JudikaturOLG Wien

4R485/11i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 2011

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Thomas Rendl und die Richterin Mag. Martina Elhenicky in der Firmenbuchsache der h***** gmbh, *****St. P*****, wegen Offenlegung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 , über den Rekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers H***** S***** gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes St. Pölten vom 08.07.2011, 28 Fr 2371/11a-3 und 28 Fr 2372/11b-3, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben:

Der Beschluss 28 Fr 2371/11a-3 wird bestätigt; der Beschluss 28 Fr 2372/11b-3 wird hingegen ersatzlos behoben.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

Im Firmenbuch des Landesgerichtes St. Pölten ist zu FN ***** die h***** gmbh mit dem Sitz in St. P***** eingetragen. Geschäftsführer ist seit 23.05.2009 H***** S*****; Stichtag für den Jahresab schluss ist der 31. Dezember.

Am 06.05.2011 erließ das Erstgericht sowohl zu 28 Fr 2371/11a als auch zu 28 Fr 2372/11b jeweils Zwangsstraf verfügungen gegen die Gesellschaft und den Geschäfts führer, mit denen jeweils Zwangsstrafen von EUR 700,-- wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.3.2010 verhängt wurden. Diese Zwangsstrafen wurden zu 28 Fr 2371/11a für den Zeitraum bis 28.2.2011, zu 28 Fr 2372/11b jedoch für den Zeitraum bis 30.4.2011 („2. Strafstufe“) verhängt.

In ihren dagegen erhobenen Einsprüchen brachten die Gesellschaft und der Geschäftsführer vor, dass die Einreichung des Jahresabschlusses aus Versehen einer Mitarbeiterin der mit der Erstellung und Offenlegung des Jahresabschlusses betrauten Wirtschaftstreuhandkanzlei - trotz „Installation von Überwachungssystemen“ - unter blieben, inzwischen aber nachgeholt worden sei. Die unverzügliche Verhängung von Zwangsstrafen sowohl über die Gesellschaft als auch über jeden Geschäftsführer ungeachtet seines Verantwortungsbereiches ohne jedwede vorhergehende Ankündigung oder Aufforderung sei überschießend, exzessiv und unverhältnismäßig und widerspreche deshalb und wegen der Ungleichbehandlung der zur Veröffentlichung verpflichteten Unternehmen in der Europäischen Union nationalen verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten und den Grundsätzen des EU-Rechtes. Die Verhängung von Zwangsstrafen nach § 283 Abs 2 und nach § 283 Abs 4 UGB am gleichen Tag sei vollkommen verfehlt. Eine weitere Verfassungswidrigkeit trete durch die Unbestimmtheit und Unsicherheit in der rechtlichen Anwendung des § 283 UGB auf. Im Falle einer vergessenen und daher nicht vorsätzlich verspäteten Einreichung eines Jahresabschlusses könne auf Grund der Bestimmungen des § 283 Abs 4 UGB die Mindesthöhe der Zwangsstrafe durch unbefristetes Zuwarten um jeweils 2 Monate und anschließende Verhängung einer Vielzahl von Zwangsstrafen willkürlich bestimmt werden, wodurch es neuerlich zu einer exzessiven und überschießenden Bestrafung komme.

Mit den angefochtenen Beschlüssen verhängte das Landesgericht St. Pölten im ordentlichen Verfahren neuerlich Zwangsstrafen von je EUR 700,-- über die Gesellschaft und den Geschäftsführer, wobei es wiederum zu 28 Fr 2971/11a das Nichteinreichen des Jahresab schlusses bis zum 28.02.2011 und zu 28 Fr 2372/11b Nichteinreichen des Jahresabschlusses bis zum 30.04.2011 sanktionierte. In seiner Begründung verwies es darauf, dass ein Anruf beim Firmenbuchgericht oder eine einfache Nachschau mittels Firmenbuchauszug spätestens im September 2010 zur Überprüfung der tatsächlichen Offenlegung ausgereicht hätte. Dass die Jahresabschlussunterlagen jährlich binnen 9 Monaten ab Bilanzstichtag einzureichen sind, sei seit mehr als einem Jahrzehnt hinlänglich bekannt. Die gleichzeitige Verhängung mehrerer Strafstufen sei zulässig.

