28R94/96s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Silberbauer als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Hoch und Dr.Schramm in der Rechtssache der Antragstellerin Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Landesstelle Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, wegen Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Antragsgegners Benson O*****, Geschäftsführer und Gesellschafter der O***** GmbH., G***** Wien, vertreten durch Dr.Gerhard Deinhofer, Rechtsanwalt in Wien, über den Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 6. Oktober 1995, 6 Se 1405/95z-4, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird F o l g e gegeben.
Der angefochtene Beschluß und das diesem vorangegangene Verfahren bis einschließlich der Zustellung des Antrags werden als nichtig aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Zustellung des Antrags an den Antragsgegner und Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Am 4.9.1995 stellte die Antragstellerin beim Erstgericht den Antrag, über das Vermögen des Antraggegners den Konkurs zu eröffnen. Antrag und Ladung zur vom Erstgericht angeordneten Tagsatzung zur Einvernahme zum Konkursantrag am 6.10.1995 wurden laut Zustellausweis dem Antragsgegner nach erfolglosen Zustellversuchen an der im Antrag angegeben Anschrift am 15. und 18.9.1995 durch Hinterlegung beim Postamt ***** Wien zugestellt; Beginn der Abholfrist war der 19.9.1995. Die Sendung wurde nicht behoben und langte am 11.10.1995 an das Erstgericht zurück.
Zur Vernehmungstagsatzung am 6.10.1995 kam für den Antragsgegner niemand; der Vertreter der Antragstellerin brachte vor wie im Antrag, "keine Zahlung, kein Vorschuß".
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Erstgericht den Konkurseröffnungsantrag mangels eines zur Deckung der Kosten eines Konkursverfahrens voraussichtlich hinreichenden Vermögens ab.
Die Zustellung der für den Antragsgegner bestimmten Ausfertigung dieses Beschlusses erfolgte laut Zustellausweis durch Hinterlegung beim Postamt ***** Wien nach einem erfolglosen Zustellversuch an der im Antrag genannten Anschrift des Antraggegners am 8.11.1995; Beginn der Abholfrist war der 9.11.1995. Die Sendung wurde nicht behoben und vom Postamt ***** Wien am 27.11.1995 an das Erstgericht zurückgesandt (ON 8, AS 19).
Am 27.12.1995 stellte der Antragsgegner den Antrag, ihm den angefochtenen Beschluß zuzustellen. Er habe sich vom 26.6.1995 bis 18.11.1995 infolge einer Geschäftsreise nach Nigeria nicht an der Abgabestelle aufgehalten. Die vom Erstgericht verfügte Zustellung einer Ausfertigung des angefochtenen Beschlusses an den bevollmächtigen Rechtsanwalt des Antraggegners erfolgte am 23.4.1996.
Gegen den Beschluß vom 6.10.1995 richtet sich der Rekurs des Antragsgegners mit dem Antrag, ihn im Sinne einer Abweisung des Konkursantrags abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Rekurs ist zulässig (OLG Wien RZ 1978/103; OGH RdW 1987, 412). Er ist auch rechtzeitig:
Rechtliche Beurteilung
Das Rekursgericht nimmt aufgrund der vom Rekurswerber mit dem Zustellantrag vorgelegten Kopien seines Reisepasses und der Flugscheine als bescheinigt an, daß der Rekurswerber aus geschäftlichen Gründen am 26.6.1995 von Wien über London nach Lagos flog, am 27.6.1995 in Nigeria einreiste, von dort am 17.11.1995 abreiste und am 18.11.1995 an die Adresse G***** ***** Wien, zurückkehrte.
Kann die Sendung an der Abgabestellt nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Fall der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen (§ 17 Abs 1 ZustellG). Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben, sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen (§ 17 Abs 2 ZustellG).
