10Ra114/11z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Ciresa als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Atria und Mag. Koch in der Rechtssache der Klägerin Dr. H***** B***** , R***** Wien, vertreten durch Dr. Karl Claus Mag. Dieter Berthold, Rechtsanwaltspartnerschaft KEG in Mistelbach, wider die beklagte Partei Stadt W***** , ***** , vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Dr. Stefan Kühteubl, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 26.759,87 sowie Feststellung der Haftung (Streitwert nach RATG: EUR 18.000,--), über den Rekurs der Klägerin (Rekursinteresse: EUR 40.179,12) gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25.7.2011, 32 Cga 23/08y-40, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 1.342,80 (darin EUR 223,80 USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Zum bisherigen Verfahrensverlauf wird auf die Beschlüsse des Erstgerichts ON 8 (in der Folge des Rekursgerichts ON 16 und des Obersten Gerichtshofes ON 22) sowie ON 27 (in der Folge des Rekursgerichtes ON 31) verwiesen.
Nach diesen Beschlüssen ist davon auszugehen, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, durch Weisung auf Direktor Dr. S***** einzuwirken, dass dieser künftig diskriminierende Handlungen durch Drohungen, vergleichbar mit dem Vorfall vom 23.5.2005, unterlässt, wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen wurde; hingegen wurde die von der beklagten Partei erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zu den Klagebegehren auf Feststellung der Haftung und auf Zahlung verworfen.
Zuletzt (bis zur Verhandlung vom 16.6.2011) war nach den vom Erstgericht zugelassenen Klageänderungen streitgegenständlich das Begehren auf Zahlung von EUR 26.759,87 brutto (EUR 25.007,04 an entgangenen Überstundenentgelten für den Zeitraum vom 29.4.2005 bis einschließlich Dezember 2007 sowie EUR 1.752,83 an entgangenen Klassegebühren für den Zeitraum vom 10.9.2007 bis einschließlich Oktober 2007) sowie auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für zukünftige Schäden „durch die von der beklagten Partei diskriminierenden Verhaltensweisen in Form einer faktischen Amtsenthebung, welcher kein verwaltungsbehördliches Verfahren vorangegangen ist“ (ON 25 und 26).
In der Tagsatzung vom 16.6.2011 dehnte die Klägerin das Zahlungsbegehren um einen mittlerweile neu entstandenen Schadenersatzanspruch als Amtshaftungsanspruch wegen entgangener Überstunden für die Jahre 2008 bis 2011 sowie wegen entgangener Sonderklassegebühren für den Zeitraum bis einschließlich Mai 2011 auf insgesamt EUR 66.938,99 netto (zuvor EUR 26.759,87 brutto) aus. Das Feststellungsbegehren wurde unverändert aufrecht gehalten. Die beklagte Partei sprach sich gegen die Zulässigkeit der Klagsänderung bzw Klagsausdehnung aus und wies insbesondere auf den Mangel der sachlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes hin (ON 38).
Mit dem nun angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht die in der Tagsatzung vom 16.6.2011 vorgebrachte Klagsausdehnung nicht zugelassen; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass eine Klagsänderung gemäß § 235 Abs 3 ZPO vom Prozessgericht keinesfalls zugelassen werden könne, wenn für ein geändertes – insbesondere ausgedehntes – Klagebegehren ein anderes als das Prozessgericht – wie hier zu dem geltend gemachten Amtshaftungsanspruch gemäß § 9 Abs 1 AHG ein Landesgericht als allgemeines Zivilgericht – zuständig wäre. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das angerufene Gericht über das bisherige Zahlungsbegehren zu verhandeln habe; die beklagte Partei habe sich jedenfalls rechtzeitig (§ 104 Abs 3 JN) gegen die Klagsänderung ausgesprochen und die sachliche Unzuständigkeit im Hinblick auf das ausgedehnte Klagebegehren eingewandt.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, die in der Tagsatzung vom 16.6.2011 erfolgte „Klagserweiterung“ zuzulassen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer – gemäß § 521a Abs 1 ZPO zulässigen – Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1. Der Behandlung des Rekursvorbringens ist voranzustellen, dass die Klägerin, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur beklagten Partei steht, mit der vorliegenden Klage gegen die beklagte Partei Schadenersatzansprüche geltend macht, die als Amtshaftungsansprüche zu qualifizieren sind. Die vorliegende Rechtssache ist daher keine Arbeitsrechtssache nach § 50 ASGG und kommen somit die Bestimmungen des ASGG nicht zur Anwendung, da § 1 ASGG auf die Qualifikation der Rechtssache (als Arbeitsrechtssache oder Sozialrechtssache) abstellt und nicht darauf, ob das angerufene bzw zur Entscheidung berufene Gericht ein Gerichtshof als Arbeits- und Sozialgericht ist (Neumayr in ZellKomm² § 1 ASGG Rz 2). Zutreffend hat das – infolge Heilung gemäß § 104 Abs 3 JN zuständig gewordene – Erstgericht somit das Verfahren in der Folge unter Außerachtlassung der Bestimmungen des ASGG geführt.