Gegen diese Beschlüsse richtet sich der Rekurs der Gesellschaft und des Geschäftsführers mit dem Antrag auf „Aufhebung“ der Zwangsstrafen, demnach auf Einstellung des Zwangsstrafverfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

1. Offenlegungspflicht

Gemäß § 277 Abs 1 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften (und gemäß § 283 Abs 7 UGB seit 01.01.2011 auch die Gesellschaften selbst) den Jahresabschluss und Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate Governance-Bericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen (offen zu legen) haben. Diese Offenlegungspflicht, die in Umsetzung einschlägiger EU-Richtlinien, insbesondere der Richtlinie des Rates 68/151/EWG vom 09.03.1968 („Publizitätsrichtlinie“) geschaffen wurde, wird von den Rekurswerbern nicht grundsätzlich infrage gestellt. Demnach hätten sie den Jahresabschluss zum 31.12.2009 an und für sich spätestens am 30.09.2010 einreichen müssen; aufgrund der Übergangsbestimmung des § 906 Abs 23 UGB verlängerte sich die Einreichfrist faktisch ausnahmsweise bis 28.2.2011 (vgl. RIS-Justiz RW0000500).

2. Durchsetzung der Offenlegungspflicht

Das Verfahren zur Durchsetzung der Offenlegungspflicht wurde mit Wirkung ab 01.03.2011 grundlegend reformiert. Bislang war stufenweise vorzugehen: als erster Schritt nach Ablauf der neunmonatigen Offenlegungsfrist war eine Nachfrist, verbunden mit einer Strafandrohung, zu setzen; erst nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist durfte die angedrohte Strafe verhängt werden. Gemäß § 283 Abs 1 UGB in seiner am 01.01.2011 in Kraft getretenen Fassung ist nun die Zwangsstrafe sofort nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Dabei ist nach § 283 Abs 2 UGB so vorzugehen, dass ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von EUR 700,- verhängt wird, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt und auch nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist.

Von einer Zwangsstrafverfügung kann nur abgesehen werden, wenn der Geschäftsführer offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann – soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist – mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegen stand, zugewartet werden.

Gegen die Zwangsstrafverfügung können der Geschäftsführer und die Gesellschaft binnen 14 Tagen Einspruch erheben. Darin sind die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzuführen. Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist dann im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann – ohne vorherige Androhung – wieder eine Zwangsstrafe von EUR 700,- bis EUR 3.600,- verhängt werden.

Ist die Offenlegung innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des letzten Tages der Offenlegungsfrist noch immer nicht erfolgt, so ist gemäß § 283 Abs 4 UGB durch Strafverfügung eine weitere Zwangsstrafe von EUR 700,-- zu verhängen. Das Gleiche gilt bei Unterbleiben der Offenlegung für jeweils weitere zwei Monate; wird gegen eine solche Zwangsstrafverfügung Einspruch erhoben, so ist der Beschluss über die verhängte Zwangsstrafe zu veröffentlichen.

3. Unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis

Welche Einspruchsgründe zur Einstellung des Zwangsstrafverfahrens nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens führen können, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, dass es sich dabei – abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen der ohnehin rechtzeitigen Offenlegung, des Nichtbestehens einer Offenlegungsverpflichtung oder der dauerhaften Unmöglichkeit der Offenlegung – ebenfalls nur um unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse im Sinn des § 283 Abs 2 UGB handeln kann, die hier zwar nicht offenkundig sein, aber jedenfalls die Organe an der fristgerechten Offenlegung gehindert haben müssen.