Der Rekurswerber war am 8.11.1995, an welchem Tag die Zustellung des Beschlusses an ihn versucht wurde, und am 9.11.1995, dem Tag des festgelegten Beginns der Abholfrist ortsabwesend; er hielt sich zu dieser Zeit in Nigeria auf. Das bedeutet, daß gemäß § 17 Abs 3 ZustellG der hinterlegte Beschluß als nicht zugestellt galt, weil der Rekurswerber als Empfänger dieses Schriftstückes wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig von dem Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Gemäß § 17 Abs 3 letzterer Halbsatz ZustellG wird aber die Zustellung an den bei der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte. Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob durch die Rückkehr des Rekurswerbers an die Abgabestelle am 18.11.1995 ein Wirksamwerden der unwirksamen Hinterlegung erfolgt ist. Dies ist zu verneinen:
Die Heilungsmöglichkeit nach § 17 Abs 3 letzter Halbsatz ZustellG setzt voraus, daß der Empfänger an die Abgabestelle zurückgekehrt ist. Von den in § 4 ZustellG angeführten Abgabestelle kam nach der Aktenlage in Ansehung der Anschrift des Antragsgegners nur "die Wohnung" in Betracht. Darunter ist jene Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich zu Wohnzwecken benützt, wo er also gewönlich nächtigt oder sich sonst dauernd aufzuhalten pflegt (Gitschtahler in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 87 mwN; VwGH ZFVB 1995/3/176; ZFVB 1989/2/636).
Es ist zu prüfen, ob die beinahe 5-monatige Geschäftsreise des Rekurswerber seiner Wohnung die Qualifikation einer Abgabestelle genommen hat. Dies ist zu bejahen:
Fasching, Lehrbuch**2 Rz 532 führt aus, daß die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle dadurch verloren gehe, daß der Empfänger die vom Gesetz geforderte Nahebeziehung zu diesem Ort auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum aufgibt, der nach den Gepflogenheiten des Lebens das Abwarten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar erscheinen läßt. Hier komme es auf die Umstände des Einzelfalles, insbesondere einen bereits bekannten Grund der Abwesenheit und die Dringlichkeit des Verfahrens an. Eine fixe Frist der Abwesenheit (zB. 14 Tage oder 3 Monate) als maßgebend anzusehen, sei weder zweckmäßig noch durch das Gesetz gedeckt.
Der Verwaltunsgerichtshof hat in einem bislang vereinzelt gebliebenen Erkenntnis im Hinblick auf die gemäß § 17 Abs 1 ZustellG erforderliche regelmäßige Anwesenheit des Empfängers an der Abgabestelle die Auffassung vertreten, daß eine 1-wöchige Abwesenheit zu Urlaubszwecken den Charakter einer Wohnung als Abgabestelle aufhebe, eine Hinterlegung gemäß § 17 Abs 1 ZustellG daher unzulässig sei; daraus folge, daß auch § 17 Abs 3 ZustellG nicht anwendbar sei, weil eine "hinterlegte Sendung" im Sinne dieser Bestimmung nicht vorliegt (ZfVB 1985/3/1176; kritisch dazu Szirba, ZfV 1985, 597). Davon abweichend erkannte der Verwaltungsgerichtshof, 18 Tage Auslandsaufenthalt sei irrrelevant (VwGH 13.12.1988, Zl 88/04/0197). In seinem Erkenntnis vom 30.6.1988, Zl 88/10/0069 = ZfVB 1989/2/636, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, eine Abgabestelle liege bei längerer Abwesenheit, wie bei der Ableistung eines Grundwehrdienstes von 4 1/2 Monaten, nicht mehr vor.
In einigen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs und in anderen Erkenntnissen des Verwaltunsgerichtshofs (zB. OGH 19.9.1984, 1 Ob 654/84; VwGH 12.10.1994, Zl 84/02/0210; 12.9.1985, Zl 85/07/0144; 13.12.1989, Zl 89/03/0214; 24.2.1993, Zl 92/03/0011) wird von einem anderen Lösungsgrundsatz ausgegangen. Nach diesen scheint die Dauer der Abwesenheit für die Anwendbarkeit des § 17 Abs 3 ZustellG keine Rolle zu spielen. Es wird nämlich im Falle einer Hinterlegung wegen Abwesenheit von der Abgabestelle lediglich geprüft, ob der Empfänger während der Abholfrist an die Abgabestelle zurückgekehrt ist und die Sendung beheben konnte und diesfalls wird nach diesen Entscheidungen/Erkenntnissen die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden konnte.
