Bundesministerium für Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten nach Einholung von Vorschlägen der zuständigen Wirtschaftskammer und des Personalsenats des betreffenden Gerichtshofs für eine Funktionsperiode von fünf Jahren bestellt (§ 20 Abs 2 GOG). Ihnen kommt die selbe Unabhängigkeit zu wie den Berufsrichtern. Auch in Bezug auf Befangenheiten, Ablehnungen und Ausgeschlossenheiten unterliegen sie den selben Bestimmungen. Daraus folgt, dass alle Grundsätze anzuwenden sind, die bei der Beurteilung dafür entwickelt wurden, ob – wie § 19 Z 2 JN formuliert – ein zureichender Grund vorliegt, die Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Das bedeutet, dass den Parteien bei Zweifeln an der Unbefangenheit des individuellen Laienrichters die selben Behelfe zur Verfügung stehen wie bei Zweifeln an der Unbefangenheit von Berufsrichtern. Dass dieses Instrumentarium nicht den Anforderungen eines fairen Verfahrens nach Art 6 EMRK (oder nach dem inhaltlich entsprechenden Art 47 Abs 2 der EU Grundrechte-Charta – EGC: «Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.») entspräche, dessen unmittelbare Anwendbarkeit und dessen Verfassungsrang nicht in Frage steht, trägt die Beklagte nicht vor.

Genauso wenig stützt sie den Rekurs auf Umstände, die in der Person des Laienrichters lägen. Nur den Umstand, dass ihn die Wirtschaftskammer nominiert hat, verbunden mit der Tatsache, dass auch die Klägerin dieser Interessenvertretung angehört, nimmt die Beklagte zum Anlass, von einer „institutionellen“ Befangenheit zu sprechen, die sich jedoch nicht generell, sondern in concreto nur wegen der besonderen Bedeutung und Tragweite des Falls auswirke.

Unter diesem Aspekt ist klar, dass das Erstgericht zu keiner anderen Lösung kommen konnte, weil es an die Rechtslage gebunden ist, die eine solche nicht auf die Person blickende Ablehnung nicht vorsieht.

6.3 Im Unterschied zum Erstgericht hat sich das Rekursgericht nach Art 89 Abs 2 B VG mit der Behauptung der Beklagten auseinanderzusetzen, an dieser Rechtslage bestünden verfassungsrechtliche Bedenken, weil sie gegen Art 6 EMRK verstoße.

Während in der Lehre Bedenken geäußert wurden, ob die Beiziehung der fachmännischen Laienrichter aus dem Handelsstand mit dem Verfassungsgebot übereinstimme, dass das Volk nach Art 91 B VG an der Rechtsprechung mitwirken solle (skeptisch Walter, Verfassung und Gerichtsbarkeit [1962], 16 ff; ablehnend Walter, System des österr. Bundesverfassungsrechts [1972], 552 FN 148; ablehnend Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007], Rz 783; vgl erläuternd dazu Böhm, Zur Mitwirkung von Laienrichtern an der Zivilgerichtsbarkeit in Österreichische Landesreferate zum X. Kongress zur Rechtsvergleichung [1979], 38) hat der VfGH die Laienbeteiligung durch Personen, die von Interessenvertretungen nominiert werden, geprüft und für sich genommen mit der wesentlichen Begründung als verfassungskonform erkannt (VfSlg. 14909 = B 745/97 mit Verweis auf VfSlg.9887/1983 und 11912/1988 = B 944/88), die Stellung der Laienrichter (auch der entsendeten Mitglieder in „Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag“) garantiere deren Unabhängigkeit und allein die Tatsache, dass sie von Interessenvertretungen nominiert worden seien, rechtfertige keine generellen Zweifel an ihrer Unbefangenheit oder an ihrer Unabhängigkeit.

6.4 Diese Grundsätze leuchten auch aus der Rechtsprechung des OGH hervor, wonach die selben strengen Maßstäbe wie für Berufsrichter auch auf Laienrichter anzuwenden seien, dass jedoch im Einzelfall und stets ad personam zu prüfen ist, welches Naheverhältnis eines Richters zu einer Prozesspartei bestehe (2 Ob 43/11d mwN).

