JudikaturOLG Wien

4R148/96f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
02. Juli 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Derbolav als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Pöschl und Dr.Hradil in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, ***** 1100 Wien, vertreten durch Dr.Hannes Pflaum und andere, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Z*****, Geschäftsführer, A*****, 1100 Wien, wegen S 209.707,03 s.A., infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 19.2.1996, 35 Cg 462/94v-10, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenkosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der (verbliebenen) beklagten Partei die Bezahlung von S 209,707,03 s.A. aus der vereinbarungsgemäßen Auflösung eines Leasingvertrages. Das Poststück mit der Klage und dem Auftrag zur schriftlichen Klagebeantwortung binnen 3 Wochen wurde dem Beklagten durch Hinterlegung am 17.11.1994 (Beginn der Abholfrist) zugestellt. Das Poststück wurde als nicht behoben an das Erstgericht zurückgesendet. Die Klägerin beantragte in der Folge ein Versäumungsurteil, welches am 15.12.1994 erlassen wurde. Das Poststück mit dem Versäumungsurteil wurde vom zuständigen Postamt an das Erstgericht rückgemittelt, weil der Empfänger verzogen sei.

Einen daraufhin gestellten Antrag der Klägerin, das Versäumungsurteil ohne Zustellungsversuch gemäß §§ 8, 23 ZustG zu hinterlegen, wies das Erstgericht (ON 8) rechtskräftig mit der Begründung ab, daß nicht bescheinigt sei, daß die beklagte Partei von dem gegen sie eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt habe.

Die Klägerin beantragte daraufhin die Bestellung eines Abwesenheitskurators gemäß § 116f ZPO für den Beklagten und die Zustellung des Versäumungsurteils an diesen.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Erstgericht diesen Antrag mit der Begründung ab, daß die Bestellung eines Kurators gemäß § 116 ZPO dann nicht zulässig sei, wenn eine Partei während des Verfahrens unbekannt wohin verzogen sei. Es sei in einem derartigen Fall vielmehr gemäß § 8 Abs 2 ZustG vorzugehen. In der Folge werde daher, da die Zustellung der Klage durch Hinterlegung stattgefunden habe und nun von der Klägerin bescheinigt sei, daß eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten feststellbar sei, die Ordnungsgemäßheit der Zustellung durch Hinterlegung als Voraussetzung für eine Zustellung gemäß §§ 8, 23 ZustG zu überprüfen sein.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß für den Beklagten gemäß § 116f ZPO ein Abwesenheitskurator bestellt werde, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Rekurs ist im Rahmen des Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Erstgericht ist insofern zuzustimmen, als die Bestellung eines Prozeßkuraturs dann unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs 2 ZustG vorliegen (Petrasch in ÖJZ 1985, 261, RiZ 1986/3).

Ändert gemäß § 8 Abs 1 ZustG eine Partei, die während eines

Verfahrens, von dem sie K e n n t n i s hat, ihre bisherige

Abgabestelle, hat sie dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Nach

der Regierungsvorlage zum Zustellgesetz (182 Blg. NR 15.GP) macht es

die Bedeutung, die der Zustellung im Verfahren und hinsichtlich der

Rechtswirksamkeit eines behördlichen Aktes zukommt, aber auch der

Umstand, daß von der Zustellung Fristen für die Parteien eines

Verfahrens abhängen, erforderlich, die Parteien dazu zu verhalten,

Änderungen ihrer Abgabestelle der Behörde mitzuteilen. Dies

selbstverständlich nur dann (z.B. Regierungsvor- lage), wenn die

Partei ü b e r h a u p t K e n n t- n i s von einem sie

betreffenden Verfahren hat und nur gegenüber der betreffenden

Behörde. Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes

(VwGH 26.6.1990 90/11/0042 in ZfVB 1991/1182) setzt die

Mitteilungspflicht nach § 8 Abs 1 ZustG die K e n n t - n i s der

Partei von dem anhängigen Verfahren voraus. Selbst eine rechtswirksame - und damit bestimmte verfahrensrechtliche Folgen auslösende - Zustellung verschafft einer Partei nicht notwendigerweise die (diesfalls nur fiktiv anzunehmende) andere Pflichten begründende Kenntnis vom Inhalt des zugestellten Poststückes und somit vom Verfahren.

Dazu, ob die beklagte Partei je Kenntnis von der Hinterlegung der Klage und dem Auftrag zur Klagebeantwortung erhalten hat und demzufolge die Sanktionen nach § 8 Abs 2 ZustG eintreten können, fehlt es jedoch an Feststellungen. Ausgehend von obigen Erwägungen muß selbst in dem Fall, daß die Zustellung von Klage und Auftrag zur Klagebeantwortung an sich wirksam gewesen wäre, der Beklagte jedoch keine Kenntnis davon erlangt hätte, - unter den sonstigen Voraussetzungen nach §§ 115, 116 ZPO - eine Kuratorbestellung für zulässig beurteilt werden. Die vom Erstgericht auf - frühere Rechtslage gestützte - Ansicht würde nämlich dazu führen, daß einerseits mangels Kenntnis des Beklagten von dem gegen ihn geführten Verfahren eine Zustellung nach § 8 Abs 2 ZustG nicht möglich wäre, andererseits aber die Kuratorbestellung dann jedenfalls ausgeschlossen wäre, wenn eine Abgabestellenänderung des Beklagten nach Zustellung der Klage nicht bekanntgegeben worden wäre, was letztlich zu einem von der Klägerin nicht beeinflußbaren Verfahrensstillstand führen würde. Zusammenfassend könnte im vorliegenden Fall - unter der Bedingung, daß auch die anderen nach §§ 115, 116 ZPO erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind - eine Kuratorbestellung nur dann nicht stattfinden, wenn der Beklagte von dem gegen ihn geführten Verfahren Kenntnis erlangt hätte, was jedoch im Zweifel nicht ohne weiteres angenommen werden kann.

Das Erstgericht wird daher sowohl zur Kenntnisnahme durch den Beklagten als auch zum Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach §§ 115, 116 ZPO entsprechende Feststellung zu treffen und dann über den Antrag der Klägerin auf Kuratorbestellung und Zustellung an diesen neuerlich zu befinden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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