JudikaturOLG Wien

19Bs309/96 – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. August 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie die Richter Dr.Philipp und Dr.Danek in nichtöffentlicher Sitzung in der Strafsache gegen A***** A ***** wegen §§ 83 f u.a. StGB über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wien gegen das Unterbleiben eines Beschlusses nach § 494 a Abs 1 StPO des Landesgerichtes für Strafsachen Wien anläßlich der Urteilsfällung am 20. Juni 1996, GZ 3 c E Vr 3912/96-40, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Beschwerde wird n i c h t Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. Juni 1996 wurde A***** A***** wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 u.a. StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten verurteilt. Unter einem widerrief der Erstrichter (gemäß §§ 53 Abs 1 StGB, 494 a Abs 1 Z 4 StPO) beschlußmäßig eine dem Verurteilten vom Jugendgerichtshof Wien zu AZ 16 U 87/93 am 26. April 1993 gewährte bedingte Strafnachsicht hinsichtlich einer 14-tägigen Freiheitsstrafe. Über den von der Staatsanwaltschaft Wien (bereits im Strafantrag) gestellten Antrag auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht auch bezüglich einer vom Jugendgerichtshof Wien zu AZ 3 b Vr 359/93 am 25. Mai 1993 verhängten 14-monatigen Zusatzfreiheitsstrafe entschied der Einzelrichter jedoch nicht, da der betreffende Vorakt trotz mehrmaliger Anforderungen bis zur Hauptverhandlung nicht übermittelt worden war (und auch keine Urteilsabschrift vorlag).

Der gegen diese Unterlassung gerichteten - gemäß § 498 Abs 2, 2. Satz, StPO rechtzeitigen (vgl. hg 19 Bs 499/95) - Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wien kommt Berechtigung nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 494 a Abs 3 StPO ist eine Entscheidung nach § 494 a Abs 1 StPO nur dann zulässig, wenn das Gericht unter anderem Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung oder zumindest in eine Abschrift des früheren Urteils nehmen konnte. Ist dies hingegen nicht möglich, weil - wie gegenständlich - der entsprechende Vorakt trotz (hier: zeitgerechter und wiederholter) Anforderungen bis zur Hauptverhandlung nicht übermittelt worden ist, so hat ein gemeinsam mit dem Urteil verkündeter Beschluß über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu unterbleiben. In einem solchen Fall zulässiger Urteilsfällung kommt sodann die Entscheidung nach § 53 StGB nicht dem nunmehr erkennenden, sondern dem sonst für den Widerruf zuständigen Gericht zu (§ 495 StPO). Auch einen förmlichen Beschluß, wonach die Entscheidung über den Widerruf dem Gericht vorbehalten bleibt, dem sonst die Entscheidung zukäme (§ 494 a Abs 2, letzter Satz, StPO) hat das erkennende Gericht diesfalls - abgesehen vom (hier nicht vorliegenden) Fall strafausmaßbedingter sachlicher Unzuständigkeit - nicht zu fassen (arg.: "sonach"). Bei gegebener sachlicher Zuständigkeit hat es also - wie gegenständlich vom Erstrichter richtig erkannt - nach Fällung des Urteiles von der Widerrufsentscheidung Abstand zu nehmen, ohne einen Vorbehaltsbeschluß zu fassen. Auch ohne einen solchen bleibt sodann der Widerruf der bedingten Strafnachsicht durch das sonst zuständige Gericht zulässig, weil er durch die Bestimmung des § 494 b StPO nur dann ausgeschlossen wird, wenn das erkennende Gericht bei der Urteilsfällung ein Ausspruch nach § 494 a Abs 1 Z 3 oder 4 StPO zu Unrecht unterlassen und der Ankläger dessen Unterbleiben nicht angefochten hat (vgl. zum Ganzen OGH in 12 Os 25/89).

Nur zur Abrundung sei bemerkt, daß der von Mayerhofer-Rieder (StPO**n, Anm. 6 zu § 494 a) vertretenen Rechtsmeinung, daß im Fall des Nichtvorliegens einer der Voraussetzungen des Abs 3 der zitierten Gesetzesstelle im Zeitpunkt der Urteilsverkündung die Hauptverhandlung vertagt (offenbar: so oft bis etwa der Vorakt übermittelt wird) werden muß, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen des Widerrufs indiziert ist, nicht beigetreten wird. Zum einen ist - wie auch im gleichgelagerten Fall eines Abwesenheitsurteils (vgl. wiederum 12 Os 25/89) - die Urteilsfällung auch im Fall des Nichtvorliegens des Vorakts (bei indiziertem Widerruf) gesetzlich zulässig, andererseits widerspräche die dargestellte Vorgangsweise dem aus Art. 6 Abs 1 MRK (und - wie im gegenständlichen Fall - in einer Haftsache auch § 193 Abs 1 StPO) ableitbaren Gebot auf raschestmögliche Urteilsfällung.

Die Vorgangsweise des Erstrichters steht sohin im konkreten Fall mit dem Gesetz im Einklang. Über den offenen Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf Widerruf der bedingten Nachsicht der zu AZ 3 b Vr 359/93 des Jugendgerichtshofes Wien ergangenen Vorstrafe wird daher das letztgenannte - nach § 495 Abs 1 StPO zuständige - Gericht zu entscheiden haben.

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