6.5 Auch die Rechtsprechung des EGMR folgt weitgehend dieser Linie. Der EGMR betont jedoch stets, dass zwei Aspekte der Unparteilichkeit zu beachten seien: das Gericht müsse subjektiv frei von Vorurteilen oder „bias“ („Befangenheit“, „Neigung“, „Tendenz“, „Hang“) sein, es müsse aber auch von einem objektiven Standpunkt betrachtet ausreichende Garantien bieten, die jeden vernünftigen Zweifel („legitimate doubt“) an dieser Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit ausschließen (vgl zum Beispiel Gürkan gegen Türkei, 3.7.2012, appl. nr. 10987/10: «There are two aspects to the question of “impartiality”: the tribunal must be subjectively free of personal prejudice or bias, and must also be impartial from an objective viewpoint in that it must offer sufficient guarantees to exclude any legitimate doubt in this respect.»).

Jüngst hat der EGMR dies in Peruš gegen Slowenien (27.9.2012), appl. nr. 35016/05, bekräftigt (ein Richter, der in zweiter Instanz mitgewirkt hatte, war einige Jahre später in der selben Causa als Senatsmitglied des Höchstgerichts wieder mitbefasst). In objektiver Hinsicht müsse – so der EGMR – geprüft werden, ob unabhängig von der persönlichen Einstellung eines Richters verifizierbare Tatsachen Zweifel an der Unparteilichkeit wecken könnten, denn „Gerechtigkeit müsse nicht nur geübt werden, sie müsse auch sichtbar geübt werden“. Daher könne auch ein Anschein wichtig sein. Es gehe um das Vertrauen, das die Gerichte einer demokratischen Gesellschaft in der Öffentlichkeit genießen müssten. (Rn 36: «Under the objective test, it must be determined whether, quite apart from the judge’s personal conduct, there are ascertainable facts which may raise doubts as to his impartiality, since “justice must not only be done; it must also be seen to be done”. In this regard, even appearances may be of a certain importance. What is at stake is the confidence which the courts in a democratic society must inspire in the public.»)

Jedenfalls ergeben sich dann ausreichende Zweifel, wenn der Laienrichter durch die Prozesspartei selbst nominiert worden sei (Thaler gegen Österreich, 3.2.2005, appl. nr. 58141/00, Rn 33; Puchstein gegen Österreich, 28.1.2010, appl nr. 20089/06, Rn 54 ff); wesentlich ist jedoch auch nach der Rechtsprechung des EGMR eine Einzelfallbetrachtung.

Wesentlicher Unterschied zu diesen referierten Fällen ist jedoch, dass im vorliegenden Fall die Verbindung zwischen dem Laienrichter und der Prozessgegnerin nicht unmittelbar, sondern mittelbar ist. Um trotz dieser Mittelbarkeit Zweifel an der Unbefangenheit des Laienrichters zu begründen, stellt die Beklagte eine Gedankenreihe des Inhalts auf, vom Laienrichter, der von der Interessenvertretung (Wirtschaftskammer) nominiert worden sei, sei zu erwarten, er würde jedenfalls dann, wenn nur eine Prozesspartei (hier die Klägerin) dieser Interessenvertretung angehöre, deren Standpunkt stützen. Träfe diese Befürchtung zu, lägen wohl Gründe vor, die Unbefangenheit des Laienrichters ad personam in Zweifel zu ziehen. Doch diese Behauptung stellt die Beklagte gerade nicht auf, denn sie argumentiert ausdrücklich auf der „institutionellen (strukturellen) Ebene“ und billigt dem Laienrichter persönliche Integrität und Unbefangenheit zu.

