JudikaturOLG Wien

7Rs54/96 – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
10. April 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Hellwagner (Vorsitzender) und die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Meinhart und DDr. Huberger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S***** O***** vertreten durch Dr. Dipl.Dolm. Johann Zivic, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*****UNGSANSTALT *****A*****, *****3, wegen Invaliditätspension, infolge des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 3.1.1996, 23 Cgs 50/91-26, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluß dahin abgeändert, daß er lautet:

"Der klagenden Partei wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Beschluß vom 3.3.1992 eingeräumten 14-tägigen Frist zur Beseitigung von Formgebrechen bewilligt, der angefochtene Beschluß in seinem Punkt 1.), womit die Berufung gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26.11.1991 als verspätet zurückgewiesen wird, aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen.

Der Rekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Erstgericht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16.11.1991 als verspätet zurückgewiesen und den Antrag der klagenden Partei auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der mit Beschluß vom 3.3.1992 eingeräumten 14-tägigen Frist zur Beseitigung von Formgebrechen abgewiesen.

Das Erstgericht ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Der Kläger hat gegen das Urteil vom 26.11.1991 fristgerecht Berufung erhoben, allerdings war diese nicht durch einen österreichischen Rechtsanwalt oder Funktionär einer gesetzlichen Interessenvertretung oder freiwilligen Berufsvereinbarung unterfertigt. Mit Beschluß vom 3.3.1992 wurde daher die Berufung dem Kläger zur Verbesserung binnen 14 Tagen durch Unterschrift eines österreichischen Rechtsanwaltes oder eines Funktionärs oder Arbeitnehmers einer gesetzlichen Interessensvertretung oder freiwilligen Berufsvereinigung zurückgestellt. Der Beschluß vom 3.3.1992 wurde dem Kläger am 31.3.1992 zugestellt. Der Kläger bringt nun am 13.12.1995 (Postaufgabe 12.12.) eine von einem österreichischen Rechtsanwalt unterfertigte Berufung ein und führt dazu aus, daß eine frühere Vorlage der Berufung nicht möglich gewesen sei, weil kurze Zeit nach Zustellung des Beschlusses vom 3.3.1992 die Kriegsereignisse in Bosnien und die Einstellung des Postverkehrs mit Bosnien begonnen hätten und dadurch sei eine fristgerechte Beseitigung des Formgebrechens der Berufung faktisch nicht mehr möglich gewesen. Weiters werde - falls überhaupt erforderlich - die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der 14-tägigen Verbesserungsfrist beantragt und hiermit in einem die versäumte Handlung nachgeholt und das der Berufung anhaftende Formgebrechen hiermit beseitigt.

In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß der Kläger in seinem Wiedereinsetzungsantrag der Bestimmung des § 149 Abs 1 ZPO nicht nachgekommen sei, wonach die Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt, in dem bezüglichen Schriftsatz alle den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände anzuführen und die Mittel zu ihrer Glaubhaftmachung anzugeben hat. Zunächst werde nicht vorgebracht, ab wann das unvorhergesehene und unabwendbare Ereignis (beginnende Kriegsereignisse und Einstellung des Postverkehrs) begonnen habe und es werde insbesondere kein Vorbringen dahingehend erstattet, weshalb der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig sein solle, es würde auch kein einziges Bescheinigungsmittel dazu angeboten werden.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und im Sinne einer Antragsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist berechtigt.

Der Kläger bringt im wesentlichen vor, daß als gerichtsbekannt vorauszusetzen sei, daß der amtliche Postverkehr mit Bosnien Ende März, Anfang April 1992 infolge Ausbruches der Kriegsereignisse eingestellt worden sei, die Angabe eines diesbezüglichen genaueren Datums sei jedoch nicht mehr möglich. Nach Auskunft der österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung sei ein regelmäßiger amtlicher Postverkehr zwischen Österreich und Bosnien nach wie vor nicht wieder aufgenommen worden (zumindest was die Beförderung von eingeschriebenen Briefsendungen betreffe). Aus diesem Grunde habe ein Vorbringen, ab wann die faktische Unmöglichkeit weggefallen sei, nicht erstattet werden können.

Dessen ungeachtet sei dem ausgewiesenen Rechtsvertreter am 1.12.1995 ein Brief des Klägers aus Bosnien, zur Post gegeben am 13.11.1995, zugekommen, woraufhin am 6.12.1995 der Antrag auf Wiedereinsetzung (ON 24) gestellt worden sei (Postaufgabe 12.12.1995)..

