10Bs169/25m – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Henhofer als Vorsitzende und Mag. Höpfl sowie den Richter Mag. Graf in der Strafsache gegen A* B* wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 8. Jänner 2025, Hv*-35, nach der in Anwesenheit des Oberstaatsanwalts HR. Mag. Daxecker sowie des Angeklagten und dessen Verteidigers Dr. Mauhart durchgeführten Berufungsverhandlung am 18. August 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.
Der Berufung des Angeklagten wird teilweise Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf sechs Jahre herabgesetzt .
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Mit dem angefochtenen Urteil – das auch eine aktenkonforme Vorhaftanrechnung und ein unbekämpft gebliebenes Adhäsionserkenntnis beinhaltet - wurde der ** geborene A* B* der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 vierter Fall StGB (1.), der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (2.), der Vergehen der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (3.1.), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (3.2.) und der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (4.) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Nach dem Schuldspruch hat er in ** seine Ehefrau C* B*
1. am 10. und 11. September 2024 in zwei Fällen mit Gewalt zur Vornahme und Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er sie mit seinen Händen am Kopf sowie teilweise an den Haaren und am Genick packte, ihr Gesicht zu seinem Penis und diesen in ihren Mund drückte und von ihr forderte, ihn oral zu befriedigen, wobei er in einem Fall währenddessen auch mit einem Finger in ihre Vagina eindrang und er jeweils in ihr Gesicht ejakulierte, wodurch sie in besonderer Weise erniedrigt wurde;
2. wiederholt sowohl mit ihrem Tod als auch jenem ihrer „Affäre“, sohin einer Sympathieperson, gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
2.1. am 10. September 2024 durch die sinngemäße Äußerung, sie und ihre „Affäre“ werden jeweils „ein Messer im Hals stecken haben“,
2.2. am 11. September 2024 durch die sinngemäße Äußerung, er werde sie und ihre „Affäre“ an das Bett ketten, zum Geschlechtsverkehr zwingen, sodann ihrer „Affäre die Kehle aufschneiden, ihn anschließend auf ihr ausbluten lassen und zum Schluss ihr die Kehle aufschneiden“,
2.3. am 11. September 2024 durch die sinngemäße Äußerung, wenn sie „ein Rudel Ausländer“ sehe, werde es schon zu spät sein, wenn sie zehn Afghanen sehe, solle sie rennen, weil diese Männer wissen würden, dass sie eine „Gerngehade“ sei, und es dann sicher zwei oder drei Stunden dauern werde, bis „es“ vorbei sei;
3. am 11. September 2024 durch Gewalt und teils durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zu Handlungen und Unterlassungen genötigt oder zu nötigen versucht, und zwar
3.1. dadurch, dass er ihr in mehreren Angriffen feste Schläge gegen das Gesicht, den Oberarm, die Brust und den Intimbereich versetzte, zur Offenbarung der Identität ihres Liebhabers;
3.2. dadurch, dass er sich mit einem Unterarm auf ihren Hals lehnte und ihr mit der anderen Hand Mund und Nase bis zur Atemnot zuhielt, zur Abstandnahme davon, ihre Tochter um Hilfe zu rufen,
4. durch die unter 3.1. genannten Taten in Form von Rötungen, Schwellungen sowie Blutunterlaufungen am Körper verletzt.
Gegen dieses Urteil richten sich – nach Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Obersten Gerichtshof (ON 49.2) - die wegen des Strafausspruchs vom Angeklagten und von der Staatsanwaltschaft angemeldeten- (ON 36, ON 37) und auch ausgeführten (ON 42, ON 43) Berufungen mit denen der Angeklagte (unter Anwendung des § 41 Abs 1 StGB) eine Herabsetzung der ausgesprochenen Freiheitsstrafe, die Anklagebehörde hingegen eine Anhebung des Strafmaßes anstreben.
Die Berufung des Angeklagten ist teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Bei der Strafbemessung werteten die Erstrichter mildernd die bisherige Unbescholtenheit, die geständige Verantwortung sowie den Umstand, dass die Nötigungen beim Versuch geblieben sind, erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen sowie den Umstand, dass der Angeklagte vorsätzlich strafbare Handlungen nach dem ersten, zweiten und zehnten Abschnitt des Besonderen Teils zum einen als Volljähriger - für eine minderjährige Person wahrnehmbar - zum Nachteil einer dieser nahestehenden Person (§ 33 Abs 2 Z 1 StGB), und zum anderen zum Nachteil einer nahen Angehörigen, begangen hat (§ 33 Abs 2 Z 2 StGB). Dieser Strafzumessungskatalog ist um den Milderungsgrund der Schadensgutmachung zu ergänzen, wurde doch im Zuge der Berufungsverhandlung die Kompensation des Privatbeteiligtenzuspruchs nachgewiesen.
Der Argumentation der Staatsanwaltschaft, wonach eine höhere Strafe auszusprechen sei, weil der Angeklagte zwei Verbrechen begangen hat, die jeweils mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren bedroht sind, ist entgegenzuhalten, dass diese Form von gleichartiger realkonkurrierender Delinquenz im Erschwerungsgrund nach § 33 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB Berücksichtigung findet.
Dass – wie der Angeklagte reklamiert – der Milderungsgrund des Geständnisses nur in einer der beiden möglichen Varianten berücksichtigt worden wäre, entspricht nicht den erstinstanzlichen Strafzumessungserwägungen, hielten die Erstrichter doch ausdrücklich fest, dass der Angeklagte zwei gewichtige Milderungsgründe, nämlich das reumütige- und zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis sowie die Unbescholtenheit für sich verbuchen könne (US 11).