2. Gemäß § 235 Abs 3 ZPO kann das Gericht eine Klagsänderung selbst nach Eintritt der Streitanhängigkeit und ungeachtet der Einwendungen des Gegners zulassen, wenn durch die Änderung die Zuständigkeit des Prozessgerichtes nicht überschritten wird und aus ihr eine erhebliche Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung nicht zu besorgen ist.
Die Klägerin hat in der Verhandlung vom 16.6.2011 eindeutig eine Klageänderung vorgenommen, hat sie doch das Zahlungsbegehren quantitativ erweitert (Rechberger/Klicka in Rechberger³, § 235 ZPO Rz 2). Die Ausführungen der Rekurswerberin, wonach sie mit ihrem Vorbringen zur Rechtswidrigkeit ihrer definitiven Amtsenthebung am 10.9.2007 keinen neuen Klagegrund vorgebracht habe, gehen daher ins Leere.
Das Rekursgericht teilt auch die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach eine Klagsänderung, die zur Überschreitung der Zuständigkeit des Prozessgerichtes führt, gegen den Widerspruch des Beklagten auch dann nicht zugelassen werden kann, wenn die Unzuständigkeit für das ursprüngliche Begehren mangels Einrede geheilt war (so auch OLG Wien 28.3.1990, 14 R 291/89 = WR 432 = Klauser/Kodek ZPO 16 § 235 ZPO E 22). Gegen diesen Befund bringt die Rekurswerberin auch kein Argument vor.
Da sich die Klagsänderung auf Grund der Überschreitung der Zuständigkeit des Prozessgerichts als jedenfalls unzulässig erweist, ist auf die weiteren Ausführungen der Rekurswerberin zu einer nicht gegebenen Erschwerung oder Verzögerung der Verhandlung nicht näher einzugehen.
Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.
3. Das Erstgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss lediglich über die (quantitative) Erweiterung des Klagebegehrens als Klagsänderung entschieden. Auf Grund der Erörterung zwischen dem Erstgericht und den Parteien in der Verhandlung vom 16.6.2011 zu den von der Klägerin bis zur Klagsänderung vorgebrachten Anspruchsgrundlagen (ON 38, S 2) wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin bereits in ihrer Klage (ON 1, Seite 5) sowie in ihrem vorbereitenden Schriftsatz vom 6.5.2008 (ON 3, Seite 3) auf die ihrer Meinung nach rechtswidrige definitive Abberufung von ihrer Leitungsfunktion (der Krankenhausambulanz für Physikalische Medizin im ***** durch die mündliche Dienstanweisung vom 10.9.2007 hingewiesen hat. Die Bezugnahme der Klägerin auf die definitive Enthebung vom 10.9.2007 als anspruchsbegründend ist daher keine Klagsänderung und auch nicht vom vorliegenden Beschluss umfasst.
4. Die Parteien sind sich in Bezug auf die Zulässigkeit der Klagsänderung im erstinstanzlichen Verfahren wie auch im Rekursverfahren mit widerstreitenden Anträgen gegenübergestanden. Es liegt damit ein kostenrechtlich selbstständiger Zwischenstreit vor (Klauser/Kodek aaO § 52 ZPO E 9). Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO und die von der beklagten Partei in ihrer Rekursbeantwortung verzeichneten Kosten.
Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf § 528 Abs 2 Z 2 ZPO (Klauser/Kodek aaO § 528 ZPO E 81 in Bezug auf die konforme Nichtzulassung einer Klagsänderung).