4R490/11z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Werner Hofmann und die Richterin Mag. Martina Elhenicky in der Firmenbuchsache der H***** GmbH , *****Wien, wegen Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 , über die Rekurse der Gesellschaft und des Geschäftsführers S***** R*****, beide vertreten durch Arnold Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beschlüsse des Handelsgerichtes Wien vom 21.7.2011, 72 Fr 12117/11v-3 u. 4, 72 Fr 12118/11f-3 u. 4 und 72 Fr 12541/11s-3 u. 4, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Den Rekursen wird Folge gegeben.
a) Die angefochtenen Beschlüsse zu 72 Fr 12118/11v und 72 Fr 12541/11s werden ersatzlos behoben.
b) Die angefochtenen Beschlüsse zu 72 Fr 12117/11t werden aufgehoben und die Sache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Im Firmenbuch des Handelsgerichtes Wien ist zu FN 313077h die H***** GmbH mit dem Sitz in Wien eingetragen. Geschäftsführer ist seit 20.8.2008 S***** R*****. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. Dezember.
Mit Zwangsstrafverfügungen vom 30.6.2011 verhängte das Handelsgericht Wien über die Gesellschaft und den Geschäftsführer jeweils die gemäß § 283 Abs 2 UGB vorgesehene Zwangsstrafe von EUR 700,-- wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 „bis zum 28.2.2011 (Stichtag dieser Zwangs strafverfügung)“ (72 Fr 12117/11t-1 u. 2), und gleich zeitig auch die gemäß § 283 Abs 4 UGB vorgesehene weitere Zwangsstrafe von EUR 700,--, weil die Offenlegung „bis zum 30.4.2011 (Stichtag dieser Zwangsstrafverfügung)“ noch immer nicht erfolgt war (72 Fr 12118/11v-1 u. 2).
In ihren dagegen erhobenen, rechtzeitigen Einsprüchen (jeweils ON 1a und 2a) brachten die Gesellschaft und der Geschäftsführer vor, dass es ihnen nicht möglich gewesen sei, ihrer Offenlegungspflicht nachzukommen. Der Geschäftsführer habe von seinem vorherigen Wirtschaftstreuhänder notwendige Unterlagen zur Fertigstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 nicht rechtzeitig erhalten, da sich dieser die Unterlagen beharrlich zurückbehalten habe. Die Unterlagen seien erst am 6.7.2011 an den (offenbar: nunmehrigen) Steuerberater übermittelt worden, sodass dieser am 7.7.2011 den Jahresabschluss 2009 habe offen legen können. Tatsächlich wurde der ausständige Jahresabschluss am 7.7.2011 zum Firmenbuch eingereicht.
In den Einsprüchen zu 72 Fr 12118/11v führten die Gesellschaft und der Geschäftsführer überdies aus, die wiederholte Verhängung von Zwangsstrafen setze voraus, dass die Gesellschaftsorgane ihren Pflichten nach je weiteren 2 Monaten noch immer nicht nachgekommen seien. Da sie innerhalb der Frist von 2 Monaten den Jahresabschluss elektronisch übermittelt hätten, seien die weiteren Zwangsstrafverfügungen rechtswidrig.
Schon am 6.7.2011 verhängte das Handelsgericht Wien mit weiteren Strafverfügungen gemäß § 283 Abs 4 UGB (72 Fr 12541/11s-1 u. 2) je eine weitere Zwangsstrafe von EUR 700,-- über die Gesellschaft und den Geschäftsführer wegen der noch immer nicht erfolgten Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 „bis zum 30.6.2011 (Stichtag dieser Zwangsstrafverfügung)“.
Auch dagegen erhoben die Gesellschaft und der Geschäftsführer jeweils Einspruch (ON 1a und 2a) mit der selben Begründung wie zuvor.
Mit den angefochtenen Beschlüssen verhängte das Handelsgericht Wien im ordentlichen Verfahren neuerlich Zwangsstrafen von je EUR 700,-- über die Gesellschaft und den Geschäftsführer wegen nicht rechtzeitiger Einreichung des Jahresabschlusses innerhalb der Offenlegungsfrist (72 Fr 12117/11t-3 u. 4), im Zeitraum vom 1.3. bis 30.4.2011 (72 Fr 12118/11v-3 u. 4) und im Zeitraum vom 1.5. bis 30.6.2011 (72 Fr 12541/11s-3 u. 4). In seinen bis auf die Angabe der „Strafperioden“ gleich lautenden Begründungen verwies das Erstgericht auf die Pflicht zur Einreichung der in den §§ 277 bis 279 UGB angeführten Unterlagen spätestens 9 Monate nach dem Bilanzstichtag und bemerkte, dass sich der Geschäftsführer zur Erstellung des Jahresabschlusses eines Steuerberaters bedienen, ihn aber aufgrund seiner zur Verfügung stehenden Unterlagen (Kopien) auch selbst erstellen könne.
Gegen diese Beschlüsse richten sich die Rekurse der Gesellschaft und des Geschäftsführers (jeweils ON 5) mit den Anträgen, die Zwangsstrafverfahren einzustellen, hilfsweise die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück zu verweisen. Darüber hinaus regen sie an, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung von Teilen des § 283 UGB in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011 zu beantragen und ein Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) einzuleiten, und beantragen, das Verfahren bis zum Vorliegen der Entscheidung des EuGH über ein vom Oberlandesgericht Innsbruck eingeleitetes Vorabentschei dungsverfahren zu unterbrechen.
Die Rekurse sind im Sinne der hilfsweise gestellten Aufhebungsanträge berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Offenlegungspflicht und EU-Recht:
Schon das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften (und gemäß § 283 Abs 7 UGB seit 1.1.2011 auch diese Gesellschaften selbst) den Jahresabschluss und Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate Governance-Bericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen (offen zu legen) haben. Auch auf kleine Gesellschaften mit beschränkter Haftung (§ 221 Abs 1 UGB) ist § 277 UGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass die gesetzlichen Vertreter nur die Bilanz und den Anhang einzureichen haben (§ 278 Abs 1 UGB).
