JudikaturOLG Wien

20Bs62/96 – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
19. März 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen Johann T ***** wegen § 105 Abs 1 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 5. Oktober 1995, GZ 14 E Vr 151/95-12, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Streller, im Beisein der Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Brem und Dr.B.Kunst als weitere Senatsmitglieder sowie der Vertragsbediensteten Stegmeier als Schriftführerin, in Gegenwart des Oberstaatsanwaltes Dr.Seystock sowie in Anwesenheit des Angeklagten Johann T***** und seines Verteidigers Dr.Helfried Stadler durchgeführten Berufungsverhandlung am 19. März 1996 zu Recht erkannt:

Der Berufung wegen Nichtigkeit wird F o l g e gegeben, das

angefochtene Urteil a u f g e h o b e n und in der Sache selbst

entschieden:

Johann T***** wird von der Anklage, er habe am 30.1.1995 in Mistelbach eine unbekannte Frau, die auf einem freien Parkplatz stand, dadurch, daß er mit seinem PKW langsam auf sie zufuhr, bis er gegen ihre Beine stieß, sodaß sie zurückgehen mußte, kurz ausstieg, mit ihr sprach, dann neuerlich gegen sie losfuhr und sie wieder mit der Stoßstange des PKWs berührte, mit Gewalt zur Freigabe und Verlassen dieses Parkplatzes genötigt, gemäß § 259 Z 3 StPO f r e i g e s p r o c h e n .

Spruch

Entscheidungsgründe:

Text

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der gegenwärtig 68-jährige Angeklagte Johann T***** des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach dieser Gesetzesstelle unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je S 330,-- verurteilt, weil er am 30.1.1995 in Mistelbach eine unbekannte Frau, die auf einem freien Parkplatz stand, dadurch, daß er mit seinem PKW langsam auf sie zufuhr, bis er gegen ihre Beine stieß, sodaß sie zurückgehen mußte, worauf er kurz ausstieg, mit ihr sprach und dann neuerlich gegen sie losfuhr und sie wieder mit der Stoßstange des PKWs berührte, mit Gewalt zum Freigeben und Verlassen des Parkplatzes genötigt hat.

Bei der Strafbemessung wertete der Einzelrichter als mildernd den bisherigen ordentlichen Wandel und den Umstand, daß die Tathandlung durch das Blockieren der Parkfläche durch das Opfer provoziert wurde, sowie das vorgerückte Alter des Angeklagten, als erschwerend hingegen keinen Umstand.

Der auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützten Rechtsrüge, die sich allerdings inhaltlich auch auf den Rechtfertigungsgrund der lit b des § 281 Abs 1 Z 9 StPO stützt, kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 105 Abs 2 StGB ist eine Nötigung dann nicht rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck nicht den guten Sitten widerstreitet.

Dazu hat das Berufungsgericht erwogen:

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist der Angeklagte zunächst mit seinem PKW halb in einen Schrägparkplatz eingefahren, als er der diesen Parkplatz (rechtswidrig) reservierenden und auf der Fahrbahn stehenden Fußgängerin ansichtig wurde. Dieser gab er durch sein langsames Zufahren zu erkennen, daß er die Parklücke in Anspruch zu nehmen beabsichtige, was er überdies der Frau auch verbal zur Kenntnis brachte indem er seine Fahrt unterbrach, einstieg und sie zur Freigabe des Parkplatzes aufforderte. In dieser Phase des Geschehens kann Nötigungsvorsatz noch nicht angenommen werden, weil der Angeklagte darauf hoffen konnte, daß die Fußgängerin aus Einsicht in die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens den Parkplatz verlassen werde. Erst ab dem Zeitpunkt des Erkennens des entgegenstehenden Verhaltens entstand der Nötigungsvorsatz und es kann damit nicht davon ausgegangen werden, daß der Angeklagte von vorneherein bereits beim Einfahren und beginnenden Zufahren auf die Fußgängerin diese zur Freigabe nötigen wollte, weil die beabsichtigte und rechtmäßige Inanspruchnahme des Parkplatzes zunächst einen Nötigungsvorsatz ausschließt. Denn das Einfahren in einen von einer Person reservierten Parkplatz hat notwendigerweise das Zufahren auf diese Person zur Folge. Die nachfolgende Fassung eines Nötigungsvorsatzes muß jedoch bei der Beurteilung des Rechtfertigungsgrundes nach Abs 2 des § 105 Abs 1 StGB von jenem Fall unterschieden werden, wo a priori gegen jemanden zur Erzwingung einer Handlung oder Unterlassung das Nötigungsmittel der gefährlichen Drohung oder Gewalt eingesetzt wird. Damit steht aber auch fest, daß das vorsätzliche Verhalten des Täters im vorliegenden Fall in einer vergleichsweise abgeschwächten Form vorliegt.

Das Mittel der Nötigung war zwar im vorliegenden Fall Gewalt, wobei es allerdings entgegen der Ansicht des Erstgerichtes in der Beweiswürdigung aufgrund der widersprüchlichen Aussagen des Zeugen Peter Mitterhauser letztlich sogar zweifelhaft bleibt, ob es tatsächlich zu einem Körperkontakt mit der den Parkplatz reservierenden unbekannten Frau oder lediglich dazu kam, daß sich diese auf der Motorhaube des Fahrzeuges des Angeklagten abstützte. Der Zweck des Handelns des Angeklagten war jedenfalls die Freigabe einer rechtswidrig besetzten Abstellfläche. Bei Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes nach § 105 Abs 2 StGB vorliegen, ist vorerst die Sittenwidrigkeit des Mittels und/oder die Sittenwidrigkeit des Zweckes und sodann das Verhältnis Mittel-Zweck-Relation zu prüfen, um abschließend beurteilen zu können, ob ein den guten Sitten widerstreitendes Mißverhältnis zwischen Mittel und Zweck vorliegt.