Zur Beantwortung der Frage, was unter einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ zu verstehen ist, kann auf die reichhaltige Lehre und Rechtsprechung zu § 146 ZPO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zurückgegriffen werden, wo der selbe Begriff verwendet wird. Auch die Gesetzesmaterialien (981 d.B. XXIV. GP, zu Art 34) verweisen darauf:

Unter Ereignis ist demnach in der Regel jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verstehen ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 146 ZPO Rz 4). Unvorhergesehen ist es dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr bzw. ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab); die Partei muss aber alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Prozesshandlung fristgerecht vornehmen zu können. Der Begriff „unvorhergesehen“ ist somit durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen ( Deixler-Hübner aaO, Rz 6). Mangels einer dem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO vergleichbaren Bestimmung reicht im Zwangsstrafverfahren – wie bisher (RIS-Justiz RS0123571) - schon ein minderer Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) aus, um die Unvorhersehbarkeit zu beseitigen. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt durch die Partei nicht verhindert werden konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (objektives Kriterium; Deixler-Hübner aaO Rz 7).

Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis muss für die konkrete Versäumung auch kausal sein. Nur wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann dies einen tauglichen Einspruchsgrund darstellen. Die Gesellschaftsorgane sind daher verpflichtet, alles zu tun, um trotz des eingetretenen Ereignisses den Jahresabschluss rechtzeitig einzureichen. Es muss von ihnen erwartet werden, dass sie dabei alles unternehmen, was ihnen persönlich zugemutet werden kann, um die rechtzeitige Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten , wenn auch dabei der Bogen der Zumutbarkeit nicht überspannt werden darf (vgl. zum Wiedereinsetzungsverfahren Deixler-Hübner aaO, RZ 8 mwN; in diesem Sinne, wenn auch mit etwas anderer Begründung, schon die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 283 UGB, vgl. wiederum RIS-Justiz RS0123571).

4. Zurechnung von Hilfspersonen:

Nach der bereits zur alten Rechtslage ergangenen Rechtsprechung des Rekursgerichtes (vgl. zuletzt etwa 4 R 335/10d mwN) müssen sich die Organe (und damit auch die Gesellschaft selbst) das Verschulden einer Hilfsperson wie ein eigenes zurechnen lassen . Es wäre nämlich mit der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Effizienz des Zwangs strafverfahrens nicht vereinbar, wenn die zur Offenlegung verpflichteten Personen und Gesellschaften jene strengen Anforderungen, die bei der Erfüllung der Offenlegungs pflicht an sie gestellt werden, durch Beiziehung von Hilfspersonen auf bloße Überwachungspflichten reduzieren könnten. Der Gesetzeszweck einer effizienten Durchsetzung der Offenlegungspflicht darf nicht dadurch unterwandert werden, dass bei Verschulden von Hilfspersonen die Verhängung einer Zwangsstrafe zu unterbleiben hätte, obwohl der betreffende Jahresabschluss noch immer nicht offen gelegt ist.

An dieser Rechtsprechung, die sich mit der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zum Wiedereinsetzungsverfahren (RIS-Justiz RS0111777) deckt, ist nach Inkrafttreten der Neufassung des § 283 UGB umso mehr festzuhalten, als der Gesetzgeber nunmehr ausdrücklich Analogien zum Wieder einsetzungsverfahren („unvorhergesehenes oder unabwend bares Ereignis“) in das Zwangsstrafverfahren eingeführt hat (RIS-Justiz RW0000518). Hätten die Geschäftsführer die (ihnen nach §§ 190ff, 277ff UGB obliegende) Erstellung und Einreichung des Jahresabschlusses samt den zugehörigen Vorbereitungshandlungen wie etwa die Buchführung nicht in die Hände des Steuerberaters gelegt, sondern selbst durchgeführt, so wäre es ihre Sache, die eigenen Hilfspersonen zu überwachen oder deren Tätigkeit selbst auszuüben, womit sie jedenfalls durch § 283 UGB zu sanktionieren wären.