Dabei stützt sie sich auf die im gegebenen Zusammenhang bedeutsame Entscheidung des EGMR Langborger gegen Schweden (22.6.1989), appl. nr. 11179/84, bei der es um die Gültigkeit einer Vereinbarung zwischen einer Hauseigentümervereinigung und einer Mietervereinigung als Grundlage für das Bestandverhältnis ging, der sich der Beschwerdeführer unterwerfen musste. Die persönliche Integrität der Laienrichter im Verfahren, das der Beschwerdeführer zur Beseitigung dieser Klausel geführt hatte, war nicht angezweifelt worden, je einer war jedoch von einer der genannten Vereinigungen nominiert worden.

Dort erkannte der EGMR auf die Verletzung von Art 6 EMRK, weil dem vierköpfigen Senat zwei Laienrichter angehörten, die von Körperschaften entsendet wurden, die nach Einschätzung des EGMR ein gemeinsames und gleiches Interesse am Prozessausgang (speziell an der Geltung der von ihnen ausgehandelten Klausel) hatten, ohne gleichzeitig auch Prozesspartei zu sein («As regards their objective impartiality and the question whether they presented an appearance of independence, however, the Court notes that they had been nominated by, and had close links with, two associations which both had an interest in the continued existence of the negotiation clause. As the applicant sought the deletion from the lease of this clause, he could legitimately fear that the lay assessors had a common interest contrary to his own and therefore that the balance of interests, inherent in the Housing and Tenancy Court’s composition in other cases, was liable to be upset when the court came to decide his own claim.»).

Darauf bezugnehmend und daran anknüpfend entschied der EGMR in AB Kellermann gegen Schweden (26.1.2005), appl. nr. 41579/98. Die beschwerdeführende Gesellschaft, die keiner Arbeitgeberorganisation angehörte, führte vor dem Arbeitsgericht auf der Passivseite ein Verfahren, in dem die Gewerkschaft den Abschluss eines Kollektivvertrags forderte. Dem Senat des Arbeitsgerichts erster Instanz gehörten sieben Richter an, und zwar zwei Berufsrichter und fünf Laienrichter. Eine davon war Arbeitsrechtsexpertin, zwei waren von Arbeitgeberorganisationen nominiert, die weiteren zwei von Arbetnehmerorganisationen (nicht jedoch von der dort klagenden Gewerkschaft). Die persönliche Befangenheit der Richter war nicht behauptet worden.

Der EGMR kam zum Ergebnis, dass Art 6 EMRK nicht verletzt worden sei. Zu prüfen sei, ob das Gleichgewicht der Interessen in der Senatszusammensetzung gestört worden sei und, wenn ja, ob dies bewirke, die Unparteilichkeit zu beeinträchtigen. Dies sei der Fall, wenn die Laienrichter ein gemeinsames Interesse hätten, das dem Anliegen des Beschwerdeführers widerspreche, oder wenn sie zwar kein übereinstimmendes gemeinsames derartiges Interesse hätten, wenn aber ihre Interessen jedenfalls jenen des Beschwerdeführers widersprächen.

Im Unterschied zum Fall Langborger gegen Schweden sei aber kein Interesse der Organisationen erkennbar, die die Laienrichter nominiert hätten, das darüber hinausgehe, die Einhaltung des Arbeitsrechts sicherzustellen. In jenem Fall (Langborger) habe aber ein – sogar wirtschaftliches – Interesse der entsendenden Organisationen daran bestanden, weiterhin selbst an den Mietpreisverhandlungen mitzuwirken (Rn 67: «The Court considers that the nature of the dispute between the applicant company and the Industrial Union was such that the lay assessors who sat in the Labour Court and the organisations that had nominated them could not objectively have had any other interest than to ensure that the above terms of employment were correctly examined and interpreted and that the principles of Article 11 of the Convention, which form part of Swedish law, were correctly interpreted and applied. These interests could not be contrary to those of the applicant company. It would be wrong to assume that their views on these objective issues would be affected by their belonging to one or other of the nominating bodies. Distinguishing the present case from that of Langborger v. Sweden, the Court notes that, in the latter case, the organisations which had nominated the lay assessors to the Housing and Tenancy Court had an interest in their affiliated unions' continued participation in rent negotiations, a participation which Mr Langborger wished to end by having the relevant negotiation clause deleted from his lease. Furthermore, the affiliated tenants' union had an economic interest in the retention of that clause, as it received a commission of 0.3 % of the negotiated rent. No such links between the dispute in the present case and the labour market organisations that had nominated the lay assessors are to be found.»)

