JudikaturOLG Wien

7Rs110/95 – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
02. August 1995

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Meinhart (Vorsitzender), DDr. Huberger und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Traumüller und Erich Deingruber in der Sozialrechtssache der klagenden Partei *****T*****vertreten durch Dr. *****U*****, Rechtsanwalt in 1010 Wien, wider die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. *****, *****R*****, Mag. *****E*****, Mag. *****O*****H*****, ebendort, wegen Insolvenzausfallgeld (Berufungsinteresse S 17.974,58 netto s. A.) infolge Berufung der beklagten Partei wider das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15.12.1994, 3 Cgs 15/94f-11, gemäß §§ 2 ASGG, 492 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das hinsichtlich eines Zuspruches von S 44.054,25 als ausdrücklich unangefochten unberührt bleibt, wird dahin abgeändert, daß es unter Einschluß des unangefochten gebliebenen Teiles lautet:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von S 44.054,25 als Insolvenzausfallgeld binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Hingegen wird das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 17.974,58 als Insolvenz-Ausfallgeld binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen, abgewiesen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.595,21 (darin enthalten S 924,13 USt und S 51,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen."

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrt Insolvenzausfallgeld in der Gesamthöhe von S 62.028,83 (Modifikation des Klagebegehrens in der mündlichen Streitverhandlung am 11.4.1994, Seite 1 des Protokolles = AS 21), mit dem Vorbringen, daß sie als Angestellte bei der Firma *****vom 1.10.1990 bis 13.1.1993, zuletzt mit einem monatlichen Bruttogehalt von S 9.380,-- beschäftigt gewesen sei. Am 2.9.1992 sei über den Arbeitgeber der Klägerin das Ausgleichsverfahren eröffnet worden, am 13.10.1992 habe die Klägerin unter Anleitung ihres Arbeitgebers einen Antrag auf Insolvenzausfallgeld aufgrund der Ausgleichseröffnung gestellt. Am 13.1.1993 sei der Anschlußkonkurs eröffnet worden und habe die Klägerin ihren berechtigten vorzeitigen Austritt erklärt.

Infolge Unerfahrenheit der Klägerin in behördlichen Angelegenheiten und im Umgang mit Formularen habe sie die 4-Monats-Frist für den Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld aufgrund der Eröffnung des Anschlußkonkurses versäumt.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und wendete unter anderem ein, daß infolge der Bestimmung des § 34 Abs 1 AngG, wonach Ersatzansprüche wegen vorzeitigen Austrittes oder vorzeitigen Entlassung gemäß den §§ 28, 29 AngG bei sonstigem Ausschluß binnen sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden müßten, der Verfall der begehrten Kündigungsentschädigung eingetreten sei (Seite 3 des Schriftsatzes ON 3 = AS 13, vorgetragen in der mündlichen Streitverhandlung am 11.4.1994, Seite 1 des Protokolles = AS 21).

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht dem Klagebegehren vollinhaltlich im Ausmaß von S 62.028,83 stattgegeben. Das Erstgericht traf die auf den Seiten 3 und 4 seiner Urteilsausfertigung (= AS 61 und 63) ersichtlichen Feststellungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird; hervorzuheben ist, daß die Klägerin am 13.8.1993 nach vorheriger Beratung durch die Arbeiterkammer der beklagten Partei einen Antrag auf Nachsicht der Fristversäumnis vorlegte, mit Bescheid vom 14.12.1993 wurde der Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld als verspätet abgelehnt. Da die Klägerin in komplizierten Dingen dazu neige, einfach ja zu sagen, ohne die Zusammenhänge richtig verstanden zu haben, folgerte das Erstgericht rechtlich, daß von einem groben Verschulden der Klägerin hinsichtlich der Fristversäumnis nicht gesprochen werden könne. Hinsichtlich des Verfalles der Ansprüche der Klägerin gemäß § 34 Abs 1 AngG führte das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, daß sich diese Ausschlußdrohung auf Ersatzansprüche wegen vorzeitigen Austrittes oder vorzeitiger Entlassung und auf Ersatzansprüche wegen Rücktrittes vom Vertrag gemäß § 31 AngG beziehe. Ein vorzeitiger Austritt der Klägerin ohne einen wichtigen Grund liege nicht vor, sodaß die Ansprüche nicht verfallen seien.

