JudikaturOLG Wien

4R275/95 – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
03. März 1996

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Derbolav als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Pimmer und Dr.Hradil in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, *****, vertreten durch P*****, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei D*****, vertreten durch Dr.A*****, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert S 300.000,--) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert S 30.000,--), (Gesamtstreitwert S 330.000,--), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 6.10.1995, 35 Cg 383/94a-24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I) Der Rekurs gegen Punkt 1) des angefochtenen Beschlusses, mit dem

der Widerspruch der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichtes Wien vom 12.1.1995, 35 Cg 383/94a-9 als verspätet zurückgewiesen wurde, wird F o l g e gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Erstgericht die Anberaumung einer Streitverhandlung (§ 397a Abs.2, Satz 2 und 3 ZPO) aufgetragen.

II) Der Rekurs gegen Punkt 2) des angefochtenen Beschlusses, mit dem der Antrag der beklagten Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist abgewiesen wurde, wird z u r ü c k g e w i e s e n.

Die beklagte Partei hat die Rekurskosten selbst zu tragen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt S 50.000,--, ein Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Die klagende Partei verband mit ihrer Klage zur Sicherung ihres gleichlautenden Anspruchs den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, womit der beklagten Partei ihre Erlagscheinwerbung verboten werden sollte.

Nach Ablauf der Klagebeantwortungsfrist beantragte die klagende Partei die Erlassung eines Versäumungsurteils, weil die beklagte Partei innerhalb der gesetzten Frist keine Klagebeantwortung eingebracht habe. Das hierauf gefällte Versäumungsurteil vom 12.1.1995, 35 Cg 383/94a-9, wurde der beklagten Partei am 14.2.1995 zugestellt (ON 12, AS 83). Am 28.2.1995 bzw. 2.3.1995 beantragte die beklagte Partei die Beigebung eines Rechtsanwalts zur Verfahrenshilfe zur Einbringung der Berufung und des Widerspruchs sowie für die Vertretung im nachfolgenden Verfahren (ON 10 und 11). Nach einem Verbesserungsverfahren durch Ausfüllen des ZP-Form 1 bewilligte das Erstgericht die Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs.1 Z 1 a bis f und Z 3 ZPO (ON 17). Die Zustellung des Bewilligungsbeschlusses erfolgte an den von der Rechtsanwaltskammer Wien am 10.5.1995 bestellten Rechtsanwalt Dr.Alois Leyrer am 18.5.1995, an den Beklagten am 21.6.1995 (Zustellnachweis in ON 18). Die am 1.6.1995 eingebrachte Klagebeantwortung wurde mit Beschluß vom 8.6.1995 zurückgewiesen (ON 20).

Mit Schriftsatz, eingelangt beim Erstgericht am 21.6.1995 (ON 21), erhob der Beklagte Widerspruch gegen das Versäumungsurteil vom 12.1.1995 und stellte eventualiter den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist.

Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Erstgericht zu 1) den Widerspruch zurück und zu 2) den Antrag auf Wiedereinsetzung ab. Die Frist zur Einbringung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil sei gemäß § 73 Abs.2 ZPO durch den Antrag auf Verfahrenshilfe am 27.2.1995 unterbrochen worden und durch Zustellung des Bestellungsbescheides an den Verfahrenshelfer am 18.5.1995 erneut in Gang gesetzt worden und nicht erst durch die Zustellung an die beklagte Partei am 21.6.1995. Die Widerspruchsfrist ende somit am 1.6.1995. Der Widerspruch vom 20.6.1995 sei daher verspätet. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei gemäß § 146 ZPO nur zu bewilligen, wenn eine Partei durch ein unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert gewesen sei. Ein minderer Grad des Versehens hindere die Bewilligung nicht. Daß der Beklagtenvertreter sich nicht gemäß den ihn nach §§ 9, 11 und 16 Abs.2 RAO treffenden Pflichten, nach der Bestellung zum Verfahrenshelfer eingehend Kenntnis vom Akteninhalt und dem Verfahrensstand durch Akteneinsicht bei Gericht verschafft habe, stelle jedenfalls ein grob-pflichtwidriges Verhalten dar.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten (ON 27) mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß ersatzlos aufzuheben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Zu I):

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs zu Punkt 1) des Spruches ist berechtigt.

Hat die beklagte Partei vor Ablauf der Frist, innerhalb deren sie den Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl (§ 451), den Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil (§§ 397a, 398, 442a) einzubringen oder die Klage zu beantworten hätte, die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts beantragt, so beginnt die Frist zur Einbringung des Einspruchs gegen einen Zahlungsbefehl des Widerspruchs gegen ein Versäumungsurteil oder die Klagebeantwortung frühestens mit der Zustellung des Bescheides, mit dem der Rechtsanwalt bestellt wird, bzw. mit dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwalts versagt wird. Der Bescheid über die Bestellung des Rechtsanwalts ist durch das Gericht zuzustellen (§ 73 Abs.2 ZPO).

Die Frist beginnt frühestens mit der durch das Gericht zu bewirkenden Zustellung des Bescheides des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer an die Verfahrenshilfe genießende Partei, mit dem der Rechtsanwalt bestellt und namhaft gemacht wird, in voller Länge zu laufen (Fasching, Kommentar, ErgBd 52).

Daß die Frist mit Zustellung an die Partei und nicht mit Zustellung an den bestellten Rechtsanwalt beginnt, ergibt sich schon daraus, daß erst mit dem zuzustellenden Schriftstück die Partei Kenntnis von der Person des Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe erlangt und sich erst ab diesem Zeitpunkt mit diesem in Verbindung setzten könnte.

Wie der vorliegende Fall zeigt, müßte bei Beginn des Fristenlaufs bei Zustellung an den Rechtsanwalt zur Verfahrenshilfe dieser allenfalls ohne Kenntnis der Sach- und Rechtslage und ohne Kontakt mit der Verfahrenshilfe genießenden Partei einen möglicherweise inhaltsleeren Schriftsatz abgeben.

Zu II):

Da nach Stattgebung des Rekurses zu Punkt 1) die Frist für den Widerspruch nicht versäumt wurde, war der Rekurs gegen Punkt 2.) des angefochtenen Beschlusses mangels Rechtschutzinteresses zurück zu weisen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 397a Abs.4 ZPO.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf §§ 397a Abs.3 letzter Halbsatz, 528 Abs.2 Z 2 ZPO (Petrasch, ÖJZ 1989, 751). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war nicht zu lösen.

Rückverweise