4R163/95 – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Derbolav als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Pimmer und Dr. Pöschl in der Rechtssache der klagenden Partei I***** 1100 Wien, vertreten durch Dr.Theodor Strohal Dr. Wolfgang Kretschmer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Fa. G*****Wien, vertreten durch Dr.Christian Prem Dr. Michael Mathes, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 199.550,-- s.A., infolge des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 3.3.1995, 36 Cg 240/94d-7, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluß wies das Erstgericht den Antrag der klagenden Partei, ihr gegen die Versäumung der Streitverhandlung vom 26.1.1995 die Wiedereinsetzung zu gewähren, das geschlossene Verfahren zu eröffnen und eine Streitverhandlung zum Zweck der Parteieneinvernahme des Klägers anzuberaumen, im wesentlichen mit der Begründung ab, es sei nicht erwiesen, daß sich der Kläger am Morgen des 26.1.1995 beim Verlassen seiner Wohnung bei einem Sturz eine schwere Verletzung an der Hand zugezogen habe. Darüberhinaus handle es sich bei der Parteieneinvernahme nicht um eine Prozeßhandlung sondern ein Beweismittel, sodaß dagegen ihre Versäumung eine Wiedereinsetzung überhaupt unzulässig sei.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der klagenden Partei, der berechtigt ist.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 146 Abs 1 ZPO ist einer Partei, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hat, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Es ist zwar richtig, daß bei einer streng am Wortsinn haftenden Auslegung die Einvernahme einer Partei keine Prozeßhandlung ist, aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmung ist aber klar zu erkennen, daß der Gesetzgeber hier die Beseitigung eines Rechtsnachteiles einer Partei im Auge hatte, der ihr durch den Ausschluß von einer Tagsatzung (bzw. einer befristeten Prozeßhandlung) droht (vgl. OLG Wien, AnwBl 1992, 843). Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß der Ausschluß von der Vernehmung als Partei einen evidenten Rechtsnachteil bedeutet.
Zutreffend verweist der Rekurswerber auch darauf, daß eine streng grammatikalische Auslegung dieser Bestimmung zum gleichen Ergebnis führt, da die zweite Bedingung, der "Rechtnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung" sich nur auf versäumte Prozeßhandlungen und nicht auf versäumte Tagsatzungen beziehen kann. Die Wiedereinsetzung kann daher auch gegen die Versäumung einer Tagsatzung zur Parteienvernehmung bewilligt werden (im gleichen Sinn OLG Wien, AnwBl 1992, 843; Fink, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Zivilprozeßrecht, 38). Der abweichenden Rechtsansicht des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen (WR 145) kann daher nicht gefolgt werden.
Ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht hat das Erstgericht die vom Kläger angebotene Einvernahme seiner Person zur Bescheinigung des Vorliegens des Wiedereinsetzungsgrundes nicht durchgeführt, sodaß das erstgerichtliche Verfahren an einem Mangel leidet, der ur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen muß. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht den Kläger einzuvernehmen und, bei Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes, die Wiedereinsetzung zu bewilligen sowie das angefochtene Urteil nach § 150 Abs 1 ZPO aufzuheben haben.