5. Europa- und verfassungsrechtliche Aspekte:

Die seit dem GesRÄG 1996 getroffenen innerstaat lichen Regelungen zur Offenlegung von Jahresabschlüssen erfolgten in Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (insbesondere 1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 - „ Publizitätsrichtlinie “; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 – „ Bilanzrichtlinie “), die ihrerseits auf Art 44 Abs 2 lit g EG-V beruhen. Art 6 der Publizitätsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen für den Fall vorzusehen, dass die in Art 2 Abs 1 lit f der Richtlinie vorgeschriebene Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unterbleibt.

Die detaillierten Regelungen der gesellschafts rechtlichen Richtlinien lassen dem nationalen Gesetzgeber einen nur sehr geringen Umsetzungsspielraum; er hat dafür zu sorgen, dass die Einhaltung der Offenlegungs verpflichtungen durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen abgesichert wird. Die Gestaltung dieser Sanktionen überlassen die Richtlinien dem nationalen Gesetzgeber, sodass nur unverhältnismäßige und damit unsachliche Strafen auch nach innerstaatlichem Recht unzulässig sind (vgl. OGH 09.03.2000, 6 Ob 5/00d mwN).

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach die österreichischen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungskonform und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend beurteilt und in der Umsetzung der oben erwähnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien nach mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH; vor allem jene vom 04.12.1997, C-97/96 - „Daihatsu“) keinen Eingriff in Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder Grundwerte der Europäischen Union erblickt (RS0113089; zuletzt zur Rechtslage vor dem BBG 2011 OGH 24.03.2009, 4 Ob 229/08t). An dieser Verfassungs- und Europarechtskonformität hat sich nach Auffassung des Höchstgerichts auch weder durch das Publizitäts richtlinie-Gesetz (PuG - BGBl I 2006/103; vgl. OGH 18.12.2009, 6 Ob 252/09s) noch durch die Einführung einer gesetzlichen Mindeststrafe von EUR 700.-- und die Verhängung von Strafen gegen die Gesellschaft und den Geschäftsführer mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 (OGH 18.07.2011, 6 Ob 129/11f) etwas geändert.

Durch die Novellierung des § 283 UGB, insbesondere auch durch die Einfügung des Wortes „zeitgerechten“ vor „Befolgung“ (der Offenlegungspflicht), wurde der vom Gesetzgeber schon bisher beabsichtigte repressive Charakter der firmenbuchrechtlichen Zwangsstrafen (vgl. dazu die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs in 6 Ob 282/08a und 6 Ob 252/09s) weiter betont. Es handelt sich nunmehr eindeutig um eine Strafe für das nicht zeitgerechte Einreichen des Jahresabschlusses.

6. Vorliegender Fall:

Grund für die Strafverhängungen ist die verspätete, erst nach Erlassung der Zwangsstrafverfügungen erfolgte Einreichung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009.

Das Erstgericht hat in den angefochtenen Beschlüssen zwei verschiedene „Bestrafungszeiträume“ gebildet, indem es zwischen dem Zeitraum bis 28.2.2011 (28 Fr 2371/11a) und dem (folgenden) Zeitraum bis 30.4.2011 (28 Fr 2372/11b) differenzierte. Es wollte damit offenbar gleichzeitig Zwangsstrafen nach § 283 Abs 2 und 3 UGB („1. Strafstufe“) und weitere Zwangsstrafen nach § 283 Abs 4 UGB („2. Strafstufe“) verhängen, weil im Zeitpunkt der Strafverhängung mehr als zwei Monate seit dem Ende der (durch die Übergangsbestimmung des § 906 Abs 23 UGB bis 28.2.2011 verlängerten) Offenlegungsfrist verstrichen waren.

6.1. Zu den Beschlüssen der „1. Strafstufe“ (28 Fr 2371/11a):

Die Rekurswerber halten zunächst „das Vorbringen in den Einsprüchen zu den Zwangsstrafen aufrecht“. Im Rechtsmittelverfahren sind aber Verweise auf Ausführungen in anderen Schriftsätzen unzulässig und unbeachtlich, weil die Rechtsmittelschrift nicht durch Bezugnahme auf den Inhalt anderer in derselben oder einer anderen Sache erstatteter Schriftsätze ersetzt oder ergänzt werden kann (RIS-Justiz RS0043616; RS0007029; RS0043579).