Dieses Urteil bekämpft die beklagte Partei lediglich hinsichtlich eines Teilbetrages von S 17.974,58, - im Ausmaß von S 44.054,25 blieb das erstgerichtliche Urteil unangefochten, - wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß nur ein Betrag von S 44.054,25 zuerkannt werde (ON 12).

Die klagende Partei beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung (ON 14), dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei macht geltend, daß Verfall im Sinne des § 34 AngG im Ausmaß der geltendgemachten Kündigungsentschädigung samt den anteiligen Sonderzahlungen (insgesamt S 17.974,58) eingetreten sei, weil diese nicht binnen sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht worden seien.

Ziffernmäßig liegt hinsichtlich der Kündigungsentschädigung samt den anteiligen Sonderzahlungen im Ausmaß von S 17.974,58 kein Streitpunkt vor, weil auch die klagende Partei in ihrer Berufungsbeanwortung von dieser Ziffernhöhe unbestritten ausgeht.

Das Verschulden des Arbeitgebers an der Zahlungsunfähigkeit wird gesetzlich vermutet. Dadurch sollen langwierige Prozesse zur Klärung der das Verschulden an der Zahlungsunfähigkeit begründenden Tatsachen vermieden werden (RdW 1988, 137; OGH vom 16.3.1988, 9 Ob 43, 72/88;

25.4.1990, 9 Ob 901/90; Arb 10.944). Der Arbeitnehmer hat bei einem

durch den wichtigen Grund im Sinne des § 25 KO gerechtfertigten

Austritt Anspruch auf Schadenersatz gemäß § 29 AngG bzw. § 1162 b

ABGB (EvBl 1977/116 = Arb 9539 = ZAS 1978/10 = DRdA 1978, 39 = SZ

49/131; OGH vom 17.2.1981, 4 Ob 165, 166/80; Arb 10.056 = SZ 54/146;

Arb 10.093 = ZAS 1983, 107 [Spielbüchler]; vgl. Arb. 9919).

§ 34 AngG normiert eine Fallfrist, die gemäß § 40 AngG nur zugunsten, nicht aber auch zum Nachteil des Dienstnehmers zwingend ist. Der Dienstgeber kann auf ihre Einhaltung verzichten, insbesondere dadurch, daß er sich nicht auf die Versäumung dieser Frist beruft. Daraus folgt, daß diese Frist nicht von amtswegen, sondern nur bei einem entsprechenden Vorbringen des beklagten Dienstgebers vom Gericht zu beachten ist (Arb 8.900; OGH vom 8.7.1992, 8 Ob A 130/92). Diese Voraussetzungen liegen vor, weil, wie bereits ausgeführt, die beklagte Partei in ihrer Klagebeantwortung (Seite 3 in ON 3 = AS 13, vorgetragen in der mündlichen Streitverhandlung am 11.4.1994, Seite 1 des Protokolles = AS 21) diese Einwendung erhoben hat.

Da die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - wie bereits dargelegt - dessen Verschulden impliziert, gebühren einem nur aus diesem Grund austretenden Angestellten die Ersatzansprüche gemäß § 29 AngG (Arb 7024, 8297, 10.395). § 34 AngG nimmt aber ausdrücklich im Rahmen der Ersatzansprüche wegen vorzeitigen Austrittes auf § 29 leg cit Bezug, solche Ersatzansprüche müssen bei sonstigem Ausschluß binnen sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Bei Ansprüchen nach § 29 AngG beginnt die Ausschlußfrist des § 34 AngG mit dem Tag der Fälligkeit der Ansprüche (Arb 8255; 8831, 9514 = SZ 49/106 = EvBl 1977/70). Ansprüche auf Kündigungsentscheidung für die 3-Monatsfrist gemäß § 29/2 AngG sind sofort fällig (OGH vom 24.5.1995, 8 ObS 24/95). Bei solchen Ansprüchen, die nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses sofort fällig werden, beginnt der Lauf der sechsmonatigen Fallfrist mit dem Tag ihrer jeweiligen Fälligkeit (Arb 10.581).