Diese Offenlegungspflicht wurde in Umsetzung ein schlägiger EU-Richtlinien geschaffen (1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 - „Publizitäts richtlinie“; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 – „Bilanzrichtlinie“), die ihrerseits auf Art 44 Abs 2 lit g EG-V beruhen. Diese detaillierten Regelungen lassen dem nationalen Gesetzgeber einen nur sehr geringen Umsetzungsspielraum; er hat dafür zu sorgen, dass die Einhaltung der Offenlegungsverpflichtungen durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen abgesichert werde. Die Gestaltung dieser Sanktionen überlassen die Richtlinien dem nationalen Gesetzgeber, sodass nur unverhältnismäßige und damit unsachliche Strafen unzulässig wären (vgl. OGH 09.03.2000, 6 Ob 5/00d mwN).
Das Verfahren zu 3 R 119/11s, 120/11p des OLG Innsbruck und die dort vom OLG Innsbruck durchgeführte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) betraf die inländische Zweigniederlassung einer ausländischen Kapital gesellschaft und daher § 280a UGB. Die dort an den EuGH gestellten Fragen sind nur für ausländische Kapitalgesellschaften, die von ihrem Niederlassungsrecht im Sinn der Art 49, 54 AEUV durch Gründung einer inländischen Zweigniederlassung und deren Eintragung in das österreichische Firmenbuch Gebrauch machen, relevant: Denn nur von diesen Gesellschaften und ihren vertretungsbefugten Organen kann unter Umständen (im Anlassfall betrug die Offenlegungsfrist nach § 325 dHGB etwa 12 Monate) nicht die Kenntnis der österreichischen Rechnungslegungs- und Sanktionsregeln der §§ 277 ff, 280a und 283 UGB idF BBG 2011 und 24 Abs 3 FBG idF BBG 2011 verlangt werden. Die dort vom OLG Innsbruck angestellten Erwägungen können für ein Zwangsstrafverfahren über eine inländische Kapitalgesell schaft und über ihren inländischen Geschäftsführer nicht fruchtbar gemacht werden (OLG Innsbruck 3 R 172/11k), weshalb weder ein Anlass für die angeregte Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens noch für eine Verfahrensunterbrechung bis zur Entscheidung des EuGH besteht.
Die gesetzliche Neunmonatsfrist für die Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 endete am 30.09.2010; aufgrund der Übergangsbestimmung des § 906 Abs 23 UGB stand den Rekurswerbern ausnahmsweise eine Nachfrist bis 28.2.2011 zur Verfügung (vgl. RIS-Justiz RW0000500). Tatsächlich wurde der Jahresabschluss erst nach Ergehen der Zwangsstrafverfügungen am 07.07.2011 nachgereicht.
2. Durchsetzung der Offenlegungspflicht
Das Verfahren zur Durchsetzung der Offen legungspflicht wurde mit Wirkung ab 1.3.2011 grundlegend reformiert. Bislang war stufenweise vorzugehen: als erster Schritt nach Ablauf der neunmonatigen Offenlegungsfrist war eine Nachfrist, verbunden mit einer Strafandrohung, zu setzen; erst nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist durfte die angedrohte Strafe verhängt werden. Gemäß § 283 Abs 1 UGB in seiner am 1.1.2011 in Kraft getretenen Fassung ist nun die Zwangsstrafe sofort nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Dabei ist nach § 283 Abs 2 UGB so vorzugehen, dass ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von EUR 700,- verhängt wird, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt und auch nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist.
Von einer Zwangsstrafverfügung kann nur abgesehen werden, wenn der Geschäftsführer offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegen stand, zugewartet werden.
Gegen die Zwangsstrafverfügung können der Geschäftsführer und die Gesellschaft binnen 14 Tagen Einspruch erheben. Darin sind die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzuführen. Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist dann im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann – ohne vorherige Androhung – wieder eine Zwangsstrafe von EUR 700,- bis EUR 3.600,- verhängt werden.
Ist die Offenlegung innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des letzten Tages der Offenlegungsfrist noch immer nicht erfolgt, so ist gemäß § 283 Abs 4 UGB durch Strafverfügung eine weitere Zwangsstrafe von EUR 700,- zu verhängen. Das Gleiche gilt bei Unterbleiben der Offenlegung für jeweils weitere zwei Monate; wird gegen eine solche Zwangsstrafverfügung Einspruch erhoben, so ist der Beschluss über die verhängte Zwangsstrafe zu veröffentlichen.
3. Unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis
Welche Einspruchsgründe zur Einstellung des Zwangsstrafverfahrens nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens führen können, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, dass es sich dabei – abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen der ohnehin rechtzeitigen Offenlegung, des Nichtbestehens einer Offenlegungsverpflichtung oder der dauerhaften Unmöglichkeit der Offenlegung – ebenfalls nur um unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse im Sinn des § 283 Abs 2 UGB handeln kann, die hier zwar nicht offenkundig sein, aber jedenfalls die Organe an der fristgerechten Offenlegung gehindert haben müssen.
Zur Beantwortung der Frage, was unter einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ zu verstehen ist, kann auf die reichhaltige Lehre und Rechtsprechung zu § 146 ZPO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zurückgegriffen werden, wo der selbe Begriff verwendet wird. Auch die Gesetzesmaterialien (981 d.B. XXIV. GP, zu Art 34) verweisen darauf:
Unter Ereignis ist demnach in der Regel jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verstehen ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 146 ZPO Rz 4). Unvorhergesehen ist es dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr bzw. ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab); die Partei muss aber alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Prozesshandlung fristgerecht vornehmen zu können. Der Begriff „unvorhergesehen“ ist somit durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen ( Deixler-Hübner aaO, Rz 6). Mangels einer dem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO vergleichbaren Bestimmung reicht im Zwangsstrafverfahren – wie bisher (RIS-Justiz RS0123571) - schon ein minderer Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) aus, um die Unvorhersehbarkeit zu beseitigen. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt durch die Partei nicht verhindert werden konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (objektives Kriterium; Deixler-Hübner aaO Rz 7).
Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis muss für die konkrete Versäumung auch kausal sein. Nur wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann dies einen tauglichen Einspruchsgrund darstellen. Die Gesellschaftsorgane sind daher verpflichtet, alles zu tun, um trotz des eingetretenen Ereignisses den Jahresabschluss rechtzeitig einzureichen. Es muss von ihnen erwartet werden, dass sie dabei alles unternehmen, was ihnen persönlich zugemutet werden kann, um die rechtzeitige Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten , wenn auch dabei der Bogen der Zumutbarkeit nicht überspannt werden darf (vgl. zum Wiedereinsetzungsverfahren Deixler-Hübner aaO, RZ 8 mwN; in diesem Sinne, wenn auch mit etwas anderer Begründung, schon die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 283 UGB, vgl. wiederum RIS-Justiz RS0123571).
4. Zurechnung von Hilfspersonen:
Nach der noch zur alten Rechtslage ergangenen Recht sprechung des Rekursgerichtes (vgl. zuletzt etwa 4 R 335/10d mwN) müssen sich die Organe (und damit auch die Gesellschaft selbst) das Verschulden einer Hilfsperson wie ein eigenes zurechnen lassen . Es wäre nämlich mit der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Effizienz des Zwangs strafverfahrens nicht vereinbar, wenn die zur Offenlegung verpflichteten Personen und Gesellschaften jene strengen Anforderungen, die bei der Erfüllung der Offenlegungs pflicht an sie gestellt werden, durch Beiziehung von Hilfspersonen auf bloße Überwachungspflichten reduzieren könnten. Der Gesetzeszweck einer effizienten Durchsetzung der Offenlegungspflicht darf nicht dadurch unterwandert werden, dass bei Verschulden von Hilfspersonen die Verhängung einer Zwangsstrafe zu unterbleiben hätte, obwohl der betreffende Jahresabschluss noch immer nicht offen gelegt ist.
An dieser Rechtsprechung, die sich mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zum Wiedereinsetzungsverfahren (RIS-Justiz RS0111777) deckt, ist nach Inkrafttreten der Neufassung des § 283 UGB umso mehr festzuhalten, als der Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich Analogien zum Wiedereinsetzungsverfahren in das Zwangsstrafverfahren eingeführt hat („unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis“). Der Oberste Gerichtshof hat sich in seinen Entscheidungen zur Gehilfenzurechnung im Wiederein setzungsverfahren (vgl. etwa 1 Ob 373/98d = SZ 72/51) auf die wohlbegründete und überzeugende Lehrmeinung Ertls ( „Der Wiedereinsetzungswerber und seine Gehilfen“ in RZ 1998, 3) gestützt. Dieser kommt aufgrund einer teleologischen Interpretation des § 146 ZPO zum Ergebnis, dass sich ein Wiedereinsetzungswerber nicht nur das eigene (grobe) Verschulden, sondern auch das seines Anwalts und dessen Substituten, Konzipienten und Kanzleikräften zurechnen lassen muss, und zwar unabhängig von einem allfälligen Organisationsverschulden des Anwalts:
„Würde dem Wiedereinsetzungswerber das Verschulden all dieser Hilfspersonen nicht zugerechnet, dann bleibt es nämlich im Anwaltsprozess sanktionslos, was böse Folgen für die zügige Führung von Prozessen hat und der Gegenpartei nicht zugemutet werden soll. Das gilt nicht nur für die eigentlichen Vertretungshandlungen, sondern auch für die zugehörigen Vorbereitungshandlungen. Hätte die Partei ihren Prozess nicht in die Hände des Anwalts gelegt, sondern ihn selbst geführt, so wäre es ihre Sache, die eigenen Hilfspersonen – also etwa die eigene Kanzlei – zu überwachen oder deren Tätigkeit eben selbst auszuüben, womit sie jedenfalls durch § 146 ZPO zu sanktionieren wäre.“
Diese Überlegungen sind – bei aller Unterschiedlichkeit zwischen der Versäumung einer prozessualen Ausschlussfrist und der materiell-rechtlichen Frist zur Offenlegung von Jahresabschlüssen – auch für das Zwangsstrafverfahren fruchtbar zu machen. Hier wie dort geht es um eine Sanktion für eine Fristversäumnis; hier wie dort soll verhindert werden, dass durch die „Auslagerung“ von Handlungspflichten Versäumnisse sanktionslos werden und dadurch ein Schaden – dort des Prozessgegners, hier der an der Offenlagung interessierten Öffentlichkeit – durch die faktische Verlängerung von Fristen entsteht. In Anlehnung an Ertl kann gesagt werden: Hätten die Geschäftsführer die (ihnen nach §§ 190ff, 277ff UGB obliegende) Erstellung und Einreichung des Jahresabschlusses samt den zugehörigen Vorbereitungshandlungen wie etwa die Buchführung nicht in die Hände des Steuerberaters gelegt, sondern selbst durchgeführt, so wäre es ihre Sache, die eigenen Hilfspersonen zu überwachen oder deren Tätigkeit selbst auszuüben, womit sie jedenfalls durch § 283 UGB zu sanktionieren wären.
All dies kann – was besonders im vorliegenden Fall relevant ist – freilich stets nur gelten, soweit und solange die Hilfspersonen auch tatsächlich als solche bestellt sind. Endet die Tätigkeit einer Hilfsperson für die Gesellschaft bzw. deren Organe aus welchem Grund auch immer, so sind ihre nach diesem Zeitpunkt gesetzten Handlungen oder Unterlassungen nicht mehr der Gesellschaft oder deren Organen zuzurechnen, sondern können gegebenenfalls den Charakter eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses annehmen.