Es muss daher nur auf die im Rekurs selbst ausgeführten Argumente eingegangen werden, wonach die Bestimmungen des § 283 Abs 2 bis 6 UGB verfassungswidrig seien. Insbesondere sei die Wortfolge „ohne voraus gehendes Verfahren“ ungeachtet der jeweiligen Verant wortung oder des Verschuldens unverhältnismäßig, erheblich und gleichheitswidrig und in ihrer Wirkung absolut exzessiv. Auch in anderen Rechtsbereichen geregelte Zwangsstrafen, etwa nach § 111 Abs 2 BAO, hätten jeweils eine vorangehende Androhung mit Setzung einer angemessenen Frist zum Inhalt. Die verhängte Zwangsstrafe sei unverhältnismäßig und überhöht.

Diesen Argumenten ist zu entgegnen, dass die Verhängung von Strafen ohne vorherige Androhung auch aus anderen Rechtsbereichen bekannt ist (vgl. etwa das abgekürzte Verfahren nach §§ 47 ff VstG) und dass das Erstgericht die gesetzlich festgelegte Mindeststrafe von EUR 700,-- nicht unterschreiten durfte. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner bereits zitierten Entscheidung vom 18.07.2011, 6 Ob 129/11f, die Verhängung von Mindeststrafen als verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet und einen Verstoß gegen verfahrensrechtliche Garantien des Art 6 EMRK verneint.

Auch dass der Jahresabschluss nach Erlassung der Zwangsstrafverfügungen, jedoch noch vor Verhängung der angefochtenen Strafbeschlüsse nachgereicht wurde, ändert nichts an der Strafbarkeit des Verstoßes. Schon nach der früheren Rechtslage waren Verhängung und Vollzug einer Zwangsstrafe auch dann erforderlich, wenn der Jahresabschluss nachträglich (wenngleich verspätet) eingereicht wurde, weil zum Einen der Informationswert für das Publikum durch mehrmonatige Verzögerung weitgehend aufgehoben würde und zum Anderen die Glaubwürdigkeit der Strafdrohung verloren ginge, wenn sich die Gesellschaft und ihre Organe auf eine spätere Nachholung des Versäumten verlassen könnten (6 Ob 282/08a, veröffentlicht in ecolex 2009/157, u.v.a.). Zur geltenden neuen Rechtslage hat der Oberste Gerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen, dass die nachträgliche Einreichung der Bilanz der Verhängung einer Zwangsstrafe im ordentlichen Verfahren nach § 283 Abs 1 UGB nicht entgegen steht, wenn bereits eine Zwangsstrafverfügung verhängt wurde, weil die Bilanz nicht innerhalb der Offenlegungsfrist und nicht längstens bis zum Tag vor Verhängung der Zwangsstrafverfügung eingereicht wurde (RIS-Justiz RS0126978).

Dem Rekurs zu 22 Fr 2371/11a ist daher ein Erfolg zu versagen.

6.2. Zu den Beschlüssen der „2. Strafstufe“ (28 Fr 2372/11b):

Nach § 283 Abs 4 UGB ist durch Strafverfügung eine weitere Zwangsstrafe von EUR 700,-- zu verhängen, wenn die Offenlegung innerhalb von zwei Monaten nach Ablauf des letzten Tages der Offenlegungsfrist noch immer nicht erfolgt ist. Damit wurde eine im sonstigen Strafrecht – soweit überblickbar – nirgendwo anders vorgesehene Periodisierung der Bestrafung in der Weise eingeführt, dass bei fortdauernder Säumnis jeweils zu bestimmten Stichtagen Strafen zu verhängen sind. Eine Zwangsstraf verfügung ist demnach jeweils dann zu erlassen, wenn der Jahresabschluss bis zum letzten Tag der gesetzlichen Offenlegungsfrist (9 Monate nach dem Bilanzstichtag) nicht bzw. eine gerade Anzahl von Monaten später (also 11, 13, 15 etc. Monate nach dem Bilanzstichtag) noch immer nicht eingereicht wurde. Zusätzliche Voraus setzungen sind dabei gemäß § 283 Abs 2 UGB ( der sinngemäß auch für die Verhängung „weiterer“ Zwangsstrafen nach Abs 4 zu gelten hat ) stets, dass die Einreichung nicht bis zum Tag vor Erlassung der Strafverfügung nachgeholt wurde und dass die Gesellschaft und ihre Organe auch nicht durch ein offenkundiges unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Offenlegung gehindert waren.

