15R25/97z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Manica als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Univ.Prof.Dr.Ertl sowie den Richter des Oberlandesgerichtes Univ.Doz.Dr.Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Franz G ***** , Rechtsanwalt, *****, 4600 Wels, als Masseverwalter im Konkursverfahren der Fa Franz T ***** GesmbH, wider die beklagte
Partei Ing. H ***** und H ***** GesmbH, *****, 3264 Gresten,
vertreten durch Dr.Hans K***** und Dr.Christian H*****, Rechtsanwälte in 3100 St.Pölten, wegen S 817.519,-- sA (Berufungsstreitwert S 448.122,72), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 18.11.1996, GZ 1 Cg 400/93i-41, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Es wird dem Rekurs n i c h t Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist gem § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls u n z u l ä s s i g .
Text
Begründung:
Mit Urteil des Erstgerichtes vom 30.9.1996, ON 36, wurde der Klage stattgegeben. Nachdem es dem Beklagtenvertreter am 3.10.1996 zugestellt wurde, wurde von diesem die Berufung dagegen am 2.11.1996 zur Post gegeben und mit Beschluß des Erstgerichtes vom 4.11.1996, ON 38, gem § 468 Abs 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 14.11.1996, ON 39, erhoben die Beklagtenvertreter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und brachten darin vor, daß ihre in *****, 3161 St Veit/Gölsen wohnhafte Angestellte Tanja P***** beabsichtigt habe, neben anderen Briefen auch diese Berufung am 31.10.1996 am Hauptpostamt ("Bahnhofspostamt") abzugeben. Dies sei aber dann nicht geschehen, weil sie von ihrem Freund abgeholt worden und mit ihm nach Wilhelmsburg gefahren sei. Das dortige Postamt habe aber im Gegensatz zum St Pöltner Hauptpostamt schon um 18.00 Uhr und nicht erst um
18.30 Uhr geschlossen; daher habe sie die Berufung erst am 2.11.1996 in Wilhelmsburg aufgegeben.
Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Beschluß den Antrag auf Wiedereinsetzung ab.
Gerichtsbekannt sei, daß am Hauptpostamt St Pölten Einschreibbriefe täglich von Montag bis Freitag bis 20.00 Uhr (dann gegen Entrichtung einer Spätlingsgebühr) aufgegeben werden können.
Es liege daher kein "minderer Grad des Versehens" iSd letzten Satzes des § 146 Abs 1 ZPO vor. Als ein solcher könnte zwar die Vorgangsweise Tanja P***** beurteilt werden, die Post nicht wie üblich zum Postamt zu bringen, sondern mit dem Freund wegzufahren und eine Aufgabe beim Postamt Wilhelmsburg zu versuchen. Putz habe aber die Sache auf sich beruhen lassen und eine Postaufgabe erst am 2.11.1996 bewirkt, als sie festgestellt habe, daß eine Aufgabe beim Postamt Wilhelmsburg nicht mehr möglich war. Sie hätte sich vielmehr wieder nach St Pölten begeben müssen, um die in Wilhelmsburg versäumte Aufgabemöglichkeit beim dortigen Hauptpostamt nachzuholen. Dazu wäre bei einer ausreichenden Fahrzeit von Wilhelmsburg nach St Pölten mit einem PKW im Ausmaß von 20 bis 30 Minuten Gelegenheit genug gewesen.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung iSd Stattgebung des Antrages auf Wiedereinsetzung, in eventu Aufhebung.
Der Rekurs ist nicht gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Auch wenn die Darstellung des Verhaltens der Mitarbeiterin der Beklagtenvertreter, Tanja P*****, und dessen rechtliche Beurteilung im Rechtsmittel der Entscheidung zugrundegelegt wird, ist im Ergebnis der Beschluß des Erstgerichtes zutreffend.
Auszugehen ist zunächst davon, daß auch eine vorzüglich organisierte Anwaltskanzlei, gar erst eine alteingeführte in einer Landeshauptstadt, oftmals gar keine andere Wahl hat, als Schriftstücke an Behörden erst im letztmöglichen Zeitpunkt abzusenden, etwa dann, wenn ein Mandant bis zuletzt mit der Entscheidung über den Auftrag zur Erstattung eines Rechtsmittels zögert. Auch können im letzten Augenblick Hindernisse aus den verschiedensten Gründen auftreten, die den Zeitpunkt der ursprünglich geplanten Abgabe eines solchen Schriftstückes in Frage stellen. Im Einklang mit der ganz gängigen Praxis anderer Rechtsanwaltskanzleien muß daher gefordert werden, daß der Inhaber einer Kanzlei dafür Sorge trägt, daß seine mit der Aufgabe von Postsendungen betrauten Mitarbeiter die Öffnungszeiten der naheliegenden Postämter kennen; und zwar insb auch derjenigen, bei denen Spätlingssendungen abgegeben werden können. So wie in Wien allgemein bekannt ist, daß eingeschriebene Briefe noch bis spät in die Nacht am Westbahnhof aufgegeben werden können, muß dies auch für das Hauptpostamt St Pölten für St Pöltner Kanzleien angenommen werden. Dies umsomehr, wenn es sich um eine Kanzlei handelt, die nur wenige Minuten vom Hauptpostamt entfernt ist.
