9Rs9/12b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Blaszczyk als Vorsitzende, den Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Sonntag und die Richterin des Oberlandesgerichtes Mag. Derbolav-Arztmann (Senat gemäß § 11a Abs 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****, vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei *****, vertreten durch Dr. Alexandra Knell, Rechtsanwältin in Wien, wegen Wochengeld, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 5.12.2011, 32 Cgs 281/10p-17, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Vorlage der außerordentlichen Revision der klagenden Partei an den Obersten Gerichtshof aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens stellen Kosten des Revisionsverfahrens dar.
Text
Begründung:
Mit Urteil vom 29.3.2011 wies das Erstgericht das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Klägerin für die Zeit vom 20.2.2008 bis 28.7.2008 Wochengeld in Höhe von EUR 19.904,-- zustehe und dieser Betrag zu Recht von der Beklagten an die Klägerin bezahlt worden sei, und festzustellen, dass „der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2010 rechtswidrig sei“, ab und verpflichtete die Klägerin, der Beklagten das zu Unrecht bezogene Wochengeld in Höhe von EUR 19.904,-- binnen vier Wochen zurückzuzahlen (ON 9).
Das Berufungsgericht gab den gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen der Klägerin und der Nebenintervenientin mit Urteil vom 18.8.2011 (ON 15) nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsurteil wurde den Parteien am 11.10.2011 zugestellt.
Die Klägerin brachte am 24.10.2011 eine außerordentliche Revision gegen das Berufungsurteil ein. Auf der außerordentlichen Revision fehlte der Übersendungsvermerk gemäß § 112 ZPO.
Mit Beschluss vom 3.11.2011 erließ das Erstgericht einen Verbesserungsauftrag an die Klägerin mit einer Frist von drei Tagen mit dem bloßen Inhalt „auf § 112 ZPO wird hingewiesen“. Dieser Verbesserungsauftrag wurde der Klagevertreterin am 8.11.2011 zugestellt. Eine weitere Eingabe der Klägerin an das Erstgericht erfolgte nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die außerordentliche Revision zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, auf außerordentliche Revisionen finde § 112 ZPO Anwendung, weil sie weder dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellen seien noch durch deren Zustellung eine Notfrist in Lauf gesetzt werde, weil die Revisionsbeantwortung erst nach deren Freistellung durch den Obersten Gerichtshof erstattet werden dürfe. Im Schrifttum sei umstritten, ob die Unterlassung des Übersendungsvermerkes allein schon einen verbesserungsbedürftigen Mangel darstelle oder ob es ausschließlich darauf ankomme, ob der Schriftsatz tatsächlich nicht gemäß § 112 ZPO zugestellt worden sei. Da aber die Klagevertreterin trotz des Verbesserungsauftrages nicht dahingehend reagiert habe, dem Gericht mitzuteilen, dass die Direktzustellung dennoch vorgenommen worden sei, sei davon auszugehen, dass die Direktzustellung nicht erfolgt sei. Die Meinung, es komme nur darauf an, ob der Schriftsatz tatsächlich nicht gemäß § 112 ZPO zugestellt worden sei, hätte zur Konsequenz, dass das Gericht, welches einen Formmangel überprüfe, ein möglicherweise auch umfangreiches Ermittlungsverfahren anstellen müsste, ob die Direktzustellung trotz Unterlassung des Vermerkes doch durchgeführt worden sei. Dies scheine jedoch dem Sinn von Formvorschriften zu widersprechen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die Vorlage des Rechtsmittels an das Rechtsmittelgericht aufzutragen.
Die Beklagte hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Die Klägerin führt in ihrem Rekurs zusammengefasst aus, sie habe dem Verbesserungsauftrag fristgerecht Folge geleistet und die außerordentliche Revision am 9.11.2011 der Beklagten und der Vertreterin der Nebenintervenientin zugestellt. Dazu legte sie im Anhang zum Rekurs Nachweise vor. § 112 ZPO sei hier nicht anzuwenden, weil es sich bei dem Rechtsmittel um einen zu eigenen Handen zuzustellenden Schriftsatz handle und dieser fristauslösend sei.
Dazu hat das Rekursgericht erwogen:
Soweit das Erstgericht im angefochtenen Beschluss darauf hinweist, dass die außerordentliche Revision nicht ausdrücklich die bekämpfte Entscheidung bezeichne, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Unterbleiben der Bezeichnung des bekämpften Berufungsurteiles unschädlich ist, wenn wenigstens die betroffene Rechtssache genannt ist (vgl Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 506 Rz 2 mwN).
Das Erstgericht legte dem angefochtenen Beschluss zugrunde, dass eine außerordentliche Revision vom Anwendungsbereich des § 112 ZPO erfasst werde. Dies ist nicht zutreffend. Gemäß § 507 Abs 2 ZPO hat das Erstgericht vor Vorlage der Revision – ungeachtet deren Art – stets die Zustellung einer Gleichschrift an den Revisionsgegner zu bewirken (vgl Zechner aaO § 507b Rz 1; Kodek in Rechberger 3 § 507 Rz 3). Diese Regelung schließt als speziellere Regelung die Anwendbarkeit des § 112 ZPO aus, auch wenn die Zustellung einer außerordentlichen Revision keine Notfrist auslöst. Selbst wenn diese Auffassung nicht zutreffen sollte, war die Zurückweisung durch das Erstgericht aber aus folgenden Überlegungen verfehlt:
Popp (Die neue „Zustellung“ zwischen Rechtsanwälten im Zivilprozess, RdW 2000, 523 [526]) vertritt die Auffassung, der Übersendungsvermerk gemäß § 112 ZPO sei ein durch die standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes besonders verstärktes Indiz dafür, dass die Übersendung tatsächlich stattgefunden habe. Er bilde für den Richter die einzige Möglichkeit, den Schriftsatzverkehr zwischen den Parteien mitzuverfolgen, und den einzigen Anhaltspunkt bei der Beurteilung der Frage, ob eine bereits anberaumte Tagsatzung nach § 139 ZPO zu erstrecken sei. Das Fehlen des Übersendungsvermerkes hindere also die ordnungsgemäße geschäftliche Behandlung des bei Gericht überreichten Schriftsatzes und der fehlende Vermerk sei in einem Verbesserungsverfahren nach den §§ 84f ZPO nachzuholen.