Ausgehend von dem unbestritten feststehenden Austrittsdatum der Klägerin, dem 13.1.1993 (= Fälligkeitszeitpunkt) und der Geltendmachung in dem Antrag auf Gewährung von Insolvenzausfallsgeld am 13.8.1993 ist daher der Ablauf der Ausschlußfrist des § 34 AngG evident.

Zu prüfen ist noch die Frage, inwieweit die Bindung der beklagten Partei an einen gesicherten Anspruch vorliegt. Abgesehen davon, daß die klagende Partei ein Anerkenntnis des Masseverwalters im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet hat, ergibt sich aus dem Akt der beklagten Partei (Blattzahlen 39 und 40), der im erstinstanzlichen Verfahren in der Verhandlung am 17.8.1994 (Seite 1 des Protokolles unten = AS 29) verlesen wurde nur, daß der Masseverwalter in den Forderungsverzeichnissen gemäß § 6 Abs 3 IESG entsprechend den Anmeldungen die Nettobeträge (übereinstimmend mit den Anmeldungsbeträgen), Hinweise hinsichtlich der Bestreitung jedoch nicht eingetragen hat.

Eine Bindung an die vom Masseverwalter gemäß § 6 Abs 4 und 5 1.Satz abgegebene Erklärung zur Richtigkeit und Höhe derartiger Forderungen ist weder aus dem IESG noch aus anderen Bestimmungen zu erschließen (vgl. OGH vom 13.6.1990, 9 ObS 8/90=. Außerdem ist zu beachten, daß das Arbeitsamt bei seiner amtswegigen Prüfung jedenfalls insoweit frei ist, als eine Prüfung im gerichtlichen Verfahren mangels Einwendungen nicht erfolgt ist und zur Frage, ob ein gesicherter Anspruch vorliegt, dies trifft aber für einen verfallenen bzw. verjährten Anspruch nicht zu (vgl. 9 ObS 19/93 und 9 ObS 23/92 vom 23.6.1993 selbst bei Verjährung trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Versäumungsurteiles. Das Arbeitsamt hat daher zu Recht selbständig das Vorliegen des Anspruches zu prüfen und zu beurteilen gehabt (OGH vom 23.2.1994, 9 ObA 10-15/94).

Es war der Berufung daher im Umfang des Betrages von S 17.974,58 Folge zu geben und dieser Teil des Klagebegehrens wegen Ablaufes der Frist zur Geltendmachung der Ansprüche gemäß § 34 AngG iVm § 29 leg cit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 41, 50 ZPO, wobei die Klägerin mit rund 71% ihres Anspruches durchgedrungen, hingegen mit 29% ihres Begehrens unterlegen ist, sodaß ihr im erstinstanzlichen Verfahren 42% ihrer Kosten zuzuerkennen waren, wobei, wie bereits das Erstgericht im angefochtenen Urteil ausgeführt hat, der 120%-ige Einheitssatz für die Klage aus den dort genannten Gründen zu eliminieren waren. Ausgehend von einer Gesamtkostenforderung von S 13.321,92 waren der Klägerin daher 42% hievon zuzuerkennen.

Im Berufungsverfahren hatte eine Kostenentscheidung zugunsten der Berufungswerberin zu entfallen, weil diese keine Kosten verzeichnet hat, die Kosten der Berufungsbeantwortung sind von der Klägerin selbst zu tragen.

Die Revision an den Obersten Gerichtshof ist nicht zulässig, weil der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, zusammenhängend mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses S 50.000,-- im Berufungsverfahren nicht übersteigt und das Berufungsgericht nicht von der Rechtsprechung des OGH zu § 34 AngG iVm § 29 AngG abweicht und wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen nicht vorliegen (§ 46 Abs 3 Z 1 und 3 ASGG).

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