Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie die Richter Dr.Philipp und Dr.Danek in nichtöffentlicher Sitzung in der Strafsache gegen Kurt T ***** wegen §§ 146 ff u.a. StGB über die Beschwerde des Genannten gegen die vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 7 d Vr 11738/95 am 23. Oktober 1996 erlassene Aufforderung zum Strafantritt den
Beschluß
gefaßt:
Die Beschwerde wird als unzulässig z u r ü c k - g e w i e s e n .
Aus deren Anlaß werden gemäß § 114 Abs 4 StPO die angefochtene Strafantrittsaufforderung und die gegen Kurt T***** erlassene Strafvollzugsanordnung (beide betreffend die zufolge Widerrufs bedingter Nachsicht offenen restlichen Freiheitsstrafen von insgesamt 6 Monaten und 25 Tagen) ersatzlos, sowie weiters der Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. November 1996, GZ 7 d Vr 11738/95-113 (Punkt 2), a u f g e h o b e n und es wird Kurt T***** gemäß §§ 38 Abs 1 Z 2 StGB, 400 Abs 1 StPO die im Verfahren 17 E Vr 219/94 (nunmehr 17 E Vr 145/96) des Landesgerichtes St.Pölten erlittene Untersuchungshaft vom 15. Mai 1994, 17.00 Uhr, bis 19. April 1995, 11.15 Uhr, auf die - infolge Widerrufs bedingter Nachsicht zu verbüßenden - restlichen mit den Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. Juni 1992, AZ 2 c E Vr 5434/92, und vom 7. September 1993, AZ 2 c E Vr 9334/93, verhängten Freiheitsstrafen angerechnet.
Begründung:
Kurt T***** wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 5. Juni 1992 zu AZ 2 c E Vr 5434/92 zu einer zunächst bedingt nachgesehenen, sodann infolge Widerrufs dieser Rechtswohltat zu vollziehenden Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monaten verurteilt. Sodann wurde er vom selben Gericht am 7. September 1993 zu AZ 2 c E Vr 9334/93 zu einer 8-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach (gemeinsam angeordnetem) Vollzug eines Teiles dieser beiden Sanktionen wurde ihm durch Entschließung des Bundespräsidenten vom 16. Dezember 1993 (im Rahmen der Weihnachtsbegnadigung) bedingte Strafnachsicht gewährt, wobei der insgesamt offene Strafrest 6 Monate und 25 Tage (4 Monate zur erstgenannten, 2 Monate und 25 Tage zur zweitgenannten Strafe) beträgt.
In der Folge befand er sich wegen des Verdachts - im März und April 1994 begangener - strafbarer Handlungen zu AZ 17 E Vr 219/94 des Landesgerichtes St.Pölten vom 8. April 1994, 15.15 Uhr, bis 19. April 1995, 11.15 Uhr, in Verwahrungs- und Untersuchungshaft. Dieses - nunmehr unter AZ 17 E Vr 145/96 des Landesgerichtes St.Pölten im zweiten Rechtsgang anhängige - Verfahren ist bislang nicht abgeschlossen.
Wegen - zwischen März 1994 und Herbst 1995 begangener - weiterer strafbarer Handlungen wurde Kurt T***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. September 1996, GZ 7 d Vr 11738/95-104, zu einer 11-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ihm gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB die in diesem Verfahren erlittene Vorhaft vom 24. November 1995, 10.45 Uhr, bis 17. September 1996,
12.25 Uhr, und gemäß § 38 Abs 1 Z 2 StGB ein Teil der im zitierten Verfahren des Landesgerichtes St.Pölten erlittenen Vorhaft, nämlich vom 8. April 1994, 15.10 (richtig: 15.15) Uhr, bis 15. Mai 1994, 17.00 Uhr, auf die Strafe angerechnet wurden. Eine nach der letztgenannten Gesetzesstelle vorgeschriebene Anrechnung auch der weiteren in jenem Verfahren erlittenen Vorhaft (von 15. Mai 1994, 17.00 Uhr, bis 19. April 1995, 11.15 Uhr) auf diese Strafe unterließ das Erstgericht, wobei diesbezüglich mangels Beschwer des Kurt T***** ein Vorgehen des Oberlandesgerichtes nach § 114 Abs 4 StPO nicht geboten ist. Eine Beschwer des Verurteilten ist deshalb nicht gegeben, weil allein die vom Erstgericht vorgenommene Vorhaftanrechnung zur Folge hat, daß die verhängte Freiheitsstrafe von 11 Monaten durch die Vorhaft verbüßt ist. Unter einem faßte das Schöffengericht gemäß §§ 53 Abs 1 StGB, 494 a Abs 1 Z 4 StPO den Beschluß auf Widerruf der Kurt T***** am 16. Dezember 1993 vom Bundespräsidenten gewährten bedingten Nachsicht hinsichtlich des Strafrestes von 6 Monaten und 25 Tagen aus den mit den obzitierten Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. Juni 1992 und 7. September 1993 verhängten Freiheitsstrafen. Der Beschwerdeführer wurde noch am 17. September 1996 enthaftet, da die 11-monatige Freiheitsstrafe - wie bereits dargelegt - durch die Vorhaftanrechnung verbüßt war.
