3R169/95 – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Winklbauer als Vorsitzenden und die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Spenling und Dr. Vogel in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. J*****, Rechtsanwalt, Mahlerstraße 7, 1010 Wien, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Firma ***** (***** S ***** Handelsgericht Wien), gegen die beklagte Partei Firma *****, *****, 8052 Graz, vertreten durch Dr. *****, Rechtsanwalt in Graz u.a., wegen S 10,593.792,33 s.A., über den im Verfahren zur Erlangung der Verfahrenshilfe erhobenen Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 1.8.1995, GZ 30 Cg 99/95a-3, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird F o l g e gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Antrag der klagenden Partei, ihr für die vorliegende Klage Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f ZPO zu gewähren, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 36.507,11 (darin S 6.084,52 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Über das Vermögen der I***** (in der Folge: Gemeinschuldnerin) wurde mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 11.8.1994 das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Dieser begehrt mit seiner Anfechtungsklage die Zahlung von S 10,593.792,33 s.A. mit dem Vorbringen, die Beklagte habe Zahlungen von der Gemeinschuldnerin im eingeklagten Ausmaß ab September 1992 entgegengenommen, obwohl die Gemeinschuldnerin bereits im Sommer 1992 zahlungsunfähig gewesen sei und der Beklagten dies bei Entgegennahme der Zahlungen bekannt gewesen oder zumindest fahrlässig unbekannt gewesen sei.
Zusammen mit der Klage beantragte der Kläger die Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f ZPO und brachte dazu unter Vorlage einer Fotokopie des Kontoauszuges des Anderkontos und des Anmeldeverzeichnisses ergänzend vor, daß dem derzeitigen Massevermögen in Höhe eines Guthabens auf dem Anderkonto von S 361.743,45 Verbindlichkeiten von mehr als S 1 Mrd. gegenüberstünden. Die Prozeßführung sei weder mutwillig noch aussichtslos, Konkursgläubiger seien nicht wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 63 Abs 2 ZPO; die Auferlegung eines Kostenvorschusses sei den Gläubigern unzumutbar, weil die erfolgreiche Anfechtung ihre Befriedigungsaussichten nur minimal verbessere. Ein Vermögensbekenntnis (§ 66 Abs 1 ZPO) legte der Kläger nicht vor.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Erstgericht die Verfahrenshilfe im beantragten Umfang im vollen Ausmaß bewilligt.
Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne einer Abweisung des Verfahrenshilfeantrages abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Rekurs ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der angefochtene Beschluß soll gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO nichtig sein, da er nicht begründet ist; gemäß § 72 Abs 2 ZPO stehe aber dem Gegner desjenigen, dem die Verfahrenshilfe bewilligt wird, das Recht zu, gegen den Bewilligungsbeschluß Rekurs zu erheben. Zum Zwecke ihrer Überprüfbarkeit müßten aber alle anfechtbaren Beschlüsse begründet werden.
Gemäß § 428 Abs 1 ZPO müssen Beschlüsse über widerstreitende Anträge und Beschlüsse, durch welche ein Antrag abgewiesen wird, begründet werden. Durch diese Bestimmung ist nicht ausdrücklich geregelt, was bei Beschlüssen zu geschehen hat, mit denen über Parteienanträge stattgebend entschieden wird oder in Rechte von Parteien eingegriffen wird, ohne daß der Gegner Gelegenheit oder die gesetzliche Möglichkeit hatte, überhaupt gehört zu werden, um den in § 428 Abs 1 ZPO vorausgesetzten widerstreitenden Antrag zu stellen. Das Rekursgericht vertritt in dieser Frage den Standpunkt, daß nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes Begründungspflicht und Anfechtbarkeit nicht völlig parallel laufen. Nur in jenen Fällen wird eine Erweiterung der Begründungspflicht von Beschlüssen zu bejahen sein, wo Beschluß und Urteil funktionsgleichwertig sind, also dort, wo der Beschluß ein Verfahren endgültig abschließt oder wo er über einen einem Urteilssachantrag gleichwertigen Rechtsschutzanspruch erkennt (Fasching in Sprung-König, Entscheidungsbegründungen 142). Ein die Verfahrenshilfe zur Gänze bewilligender Beschluß ist demnach kein Beschluß über widerstreitende Anträge im Sinne des § 428 Abs 1 ZPO, sodaß in dessen fehlender Begründung keine Nichtigkeit liegt (Fasching III, 833; LGZ Wien in Arb 9333).
In der Rechtsrüge vertritt die Rekurswerberin den Standpunkt, bei den Hauptgläubigern im Konkursverfahren (mit mehr als 50 % der insgesamt angemeldeten Forderungen) handle es sich um Bankinstitute, denen als wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 63 Abs 2 ZPO die Finanzierung des Anfechtungsprozesses möglich und zumutbar sei, erhöhe sich doch ihr Befriedigungsfonds im Falle eines Prozeßerfolges wesentlich.