5. Nachfrist von 4 Wochen
Gelingt es den Organen oder ihren Hilfspersonen trotz aller zumutbarer Bemühungen nicht, den Jahresabschluss rechtzeitig (also 9 Monate nach dem Stichtag) einzureichen, so ist von ihnen wenigstens zu erwarten, dass sie das Versäumte unverzüglich nachholen, sobald das Hindernis in Form des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses weggefallen ist. Aus der Bestimmung des § 283 Abs 2 3. Satz UGB, wonach mit der Verhängung einer Zwangsstrafverfügung bis zu vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zugewartet werden kann, ist zu schließen, dass die Offenlegungspflicht nach Wegfall des Hindernisses wieder „auflebt“ ( Dokalik/Birnbauer , Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 24) und binnen längstens vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu erfüllen ist. Offenbar geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine Nachfrist von (maximal) vier Wochen grundsätzlich ausreicht, um einen ausständigen Jahresabschluss (fertig) zu erstellen und nachzureichen. Auch im ordentlichen Verfahren führt also die Nichteinhaltung der Nachfrist ab Wegfall des Hindernisses zur Strafverhängung, sofern nicht erneut ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eintritt, welches das Organ auch an der Einhaltung dieser Frist hindert. Die Einstellung des Verfahrens kann nur erfolgen, wenn der Gesellschaft, ihren Organen und ihren Hilfspersonen zum Zeitpunkt der Entscheidung keinerlei Säumnis vorgeworfen werden kann.
6. Grundrechtliche Aspekte
Das Gesetz regelt auch nicht ausdrücklich, wie das „ordentliche Verfahren“ nach wirksamer Einspruchserhebung zu gestalten ist. Bei der Beantwortung dieser Frage sind im Hinblick auf die im Rekurs aufgeworfenen Fragen sowohl grund- als auch verfahrensrechtliche Aspekte zu beleuchten.
Durch die Novellierung des § 283 UGB, insbesondere auch durch die Einfügung des Wortes „zeitgerechten“ vor „Befolgung“ (der Offenlegungspflicht), wurde der vom Gesetzgeber schon bisher beabsichtigte repressive Charakter der firmenbuchrechtlichen Zwangsstrafen (vgl. dazu die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in 6 Ob 282/08a und 6 Ob 252/09s) weiter betont. Es handelt sich nunmehr eindeutig um eine Strafe für das nicht zeitgerechte Einreichen des Jahresabschlusses. Damit stellt sich auch die Frage der Anwendbarkeit der für das Strafverfahren geltenden Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind für die Einordnung eines Verfahrens als „strafrechtlich“ im Sinne (insbesondere) des Art 6 EMRK drei Kriterien maßgeblich: die Qualifikation des Delikts als strafrechtlich gemäß der nationalen Rechtsordnung, der Charakter des Delikts und die Schwere der aufzuerlegenden Strafe (RIS-Justiz RS0120945). Dabei lässt der EGMR schon eines dieser Kriterien genügen, um die Anwendbarkeit des Art 6 EMRK zu begründen. So wurde etwa entschieden, dass die Verhängung eines Steuerzuschlags wegen Unregelmäßigkeiten in der Buchführung durch das Finanzamt Strafcharakter hat, auch wenn ein solcher Zuschlag bloß geringfügig (im Anlassfall: rund EUR 300,--) und nach nationalem Recht dem Steuerrecht zuzuordnen ist; entscheidend sei, dass die Verhängung auf einer allgemeinen Rechtsvorschrift beruht, die auf alle Steuerzahler gleiche Anwendung findet, und dass der Zuschlag nicht als finanzielle Entschädigung für entstandenen Schaden, sondern als Bestrafung mit abschreckendem Charakter gedacht ist (EGMR 23.11.2006, Bsw 73053/01).
Diese Überlegungen treffen auf das österreichische Zwangsstrafverfahren umso mehr zu, als der Strafcharakter hier vom Gesetzgeber sogar ausdrücklich gewollt und in den Materialien (981 dB XXIV. GP, zu Art. 34) ausdrücklich angeführt ist, und auch die angedrohten Strafen von bis zu EUR 3.600,-- (bei großen Kapitalgesellschaften gemäß § 283 Abs 5 UGB sogar bis zu EUR 21.600,--) pro Organ bzw. Gesellschaft nicht mehr als bloß geringfügig anzusehen sind. Nach Ansicht des Rekursgerichtes sind die strafrechtlichen Bestimmungen der EMRK daher auf das Zwangsstrafverfahren grundsätzlich anwendbar.
Zwangsstrafen im Firmenbuchverfahren gehören – so wie die in der zitierten Entscheidung angesprochenen Steuerzuschläge - nicht dem Kernbereich des Strafrechts an, sodass strafrechtliche Garantien nicht zur vollen Anwendung gelangen müssen (vgl. neuerlich EGMR 23.11.2006, Bsw 73053/01). So kann im Zwangsstraf verfahren auf die in Art 6 EMRK vorgesehene öffentliche mündliche Verhandlung und Urteilsverkündung verzichtet werden. Sehr wohl gebietet es aber die Fairness des Verfahrens, auf die von den zu Bestrafenden zu ihrer „Verteidigung“ vorgebrachten Argumente einzugehen, ihre „Entlastungszeugen“ anzuhören und die Unschuldsvermutung zu respektieren. Die Art und Weise, wie diese Verfahrensgarantien zu gewährleisten sind, ergibt sich dabei aus dem jeweils anzuwendenden Verfahrensrecht.
Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof schon mehr fach die österreichischen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungs konform und dem Gemeinschaftsrecht (nunmehr Unionsrecht) entsprechend beurteilt und in der Umsetzung der Eingangs erwähnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien nach mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH; vor allem jene vom 04.12.1997, C-97/96 - „Daihatsu“) keinen Eingriff in Grundrechte der EMRK oder Grundwerte der Europäischen Union erblickt (RS0113089; zuletzt zur Rechtslage vor dem BBG 2011 OGH 24.03.2009, 4 Ob 229/08t).
Die in § 283 Abs 3 UGB vorgesehene Mindeststrafe von EUR 700,-- ist verfassungsrechtlich ebenso unbedenklich wie die durch § 283 Abs 7 UGB eingeführte Verhängung von Strafen gegen die Gesellschaft und den Geschäftsführer (RIS-Justiz RS0126979). Zur vorgesehenen Mindeststrafe , die sich im Rahmen der früher üblicherweise verhängten Erststrafen hält, verweist der Oberste Gerichtshof darauf, dass der Verfassungsgerichtshof aus spezial- und generalpräventiven Erwägungen, wie sie auch hier bestehen, etwa im Ausländerbeschäftigungsgesetz eine Mindeststrafe von EUR 2.500,-- (VfGH G 156/08), im Abfallwirtschaftsgesetz eine solche von EUR 3.630,-- (VfGH G 197/04) und im Gasöl-Steuerbegünstigungsgesetz bei vorsätzlichem Zuwiderhandeln eine solche von EUR 20.000,-- (VfGH G 102/96) als verfassungskonform angesehen hat. Das von den Rekurswerbern angesprochene Doppelbestrafungsverbot nach Art 4 des 7. Zusatzproto kolls zur EMRK besagt lediglich, dass ein– und dieselbe Person wegen derselben strafbaren Handlung nicht mehrfach bestraft werden darf, keineswegs aber, dass – wie hier – mehrere Personen wegen derselben, gemeinsam begangenen strafbaren Handlung bestraft werden, was auch im allgemeinen Strafrecht in Fällen der Mit- oder Beitragstäterschaft ein ganz normaler Vorgang ist. Demnach kann entgegen der Auffassung der Rekurswerber schon begrifflich kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot vorliegen.
Bei der dargelegten verfassungskonformen Interpreta tion bestehen nach Ansicht des Rekursgerichtes somit keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 283 UGB, weshalb auch der Anregung auf Anfechtung dieser Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof nicht näher getreten wird.
7. Verfahrensrechtliche Aspekte:
Beim Zwangsstrafverfahren handelt es sich gemäß § 15 FBG um ein Außerstreitverfahren , auf das die allgemeinen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes (§§ 1 – 80 AußStrG mit Ausnahme der §§ 72 – 77) anzuwenden sind und das folglich vom Untersuchungsgrundsatz und einer weitgehenden Manuduktionspflicht des Gerichtes für unvertretene Parteien geprägt ist.
Gemäß § 13 Abs 1 AußStrG hat das Gericht von Amts wegen für den Fortgang des Verfahrens zu sorgen und dieses so zu gestalten, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet sind. Gemäß § 14 AußStrG hat das Gericht die Parteien, die nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind, über die bei dem Gegenstand des Verfahrens in Betracht kommenden besonderen Vorbringen und Beweisanbote zu belehren, die der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienen können, und sie zur Vornahme der sich anbietenden derartigen Verfahrenshandlungen anzuleiten. Gemäß § 16 AußStrG hat das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt werden, und sämtliche Hinweise auf solche Tatsachen entsprechend zu berücksichtigen; umgekehrt haben die Parteien vollständig und wahrheitsgemäß alle ihnen bekannten, für die Entscheidung des Gerichtes maßgebenden Tatsachen und Beweise vorzubringen bzw. anzubieten und alle darauf gerichteten Fragen des Gerichtes zu beantworten.
Diese Grundsätze erlauben es nicht, den von einer Zwangsstrafverfügung betroffenen Parteien – besonders, wenn sie wie hier bei der Einspruchserhebung (noch) nicht anwaltlich vertreten sind – eine strenge Behauptungs- und Beweislast in dem Sinne aufzubürden, dass sie, um die Einstellung des Verfahrens erreichen zu können, schon im Einspruch den lückenlosen und schlüssigen Nachweis eines sie an der rechtzeitigen Offenlegung hindernden unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses erbringen müssen. Im Einspruch sind gemäß § 283 Abs 2 Satz 6 UGB die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzugeben; schon im Hinblick auf den begrenzten Platz auf dem von der Justiz zur Verfügung gestellten Einspruchsformular ist hier aber nur eine zusammengefasste, stichwortartige Darstellung der Gründe zu erwarten. Reichen diese Angaben nicht aus, um beurteilen zu können, ob ein Einstellungsgrund vorliegt oder nicht, so hat das Gericht gemäß §§ 15 FBG, 14 AußStrG für deren Vervollständigung – auch durch Angabe von Beweismitteln - zu sorgen. Zwar ist es nicht Aufgabe des Firmenbuchgerichts, von Amts wegen nach möglichen Entlastungsumständen zu forschen, für die das Vorbringen der Parteien keinerlei Anhaltspunkt bietet (6 Ob 129/11f); haben die Parteien jedoch Umstände vorgebracht, die auf das Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses hindeuten, welches sie an der rechtzeitigen Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht gehindert haben könnte, so greift die Pflicht des Gerichtes zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§ 16 Abs 1 AußStrG) auch dann ein, wenn das Vorbringen noch nicht ausreichend klar und vollständig ist. Selbst die formstrengere Zivilprozessordnung sieht Anleitungs pflichten des Gerichtes bei unklarem oder unvollständigem Vorbringen vor (vgl. §§ 182 f., 435 ZPO).