Am 23. Oktober 1996 erließ die Vorsitzende des zuletzt erkennenden Schöffengerichtes eine Strafantrittsaufforderung und eine Strafvollzugsanordnung hinsichtlich des vom Widerruf bedingter Nachsicht umfaßten Strafrestes von 6 Monaten und 25 Tagen.
Dagegen richtet sich eine Beschwerde des Kurt T*****, die als unzulässig zurückzuweisen ist, da ein Rechtsmittel gegen die in § 3 StVG angeführten Maßnahmen nicht vorgesehen ist (vgl. Kunst, MKK zum StVG, Anm. 9 zu § 3; Mayerhofer-Rieder, Nebenstrafrecht**n, E 8 zu § 7 StVG).
Parallel dazu beantragte der Verurteilte mit Schreiben vom 15. November 1996 an die Vorsitzende des zuletzt erkennenden Schöffengerichtes sinngemäß auch die Anrechnung der (weiteren) im Verfahren 17 E Vr 219/94 (nunmehr 17 E Vr 145/96) des Landesgerichtes St.Pölten erlittenen Vorhaft vom 15. Mai 1994, 17.00 Uhr, bis 19. April 1995, 11.15 Uhr, auf die vom Widerruf bedingter Nachsicht umfaßten Strafen mit dem Strafrest von 6 Monaten und 25 Tagen. Diesen Antrag lehnte die Erstrichterin mit - als Note bezeichnetem - Beschluß vom 25. November 1996 (ON 113) mit der Begründung ab, daß eine solche Anrechnung gesetzlich nicht möglich sei.
Dieser - nicht angefochtene - Beschluß sowie die Erlassung einer Strafantrittsaufforderung und Strafvollzugsanordnung stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang, weshalb in amtswegiger Wahrnehmung gemäß § 114 Abs 4 StPO eine Beseitigung dieser Verfahrensgebrechen anzuordnen war.
Gemäß § 38 Abs 1 Z 2 StGB ist die gerichtliche Verwahrungs- und Untersuchungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn der Täter die Haft sonst nach Begehung dieser Tat wegen des Verdachtes einer mit Strafe bedrohten Handlung erlitten hat, und zwar nur insoweit die Haft nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet oder der Verhaftete dafür entschädigt worden ist.
Gemäß § 400 Abs 1 StPO hat über die Anrechnung einer vom Verurteilten nach der Fällung des Urteils erster Instanz in Vorhaft zugebrachten Zeit (§ 38 StGB) der Vorsitzende des Gerichtes, das in erster Instanz erkannt hat, mit Beschluß zu entscheiden.
Gegenständlich handelt es sich um eine Untersuchungshaft, die Kurt T***** nach der Begehung der zu AZ 2 c E Vr 5434/92 und AZ 2 c E Vr 9334/93 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien abgeurteilten Taten (sowie auch nach Rechtskraft dieser Verurteilungen und teilweisem Vollzug der Strafen) in einem anderen Verfahren erlitten hat, welches zeitlich gesehen nicht mit den ursprünglichen Verfahren gemäß § 56 StPO vereinigt werden hätte können. Diese Vorhaft wurde bisher im St.Pöltner Verfahren - mangels Abschlusses desselben - weder auf eine Strafe angerechnet, noch wurde Kurt T***** dafür entschädigt.
