JudikaturOLG Wien

10Rs150/96v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. November 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Schönthal als Vorsitzende, die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Dragostinoff und DDr. Huberger sowie die fachkundigen Laienrichter OAR Helmut Hoffmann und Friedrich Kant (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****S*****, 3*****, vertreten durch Dr. Hans Lahner, *****, wider die *****, vertreten durch Dr. Eva Schneeberger, ebendort, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, infolge Berufung der beklagten Partei wider das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom 21.12. 1995, 8 Cgs 265/95a-11, gemäß den §§ 2 ASGG, 492 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das hinsichtlich der Zurückweisung des Mehrbegehrens auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab Antragstellung als unangefochten unberührt bleibt, wird im übrigen dahin abgeändert, daß es lautet:

"Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei aufgrund der Berufskrankheit Borreliose ab dem 1.8.1995 eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen, wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 24.8.1949 geborene Klägerin erhielt mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 27.2.1995, 8 Cgs 153/94d-39 aufgrund der Berufskrankheit Borreliose ab dem 21.7.1990 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 100%, also die Vollrente, zuzüglich Zusatzrente zuerkannt.

Die auch nunmehr beklagte Partei hatte mit Bescheid vom 24.2.1992 die Borreliose-Erkrankung der Klägerin zwar als Berufskrankheit anerkannt, die Gewährung einer Versehrtenrente jedoch mit der Begründung abgelehnt, es liege keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 20% durch die Folgen der Berufskrankheit vor.

Das damalige Kreisgericht Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht hatte mit Urteil vom 10.12.1992, 8 Cgs 48/92-19, im ersten Rechtsgang, der Klägerin eine 20%ige Versehrtenrente aufgrund der Berufskrankheit Borreliose zuerkannt.

Aufgrund der Berufung der beklagten Partei gegen dieses Urteil hatte das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 20.5.1994, 34 Rs 39/93 diese angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen (ON 22 im Vorakt 8 Cgs 153/54d). Dem Erstgericht wurde damals im fortgesetzten Verfahren die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens mit dem Schwergewicht auf der Rheumaforschung (Teilgebiet des Fachgebietes Interne Medizin) aufgetragen, um aufgrund der Meßwerte im Blutsenkungsbereich und der äthiologischen Erkenntnisse zur Borreliose im Vergleich mit der schicksalshaften Rheumaerkrankung klarzustellen, ob eine kausale Verknüpfung mit dem Zeckenbiß im April 1989 zulässig ist oder nicht.

Im zweiten Rechtsgang hat damals das Erstgericht nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens der Klägerin ab 21.7.1990 die Vollrente zuerkannt, zumal nach dem im März 1989 erlittenen Insektenbiß die aufgetretene Borrelieninfektion, die im Vorverfahren - wie bereits angeführt - von der beklagten Partei als Berufskrankheit anerkannt worden war, eine 100%ige Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach sich gezogen hat.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 23.8.1995 wurde der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension vom 5.7.1995 abgelehnt, dies mit der wesentlichen Begründung, daß sie die Wartezeit nicht erfüllt habe, weil sie bis zum Stichtag nur 43 Beitragsmonate nachweisen könne. Unter Berücksichtigung von 154 ab dem 1.1.1956 zurückgelegten Ersatzmonaten habe die Klägerin insgesamt zwar 197 Versicherungsmonate nachgewiesen, die Wartezeit jedoch nicht erfüllt.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin nunmehr die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß.

Die beklagte Partei beantragte die Klagsabweisung in ihrer Klagebeantwortung (ON 4) mit dem Vorbringen, daß die Klägerin nicht als dauernd erwerbsunfähig anzusehen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil hat das Erstgericht der Klägerin ab dem 1.8.1995 eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zuerkannt und der beklagten Partei eine vorläufige Leistung von monatlich S 1.800,-- auferlegt.

Das Erstgericht traf die auf den Seiten 3 bis 6 der Urteilsausfertigung (= AS 33 bis 39) ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird; hervorzuheben ist, daß das Erstgericht vorerst auf das, bereits dargestellte, Verfahren hinsichtlich der Berufskrankheit Bezug genommen hat und die der Klägerin gewährte 100%ige Versehrtenrente feststellte.