Es wäre daher Sache der Beklagtenvertreter gewesen, sich darüber selbst zu informieren und Wert darauf zu legen, daß die Öffnungszeiten allen Mitarbeitern zur Kenntnis gebracht werden, die mit dem Austragen von Poststücken betraut werden. Wegen der praktisch großen Bedeutung dieser selbstverständlichen Maßnahme muß es schon als grob fahrlässig angesehen werden, wenn diese Öffnungszeiten trotz ihrer gerade in diesem Zwischenverfahren ersichtlichen Relevanz den Beklagtenvertretern offenbar zunächst selbst dann noch unbekannt war. Dies ergibt sich aus ihrem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ON 39, wonach das Postamt St Pölten um 18 Uhr 30 schließt. Wenn diese Öffnungszeiten auch Tanja Putz unbekannt gewesen sein sollten, sodaß sie nicht nach St Pölten zurückgefahren ist, nachdem sie erkannt hatte, daß das Postamt Wilhelmsburg geschlossen war, ist dies nicht ihr, sondern den Beklagtenvertretern zuzuschreiben. Diese Belehrungsobliegenheit gegenüber einer (zunächst ortskundigen) Mitarbeiterin mußte freilich nicht durch diese selbst sondern konnte auch durch andere Mitarbeiter, etwa die Kanzleileiterin erfüllt werden. Daß dies gesehen sei, wurde nicht einmal behauptet.
Nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung sind der Partei eigene
Fehler und diejenigen ihres Anwalts zuzurechnen. Ob dies auch für
Fehler des Kanzleipersonals gilt ( G i t s c h t h a l e r in R
e c h b e r - g e r , Rz 9 zu § 146 ZPO, F a s c h i n g ,
Lehrbuch**2 Rz 580, jeweils mwN), ist hier nicht
entscheidungswesentlich.
Grobes Verschulden des Parteienvertreters kann nämlich vorliegen, wenn ein Fehler auf mangelhafte Organisation zurückzuführen ist. Jedenfalls schließt aber eine diesbezügliche Unterschreitung des Standards einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei die Entschuldbarkeit von Fristversäumungen aus (BGH NJW 1991, 1178;
ecolex 1992, 43; HG Wien WR 575; G i t s c h - t h a l e r in R
e c h b e r g e r , Rz 9 zu § 146 ZPO). Der Hinweis in der Rechtsmittelschrift, wonach den Maßstab für das Nichtvorliegen eines minderen Grades des Versehens iSd § 146 Abs 1 ZPO der alkoholisierte Lenker darstelle oder der Partieführer, der trotz Entstehen kleiner Brände die Arbeit in unmittelbarer Nähe feuergefährlichen Materials weiterführen läßt (ArbSlg 9645 und 8954), vermag nicht zu überzeugen. Zwar hat die Partei für das Verschulden ihres Vertreters einzustehen und Unbilligkeiten zu ihren Lasten sollen vermieden werden. Andererseits bleiben die Termine und Fristen mit ihren Säumnisfolgen ein unentbehrliches und straff handzuhabendes Mittel zur Verfahrensbeschleunigung und -konzentration ( F a s c h i n g , Lehrbuch**2 Rz 580). Davon kann keine Rede mehr sein, wenn das Verlieren von Schriftstücken durch Kanzleikräfte in betrunkenem Zustand oder das Nichtbeachten ihres Verbrennens als maßgeblicher Maßstab für das Vorliegen eines "minderen Grades des Versehens" anzusehen wäre. Ein derart laxer Maßstab stünde im Widerspruch zu diesem Gesetzeszweck.
Abschließend sei nochmals darauf verwiesen, daß der Rekurswerberin ein grober Organisationsmangel ihres Rechtsvertreters angelastet wird und nicht "fehlende Überlegung und mangelnde Findigkeit zur Lösung einer unvorhergesehenen Gefahrensituation" seitens der Kanzleikraft Tanja P*****, was zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses führen muß.