Der von der Lehre (Leukauf-Steininger, Komm.**n, RN 1; Pallin in WK, Rz 10) und einem Teil der Judikatur (etwa SSt 48/90; zuletzt 21 Bs 138/95 des OLG Wien) zu § 38 StGB - zum Teil unter Berufung auf die EB zur Regierungsvorlage (30 BlgNr. XIII.GP, S. 133) - vertretenen Meinung, Abs 1 Z 2 leg.cit. sei dahingehend zu verstehen, daß er nur für Fälle gelte, in denen die beiden Verfahren nach den Tatzeiten gemeinsam geführt werden hätten können (§§ 56 StPO; 31, 40 StGB), kann nicht gefolgt werden. Wenngleich in den EB zur RV die Schaffung der Möglichkeit der Anrechnung einer Vorhaft auch aus einem anderen Verfahren begründend damit erläutert wird, daß in Fällen, in denen beide Verfahren nach den Tatzeiten gemeinsam geführt werden hätten können, Verurteilte bei der Anrechnung der Vorhaft ebensowenig benachteiligt werden sollten, wie bei der Bestimmung der Strafen, vermag dies noch nicht Sinn und Zweck der Anrechnung jeder nach der Begehung der Tat erlittenen anderen Vorhaft, die noch nicht auf eine andere Strafe angerechnet oder der Verhaftete dafür entschädigt worden ist, in Frage zu stellen und damit die Vornahme einer teleologischen Reduktion dieser Gesetzesstelle auf den hinter dem nicht nur möglichen, sondern auch klaren Wortsinn zurückbleibenden - durch Schaffung der Bestimmung des § 400 Abs 1 StPO nicht nur auf die im Zeitpunkt der Urteilsfällung denkmöglichen Fälle beschränkten - Anwendungsbereich rechtzufertigen, zumal jene Auslegung und die EB übersehen, daß damit etwa keine Begründung für die (jedoch gesetzlich vorgesehene) Möglichkeit der Anrechnung auch einer in einem anderen (z.B. auch Finanzstraf
Sinn und Zweck der Anrechnung jeder nach der Begehung der Tat wegen des Verdachtes einer mit Strafe bedrohten Handlung in einem anderen Verfahren erlittenen Vorhaft ergibt sich aber auch bereits daraus, daß der Gesetzgeber mit der ausdrücklich normierten Einschränkung, die danach anzurechnende Haft dürfe nicht bereits auf eine andere Strafe angerechnet oder der Verhaftete dafür entschädigt worden sein, klar zum Ausdruck gebracht hat, daß im Interesse sowohl des Verurteilten als auch der Republik allfällige im Ergebnis ungerechtfertigte Haften und Ersatzansprüche nach § 2 StEG hintangehalten werden sollen. Gegenständlich wäre es geradezu absurd, einerseits Kurt T***** infolge Nichtanrechnung der Vorhaft eine weitere Haft verbüßen zu lassen, ihm andererseits jedoch parallel - im theoretischen Fall einer Einstellung oder eines Freispruchs im Verfahren 17 E Vr 145/96 des Landesgerichtes St.Pölten - allenfalls eine Haftentschädigung nach § 2 StEG zuerkennen zu müssen. Demgemäß kann eine Einschränkung der Anrechnung einer Vorhaft aus einem anderen Verfahren, die gleichzeitig einen Entschädigungsanspruch des Verurteilten nach dem StEG in jenem begründen könnte, keinesfalls als zielführend angesehen werden.
Schließlich zeigt auch die Schaffung des § 494 a StPO durch das StRÄG 1987 - insbesondere für einen Fall wie gegenständlich - den Willen des Gesetzgebers in Richtung einer Gesamtregelung aller noch offenen Sanktionen auf, sodaß auch aus dieser Sicht kein Platz für eine einschränkende Auslegung der Bestimmungen der §§ 38 Abs 1 Z 2 StGB, 400 Abs 1 StPO bleibt.