6.6 In diese Richtung argumentiert hier auch die Beklagte. Auf dem Prüfstand stünden Verträge, die sie mit der Klägerin geschlossen habe. Wenn sie obsiege, wären nicht nur zahlreiche andere Kommunen sondern die gesamte Finanzwirtschaft betroffen. Vor allem die Frage nach der Pflicht, OTC-Swap-Geschäfte vom Gemeinderat beschließen und durch die Landesregierung (als Gemeindeaufsichtsbehörde) genehmigen zu lassen, beträfe massiv die Interessen zahlreicher anderer Bankinstitute, die mit Gemeinden derartige Geschäfte abgeschlossen hätten. Diese Rechtsfragen seien bisher höchstgerichtlich noch nicht beantwortet worden (vgl Punkt 2.1.5 und 2.1.6 im Ablehnungsantrag vom 13.4.2012, ON 23 in 48 Cg 222/11y). Daher habe auch die Wirtschaftskammer insgesamt ein Interesse am Prozessausgang, denn es sei ihre Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder (speziell der Banken) zu fördern.

Dass den gerichtlichen Senaten also Richter angehörten, die von der Wirtschaftskammer nominiert worden seien, erwecke ausreichende Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der so zusammengesetzten Senate, deren Wirken somit nicht dem Art 6 EMRK entspreche.

6.7 Wenn das Rekursgericht diese Bedenken teilen würde, wäre mit der Stattgebung der Ablehnung des nun zuständigen Laienrichters nichts gewonnen, denn die selben Überlegungen träfen auf jeden anderen fachmännischen Laienrichter zu. Da sich die Zuständigkeit der Handelsgerichte daraus ergibt, dass jedenfalls der Beklagte ein Unternehmer und daher regelmäßig auch ein Mitglied der Wirtschaftskammer ist, und da ein erheblicher Teil der Klagen vor den Handelsgerichten nicht von Unternehmern erhoben wird, gerät die Rechtslage insgesamt in den Blick.

Rechtsprechung des VfGH speziell zur Beteiligung der fachmännischen Laienrichter in Handelssachen fehlt genauso wie jüngere Rechtsprechung zur Laienbeteiligung und zur Senatszusammensetzung insgesamt, die auf die oben dargestellte Judikatur des EGMR zur zweifachen – subjektiven und objektiven – Basis der gerichtlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit Bezug nähme. Vor der Judikatur des EGMR griffe das formelle Argument, die Laienrichter seien nach dem Gesetz unabhängig und weisungsfrei, zu kurz, denn beim Blick auf die objektiven Kriterien kommt es auf die individuelle Position des Einzelnen nicht an. In allen Fällen, in denen der EGMR eine Verletzung von Art 6 EMRK annahm, standen weder die persönliche Integrität noch die formelle Unabhängigkeit der einzelnen Laienrichter in Frage.

6.8 Vor allen der Fall Langborger gegen Schweden spielt indirekt auch bei der Beurteilung der Frage der Parität der Laienbeteiligung eine Rolle. In jenem Fall war zwar die Parität gegeben (was denkbarer Weise – etwa bei den Senaten der Arbeits- und Sozialgerichte – insgesamt den Anschein der Unbefangenheit nicht trübt), doch bestand die Besonderheit im gemeinsamen Interesse der entsendenden Körperschaften. Kraft Größenschlusses ist beim Fehlen der Parität die Laienbeteiligung sogar als problematischer einzuschätzen.

Zu kurz griffe auch die Überlegung, der Laienrichter wäre gegenüber den Berufsrichtern stets in der Minderheit, denn dieses Argument würde jeden inneren Sinn der Laienbeteiligung verneinen und sie nur dem Motiv der Gerichtsentlastung zuordnen.