Wird nach Verbesserung des Vorbringens ein Sachverhalt behauptet, der tatsächlich die Einstellung des Verfahrens rechtfertigt, so sind die angebotenen, allenfalls auch weitere Beweise aufzunehmen und auf dieser Grundlage zu entscheiden. Nur wenn das Vorbringen im Einspruch so gelagert ist, dass eine Einstellung von Vornherein nicht infrage kommt, etwa weil der ins Treffen geführte Grund kein Hindernis für die rechtzeitige Offenlegung sein kann, ist auch im ordentlichen Verfahren sofort wieder eine Zwangsstrafe zu verhängen.
Dies mag zwar zu einer Mehrbelastung der Firmenbuchgerichte gegenüber der bisherigen Praxis führen, wo vor Verhängung einer Zwangsstrafe sehr selten Hinderungsgründe mitgeteilt wurden und die erstmalige Geltendmachung solcher Gründe im Rekurs schon am Neuerungsverbot des § 49 Abs 2 AußStrG scheiterte. Es ist aber im Sinne eines rechtsstaatlichen, an der EMRK und den Grundsätzen des Außerstreitgesetzes orientierten Verfahrens in Kauf zu nehmen, worauf auch schon die Gesetzesmaterialien hinweisen (981 d.B. XXIV. GP, zu Art. 34).
8. Weitere Zwangsstrafen:
Nach § 283 Abs 4 UGB ist durch Strafverfügung eine weitere Zwangsstrafe von EUR 700,-- zu verhängen, wenn die Offenlegung innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des letzten Tages der Offenlegungsfrist noch immer nicht erfolgt ist. Damit wurde eine im sonstigen Strafrecht – soweit überblickbar – nirgendwo anders vorgesehene Periodisierung der Bestrafung in der Weise eingeführt, dass bei fortdauernder Säumnis jeweils zu bestimmten Stichtagen Strafen zu verhängen sind. Eine Zwangsstraf verfügung ist demnach jeweils dann zu erlassen, wenn der Jahresabschluss bis zum letzten Tag der gesetzlichen Offenlegungsfrist (9 Monate nach dem Bilanzstichtag) nicht bzw. eine gerade Anzahl von Monaten später (also 11, 13, 15 etc. Monate nach dem Bilanzstichtag) noch immer nicht eingereicht wurde. Zusätzliche Voraus setzungen sind dabei wie nach § 283 Abs 2 UGB, der sinngemäß auch für die Verhängung „weiterer“ Zwangsstrafen nach Abs 4 zu gelten hat, dass die Einreichung nicht bis zum Tag vor Erlassung der Strafverfügung nachgeholt wurde und dass die Gesellschaft und ihre Organe auch nicht durch ein offenkundiges unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Offenlegung gehindert waren.
Um dem vom Gesetzgeber offensichtlich beabsichtigten Zweck der Beschleunigung des Zwangsstrafverfahrens zu entsprechen, sind die Strafen möglichst zeitnah zum jeweiligen Bestrafungsstichtag zu verhängen. Die Gesetzesmaterialien sprechen von einer „effizienteren und rascheren Durchsetzung“ der Offenlegungspflichten und „sofort automationsunterstützt ergehenden Zwangsstraf verfügungen“ bei nicht fristgerechter Offenlegung; es könnten „mehr und schneller Zwangsstrafen verhängt“ werden (981 d.B. XXIV. GP, zu Art. 34).
Diesem Gesetzeszweck widerspricht es, mehrere Bestrafungsstichtage verstreichen zu lassen und dann mehrere Zwangsstrafverfügungen gleichzeitig zu erlassen. Wäre dies zulässig, käme es zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Verzögerung der Offenlegung in jenen zahlreichen Fällen, in denen schon die (rasche) Verhängung der ersten Zwangsstrafe zum gewünschten Erfolg geführt hätte. Wurde etwa die Offenlegung schlicht übersehen und nach Strafverhängung prompt nachgereicht, ist die Verhängung mehrerer Zwangsstrafen auch nicht zur Erreichung des Strafzwecks erforderlich; sie ist dann aber unverhältnismäßig und damit als Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum nach Art 1 Abs 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonven tion sowie Art 5 des Staatsgrundgesetzes von 1867 im Sinne der Judikatur des EGMR unzulässig.
Außerdem bringen die Gesetzesmaterialien deutlich zum Ausdruck, dass zumindest der ersten Zwangsstraf verfügung auch Warnfunktion zukommt. Dazu muss dem Offenlegungspflichtigen aber eine Reaktionszeit auf die wegen Säumnis in der ersten Zeitstufe erlassene Zwangs strafverfügung zugestanden werden. Diese Reaktionszeit wird der Gesellschaft bzw. deren Organen durch die zeitgleiche Verhängung einer weiteren Zwangsstraf verfügung genommen, weshalb auch das OLG Graz (4 R 260/11d u.a.) eine solche Vorgangsweise für unzulässig erachtet.
Darüber hinaus bestehen gegen die gleichzeitige Verhängung mehrerer „Strafstufen“ weitere verfassungs rechtliche Bedenken:
Wird ein Jahresabschluss ungerechtfertigter Weise nicht rechtzeitig binnen neun Monaten nach dem Bilanz stichtag offengelegt, so wird dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen, der so lange aufrecht bleibt, bis der Jahresabschluss letztlich eingereicht wird, und durch dessen Fortdauer der Straftatbestand ununterbrochen weiter verwirklicht wird. Es handelt sich somit um ein Dauerdelikt im Sinne der strafrechtlichen (vgl. RIS-Justiz RS0076137 mwN) und verwaltungsstrafrechtlichen (vgl. VwGH 95/04/0005 u.v.a.) Judikatur, ähnlich wie etwa die Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 Finanzstraf gesetz (vgl. RIS-Justiz RS0086579).