Der Gesetzeswortlaut der zitierten Bestimmungen umfaßt mithin als solcher keine Fälle, die nach dem Sinn der gesetzlichen Regelung nicht erfaßt werden sollen, sodaß es somit auch nicht erforderlich ist, bei der Rechtsanwendung die Normen im Wege der teleologischen Reduktion - zudem zum Nachteil des Verurteilten - auf den hinter dem möglichen Wortsinn zurückbleibenden Anwendungsbereich zurückzuführen (vgl. Leukauf-Steininger, Komm.**n, RN 19 zu § 1 StGB).
Es liegen daher in concreto die Voraussetzungen für eine Vorhaftanrechnung nach § 38 Abs 1 Z 2 StGB vor (vgl. zum Ganzen im Ergebnis übereinstimmend 3 Bs 468/86 des OLG Innsbruck und 8 Bs 380/85 des OLG Linz, beide zitiert in Mayerhofer-Rieder, StGB4, E 33 zu § 38). Verwiesen wird insbesondere auf das in der letztzitierten Entscheidung dargestellte Argument, daß nach ständiger Rechtsprechung (SSt 48/90) in ausdrücklicher Anwendung von Analogie auch eine Vorhaft angerechnet wird, die vor allen abgeurteilten Taten, aber in einem noch nicht abgeschlossenen und grundsätzlich nach § 56 StPO zu vereinigenden Verfahren erlitten wurde, sodaß es "geradezu billig und zweckmäßig" sei, eine erst nach der Tat in einem anderen, wenngleich nicht im Verhältnis des § 56 StPO stehenden Verfahren erlittene Vorhaft auf eine noch zu verbüßende Strafe anzurechnen.
Wiewohl es sich gegenständlich um eine nach Rechtskraft der Urteile (in einem anderen Verfahren) erlittene Vorhaft handelt, liegt kein Fall einer Strafhaft gemäß § 1 Z 5 StVG vor (siehe SSt 43/29 und 55/2), da die Haft zufolge in diesem Zeitraum bestehender bedingter Nachsicht der Strafen nicht dem Vollzug der Strafurteile diente. Rechtsrichtig war daher eine richterliche Entscheidung gemäß § 400 Abs 1 StPO zu treffen.
Aus der aus § 494 a StPO erkennbaren Tendenz des Gesetzgebers ergibt sich, daß die Kompetenz zur Entscheidung über eine (mit der Strafe und deren Vollzug eng verknüpfte) Vorhaftanrechnung gemäß § 400 Abs 1 StPO in Fällen eines gleichzeitig mit einem Urteil erfolgten Widerrufs bedingter Strafnachsicht - gleich wie die Kompetenz zur Anordnung und Überwachung des diesbezüglichen Strafvollzugs gemäß § 7 Abs 1 StVG (siehe Mayerhofer, StPO4, § 494 a, E 37 ff) - dem Vorsitzenden des zuletzt in erster Instanz erkennenden (= den Widerruf anordnenden) Gerichts zukommt (anderer Meinung OLG Wien, 21 Bs 138/95), sodaß die Vorsitzende des am 17. September 1996 den Widerruf bedingter Strafnachsicht anordnenden Schöffengerichtes zuständigerweise über den Antrag des Kurt T***** 15. November 1996 auf Vorhaftanrechnung entschieden hat.
Da dieser Antrag - wie oben ausgeführt - materiell berechtigt ist, war der - rechtlich unbeachtlicherweise als Note bezeichnete, ohne Rechtsmittelbelehrung zugestellte und nicht angefochtene - abweisende Beschluß in amtswegiger Wahrnehmung der Verpflichtung des Oberlandesgerichtes zur Beseitigung materiellen Verfahrensgebrechen gemäß § 114 Abs 4 StPO aufzuheben, die - die Dauer des offenen Strafrests übersteigende - angeführte Vorhaft gemäß §§ 38 Abs 1 Z 2 StGB, 400 Abs 1 StPO anzurechnen und demgemäß infolge somit als vollzogen geltender Strafe auch die Strafantrittsaufforderung und Strafvollzugsanordnung ersatzlos aufzuheben.
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