Wenn der Angeklagte weiters ins Treffen führt, er habe sich zur Tat in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung hinreißen lassen, weswegen ihm der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 8 StGB zuzubilligen sei, steht dem entgegen, dass die gegenüber seiner Gattin, aber auch gegenüber Dritten, erfolgte mehrfache detaillierte Ankündigung von massiver sexueller Delinquenz (teils Stunden vor diesen Tathandlungen) gegen eine derartige heftige Gemütsbewegung spricht (vgl US 6) und es im Übrigen einer solchen bereits am Kriterium der vom Standpunkt des maßgerechten Durchschnittsmenschen zu beurteilenden allgemeinen Begreiflichkeit mangeln würde ( Riffel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 34 Rz 20).
Entgegen der Ansicht des Angeklagten reicht allein die Möglichkeit des Wahrnehmens für die Annahme des Erschwerungsgrundes der zweiten Alternative des § 33 Abs 2 Z 1 StGB aus.
Die vom Angeklagten als Milderungsgrund reklamierte Alkoholisierung während sämtlicher Tathandlungen (einen ausgeprägten Alkoholkonsum stellte er im Ermittlungsverfahren noch in Abrede: vgl beispielhaft AS 2, 4 in ON 10), ist nicht anzunehmen. Eine allenfalls dadurch bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit wäre durch den Vorwurf aufgewogen, den der Genuss oder Gebrauch des berauschenden Mittels den Umständen nach begründet, hätte der Angeklagte in Anbetracht der wiederholten Handlungen doch spätestens nach den am 10. September 2024 begangenen Überriffen wissen müssen, dass er unter Einfluss von Alkohol aggressiv und gewalttätig gegen seine Gattin vorgeht.
Entgegen der Ansicht des Angeklagten kommt ihm der Milderungsgrund der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer nach § 34 Abs 2 StGB nicht zugute. Dieser deckt zwei Fallgruppen ab; den allgemeinen Milderungsgrund der aufgrund der individuellen (Mehr-)Belastung unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer einerseits und die durch Säumnis staatlicher Organe zu verantwortende unverhältnismäßig (im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK unangemessen) lange Verfahrensdauer als Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art 6 EMRK andererseits. Bei Beurteilung der (Un-)Verhältnismäßigkeit der Verfahrensdauer ist auf den Zeitraum zwischen erster Kenntnisnahme des Beschuldigten von der Tatsache, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt wird, und rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens abzustellen (RIS-Justiz RS0124901). Der Angeklagte ist seit 12. September 2024 in Kenntnis über das von der Staatsanwaltschaft gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren.
Die oben beschriebene Zeitspanne von etwa 11 Monaten ist – obwohl sich der Angeklagte in Untersuchungshaft befand - angesichts des Verfahrensumfanges (das Opfer war kontradiktorisch einzuvernehmen; der Oberste Gerichtshof hatte über eine Nichtigkeitsbeschwerde zu entscheiden [ON 21, 49]) nicht unangemessen lange. Entgegen der Ansicht des Angeklagten ist im Stadium zwischen Anklageerhebung und Durchführung der Hauptverhandlung (nach Rechtswirksamkeit der Anklageschrift am 9. November 2024 wurde am 13. November 2024 die Hauptverhandlung für 8. Jänner 2025 ausgeschrieben, diese konnte am selben Tag abgeschlossen werden [ON 1.43, ON 34]) keine längere Phase behördlicher Inaktivität gegeben. Auch die schriftliche Ausfertigung des am 8. Jänner 2025 verkündeten Urteils am 2. März 2025 (ON 1.54), somit eine die vierwöchige Frist des § 270 Abs 1 StPO nicht einmal ein Monat überschreitende Dauer der Ausfertigung des Ersturteils, stellt den zusätzlichen Milderungsgrund der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer nicht her (vgl. RIS-Justiz RS0120138).
Eine außerordentliche Strafmilderung nach § 41 Abs 1 StGB kommt als Korrektiv von im Einzelfall zu hohen Mindeststrafdrohungen nur bei untergeordneten Beteiligungsformen oder in Fällen atypisch leichter Verwirklichung schwerer und deshalb mit strengen Mindeststrafdrohungen versehener Straftatbestände in Frage (RIS-Justiz RS0102152). Dabei sind nicht allein die Milderungsgründe des § 34 StGB zu berücksichtigen, sondern auch der Unrechtsgehalt der Tat und alle nach den Grundsätzen für die Strafbemessung gemäß § 32 Abs 2 und 3 StGB bedeutsamen Momente, welche die Tat für sich allein allenfalls als derart weit unter der Norm liegend ausweisen können, dass selbst die gesetzliche Mindeststrafe als überhöht angesehen werden müsste ( Tipold/Leukauf/Steininger , StGB 4 § 41 Rz 4). Mit Blick auf das Gewicht von Milderungs- und Erschwerungsgründen einerseits und den vom Angeklagten verwirklichten Handlungsunwert andererseits kann von einem atypisch leichten Fall nicht die Rede sein, weshalb die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 Abs 1 StGB nicht in Betracht kommt.
Ausgehend von diesen Strafzumessungskriterien (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich - bei einem vorliegenden Strafrahmen von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe – insbesondere in Ansehung des hinzugetretenen Milderungsgrundes eine moderate Herabsetzung der ausgesprochenen Freiheitsstrafe (konkret auf sechs Jahre) als angezeigt. Die letztlich ausgesprochene schuld- und tatangemessene Unrechtsfolge trägt auch (innerhalb der schuldadäquaten Strafe zu berücksichtigenden) Belangen der Generalprävention (vgl RIS-Justiz RS0090592 [insb auch T1], RS0090600) hinreichend Rechnung.