JudikaturOLG Wien

22Bs120/12a – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
16. Mai 2012

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Levnaic-Iwanski als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Hahn und die Richterin Mag. Staribacher als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des S***** S***** wegen Nichteinrechnung der im Hausarrest zugebrachten Zeit in die Strafzeit über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems a.d. Donau vom 29. Februar 2012, GZ 39 Ns 22/12d-3, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am ***** geborene S***** S***** verbüßt in der Justizanstalt Stein eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von acht Jahren. Am 7. Februar 2012 verweigerte er trotz Abmahnung die ihm zugewiesene Arbeit in der Maurerei der Justizanstalt Stein. Mit rechtskräftigem Straferkenntnis vom 9. Februar 2012 wurde über den Strafgefangenen wegen der Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs 1 Z 7 StVG (gemäß § 109 Z 5, 114 StVG) die Ordnungsstrafe des strengen Hausarrests mit Entzug der Arbeit in der Dauer von vierzehn Tagen verhängt (AS 3 in ON 1), welcher vom 7. Februar 2012, 9.15 Uhr, bis 21. Februar 2012, 9.15 Uhr, vollzogen wurde.

Am 9. Februar 2012 wurde S***** die Gelegenheit gegeben, sich zum bevorstehenden Antrag nach § 115 StVG zu äußern (§ 17 Abs 1 StVG). Er gestand ein, die ihm zugewiesene Arbeit verweigert zu haben, weil er unbeschäftigt mehr verdienen würde, erklärte, gegen einen diesbezüglichen Beschluss kein Rechtsmittel zu ergreifen und verweigerte letztlich die Unterfertigung der Niederschrift (AS 9 in ON 1).

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Landesgericht Krems a.d. Donau als zuständiges Vollzugsgericht (§ 16 Abs 2 Z 6 StVG) über Antrag des Leiters der Justizanstalt Stein aus, dass S***** S***** gemäß § 115 StVG die im Hausarrest zugebrachte Zeit vom 7. Februar 2012, 9.15 Uhr, bis 21. Februar 2012, 9.15 Uhr, nicht in die Strafzeit eingerechnet wird, und begründete dies damit, dass der Strafgefangene durch die Nichtverrichtung der ihm zugewiesenen Arbeit trotz erfolgter Abmahnung die Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs 1 Z 7 StVG begangen hätte, wobei ihm seine Arbeitspflicht bekannt gewesen wäre und er die ihm zugewiesene Arbeit bewusst hätte verweigern wollen.

In seiner dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde (ON 4) bringt der Strafgefangene vor, er habe zwar gesagt, für Euro 25,- nicht Schneeschaufeln zu gehen, sei jedoch nicht abgemahnt worden und habe hiefür drei (namentlich nicht angeführte) Zeugen. Zur Nichteinrechnung in die Strafzeit sei er nicht befragt worden. Er sei auch im Keller laufend provoziert worden bzw. werde nach wie vor von gewissen Beamten provoziert und sei überdies schon dreimal zu Unrecht bestraft worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Gemäß § 44 Abs 1 StVG ist jeder arbeitsfähige Strafgefangene verpflichtet, Arbeit zu leisten; zur Arbeit verpflichtete Strafgefangene haben die Arbeiten zu verrichten, die ihnen zugewiesen werden (Abs 2 erster Satz leg.cit.). Eine Nichtbefolgung der Arbeitsanordnung (§ 26 Abs 1 StVG) kann eine Ordnungswidrigkeit darstellen (Drexler, StVG² § 44 Rz 2).

Gemäß § 115 StVG ist einem Strafgefangenen, der sich durch eine Selbstbeschädigung oder durch eine andere Ordnungswidrigkeit vorsätzlich seiner Arbeitspflicht entzogen hat, die deshalb im Hausarrest zugebrachte Zeit ganz oder teilweise nicht in die Strafzeit einzurechnen. Demnach kann sich der Strafgefangene der Arbeitspflicht durch die Ordnungswidrigkeit der Selbstbeschädigung (§ 107 Abs 1 Z 3 StVG), aber auch durch andere Ordnungswidrigkeiten, insbesondere Flucht, Arbeitsverweigerung und verspätete Rückkehr nach einer Haftunterbrechung oder einem Ausgang (§ 107 Abs 1 Z 1, Z 7 , Z 8 StVG) entziehen (Pieber in WK2 StVG § 115 Rz 1; Zagler, Strafvollzugsrecht (2007), S 196).

Mit der Bestimmung des § 115 StVG wollte der Gesetzgeber der Erfahrung Rechnung tragen, dass die für die vorsätzliche Entziehung von der Arbeitspflicht vorgesehenen Ordnungsstrafen allein keine hinreichende präventive Wirkung entfaltet haben, und u.a. dem schlechten Beispiel der Arbeitsunwilligen entgegensteuern (Pieber aaO Rz 5).

Vom Oberlandesgericht Wien wurde zu AZ 18 Bs 317/09p, 21 Bs 329/09z und 23 Bs 415/11i ausgesprochen, dass die Nichteinrechnung der wegen der Ordnungswidrigkeit nach § 107 Abs 1 Z 7 StVG in Hausarrest verbrachten Zeit nach § 115 StVG einen Verstoß gegen das Verbot der mehrfachen Verfolgung und Verurteilung nach Art 4 Abs 1 des siebenten Zusatzprotokolls zur EMRK darstelle, weil diese Ordnungswidrigkeit - anders als in den Fällen des § 107 Abs 1 Z 1, Z 3, Z 8 StVG – zwingend voraussetze, dass sich der Strafgefangene vorsätzlich seiner Arbeitspflicht entzieht, sodass ein und dasselbe Verhalten (bei Bestrafung mit Hausarrest) zwangsläufig zu zweimaliger Sanktionierung (Hausarrest und Nichteinrechnung der im Hausarrest zugebrachten Zeit in die Strafzeit) führen würde. Dieser Ansicht schließt sich der Beschwerdesenat aus nachfolgenden Gründen nicht an:

Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK bestimmt, dass niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden darf. Voraussetzung ist ein rechtskräftig abgeschlossenes strafrechtliches Verfahren iSd Art 6 EMRK, welches unter Umständen auch ein Disziplinarverfahren sein kann (vgl. Pieber aaO Rz 13, 16).