Der Zweck des Zufahrens bestand vorliegend - wie bereits erwähnt - in der Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, nämlich in der Freigabe des entgegen § 76 StVO besetzt gehaltenen Parkplatzes, um diesen rechtmäßig in Anspruch zu nehmen. Das Mittel des weiteren Einfahrens in die Parklücke mit dem Fahrzeug stellt sich als eine notwendige Begleiterscheinung dieses Vorganges dar, was zwar in Kenntnis der Anwesenheit der Fußgängerin vorsätzlich erfolgte, aber nicht primär als Gewaltanwendung eingesetzt wurde. Überdies erfolgte das Zufahren auf die Fußgängerin nach den erstgerichtlichen Feststellungen in Etappen und unter Warnung derselben, wobei der Angeklagte auch sein Fahrzeug verließ und sich mit der Fußgängerin auf ein Gespräch einließ, sodaß weder Mittel noch Zweck als sozial unerträglich eingestuft werden können (zumal sogar vom Anzeiger und Zeugen Peter Mitterhauser das Verhalten der Fußgängerin auch als rechtswidrig empfunden wurde), weil die Vorgangsweise des Angeklagten einem Selbsthilfeakt gleichkommt. Von der Mittel-Zweck-Relation ausgehend muß daher das Motiv des Täters und das außertatbestandliche Ziel der Erlangung eines Parkplatzes in den Kreis dieser Erwägungen einbezogen werden (siehe Kienapfel BT I**n, § 105 RN 66).

Einsatz von grober Gewalt, die die Mittel-Zweck-Relation des Abs 2 des § 105 StGB als nicht gerechtfertigt erscheinen läßt, liegt bei einem stattgefundenen nahen Zufahren, wie es sich letztlich aus dem Akteninhalt lediglich erweisen läßt, aber selbst bei dem vom Erstgericht festgestellten Kontakt zwischen dem Fahrzeug und der Fußgängerin (der offenkundig zu keinerlei körperlicher Beeinträchtigung geführt hat) nicht immer vor. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes ist die Sittenwidrigkeit des Mittels nur dann gegeben, wenn Gewalt unmittelbar und von vornherein zur Anwendung kommt (wie etwa bei vorgefaßtem Niederstoßen etc.) und dadurch vorsätzlich eine Gefährdung oder gar Verletzung der körperlichen Integrität des Genötigten herbeigeführt wird. Da vorliegendenfalls weder der in der Aufgabe einer rechtswidrigen Fahrbahnreservierung liegende Zweck, der durch ein bloßes Zurücktreten der Fußgängerin zwischen die anderen parkenden Kraftfahrzeuge auf diesem Parkplatz leicht erreicht hätte werden können, noch das nur sekundär eingesetzte Mittel der Gewalt durch Zufahren auf die Fußgängerin für sich allein als den guten Sitten widerstreitend angesehen werden kann, hatte sich das Berufungsgericht der Frage einer sittenwidrigen Verknüpfung Mittel und Zweck zuzuwenden. Auch diese Frage ist zu verneinen.

Daß der vom Erstgericht festgestellte Körperkontakt vorsätzlich erfolgt wäre, hat das Erstgericht nicht festgestellt und bleibt ein solcher Kontakt wie bereits vorstehend mehrfach erwähnt aufgrund der widersprüchlichen Zeugenangaben mangels Verfügbarkeit der unbekannt gebliebenen Frau als Zeugin letztlich überhaupt fraglich. Offenkundig trat auch keinerlei Verletzungserfolg ein, sodaß ein allfälliger Körperkontakt erwiesenermaßen von nur geringer Intensität gewesen sein konnte, weshalb auf die Umstände des vorliegenden Falles bezogen, die Voraussetzungen des § 105 Abs 2 StGB vorliegen.

In Kenntnis auch entgegenstehender Rechtsprechung (siehe Mayerhofer-Rieder4, E 4 und 14 zu § 105 StGB, in letzterem Falle vgl. ZVR 1978/92, aber ohne Problematisierung der Mittel-Zweck-Relation), der aber in der überwiegenden Zahl der Fälle intensiveres Verhalten zugrundeliegt, und auf den vorliegenden Fall bezogen muß, um einer möglichen Fehlinterpretation vorzubeugen, jedoch darauf hingewiesen werden, daß aus dieser Entscheidung nicht generell abgeleitet werden kann, daß Einsatz von Bewegungsenergie von Fahrzeugen gegen ungeschützte Fußgänger in jedem Fall zu rechtfertigen sei und in allen Fällen Straflosigkeit zur Folge hat. Im konkreten Anlaßfall und aus den aufgezeigten Erwägungen kam jedoch das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß dem Angeklagten der Rechtfertigungsgrund nach § 105 Abs 2 StGB zugute kommt, weshalb das angefochtene Urteil bereits in Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen war, womit sich ein Eingehen auf die Schuld- und Strafberufung desAngeklagten erübrigte.

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