Stumvoll in Fasching/Konecny 2 II/2 § 112 ZPO Rz 15 vertritt dazu die Auffassung, das Gericht könne in jedem Fall im Verbesserungsweg die Zustellung dem durch § 112 ZPO verpflichteten Rechtsanwalt auftragen oder einen fehlenden Übersendungsvermerk abfordern. Je nach Verfahrenslage könne eine Zustellung der Gleichschrift durch das Gericht Verfahrensaufwand vermeiden helfen.
Kodek aaO §§ 84, 85 Rz 84f schließt sich der Auffassung von Popp und Stumvoll an. Der fehlende Vermerk sei in einem Verbesserungsverfahren nachzuholen. Dies könne durch Zurückstellung des Schriftsatzes erfolgen, aber auch eine telefonische Rückfrage beim Anwalt und das Festhalten des Ergebnisses in einem Aktenvermerk reiche wohl aus. Sei nicht bloß der Übersendungsvermerk, sondern die direkte Zustellung unterblieben, so sei nach dem Wortlaut des § 112 ZPO wohl gleichfalls ein Verbesserungsverfahren durchzuführen. Diesfalls sei die Vornahme der Zustellung durch das Gericht zweckmäßiger, weil die Direktzustellung in einem derartigen Fall keinen verminderten, sondern einen erhöhten Aufwand und eine Verzögerung mit sich bringe.
Demgegenüber vertritt Gitschthaler in Rechberger 3 §§ 84-85 Rz 6 die Auffassung, kleinliche Formalismen seien zu vermeiden, weil die Frage maßgeblich sei, ob der Schriftsatz dem Gegenvertreter tatsächlich übermittelt worden sei, oder nicht.
Das Rekursgericht folgt dieser materiellen Betrachtungsweise von Gitschthaler . Bei der Zustellung einer außerordentlichen Revision stellt sich das von Popp aufgeworfene Problem nach § 139 ZPO nicht. Auch der vom Erstgericht ins Treffen geführte hohe Ermittlungsaufwand stellt kein taugliches Argument dar, weil bei Unterlassung des Übersendungsvermerkes eine einfache Aufforderung zur Bescheinigung der Zustellung an den Gegenvertreter ausreichend ist.
Ausgehend davon, dass alleine maßgeblich ist, ob der Schriftsatz dem Gegenvertreter tatsächlich übermittelt worden ist, liegt hier ein Mangel nicht vor, weil die Klägerin im Rekurs bescheinigt hat, dass die Direktzustellung an die Beklagte und auch an die Vertreterin der Nebenintervenientin innerhalb der Verbesserungsfrist erfolgt sei. Die ursprüngliche Mangelhaftigkeit wurde damit auftragsgemäß beseitigt. Die Beseitigung dieses Mangels hat die Klägerin dem Erstgericht zwar nicht mitgeteilt, was von diesem in dem kursorisch gehaltenen Verbesserungsauftrag allerdings auch nicht verlangt worden war. Es kommt jedenfalls im vorliegenden Fall daher ausschließlich darauf an, dass dem Verbesserungsauftrag Folge geleistet wurde.
Im Übrigen würde die Nichtübersendung der außerordentlichen Revision an die Gegenpartei eine geschäftsordnungsgemäße Behandlung des Rechtsmittels nicht hindern: In 2 Ob 197/10z führte der Oberste Gerichtshof aus, dass ein Verstoß gegen § 112 ZPO bei Rekursbeantwortungen die Berücksichtigung derselben durch den Obersten Gerichtshof nicht ausschließe und verwies darauf, dass dem Gegner ohnehin keine Replik auf die Rekursbeantwortungen zugestanden wäre. Auch im vorliegenden Fall hätte die Zustellung der außerordentlichen Revision an die Beklagte kein Recht auf Erstattung einer Revisionsbeantwortung ausgelöst, weil diese erst nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof zulässig gewesen wäre (§ 508a Abs 2 ZPO).
Dem berechtigten Rekurs war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Vorlage der außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof aufzutragen (§ 507b Abs 3 ZPO).
Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 2 ASGG, 52 ZPO. Die Rekurskosten stellen weitere Kosten des Revisionsverfahrens dar ( Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/1 § 507 Rz 11).
Ein Ausspruch über die Zulässigkeit des Revisionsrekurses konnte unterbleiben, weil ein solcher nicht zulässig ist. Der Revisionsgegner ist vielmehr darauf beschränkt, seine Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Revision nach erfolgter Annahme der Revision in der Revisionsbeantwortung zu erheben (RIS-Justiz RS0043667, SZ 25/323).