Um dem vom Gesetzgeber offensichtlich beabsichtigten Zweck der Beschleunigung des Zwangsstrafverfahrens zu entsprechen, sind die Strafen möglichst zeitnah zum jeweiligen Bestrafungsstichtag zu verhängen. Die Gesetzesmaterialien sprechen von einer „effizienteren und rascheren Durchsetzung“ der Offenlegungspflichten und „sofort automationsunterstützt ergehenden Zwangsstraf verfügungen“ bei nicht fristgerechter Offenlegung; es könnten „mehr und schneller Zwangsstrafen verhängt“ werden (981 d.B. XXIV. GP, zu Art. 34). Diesem Gesetzeszweck widerspricht es, mehrere Bestrafungs stichtage verstreichen zu lassen und dann mehrere Zwangsstrafverfügungen gleichzeitig zu erlassen. Würde die Auslegung des Erstgerichts zutreffen, so stünde es im Belieben der Firmenbuchgerichte, mit der Verhängung von Zwangsstrafen so lange zuzuwarten, bis nach § 283 Abs 4 UGB gleich mehrere Zwangsstrafverfügungen auf einmal verhängt werden können. Dies würde nicht nur auf das gleichheitswidrige Ergebnis hinauslaufen, dass die Höhe der faktisch ersten (wenn auch auf mehrere Strafverfügungen aufgeteilten) Zwangsstrafe vom Zeitpunkt des Tätigwerdens des Gerichtes abhinge, sondern es würde auch zu einer vom Gesetzgeber sicher nicht gewollten Verzögerung der Offenlegung in jenen zahlreichen Fällen führen, in denen schon die (rasche) Verhängung der ersten Zwangsstrafe zum gewünschten Erfolg geführt hätte. In solchen Fällen, wo etwa die Offenlegung schlicht übersehen wurde und nach Strafverhängung prompt nachgereicht wird, ist die Verhängung mehrerer Zwangsstrafen auch nicht zur Erreichung des Strafzwecks erforderlich; sie ist dann aber unverhältnismäßig und damit als Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum nach Art 1 Abs 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art 5 des Staatsgrund gesetzes von 1867 im Sinne der Judikatur des EGMR unzulässig.

Darüber hinaus bestehen gegen die gleichzeitige Verhängung mehrerer „Strafstufen“ weitere verfassungs rechtliche Bedenken:

Wird ein Jahresabschluss ungerechtfertigter Weise nicht rechtzeitig binnen neun Monaten nach dem Bilanzstichtag offengelegt, so wird dadurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen, der so lange aufrecht bleibt, bis der Jahresabschluss letztlich eingereicht wird, und durch dessen Fortdauer der Straftatbestand ununterbrochen weiter verwirklicht wird. Es handelt sich somit um ein Dauerdelikt im Sinne der strafrechtlichen (vgl. RIS-Justiz RS0076137 mwN) und verwaltungs strafrechtlichen (vgl. VwGH 95/04/0005 u.v.a.) Judikatur, ähnlich wie etwa die Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 Finanzstrafgesetz (vgl. RIS-Justiz RS0086579). Die Zerlegung eines solchen Dauerdeliktes in einzelne Zeitabschnitte, für die jeweils gesondert Strafen verhängt werden, ist grundsätzlich problematisch, führt sie doch zu einer Verletzung des Doppelbestrafungsverbots nach Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK bzw. Art 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Dies war letztlich auch der Grund, warum sich das Rekursgericht bei der Auslegung der Übergangsbestimmung des § 906 Abs 23 UGB in ständiger Rechtsprechung gegen eine parallele Anwendung der alten und der neuen Rechtslage auf den selben Sachverhalt ausgesprochen hat (RIS-Justiz RW0000500).

