JudikaturOLG Wien

19Bs31/98 – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
27. März 1998

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Richter Dr. Danek als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Veigl und Dr. Dostal in nichtöffentlicher Sitzung in der Strafsache gegen Sandra G***** wegen § 159 Abs.1 Z 1 StGB über die Berufung der Staatsanwaltschaft Wien wegen Nichtigkeit gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14. November 1997, GZ 11 c E Vr 845/97-37, gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs.1 StGB zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die 25-jährige österreichische Staatsangehörige Sandra G***** von dem wider sie erhobenen Vorwurf, sie habe in der Zeit von August 1994 bis September 1996 in Wien als Schuldnerin mehrerer Gläubiger fahrlässig ihre Zahlungsunfähigkeit dadurch herbeigeführt, daß sie mit zu geringem Eigenkapital unter der Bezeichnung "R*****-Wetten" ein Wettbüro eröffnete, Fremdkapital in zu hohem Ausmaß in Anspruch nahm und die Tätigkeit nicht mit der gebotenen Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes führte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen eröffnete die Angeklagte im August 1994 mit ersparten S 300.000,-- ein Wettbüro in Wien unter der nichtprotokollierten Einzelfirma "R*****-Wetten" und richtete ab Februar 1995 auch ein Filialbüro ein. Zusätzlich zu ihrem Eigenkapital standen ihr aufgrund unbefristet abgeschlossener Darlehensverträge mit der G***** GmbH, deren Geschäftsführer der Vater der Angeklagten ist, Darlehen in der Höhe von S 200.000,-- per 15. Mai 1995, S 1 Million per 1. Oktober 1995, S 300.000,-- (richtig: S 500.000,--, siehe AS 93) per 1. Jänner 1996 und S 800.000,-- per 1. April 1996 zur Verfügung. Ein erwirtschafteter Gewinn sollte zwischen den Gesellschaften aufgeteilt werden, bei Eintreten von Verlusten sollte hingegen keine Darlehensrückzahlung erfolgen. Zudem sollte die G***** GmbH für den Fall der Schließung der Geschäftslokale Verluste tragen.

Abgewickelt wurden die Wetten entweder in Form von Barzahlungen durch anonyme Kunden oder über eingerichtete Wettkonten. Die weder ein ausdrückliches Versprechen noch eine Garantie auf Auszahlung des Wettgewinnes enthaltenden Wettbedingungen waren in der Betriebsstätte ersichtlich gemacht.

Am 7. Juli 1996 betrugen die Wetteinsätze ca. S 750.000,--, auf welche Gewinne von ca. S 1,8 Millionen entfielen. Die Summe der noch ausständigen, nicht aus- bzw. rückbezahlten, von den Spielern eingeforderten Wetteinsätze und Gewinne beträgt S 756.535,--. Zur Auszahlung der Gewinne waren keine liquiden Mittel mehr vorhanden, worauf die Einstellung des Geschäftsbetriebes mit Rundschreiben mitgeteilt und die finanziell mögliche Rückzahlung der Einsätze plus einer 10%igen Gewinnausschüttung von der Angeklagten angeboten wurde. Diesen Betrag erlegte Sandra G***** bei einem Rechtsanwalt zu treuen Händen. Außer den Gewinnen und Darlehen existierten sonst keine Verbindlichkeiten, S 75.000,-- standen an noch nicht bezahlten Wetteinsätzen aus.

Bei seiner rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts gelangte der Erstrichter zur Ansicht, daß eine für die Verwirklichung des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs.1 Z 1 StGB vorausgesetzte Zahlungsunfähigkeit nicht eingetreten sei. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 24. September 1997, 5 Ob 2201/96 (ÖJZ 1997, 464/85), begründeten nach Meinung des Erstrichters die erzielten, jedoch nicht wirklich entrichteten oder hinterlegten Gewinne von Buchmacherwetten lediglich Naturalobligationen im Sinne der §§ 1271 f ABGB. Aus der Uneinklagbarkeit der aushaftenden Gewinne ergebe sich eine auch nach dem 7. Juli 1996 bestehende Zahlungsfähigkeit, weshalb der Erstrichter den objektiven Tatbestand des § 159 Abs.1 Z 1 StGB als nicht erfüllt ansah.

Gegen dieses Urteil richtet sich eine Berufung der Staatsanwaltschaft Wien wegen Nichtigkeit, mit der diese den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs.1 Z 9 a StPO geltend macht.

Der Berufung kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Buchmachersportwetten unterliegen den Bestimmungen der §§ 1270 ff ABGB und begründen gemäß § 1271 ABGB nur dann einklagbare Forderungen, wenn der Gewinn nicht bloß versprochen, sondern wirklich entrichtet oder hinterlegt worden ist. Entrichtung und Hinterlegung können nicht durch andere Verhaltensweisen substituiert werden (Krejci in Rummel**2, RZ 71 zu § 1267 ff). Gemäß dem Gesetz vom 28. Juli 1919 betreffend die Gebühren von Totalisateur und Buchmacherwetten sowie Maßnahmen zur Unterdrückung des Winkelwesens, StGBl. 1919/388, ist die gewerbsmäßige Vermittlung und der gewerbsmäßige Abschluß von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen nur mit Bewilligung der Landesregierung zulässig. Letztere vermag mit ihrer Bewilligung Buchmachersportwetten jedoch nicht den Status von Staatslotterien zu verschaffen, welche der Ausnahmebestimmung des § 1274 ABGB unterliegen und einklagbare Gewinnforderungen begründen (siehe OGH in 5 Ob 2201/96). Der Erstrichter hat somit zutreffend die verfahrensgegenständlichen Wettschulden der Angeklagten als zahl-, jedoch nicht einklagbare Verbindlichkeiten qualifiziert. Seinen weiteren rechtlichen Ausführungen kann jedoch nicht gefolgt werden.

Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners ist dann gegeben, wenn er mangels flüssiger Mittel außerstande ist, binnen angemessener Frist bei redlicher wirtschaftlicher Gebarung alle seine fälligen Verbindlichkeiten zur Gänze (oder zumindest großteils) zu begleichen (siehe Leukauf-Steininger, Komm.**n, § 159 RN 20; Liebscher in WK, § 158 RN 1 und § 159 RN 11).

Naturalobligationen sind zwar "unvollkommene Verbindlichkeiten" bzw. "Schulden ohne Haftung", somit nicht durchsetzbar, dies ändert jedoch nichts daran, daß der Naturalschuldner wirklich schuldet (Koziol/Welser10 I, S 200; Rummel in Rummel**2, § 859 RN 12, Dittrich/Tades34, § 1271 E 1). Die Bezahlung von Wettschulden kann somit - wenngleich nicht gerichtlich - gefordert werden, dies im konkreten Fall - mangels Bestimmung einer gewissen Zeit für die Erfüllung - ohne unnötigen Aufschub (§ 904, 1.Satz, ABGB). Es lagen somit fällige (aber nicht gerichtlich einklagbare) Verbindlichkeiten der Sandra G***** vor, die diese nicht bezahlen konnte, womit - der Rechtsmeinung des Erstrichters zuwider - ihre Zahlungsunfähigkeit nach der Aktenlage objektiv gegeben war.

Den angestellten rechtspolitischen Überlegungen ist zu entgegnen:

Die ausschließliche Leistungsverpflichtung eines Wettbüros gegenüber den Spielern ist - korrespondierend zu den an- und eingenommenen Wetteinsätzen - dem Geschäftszweck entsprechend die Auszahlung allfälliger Gewinne. Von dieser Leistungsbereitschaft in Verbindung mit einer zugrundeliegenden Leistungsfähigkeit im Rahmen einer redlichen Gebarung wird aber bei Erteilung der Bewilligung seitens der Landesregierung ausgegangen, da andernfalls der Gewerbetreibende risikolos an den verlorenen Wetten seiner Kunden verdienen könnte, ohne hingegen seinen eigenen Verpflichtungserklärungen nachkommen zu müssen. Demgemäß prüft die Landesregierung vor Bescheiderteilung die volle Vertrauenswürdigkeit des Buchmacherwerbers und seine finanziellen Möglichkeiten, die mit dem gewerbsmäßigen Abschluß von Wetten aus Anlaß sportlicher Veranstaltungen gegenüber den Kunden übernommenen Verpflichtungen erfüllen zu können (siehe AS 25).

Während den §§ 1267 ff ABGB der Zweck, Glücksgeschäfte als den nützlichen Verkehr nicht fördernde Verträge durch die genommene Klagsmöglichkeit nicht besonders zu schützen, um dem Leichtsinn und der Unbesonnenheit, die sich darin betätigt, möglichst entgegenzuwirken, zugrundeliegt, schützt das Kridastrafrecht auch die Belange der Gesamtwirtschaft (vgl. Liebscher in WK, Vorbemerkungen zu §§ 156 ff StGB, RN 5), wobei die Sozialschädlichkeit der Kridadelikte (Sog- und Spiralwirkung für gesunde Unternehmen) u.a. in der Gestaltung als Offizialdelikt zum Ausdruck kommt (Trifferer, StGB-Kommentar, § 159 RN 6). Daß eine Leistung zivilrechtlich unklagbar ist, schließt die Möglichkeit diesbezüglicher strafrechtlicher Verfolgung somit nicht prinzipiell aus (vgl. Leukauf-Steininger, Komm.**n, § 146 RN 48).

Infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung hat sich der Erstrichter nicht mit den Fragen der Ursachen des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit sowie des Verschuldens der Angeklagten auseinandergesetzt und auch keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen, weshalb eine abschließende Beurteilung des Vorliegens sämtlicher Voraussetzungen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs.1 Z 1 StGB nicht möglich ist.

Das angefochtene Urteil war sohin bereits in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs.1 StPO aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht nach Wiederholung des Beweisverfahrens, insbesondere auch Erörterung des Gutachtens des Sachverständigen Mag. Rudolf S***** zu prüfen haben, worin die Ursachen der schließlich zur Einstellung des Geschäftsbetriebes führenden Zahlungsunfähigkeit gelegen sind und ob die Angeklagte diese schuldhaft im Sinne des § 6 StGB zu verantworten hat, wobei dem hohen Risiko derartiger Geschäfte ein besonderer Augenmerk zu widmen sein wird. Auch wird die von der Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 25. April 1997 angesprochene Haftungsgarantie der Fa. G***** GmbH als angebliche stille Gesellschafter durch Vernehmung der beantragten Zeugen Rudolf G***** und Franz P***** zu hinterfragen und einer Beurteilung zu unterziehen sein, wobei zu beachten ist, daß die Angeklagte selbst in einem Rundschreiben (AS 39) ihre Zahlungsunfähigkeit bestätigt hat.

Rückverweise