Das Zwangsstrafverfahren nach § 283 UGB ist nun in vielerlei Hinsicht mit dem „abgekürzten Verfahren“ nach §§ 47 ff. des Verwaltungsstrafgesetzes (VstG) vergleich bar und diesem offenbar nachgebildet. Hier wie dort ist zunächst eine Strafverfügung zu erlassen, gegen die der Beschuldigte binnen zwei Wochen Einspruch erheben kann, worauf das ordentliche Verfahren einzuleiten ist. Zur Auslegung des § 283 UGB kann daher nach Ansicht des Rekursgerichtes auch auf die zum VStG ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) zurückgegriffen werden. Dieser judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass bei einem Dauerdelikt Anfang und Ende des strafbaren Verhaltens im Spruch des Bescheides anzuführen sind (vgl. zuletzt 24.3.2011, 2009/07/0153 mwN), vertritt aber auch die Ansicht, dass die bescheidmäßige Festlegung der Tatzeit mit dem Zeitpunkt der Entdeckung der Tat zulässig sei: Denn „s owohl ein tatsächlich früherer Beginn als auch eine tatsächlich spätere Beendigung des dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid angelasteten strafbaren Verhaltens könnten [...] nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer wegen desselben Dauerdeliktes noch einmal bestraft werden könnte. Durch die Bescheiderlassung ist das darin umschriebene Dauerdelikt bis zu diesem Zeitpunkt verfolgt ; einer neuerlichen Verfolgung wegen desselben Dauerdelikts für die Zeit bis zur Erlassung des Straferkenntnisses durch die Behörde erster Instanz könnte somit - vorausgesetzt, dass es sich hinsichtlich aller anderen Sachverhalts elemente um dasselbe strafbare Verhalten vor oder nach dem dem Beschwerdeführer bescheidmäßig vorgeworfenen Tatzeitraum handelt - mit Erfolg diese bereits vorgenommene verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung entgegengehalten werden“ (16.9.2010, 2010/09/0149, und 22.6.2011, 2009/04/0152, je mwN; Hervorhebung durch das Rekursgericht).
Im Lichte dieser Judikatur zeigt sich wiederum, dass die gleichzeitige Verhängung von zwei „Strafstufen“ keinen Bestand haben kann. Auch mit der Erlassung einer Zwangsstrafverfügung wird nämlich der gesamte bis dahin – und nicht etwa nur bis zum letzten Bestrafungsstichtag – andauernde Verstoß gegen die Offenlegungspflicht ver folgt, und zwar unabhängig davon, ob seit dem Bilanz stichtag 9, 11, 13 oder mehr Monate vergangen sind. Nichts anderes kann auch für die Fassung eines Strafbeschlusses im ordentlichen Verfahren gelten. Die Verhängung einer weiteren Zwangsstrafe wegen des selben Verstoßes zum selben Zeitpunkt läuft daher auf eine unzulässige Mehrfachbestrafung hinaus.
Als Ergebnis ist somit festzuhalten: Wegen des selben Verstoßes gegen die Offenlegungspflicht (schuldhafte Nichtvorlage eines bestimmten Jahres abschlusses binnen neun Monaten nach dem Bilanzstichtag) dürfen gegen die selbe Person nicht mehrere Zwangsstrafen gleichzeitig verhängt werden.
Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass die erste verhängte Zwangsstrafe immer der „1. Strafstufe“ zuzuordnen ist und den gesamten Zeitraum bis zur Strafverhängung abdeckt, gleichgültig ob seit dem Bilanzstichtag 9, 11, 13 oder mehr Monate vergangen sind. Hat die Säumnis bereits mehr als zwei Monate gedauert, kann im ordentlichen Verfahren eine entsprechend höhere Gesamtstrafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens verhängt werden.
9. Vorliegender Fall
Ungeachtet der - im Lichte des soeben Gesagten irrigen - Angabe von „Bestrafungszeiträumen“, die mit den gesetzlichen Bestrafungsstichtagen (Ende der bis 28.2.2011 verlängerten Offenlegungsfrist sowie zwei und vier Monate später) korrelieren, hat das Erstgericht jedenfalls am 30.6.2011 Zwangsstrafverfügungen der 1. und 2. „Strafstufe“, am 6.7.2011 solche der 3. „Strafstufe“ erlassen. Nach deren Außerkrafttreten durch die Erhebung rechtzeitiger und begründeter Einsprüche (§ 283 Abs 3 Satz 1 UGB) hat es mit den angefochtenen Strafbeschlüssen Zwangsstrafen der Stufen 1 bis 3 gleichzeitig verhängt. Dabei entspricht die Geschäftszahl 72 Fr 12117/11t der 1., 72 Fr 12118/11f der 2. und 72 Fr 12541/11s der 3. „Strafstufe“.
Die gleichzeitige Verhängung der Stufen 1 und 2 am 30.6.2011 war nach dem oben Gesagten schon im Stadium der Zwangsstrafverfügungen unzulässig und ist es auch im ordentlichen Verfahren. Es wäre nur je eine Zwangsstraf verfügung gegen die Gesellschaft und den Geschäftsführer wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses bis 29.6.2011 als „1. Strafstufe“ zu erlassen gewesen, womit nach Einspruchserhebung auch nur je ein Strafbeschluss im ordentlichen Verfahren hätte ergehen dürfen. Die der 2. „Strafstufe“ zuzuordnenden angefochtenen Beschlüsse 72 Fr 12118/11v-3 u. 4 sind daher vorweg ersatzlos zu beheben.
Die am selben Tag gefassten Strafbeschlüsse der Stufe 3 sind ebenfalls hinfällig. Auch sie erfassen nämlich entgegen der in ihnen ausgesprochenen zeitlichen „Widmung“ den gesamten Zeitraum bis zur Beschlussfassung und damit den selben Verstoß wie die Beschlüsse der Stufen 1 und 2, sodass eine unzulässige Mehrfachbestrafung vorliegt. Auch die der 3. „Strafstufe“ zuzuordnenden angefochtenen Beschlüsse zu 72 Fr 12541/11s-3 u. 4 sind somit ersatzlos zu beheben.