Das Zwangsstrafverfahren nach § 283 UGB ist nun in vielerlei Hinsicht mit dem „abgekürzten Verfahren“ nach §§ 47 ff. des Verwaltungsstrafgesetzes (VstG) vergleichbar und diesem offenbar nachgebildet. Hier wie dort ist zunächst eine Strafverfügung zu erlassen, gegen die der Beschuldigte binnen zwei Wochen Einspruch erheben kann, worauf das ordentliche Verfahren einzuleiten ist. Zur Auslegung des § 283 UGB kann daher nach Ansicht des Rekursgerichtes auch auf die zum VstG ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) zurückgegriffen werden. Dieser vertritt zur Ahndung von Dauerdelikten in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt 16.9.2010, 2010/09/0149, und 22.6.2011, 2009/04/0152, je mwN) folgende Ansicht (Hervorhebung durch das Rekursgericht):

„Die Tat wird so lange begangen, als der verpönte Zustand dauert. [...] Sowohl ein tatsächlich früherer Beginn als auch eine tatsächlich spätere Beendigung des dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid angelasteten strafbaren Verhaltens könnten im Übrigen nicht dazu führen, dass der Beschwerdeführer wegen desselben Dauerdeliktes noch einmal bestraft werden könnte. Durch die Bescheiderlassung ist das darin um-schriebene Dauerdelikt bis zu diesem Zeitpunkt verfolgt ; einer neuerlichen Verfolgung wegen desselben Dauerdelikts für die Zeit bis zur Erlassung des Straferkenntnisses durch die Behörde erster Instanz könnte somit - voraus-gesetzt, dass es sich hinsichtlich aller anderen Sach-verhaltselemente um dasselbe strafbare Verhalten vor oder nach dem dem Beschwerdeführer bescheidmäßig vorgeworfenen Tatzeitraum handelt - mit Erfolg diese bereits vorgenom-mene verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung entgegenge-halten werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 2004, Zl. 2001/07/0136).“

Betrachtet man die den angefochtenen Beschlüssen zugrunde liegenden Strafverfügungen im Lichte dieser Judikatur, so zeigt sich wiederum, dass die gleichzeitige Verhängung von zwei „Strafstufen“ keinen Bestand haben kann. Auch mit der Erlassung einer Zwangsstrafverfügung wird nämlich der gesamte bis dahin andauernde Verstoß gegen die Offenlegungspflicht verfolgt, und zwar unab-hängig davon, ob seit dem Bilanzstichtag 9, 11, 13 oder mehr Monate vergangen sind. Die Verhängung einer weiteren Strafe wegen des selben Verstoßes im selben Zeitraum läuft auf eine im Sinne der Judikatur des VwGH bei einem Dauerdelikt unzulässige Mehrfachbestrafung hinaus.

Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten: Wegen des selben Verstoßes gegen die Offenlegungspflicht (schuldhafte Nichtvorlage eines bestimmten Jahresabschlusses binnen neun Monaten nach dem Bilanzstichtag) dürfen gegen die selbe Person nicht mehrere Zwangsstrafen gleichzeitig verhängt werden.

Damit stellt sich die Frage nach dem gebotenen zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Strafverhängungen nach § 283 Abs 2 und 4 UGB. Das Rekursgericht ist der Ansicht, dass die oben referierte Judikatur des VwGH zu Dauerdelikten einer Mehrfachbestrafung zu verschiedenen Zeitpunkten nicht entgegensteht. Dass eine Strafe das verfolgte Delikt bis zum Zeitpunkt ihrer Verhängung abdeckt, schließt nicht aus, dass bei Fortdauer des strafbaren Verhaltens zu einem späteren Zeitpunkt erneut Strafen verhängt werden, kann doch eine einmal erfolgte Bestrafung wegen eines Dauerdeliktes nicht als Freibrief für die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes aufgefasst werden.