6.9 Sofern grundsätzliche Bedenken an dieser Konstellation bestünden, trüge auch die Überlegung nichts dazu bei, dass die Beklagte im konkreten Fall die große Bedeutung für die Mitglieder der Wirtschaftskammern nur in den zu lösenden Rechtsfragen sieht und dass in letzter Instanz der OGH diese Rechtsfragen zu beantworten hat, in dessen Senaten in Handelssachen keine Laienrichter mitwirken. Die Prüfung, ob Art 6 EMRK eingehalten ist, kann sich nämlich nicht daran orientieren, ob Tat- oder Rechtsfragen zu beantworten sind, denn in zahlreichen Fällen stehen diese Themen in einem kaum oder nicht trennbaren Zusammenhang mit starker prozessualer Wechselwirkung. Überdies hängen zahlreiche Verfahren von der Lösung von Tatfragen ab, die der OGH nicht zu beantworten hat.

7. Das Rekursgericht teilt bei einer Gesamtschau der Rechtsprechung vor allem des EGMR die Bedenken im Ergebnis nicht, die die Beklagte an der Beteiligung eines fachmännischen Laienrichters vorträgt, der von der Wirtschaftskammer nominiert wurde, wenn auch die Prüfungsschwelle nach Art 89 Abs 2 B VG („Bedenken“) unter jener einer „Überzeugung“ von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes liegt.

Vor allem die Entscheidung AB Kellermann gegen Schweden, die die Entscheidung Langborger gegen Schweden fortentwickelt und präzisiert, macht deutlich, dass nur allgemein gelagerte Interessen von entsendenden Organisationen nicht ausreichen, um in der Laienbeteiligung eine Verletzung von Art 6 EMRK zu sehen. Im konkreten Fall wäre nicht erkennbar, dass die Wirtschaftskammer, die die Interessen aller ihrer Mitglieder zu vertreten hat, ein eigenes (unmittelbares oder mittelbares) Interesse am Ausgang des Verfahrens in eine bestimmte Richtung hätte, denn gewiss sind nicht nur Kommunen oder Verbraucher von jenen Bankgeschäften als Kunden betroffen, um die es in den Verfahren geht. Ganz allgemein ist kein Interesse der Wirtschaftskammer zu erkennen, dass stets ihr am Verfahren beteiligtes Mitglied obsiege. Schließlich widerspräche es sogar jeder Vernunft und jeder langfristigen Strategie einer Interessenvertretung, auch die Interessen von Mitgliedern zu fördern, deren Rechtsstandpunkt der Rechtsordnung widerspricht oder die sogar rechtswidrig gehandelt haben.

Daran ändert auch die von der Beklagten plausibel herausgearbeitete – und prima vista ohnedies erkennbare – weitreichende Wirkung dieses Rechtsstreits nichts.

Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn es in einem Verfahren um eigene rechtliche (oder auch wirtschaftliche) Interessen der Wirtschaftskammer(n) selbst ginge. Die oben erläuterten Fälle Langborger gegen Schweden und AB Kellermann gegen Schweden sind für diese Grenzziehung instruktiv.

Die Entscheidung des Erstgerichts über die Ablehnung des Laienrichters bedarf daher keiner Korrektur und nicht der Befassung des VfGH oder des EuGH. (Dass § 24 Abs 2 JN von einer Zurück- und nicht von einer Abweisung der Ablehnung spricht, kann auf sich beruhen.)

8.1 Zum Rekurs der Klägerin im Kostenpunkt: [...]

9. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruhen auf § 41 und 50 ZPO.

Da die Fragen des „fair trial“, mit denen sich die Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung auseinanderzusetzen hatte, nicht ungewöhnlich sind und die Rechtsprechung der dafür zuständigen Gerichte ohne überdurchschnittlichen Aufwand auffindbar ist, steht ihr ein Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG nicht zu. Überdies ist die Frage, ob eine gesondert zu honorierende Mehrleistung vorliegt, mit Blick auf die Kostenbemessungsgrundlage zu beantworten. Durch den hohen Tarifansatz ist bereits ein hoher Aufwand abgegolten (9 Ob 20/10x).

10. Die Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 2 und 3 ZPO.

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