Das Gericht leitet nach § 115 StVG aber kein neues Disziplinarverfahren wegen derselben „strafbaren Handlung“ ein, mithin kein eigenständiges Verfahren über die Schuld oder Nichtschuld des Strafgefangenen für dieselbe Tat, durch die er sich vorsätzlich seiner Arbeitspflicht entzogen hat, und verhängt weder eine zweite Sanktion desselben Charakters noch eine zur ersten Strafe hinzutretende Zusatzstrafe, sondern entscheidet nur darüber, ob die Zeit des Hausarrests nicht in die Strafzeit einzurechnen ist. Demnach ist das gerichtliche Verfahren wegen Nichteinrechnung ohne vorangegangenes vollzugsbehördliches Verfahren gar nicht denkbar, setzt vielmehr das Ordnungsstrafverfahren voraus und klärt die Rechtsfolgen des Straferkenntnisses (Pieber aaO Rz 16).

Das Ordnungsstrafverfahren der Vollzugsbehörde und das Verfahren des Vollzugsgerichts stellen daher eine materielle – aufgrund der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit für die Frage der Nichteinrechnung nur prozessual getrennte – Einheit dar; wurde im Verfahren wegen der Ordnungswidrigkeit, durch die sich ein Strafgefangener vorsätzlich seiner Arbeitspflicht entzogen hat, die Strafe des einfachen oder strengen Hausarrests verhängt, ist das Verfahren mit Rechtskraft des Strafausspruchs des Hausarrests in bestimmter Hinsicht noch nicht beendet, sondern in Bezug auf die Frage der Nichteinrechnung in die Strafzeit noch offen (Pieber aaO Rz 16).

Das Vollzugsgericht hat zu prüfen, ob dem Strafgefangenen der im § 115 StVG genannte Vorsatz zur Last fällt. Wird der Vorsatz bejaht, hat es nach Strafzumessungsgesichtspunkten darüber zu entscheiden, ob die im Hausarrest zugebrachte Zeit ganz oder teilweise nicht in die Strafzeit einzurechnen ist.

Der (bedingte) Vorsatz des Strafgefangenen S*****, sich durch die Ordnungswidrigkeit (der Nichtverrichtung einer ihm zugewiesenen Arbeit trotz Abmahnung) der Arbeitspflicht zu entziehen, ergibt sich aus dem äußeren Geschehen (siehe AS 5 in ON 1), zumal der Strafgefangene wusste, dass er im Betrieb Maurerei zur Arbeit eingeteilt war, die Anweisung, den Maurereihof mittels Schneeschaufel zu räumen, mit den Worten „Na geh, um des wenige Göd geh i doch net do aussi Schneeschaufeln, des moch i sicher net!“ kommentierte und sich selbst nach Abmahnung gemäß § 108 Abs 1 StVG, erneuter Aufforderung, seiner ihm zugewiesenen Arbeit nachzukommen, und gutem Zureden nicht zur Arbeit bewegen ließ, sondern unter anderem vermeinte: „Na, des kennts eich schenken, i geh do sicher net aussi Schneeschaufeln. I sicher net. Und mir is des wuascht, i verweigert die Scheiß Hockn.“

Grundlage dafür, in welchem Ausmaß die wegen einer Ordnungswidrigkeit verhängte Ordnungsstrafe des Hausarrests gemäß § 115 StVG nicht in die Strafzeit eingerechnet wird (die Ablehnung jeglicher Nichteinrechnung trotz Bejahung der Voraussetzungen hiefür stünde mit dem Gesetz nicht im Einklang; Mayerhofer, Nebenstrafrecht 5 , StVG § 115 E 11), ist stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat, wobei insbesondere immer auf die Zwecke des Strafvollzugs Bedacht zu nehmen ist. Auch können bisher wegen anderer Ordnungswidrigkeiten verhängte Ordnungsstrafen oder die bereits für die Strafe des Hausarrests von der Vollzugsbehörde zutreffend herangezogenen Strafzumessungsgründe berücksichtigt werden (Pieber aaO RZ 9).

Unter Berücksichtigung des Umstands, dass beim Strafgefangenen abgesehen vom Anlassfall bereits sieben Ordnungswidrigkeiten geahndet wurden, wobei zwei in den Jahren 2011 und 2012 verhängte Ordnungsstrafen in Form jeweils siebentägigen strengen Hausarrests nicht bewirkten, S***** von künftigen Verfehlungen nach § 107 StVG abzuhalten, erweist sich die von ihm begangene Ordnungswidrigkeit als derart gewichtig, dass es im Hinblick auf das hiedurch für seine Mitgefangenen gegebene schlechte Beispiel bei einem durch Disziplin gekennzeichneten Strafvollzug aus den Gründen der Spezial- und insbesondere der Generalprävention der Nichteinrechnung der gesamten vom Beschwerdeführer deshalb im strengen Hausarrest zugebrachten Zeit in die Strafzeit bedarf.

Da eine zu strenge Ermessensausübung dem angefochtenen Beschluss somit nicht zugrundelag, war der Beschwerde des Strafgefangenen ein Erfolg zu versagen.

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