Die Verhängung weiterer Zwangsstrafen ist daher nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des § 283 UGB zulässig und geboten. In Verbindung mit der oben erörterten Unzulässigkeit der gleichzeitigen Verhängung mehrerer „Strafstufen“ bedeutet dies, dass die erste verhängte Strafverfügung immer als „1. Strafstufe“ anzusehen ist, gleichgültig ob seit dem Bilanzstichtag 9, 11, 13 oder mehr Monate vergangen sind und wann sie erlassen wird. Die „2. Strafstufe“ kann dann frühestens zum nächstfolgenden Bestrafungsstichtag (eine gerade Anzahl von Monaten nach Ablauf der Offenlegungsfrist) verhängt werden. Dies gilt im Sinne des § 283 Abs 4 Satz 2 UGB sinngemäß auch für höhere „Strafstufen“.

Diese Auslegung ist völlig unproblematisch, solange die Zwangsstrafverfügungen zeitnah zu den Bestrafungsstichtagen erlassen werden, wie dies der Gesetzgeber vorsieht; dann führt sie zu einem regelmäßigen stufenweisen Vorgehen, wie es schon die frühere Rechtslage vorsah und auch weiterhin angemessen erscheint (vgl. Dokalik/Birnbauer, Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 26). Treten hingegen Verzögerungen bei der Strafverhängung auf, wird dadurch den Offenlegungs pflichtigen einerseits im Hinblick auf die Möglichkeit des straflosen Nachreichens bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung (§ 283 Abs 2 Satz 1 UGB) eine faktische Nachfrist eingeräumt, andererseits unter Umständen (wenn eine Strafverfügung kurz vor dem nächstfolgenden Bestrafungsstichtag erlassen wird) die zur Vermeidung der nächsten „Strafstufe“ zur Verfügung stehende Reaktionszeit verkürzt. Beides liegt in der starren Vorgabe von Bestrafungsstichtagen begründet und ist als Konsequenz der gesetzlichen Regelung und ihrer verfassungskonformen Auslegung hinzunehmen.

Die nach „Bestrafungszeiträumen“ aufgesplitteten Zwangsstrafverfügungen sind durch die rechtzeitige Erhe-bung begründeter Einsprüche außer Kraft getreten, doch schlägt die unzulässige Doppelbestrafung auch auf die nunmehr bekämpften Strafbeschlüsse durch. Da gemäß § 55 Abs 3 AußStrG gewisse schwerwiegende Verfahrensmängel vom Rekursgericht auch ohne Rüge im Rekurs von Amts wegen aufzugreifen sind ( G. Kodek in Kodek/Nowotny/Umfahrer § 15 Rz 216 mwN; Fucik/Kloiber AußStrG § 55 Rz 4), werden die nach dem oben Gesagten unzulässiger Weise gefassten überzähligen Beschlüsse ersatzlos behoben.

Eine Verfahrenseinstellung hat nicht zu erfolgen, weil die stufenweise Erzwingung der Offenlegung eines bestimmten Jahresabschlusses durch Verhängung der ersten Zwangsstrafe nach § 283 Abs 2 UGB und weiterer Zwangs-strafen nach § 283 Abs 4 UGB ungeachtet der firmenbuch-technischen Aufteilung auf mehrere Fr-Zahlen ein einheit-liches Verfahren bildet.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 59 Abs 1 Z 2, 62 Abs 1 AußStrG in Verbindung mit § 15 Abs 1 FBG. Durch die ersatzlose Behebung der “2. Strafstufe” sind die Rekurswerber nicht beschwert; die bestätigende Entscheidung über die “1. Strafstufe” steht im Einklang mit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung.

Rückverweise