Reicht (wie hier) die Konkursmasse voraussichtlich nicht einmal zur gänzlichen Befriedigung aller Massegläubiger aus (noch ohne Berücksichtigung der Kosten des gescheiterten Zwangsausgleichsverfahrens, des Konkursverfahrens und der Kosten von Masseverwalter und Gläubigerausschuß stehen Masseforderungen von über S 320.000,- Barmitteln von nur rund S 360.000,- gegenüber), ist das Vorliegen von Massearmut als erste Bewilligungsvoraussetzung zu bejahen. Richtig ist auch, daß nach der jüngeren, von der Lehre allgemein gebilligten Rechtsprechung dem Masseverwalter Verfahrenshilfe nur dann zu gewähren ist, wenn neben der Masse auch die als "wirtschaftlich Beteiligte" einzustufenden Gläubiger nicht die zur Prozeßführung notwendigen Mittel aufbringen können (König-Broll, Verfahrenshilfe für Masseverwalter in Österreich, Festschrift Henckel, 455 ff, 458 mwN). Auf diese Frage muß hier jedoch nicht näher eingegangen werden:
Neben das Kriterium der Mittellosigkeit tritt nämlich als weiteres Erfordernis für die Bewilligung der Verfahrenshilfe, daß die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht offenbar mutwillig oder aussichtslos sein darf (§ 63 Abs 1 ZPO). Als besondere Form der Mutwilligkeit erwähnt das Gesetz die Ausnützung des mangelnden Kostenrisikos im Prozeß. Zweck der Verfahrenshilfe ist es, die bedürftige Partei beim Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz und im Rechtsstreit, soweit es die hiefür erforderlichen Mittel betrifft, einer vermögenden Partei gleichzustellen, nicht aber, dem Bedürftigen auf Kosten der Allgemeinheit eine Prozeßführung zu ermöglichen, von der eine vermögende Partei bei vernünftiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage absehen würde. Verfahrenshilfe kann deshalb, auch wenn alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind, für einen Rechtsstreit nicht gewährt werden, auf dessen Durchführung eine vermögende Partei nach sachlicher Abwägung von Aufwand und Erfolg vernünftigerweise verzichten würde (Münchner Kommentar dZPO, 1, 811). Hat sich demnach die Verfahrenshilfe genießende Partei in einen Rechtsstreit eingelassen, der von einer nicht die Verfahrenshilfe beanspruchenden Partei bei "verständiger Würdigung aller Umstände" des Falles nicht oder nicht in der vollen Höhe des Begehrens geführt würde, dann handelt sie ebenfalls offenbar mutwillig. Diese "verständige Würdigung aller Umstände" hat sich nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht auf eine Würdigung der rechtlichen Möglichkeiten zu beschränken, sondern vor allem wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Da die Partei, die die Prozeßkosten aus eigener Tasche vorzuschießen hat, in der Regel auch abwägt, ob sich deren Aufwendung finanziell als rentabel erweisen wird, muß auch die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei eine solche wirtschaftliche Erfolgsabwägung vornehmen (Fasching, Komm. zur ZPO, ErgBd, 9).
Eine solcherart gebotene wirtschaftliche Erfolgsabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß die Konkursgläubiger selbst im Fall eines gänzlichen Prozeßerfolges nur Befriedigung im Ausmaß von rund 1 % ihrer angemeldeten Forderungen zu erwarten haben. Unter solchen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, daß angesichts des Kostenrisikos eine nicht Verfahrenshilfe beanspruchende Partei jedenfalls einen solchen Prozeß führen würde, bei dessen Unterlassung der ihr dadurch möglicherweise entstehende wirtschaftliche Schaden (100 % Forderungsausfall) doch nicht nennenswert höher ist als im Falle eines Prozeßgewinnes (99 % Forderungsausfall).
Ist demnach die bei einem Prozeßerfolg zu erwartende Befriedigungsquote (bzw. deren Erhöhung) für die Konkursgläubiger wirtschaftlich nicht spürbar, kann dem Masseverwalter die Verfahrenshilfe nicht bewilligt werden. Die Konkursgläubiger werden nunmehr zu entscheiden haben, ob sie gewillt sind, die zur Führung des Prozesses erforderlichen Mittel selbst aufzubringen.
Nur ergänzend ist zu bemerken, daß der Masseverwalter eine spürbare Befriedigungsquote (bzw. deren Erhöhung) in Summe auch durch die Führung mehrerer Prozesse anstreben kann; die in einem solchen Fall gebotene wirtschaftliche Gesamtschau ist dadurch zu erreichen, daß der Masseverwalter entweder für alle beabsichtigten Prozesse gemeinsam um Verfahrenshilfe ansucht oder in den einzelnen Verfahrenshilfeanträgen auf das gesamte "Prozeßvolumen" hinweist.
Dem Rekurs war daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Verfahrenshilfeantrages abzuändern.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 4 ZPO.