In seiner Entscheidung vom 2.6.1993, 3 Ob 48/93, = EvBl 1994/10, schloß sich der Oberste Gerichtshof der Ansicht Faschings in Lehrbuch**2 Rz 532 an. Bei Auslegung des Begriffes "Rückkehr" in § 17 Abs 3 ZustellG sei nicht auf den mit Hilfe von Wörterbüchern - wonach das Wort "Rückkehr" gerade dann angwendet wird, wenn eine längere Abwesenheit vorliegt - gefundenen Wortsinn Bedacht zu nehmen, würde doch bei einer solchen Auslegung einer Wohnung die Bedeutung als Abgabestelle selbst dann nicht genommen, wenn ihr Inhaber nach mehrjähriger Strafhaft, Verschollenheit, Kriegsgefangenschaft nämliches, womöglich nach jahrelanger Abwesenheit, zurückkommt. Der unbestimmte Gesetzesbegriff "längere Abwesenheit", welcher zum Wegfall der Qualifikation einer Wohnung als Abgabestelle führe, sei vielmehr dahin auszulegen, daß nach den Gepflogenheiten des Lebens das Abwarten einer Rückkehr in angemessener Zeit nicht unzumutbar sei. Dies sei aber bei einer 8-wöchigen Geschäftsreise noch nicht der Fall. Hier liege eine durchaus angemessene, eine längere Urlaubsreise nicht wesentlich überschreitende Zeitspanne vor, in der nach den Lebensgewohnheiten durchaus mit der weiteren fortlaufenden Benützung der Wohnung zu rechnen gewesen sei.
Das Rekursgericht gelangt entsprechend dieser Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß die beinahe 5-monatige Abwesenheit des Rekurswerbers von der Räumlichkeit ausreichte, ihre Eigenschaft als Wohnung des Rekurswerbers im Sinne des § 4 ZustellG für den genannten Zeitraum aufzuheben. Vom Zustellrecht her gesehen hatte der Rekurswerber somit im Zeitraum des Zustellvorganges unter dieser Anschrift keine Abgabestelle. Eine Hinterlegung gemäß § 17 Abs 1 ZustellG konnte deshalb bei dem für die Adresse zuständigen Postamt nicht stattfinden. Daraus folgt, daß auch keine "hinterlegte Sendung" im Sinne des § 17 Abs 3 ZustellG vorlag, weshalb auch die Regeln dieser Gesetzesstelle, insbesondere die Heilungsmöglichkeit nach dem 3.Halbsatz, nicht zum Tragen kommen. Der Zustellmangel wurde erst durch Zustellung der Beschlußausfertigung an den bevollmächtigten Rechtsanwalt des Rekurswerbers geheilt. Der Rekurs wurde innerhalb der nun zu laufen begonnen 14-tägigen Rekursfrist eingebracht.
Eine Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses und des ihm vorangegangen Verfahrens wird zwar im Rechtsmittel nicht geltend gemacht. Eine solche liegt jedoch vor und ist vom Rekursgericht von amtswegen aufzugreifen (§ 171 KO; §§ 514 Abs 2, 471 Z 7, 477 ZPO).
Der Konkursantrag eines Gläubigers ist den Schuldner zu eigenen Handen zuzustellen (§ 70 Abs 2 KO). Im vorliegenden Fall wurden dem Rekurswerber der Konkursantrag und die Ladung für den 6.10.1995 nicht wirksam durch Hinterlegung zugestellt, weil er an den Tagen der Zustellversuche ortsabwesend war (SZ 19/193 uva; EvBl 1994/10) und eine Heilung nach § 17 Abs 3 ZustellG schon deshalb nicht in Frage kommen kann, weil der Rekurswerber nicht innerhalb der Abholfrist an die Abgabestelle zurückgekehrt ist.
Dem Rekurswerber wurde daher durch einen ungesetzlichen Vorgang die Möglichkeit, zum Konkursantrag in der Vernehmungstagsatzung rechtlich gehört zu werden, entzogen. Es liegt demnach die Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO vor (JBl 1969, 50), die den angefochtenen Beschluß und das diesem vorangegangene Verfahren ab Zustellung des Konkursantrags umfaßt. Gemäß § 171 KO, § 477 Abs 1 und § 478 Abs 2 ZPO war daher der angefochtene Beschluß und das vorangegangene Verfahren ab Zustellung des Konkursantrags als nichtig aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Zustellung des Konkursantrages an den Antragsgegner und zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.