Weiters werden aufgrund der medizinischen Sachverständigengutachten erwiesenen Leidenszustände der Klägerin festgestellt, die im Verfahren betreffend die Berufskrankheit eine 100%ige Minderung der Erwerbsfähigkeit ergeben haben.

Ihr medizinisch bedingtes Leistungskalkül versetzt die Klägerin nur mehr in die Lage, leichte Arbeiten im Sitzen und Gehen zu verrichten. Schwere Gegenstände kann die Klägerin weder heben noch tragen, die Einhaltung von echten Pausen im Ausmaß von fünf Minuten pro Arbeitsstunde muß ausnahmslos gewährleistet sein, der Anmarschweg zur Arbeit ist für die Klägerin nur bis 100 m zumutbar, der Zustand der Klägerin ist nicht besserungsfähig.

Das Erstgericht gelangte daher zu der Feststellung, daß die Klägerin zu jeglichem Erwerb unfähig sei, dies aufgrund der Berufskrankheit Borreliose.

In rechtlicher Hinsicht stützte sich das Erstgericht auf die Bestimmungen der §§ 123, 124 BSVG iVm § 111 Abs 2 lit a BSVG. Die Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit habe zu entfallen, wenn der Versicherungsfall die Folgen einer Berufskrankheit, im vorliegenden Fall der Borreliose (laufende Nummer 46 aus Anlage 1 zu § 177 ASVG) sei.

Das Erstgericht verwies im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung auch darauf, daß, die Auffassung der beklagten Partei, zum Zeitpunkt des Eintrittes der Berufskrankheit Borreliose habe für die Klägerin keinerlei Pflichtversicherung bestanden, zumal der Versicherungsfall unstrittig am 20.7.1990 eingetreten sei, für die rechtliche Beurteilung irrelevant sei, weil die Entscheidung im Vorverfahren betreffend die Versehrtenrente unangefochten in Rechtskraft erwachsen sei, und daher einer Durchbrechung der Rechtskraft § 530 Abs 2 ZPO entgegenstehe.

Dieses Urteil bekämpft die beklagte Partei mit ihrer fristgerechten Berufung ON 12, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Feststellungen hinsichtlich des Vorverfahrens betreffend die Versehrtenrente ergeben sich aus der unstrittigen Aktenlage, wobei der Vollständigkeit halber anzuführen ist, daß in diesem Vorverfahren seitens der beklagten Partei ausdrücklich aufgrund der Anerkennung der Borreliose als Berufskrankheit bereits im Bescheid vom 24.2.1992 die Frage einer allfälligen Pflichtversicherung der Klägerin bzw. von bestehenden Versicherungsmonaten weder verfahrensgegenständlich gewesen ist, noch vom Gericht im Rahmen der sukzessiven Kompetenz aufzugreifen war. Diesbezüglich ist auf § 367 Abs 1 vorletzter Satz ASVG sowie auf die §§ 65 Abs 2 und 82 Abs 5 ASGG hinzuweisen (vgl SSV-NF 6/122). Bei Erhebung einer Klage wird nur jener Teil des Bescheides des Sozialversicherungsträgers rechtskräftig, der sich inhaltlich vom angefochtenen Teil trennen läßt. Im Vorverfahren ging es ausschließlich um die Höhe der Versehrtenrente, sodaß die Feststellung der Anerkennung als Berufskrankheit in Rechtskraft erwachsen ist (SSV-NF 2/42).

Nunmehr im Verfahren betreffend die Berufsunfähigkeitspension ging die beklagte Partei in ihrem Bescheid vom 22.8.1995 von der Nichterfüllung der Wartezeit durch die Klägerin aus, im Gerichtsverfahren wurde in der Klagebeantwortung ON 4 auf die nicht gegebene dauernde Erwerbsunfähigkeit der Klägerin hingewiesen.