Eine Verfahrenseinstellung hat nicht zu erfolgen, weil die stufenweise Erzwingung der Offenlegung eines bestimmten Jahresabschlusses durch Verhängung der ersten Zwangsstrafe nach § 283 Abs 2 UGB und weiterer Zwangsstrafen nach § 283 Abs 4 UGB ungeachtet der firmenbuchtechnischen Aufteilung auf mehrere Fr-Zahlen ein einheitliches Verfahren bildet.
Ob die 1. „Strafstufe“ zu verhängen war, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Die Rekurswerber wiederholen im Kern das bereits in ihren Einsprüchen erstattete Vorbringen. Die vorgebrachte Problematik des Vorenthaltens der Buchhaltungsunterlagen seitens des vorherigen Wirtschaftstreuhänders kann an sich einen tauglichen Hinderungsgrund bilden. Allerdings hat der Steuerberater (auch im Falle von Differenzen über das Honorar) kein Zurückbehaltungsrecht an den ihm übergebenen Unterlagen (sehr wohl aber an der von ihm erstellten Bilanz). Die behauptete Zurückbehaltung von Belegen durch den Steuerberater vermag den Vorlagepflichtigen daher nur dann zu exkulpieren, wenn er geeignete Schritte – die bis zur Klage gehen können - zur Erlangung der Unterlagen gesetzt hat (vgl. G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer FBG § 24 Rz 39; OLG Wien, 4 R 158/11a u.v.a.).
Die schon im Einspruch vorgebrachte „beharrliche“ Zurückbehaltung der Unterlagen lässt darauf schließen, dass der frühere steuerliche Vertreter den Versuchen des Geschäftsführers, die benötigten Unterlagen zu erlangen, einen gewissen Widerstand entgegengesetzt hat. Welche konkreten Schritte der Geschäftsführer aber in welchem Zeitraum unternommen hat, um – letztlich erfolgreich – die Herausgabe der Buchhaltungsunterlagen zu bewirken, ist seinem Vorbringen bisher nicht zu entnehmen, sodass auch nicht beurteilt werden kann, ob ihm etwa Nachlässigkeit oder Säumnis mit den Betreibungsmaßnahmen gegenüber dem Wirtschaftstreuhänder vorzuwerfen ist und die Einreichung bei entsprechendem Bemühen früher hätte erfolgen können.
Es verbietet aber schon die in Art 6 Abs 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung, ohne Durchführung eines Verbesserungs- und Ermittlungsverfahrens von vornherein zu unterstellen, dass er nicht alles ihm Zumutbare unternommen habe, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten. Vielmehr wäre es Sache des Erstgerichtes gewesen, ihn zur Präzisierung seines Einspruchsvorbringens in zeitlicher Hinsicht sowie zu seinen Bemühungen um die Herausgabe der vom Steuerberater einbehaltenen Unterlagen aufzufordern und im Anschluss daran entsprechende Erhebungen zu führen.
Die Unterlassung dieser aufgrund des Einspruchs vorbringens erforderlichen Verfahrensschritte begründet eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, die, weil sie die Richtigkeit der Entscheidung zu hindern geeignet ist, im Außerstreitverfahren aufgrund des ganz allgemein geltenden Untersuchungsgrundsatzes auch von Amts wegen aufzugreifen ist ( Klicka in Rechberger, AußStrG § 55 Rz 3). Der angefochtene Beschluss der „1. Strafstufe“ ist daher gemäß § 57 Z 5 AußStrG aufzuheben und die Sache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Eine Verfahrensergänzung durch das Rekursgericht kommt im Hinblick auf die Unabsehbarkeit des Umfanges des Verfahrensstoffes (vgl Klicka, aaO § 57 Rz 1) und auch deshalb nicht in Frage, weil es nicht Aufgabe des Rekursgerichtes sein kann, das gesamte in erster Instanz unterbliebene Ermittlungsverfahren nachzuholen.
Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren nach Befragung des Geschäftsführers und des im Rekurs angebotenen Zeugen J***** R***** festzustellen haben, wann genau der Wechsel der steuerlichen Vertretung im Jahr 2009 erfolgte; wann die nunmehrige Steuerberatung erstmals die erforderlichen Unterlagen für den Jahresabschluss 2009 vom früheren Wirtschaftstreuhänder anforderte; welche konkreten Unterlagen dieser zurückbehielt und mit welcher Begründung; wann der Geschäftsführer erstmals von dieser Zurückbehaltung erfuhr; wann, wie oft und in welcher Form er und die nunmehrige Steuerberatung die fehlenden Unterlagen einforderten und welche sonstigen Maßnahmen sie wann ergriffen, um der Offenlegungspflicht möglichst rasch nachkommen zu können; warum diese Maßnahmen nicht früher zum Erfolg führten; was den früheren Wirtschaftstreuhänder schließlich bewog, die Unterlagen am 6.7.2011 doch noch herauszugeben; und wieso es dann möglich war, den fehlenden Jahresabschluss schon am nächsten Tag einzureichen.
Erst auf Grundlage dieser Feststellungen wird abschließend beurteilt werden können, ob dem Geschäftsführer ein strafbares Verschulden zur Last fällt oder ob er (und die Gesellschaft) tatsächlich durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung des Jahresabschlusses gehindert war. In letzterem Fall wird auch der Zeitpunkt des Wegfalles dieses Hindernisses festzustellen sein, um beurteilen zu können, ob der Jahresabschluss innerhalb der vierwöchigen Nachfrist des § 283 Abs 2 UGB nachgereicht wurde, was zur Einstellung des Verfahrens führen müsste.
Sollte sich letztlich eine konkrete Säumnis herausstellen, wird deren effektive Dauer bei der Strafbemessung zu berücksichtigen sein.