Weiters wendet der Kläger ein, das Erstgericht hätte vor der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages ein Verbesserungsverfahren nach den §§ 84 und 85 ZPO einleiten müssen.

Gemäß § 149 Abs 1 ZPO hat die Partei, welche die Wiedereinsetzung beantragt, in dem bezüglichen Schriftsatz alle den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Umstände anzuführen und die Mittel zu ihrer Glaubhaftmachung anzugeben. Ziel der Glaubhaftmachung ist, im Richter die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache hervorzurufen. Als Bescheinigungsmittel kann jedes Beweismittel mit Ausnahme der eidlichen Vernehmung der Partei herangezogen werden. Gemäß § 269 ZPO bedürfen Tatsachen, welche bei dem Gerichte offenkundig sind, keines Beweises. Zu den offenkundigen Tatsachen gehören die allgemein kundigen Tatsachen, dazu zählen unter anderem auch allgemein bekannte historische Tatsachen und Ereignisse. Auch das Rekursgericht ist berechtigt, offenkundige Tatsachen der Entscheidung zugrundezulegen (vgl. MGA ZPO14 § 269/9), es ist an die Beweiswürdigung des Erstgerichtes nicht gebunden (MGA, ZPO14 § 274/24).

Im vorliegenden Fall kann die Tatsache, daß bereits Anfang April 1992 in Bosnien Herzegovina kriegerische Auseinandersetzungen stattgefunden haben, als offenkundig bezeichnet werden. Die Richtigkeit der Berichterstattung in den Medien - wie etwa in der Wiener Zeitung (z.B. in den Ausgaben vom 4.April, 9.April, 10.April, 11. April 1992) - darüber kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Das Rekursgericht hält es überdies für offenkundig, daß der amtliche Postverkehr in einem Kriegsgebiet zumindest stark beeinträchtigt, wenn nicht sogar völlig eingestellt ist. Dafür spricht der im Akt einliegende Kanzleivermerk vom 27.Mai 1992 (ON 23 = AS 69), wonach wegen der Kriegsereignisse im ehemaligen Jugoslawien damals kein Postverkehr stattgefunden habe, ein Zustand, der über Jahre anhalten sollte.

Die Berufung des Klägers auf die Kriegsereignisse und die daraus resultierende faktische Unmöglichkeit der fristgerechten Beseitigung des Formgebrechens genügt daher, entgegen den sonst strengen Vorschriften, ausnahmsweise zur Bescheinigung dieser Tatsachen.

Zur Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages ist zu bemerken, daß der ausgewiesene Rechtsvertreter des Klägers, RA Dr. Dipl.Dolm. J*****Z*****, am 1.Dezember 1995 einen Brief des Klägers, den dieser am 13.11.1995 zu Post gegeben hat, erhielt. Daraufhin verfaßte er am 6.12.1995 den gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrag, den er am 12.12.1995 zur Post gab und welcher am 13.12.1995 beim Erstgericht einlangte. Das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, ist nach der Aktenlage mit Einlangen des Briefes des Klägers bei seinem Rechtsanwalt weggefallen, weil erst ab diesem Zeitpunkt eine Kontaktmöglichkeit mit dem Kläger bestand. Da der Wiedereinsetzungsantrag am 12.12.1995 zur Post gegeben wurde, ist die 14-tägige Frist gewahrt. Daß es dem Kläger schon zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre, seinen Rechtsvertreter zu kontaktieren, ist aufgrund der noch immer nicht konsolidierenden Lage und der gebietsweise aufflackernden anhaltenden Auseinandersetzungen nicht anzunehmen, zumal mit dem Abkommen von Dayton noch keine sofortige Wafffenruhe eingetreten war.

Gemäß § 11 a Abs 2 Z 2 lit a ASGG waren der Beschlußfassung keine fachkundigen Laienrichter beizuziehen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden; im fortgesetzten Verfahren wird der mit dem Verbesserungsauftrag zurückgestellte Originalschriftsatz wieder vorzulegen sein.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 2 ASGG, 154 ZPO (vgl. Arb 8.273, WR 146).

Die Unzulässigkeit des Revisionrekurses gründet sich auf §§ 2 ASGG, 153 ZPO.

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