Wie das Erstgericht bereits im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung aufzeigt, ist aus OZ 21 (bzw. der Folgeseite) ersichtlich, daß die Klägerin von Mai 1978 bis Juli 1990 keine (Pflicht)Versicherung aufgewiesen hat, somit weder beim Eintritt der Berufskrankheit mit 20.7.1990 (außer Streit) bzw. am 22.3.1989 (Zeckenbiß) pflichtversichert war. Unstrittig ist nach der Aktenlage, daß die Klägerin in einem Zeitraum von 190 Monaten, gerechnet von April 1965 bis Dezember 1994 insgesamt 168 Versicherungsmonate, und zwar 36 Monate der Pflichtversicherung und 132 Monate Ersatzzeit aufzuweisen hat, in der Anzahl der Versicherungsmonate sind 109 Ersatzmonate für Zeiten der Kindererziehung (ohne zeitliche Deckung) enthalten (OZ 12 im Anstaltsakt). Ebenso unstrittig ist, daß zum Zeitpunkt des Eintrittes der Berufskrankheit die Klägerin keine Pflichtversicherung aufgewiesen hat, sondern offenkundig mitversichert mit ihrem Ehegatten gewesen ist, der zusammen mit einer gemeinsamen Tochter den landwirtschaftlichen Betrieb führt.

In ihrer Berufung führt die beklagte Partei aus, daß gemäß § 111 Abs

2 lit a BSVG die Wartezeit für eine Leistung aus dem

Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit dann entfällt,

wenn der Versicherungsfall Folge .... einer Berufskrankheit .... ist,

die bei einem in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem

anderen Bundesgesetz Pflichtversicherten .... eingetreten ist.

Genau dieser Fall liegt aber bei der Klägerin vor, dies wurde ihr auch mit Schreiben der beklagten Partei vom 3.4.1995 (OZ 14 im Anstaltsakt) notifiziert, zumal die Zeiten von Jänner bis März 1969 und von Mai 1978 bis Dezember 1991 nicht als Versicherungszeiten festgestellt werden konnten, weil der Ehegatte der Klägerin in der Bauernpension pflichtversichert gewesen ist bzw. bei früheren Inkrafttreten der gesetzlichen Bestimmung pflichtversichert gewesen wäre.

Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren auch niemals behauptet, in dieser Zeit pflichtversichert gewesen zu sein, sondern stütze ihre Klage auf die Tatsache der Berufskrankheit.

Wenn nunmehr das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung vermeint, daß die Voraussetzung des Bestehens der Pflichtversicherung im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei, weil im Vorverfahren das Urteil auf Gewährung der Versehrtenrente unangefochten in Rechtskraft erwachsen sei, dies stehe einer Durchbrechung der Rechtskraft gemäß § 530 Abs 2 ZPO entgegen, so ist dazu auszuführen, daß der Pensionsversicherungsträger an die Entscheidung des Unfallversicherungsträgers (in diesem Fall ebenfalls die beklagte Partei) gebunden ist. Dies betrifft die (Vor)Frage des Vorliegens eines Arbeitsunfalles bzw. einer Berufskrankheit. Bei Leistungszuständigkeit der Sozialversicherungsanstalt der Bauern entfiel bis zum 31.12.1979 die Wartezeit nur bei Personen, die tatsächlich in der Bauern-Pensionsversicherung versicherungspflichtig waren und dem Personenkreis der in der Unfallversicherung gemäß § 3 leg cit Versicherten angehörten. In Angleichung an die bereits seit 1.1.1979 geltende Rechtslage nach dem ASVG und an den Wegfall der Subsidiarität wurde durch die 2.Novelle zum Bauernsozialversicherungsgesetz ab dem 1.1.1980 bestimmt, daß die Wartezeit immer dann entfällt, wenn der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit bei einem in der Pensionsversicherung nach dem ASV, GSVG oder BSVG Pflichtversicherten eingetreten ist. Die vom Erstgericht angenommene Bindungswirkung betrifft mit nur die Tatsache des Arbeitsunfalles bzw. der Berufskrankheit, kann jedoch keinesfalls die Tatsache der Pflichtversicherung substituieren.

Da die Voraussetzung der Pflichtversicherung nach der Aktenlage für die Klägerin zum Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles, nämlich der Berufskrankheit, nicht gegeben gewesen ist, kann der Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitspension mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht gewährt werden.

Es war daher spruchgemäß mit der Abweisung des Klagebegehrens vorzugehen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil Kosten nicht verzeichnet worden sind.

Ein Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision hatte zu entfallen, weil ein privilegierter Fall gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG vorliegt.

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